Aller Anfang
Bereits der erste Auftritt kann entscheiden: Wenn er gut läuft, besitzt du die Gunst des Publikums, läuft er schlecht, kannst du dir den kompletten Abend einen Ast spielen und kein Blumentopf wird mehr gewonnen. Schaffst du einen Auftrittslacher oder gar –applaus, dann trägt dich diese Energie ohne Probleme durch alles, was da auf den Brettern noch an Unabwägbarkeiten kommen mag. Eine Aufgabe ist es dagegen, den Griesgram im Parkett mitte vielleicht doch noch zu kriegen, obwohl ihn seine Gattin gezwungen hat, ins Theater zu gehen. Lacht der am Ende und applaudiert erfreut, dann scheint es als seien der Beruf und der Sinn der Bühne nicht verloren.
Gerade Anfänger tun sich mit dem Anfangen natürlich schwer. Da merkt man dann auch noch die Aufregung über das Auftreten und das aufgeputschten Auffangen durch Auf-den-Putz-Hauen. Das ist meistens schon zu viel des vermeintlich Guten.
Trägt man allerdings kein grandioses Lacherkostüm (Mann in Frauenklamotte, Flaschenbodenbrille, Neonleggings) oder wird gott-sei-bei-mir grandios aninszeniert (aus der Kulisse fallend, von der Decke einfliegend), kann das durchaus schwerfallen. Eine alte Theaterregel besagt: der Gute kommt immer von rechts. Eitle Kollegen hassen deshalb das linke Portal mehr als Probenpfeifer. Sicherer ist die sogenannte a-perspektivische Einführung der eigenen Figur: Sabbeln die Kollegen erst einmal vier Dialogseiten über den netten Retter, der da gleich aus der Papptür stolpern wird, dann erwartet sich das geneigte Publikum schon den rechten Kerl. So geschehen bei einer netten Boulevardproduktion, in der ich diesen guten Eindruck dann stante pedem als Arsch wieder zerstören durfte. Das berühmte Spiel mit den Erwartungen entwickelt sich zum dann zum köstlichen Hättste-nicht-gedacht.
Was immer funktioniert ist Understatement. Die schönste Variante davon durfte ich interessanter- beziehungswiese eigentlich logischerweise nicht von einem Schauspieler, sondern von einem Germanisten lernen. Der ehrwürdige Norbert Miller, ein Universalgelehrter, der als Student schnell einmal seine Jean-Paul-Gesamtausgabe aus dem Cordsakkoärmel schüttelte, gibt ein Vorbild und Beispiel, wie man die Gunst des Auditoriums gewinnt, indem man sich verschmitzt unter den eigenen Scheffel stellt: Miller entschuldigt sich mit mindestens drei Lachern regelmäßig für sein Nuscheln, sein Kleben am Manuskript und seinem wirren Gedankenfluss, um anschließend mit sonorstem viennaschwabinger Bass, freisprechend und Perlen der Weisheit webend die Zuhörer an seine Lippen hängt. Chapeau. So gelingt es natürlich leichter, eine Moderation oder einen Conferenciersdienst zu meistern; doch im Stück erlaubt Buch und Anspielpartner diese Extemporefreiheit meist nicht. Es sei denn, man gibt den Frosch und bekommt im III. Akt Fledermaus ohnehin fünfzehn Minuten Narrenfreiheit, bevor die Handlung weitergeht. Auf den freuen sich die Operettenfreunde allerdings sowieso so sehr, dass man nur mehr die Vorschusslorbeeren einlösen muss, was aber auch erst einmal gestemmt werden will.
Es ist verhext und befindet sich im schwebenden Bereich der wechselseitigen Chemie. Das Publikum spürt eine Schwäche oder Unpässlichkeit deinerseits sofort und willst du sie zu angestrengt kriegen, kannst gleich wieder abgehen und es demütiger noch einmal probieren. Die totale Rampensau nämlich benötigt viel schweinisches Testosteron, um gekauft zu werden und nicht in einer Ferkelei zu enden. Wie kompliziert allein der erster Auftritt, der erste Satz wiegt, das beweist, dass ein Germanist den besten Tipp geben muss, da die Magie dieses Berufs, diese gewichtige Frage nicht lösen kann. Egal ob man rechts oder links ins Fegefeuer der Eitelkeiten geworfen wird. Aller Anfang bleibt eben schwer…
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