Jane Sandell, Bibliothekarin und Moderatorin, eröffnete die ausverkaufte Veranstaltung im Main Theatre mit der Feststellung, dass man die beiden Autoren nicht vorstellen müsse.
Einige ihrer Romane seien in andere Kunstformen verwandelt worden, wie Theaterstücke, Musicals und Filme. Michael Morpurgo erzählte, er fühle sich zuerst immer geehrt, gefolgt von der Frage, ob es eine gute Umsetzung werde. Am folgenden Tag werde er zwei Theaterstücke anschauen, die auf Büchern von ihm basieren. Generell sei es wundervoll, egal ob es an einer Schule aufgeführt werde oder eine andere Form sei. Man könne auch sagen, dass es eine völlig frustrierende Erfahrung sei, denn entweder sei es ärgerlich, weil die andere Version besser als das Buch sei oder die Umsetzung sei nicht gut…. Wem die Verfilmung von Gefährten gefallen habe, könne jetzt gehen.
David Almond sieht Geschichten nicht als feste Form. Die erste Theateraufführung vonSkellig (Zeit des Mondes) habe er an einer Grundschule in Newcastle erlebt. Nach einer Lesung daraus seien zwei Schüler spontan aufgesprungen und hätten einige Szenen nachgespielt.
Autoren würden mit den Leser zusammenarbeiten, beim Geschichtenerzählen gehe es um das Teilen. Jeder Leser erlebe eine Geschichte anders. Michael Morpurgo freut sich über alle Leser, die mit ihm Kontakt aufnehmen, auch wenn der Brief beginnt mit “Ich schreibe an sie, weil Roald Dahl tot ist.”
Dann las Michael Morpurgo einen Monolog aus einer Theaterversion von Mein Bruder Charlie und das Publikum lauschte gebannt, deutlich über die Hälfte aller Anwesenden war unter 18 Jahre alt.
In David Almonds neuen Buch The colour of Sun gehe es um Davie, der in einer Kleinstadt lebe und dessen Welt sich veränderte. Er las eine Szene, in der Davie darüber nachdenkt, ob und wie man nach Edinburgh läuft – eine Stadt, in der er noch nie war.
Die erste Frage aus dem Publikum war, was David Almond zu Zeit des Mondes inspiriert habe.
Eine kleine Begebenheit in seiner Kindheit, als seine Mutter ihr Hand auf seine Schulterblätter gelegt habe und sagte, dort wären seine Flügel gewesen. Noch heute wirke das in ihm nach und erst vor wenigen Wochen habe er geträumt, er wäre Skellig und würde die Welt durch seine Augen sehen. Michael Morpurgo legte prüfend eine Hand auf die Schulterblätter von David Almond und schüttelte bedauernd den Kopf.
Michael Morpurgo wurde gefragt, ob er die Wirkung seiner Bücher bereits beim Schreiben kenne, oder erst rückblickend viel später.
Erst später. In den Büchern von David Almond könne man die Landschaft vor sich sehen, die er beschreibe, weil er sie so gut kenne. Seine eigene Kindheit habe er in Bombenkratern in London verbracht, im grauen und kaputten London der Kriegs- und Nachkriegsjahre. Männer ohne Beine, eine oft um den im Krieg gestorbenen Bruder weinende Mutter, eine graue kaputte Umgebung hätten ihn geprägt.
Er wolle über das schreiben, das ihm wichtiger als alles andere sei: Frieden. Um Frieden zu schätzen, müssen man auch den Krieg kennen. In The Butterfly Lion gehe es um seine eigene Kindheit.
Es sei wichtig, die Verbindung zum inneren Kind nicht zu verlieren, Kindheitserinnerungen seien wichtig, egal ob Flügel oder Bombenkrater.
David Almond erklärte, dass alle seine Bücher miteinander verbunden seien, weil sie in der gleichen Welt wie Zeit des Mondes spielen würden und alle wie ein Traum seien. Er könne keine Fortsetzung dazu schreiben, weil er die Antworten nicht wisse. Mina sei in gewisser Art eine Vorgeschichte und Zeit des Mondes am nächsten.
Michael Morpurgos Buch Lucky Button sei aus einem Besuch in einem kleinen Museum in London entstanden. Die Besitzerin habe ihn gefragt, ob er über etwas aus dem Museum eine Geschichte schreiben wolle.
Im 18. Jahrhundert starben in London viele Kinder auf der Straße und Thomas Coram wollte das ändern. Er gründete die Coram Stiftung, um diesen Kindern Bildung und somit ein besseres Leben zu ermöglichen. Mütter brachten ihre Kinder und es wurde ein Identifikationssystem vereinbart, damit sie ihre Kinder später wieder abholen könnten. So zum Beispiel, dass von zwei identischen Knöpfen einer mit dem Kind übergeben wurde, die Mutter den zweiten mitnahm. Es habe nur vier Fälle gegeben, in denen dieses System genutzt wurde. Auch heute sei dieses Thema noch relevant, weltweit würden Millionen Kinder keine Schule besuchen.
Michael Morpurgo wuchs mit der Musik von Mozart auf und weil der 7-jährige Wolfgang Amadeus Mozart damals in London gewesen sei, spiele er auch eine Rolle in seinem Buch.
Dann war wieder David Almond an der Reihe und fragte erst die Kinder, dann die Erwachsenen, wer schon einmal gelogen habe.
Geschichtenerzähler seien auch Lügner und in The Colour of the Sun sei eine wunderschöne Lüge verwoben, die man fast bis zum Ende glauben würde.
Michael Morpurgo erzählte, dass seine Mitschüler auf der Heimreise im Zug alle von den geplanten Urlauben gesprochen hätten. Er habe sich das alles in Ruhe angehört und dann auf seine Uhr geschaut. Hoffentlich sei der Zug pünktlich, denn die Queen komme später zum Tee. Danach hätten sie nicht mehr so angegeben.
Auf sein nächstes Buch angesprochen, erzählte Michael Morpurgo, dass er mit zunehmendem Alter feststelle, dass andere Autoren schon viele wirklich gute Geschichten erzählt hätten. Es mache ihm Spaß, sich in die Gedanken eines anderen Schriftstellers hineinversetzen, den Rhythmus jedes Satzes, die Bedeutung der einzelnen Worte zu erspüren und das, was wirklich wichtig an der Geschichte ist.
Derzeit arbeite er an einer Nacherzählung zu The Snowman von Raymond Briggs, das bisher keinen Text habe, sondern ausschließlich aus Bildern bestehe.
Er liebe die Idee, neues Leben in andere Geschichten zu bringen. Gullivers Reisen kannte fast jeder im Publikum. Er habe die Geschichte verändert, einen Flüchtling hinzugefügt und nenne das Buch Gulliver.
David Almond arbeitet gerne mit Notizbüchern, füllt die leeren Seiten mit Farben, Zeichnungen und Worten. Darin könne er versinken und schreibe Dinge auf, von der er nicht gewusst habe, dass sie in seinem Kopf gesteckt hätten.
Jane Sandall wollte Flamingo Boy und The Colour of the Sun eigentlich nur als Vorbereitung anlesen, haber dann aber beide ohne Unterbrechung gelesen. Beide handelten von traurigen Begebenheiten, seien aber positiv und hätten sie in fremde Welten versetzt.
Auf die Entstehung von Kensukes Königreich angesprochen, erzählte Michael Morpurgo, dass Edinburgh und R L Stevenson wichtig für die Entstehung von Kensukes Königreich gewesen, seien. Er wollte auch ein Buch schreiben, das wie die Schatzinsel auf einer Insel spielt. Es sei wichtig, sich an die Bücher zu erinnern, die man in seinen Jugend lese, in seinen Gedanken würde er immer noch gerne um die Welt segeln.
In der Zeitung habe er von einem japanischen Soldaten gelesen, der auf einer Koralleninsel zurückgelassen wurde. Es sei gegen ihre Natur aufzugeben und so seien viele japanische Soldaten nach dem Ende des zweiten Weltkriegs viele Jahre im Dschungel oder zum Beispiel auf einer einsamen Insel gewesen. 27 Jahre, ähnlich lange wie Robinson Crusoe und sein Neffe habe dann ein Buch über ihn geschrieben.
Michael Morpurgo wollte über einen Jungen schreiben, der von Schiff fällt. Den Namen habe er von einem Schüler gestohlen, Namen würde er oft stehlen. Die richtige Ausprache sei so ähnlich wie “Kensky”. Der Schüler habe ihm seinen Namen bereitwillig gegeben, wenn er ein Exemplar des Buchs bekäme – was dann einige Zeit später geschehen sei.
David Almond habe in seiner Kindheit viel Zeit in der kleinen Druckerei eines Verwandten verbracht. Dieser sei auch Schriftsteller gewesen, habe Bücher und Gedichte geschrieben, die nie veröffentlich wurden und habe ihm geraten, nur dann Schriftsteller zu werden, wenn er es aus Leidenschaft tue. In seiner Familie hätten viele in ihrem Leben kein Buch gelesen.
In der Nähe des Elternhauses sei eine kleine Bücherei gewesen, die er häufig besucht hätte und die Bücher dort hätten ihm viel Inspiration gegeben. Leider würden solche Bücherei inzwischen oft geschlossen. Man müsse die Welt betrachten und sie so nehmen wie sie sei, dort könne man genügend Geheimnisvolles als Inspiration finden.
Damit endete einer der lebhaftesten Veranstaltungen des Bookfests.
James Runcie eröffnete die Veranstaltung mit der Aufforderung an die Zuschauer, sich vorzustellen, bei einer Redaktionssitzung zu sein. Ein neues Buchprojekt wird vorgestellt, ein Vierteiler über Hugenotten. Die Begeisterung sei nicht gerade groß, bis als Autorin Kate Mosse genannt wird.
Der erste Band The Burning Chambers beginnt 1562 in Carcassonne, die Reihe spielt über einen Zeitraum von 300 Jahren. Auf einer Reise nach Südafrika sei ihr in der Weinregion am Kap ein Schild aufgefallen, auf auf dem “Languedoc” stand und dass alle Weingüter französische Familiennamen trugen. Als sie durch eine “Hugenottenstraße” fuhren, sprach sie den Fahrer darauf an, der ihr das Hugenottenmuseum in Franschhoek empfahl.
Im Museum hänge eine Liste mit den Namen von sieben Familien, die im August 1688 am Kap ankamen. Damals gab es eine gezielte Bewegung, um französische Winzer in die Kapregion zu locken, indem ihnen eine bezahlte Überfahrt angeboten wurde. Diese sieben Familien gingen auf das Angebot ein, alle Hugenotten auf der Flucht. Ihr erster Instinkt sei gewesen, dass sie darüber nicht schreiben könne, weil sie nichts über Südafrikas Geschichte vor dem 20. Jahrhundert wisse. Auf der anderen Seite fühlte sie sich zur Geschichte dieser Menschen hingezogen und entschied sich über die letzte Familie auf der Liste zu schreiben.
Im 17. Jahrhundert seien viele Hugenotten aus Frankreich geflohen, ihre Nachkommen über die ganze Welt verstreut. Kate Mosse wollte das Schicksal dieser Familie beschreiben, die Suche nach einer neuen Heimat, während die alte Heimat sehnlichst vermisst werde. Sie hatte eine Vision von den Menschen auf diesem Schiff, die in dem noch fremden Tal ankamen, das dem Languedoc optisch und klimatisch sehr gleiche.
Auch dieses Mal stehen fiktive Figuren im Mittelpunkt, da sie sich als Schriftstellerin sieht und nicht als Historikerin. Daher bewege sich ihre erfundene Familie vor dem historischen Hintergrund, alle Figuren seien frei erfunden. Burning Chambers sei ein wenig wie Game of Thrones im 16. Jahrhundert, eine Liebesgeschichte wie Romeo und Julia. Der nächste Band heißt The City of Tears, zeige die Ereignisse in Paris während der Bartholomäusnacht, wechsele dann nach Amsterdam und erzähle die Geschichte eines verlorenen Kindes. Der erste Band habe für sie “Feuer” als Thema, es folgen “Luft” und “Wasser”, im letzten Band dann “Land”, das für die neue Heimat stehe. Es sei ihr wichtig, normale Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, nicht Könige und Kleriker. Das Leben habe sich zwar in den letzten Jahrhunderten durch wissenschaftliche und gesellschaftliche Fortschritte stark verändert, aber sie frage sich, ob das Herz der Menschen so sehr verändert habe.
Wie hätte sich eine 19-jährige junge Frau gefühlt, die am 1. März 1562 im Buchladen ihres Vaters arbeitete und bei der plötzlich Fremde an der Tür klopften. Ihr gehe es um die eher stillen, normalen Menschen, deren Leben und Gefühle, ihre Widerstandsfähigkeit in solchen Zeiten des Umbruchs.
In jener Zeit gab es Sondergerichte, die Hugenotten überführen sollten und in Räumen ohne Tageslicht stattfanden. Diese Gerichte seien “die brennenden Kammern” genannt worden, weil überführte Calvinisten zum Tod durch Verbrennen verurteilt wurden. Der englische Buchtitel The Burning Chambers beruht auf der französischen Bezeichnung “chambre ardente”, für die deutsche und niederländische Übersetzung werden man einen anderen Titel wählen müssen, da es in diesen Sprachen keine passenden Begriffe gäbe. Ein Veröffentlichungstermin für die deutsche Ausgabe steht noch nicht fest. Es sei damals nicht um Glauben gegangen, sondern um Einfluss auf den jungen Prinzen am Hofe.
Angesprochen auf die Verherrlichung von Gewalt in Büchern und im Theater, erwiderte Kate Mosse, dass in der Kunst manchmal Übertreibung als Stilmittel eingesetzt werde. Die Leser bzw. Zuschauer sollten nicht davon ausgehen, dass es sich dann um die Wirklichkeit handele. Autoren hätten in dieser Hinsich eine hohe Verantwortung, denn Sex und Gewalt sollten der Handlung dienen und nicht nur mal so für den Effekt eingesetzt werden.
Auf die Frage, wie ihre Bücher bei jüngeren Lesern ankämen, die in der Regel keinerlei Empathie hätten, antwortete Kate Mosse, dass jede Generation über Empathie verfüge, aber Geschichte heute nicht mehr umfassend vermittelt werden. Es gehe von den Römern direkt zu den Tudors und dann zum 2. Weltkrieg. Jüngere Leser seien in einem höheren Maße “gender-fluid” in Bezug auf die Identifikation mit den Figuren, junge männliche Leser würden sich häufiger mit weiblichen Figuren identifizieren als ältere Leser und junge weibliche Leser könnten sich umgekehrt oft besser in männliche Figuren hineinversetzen als ältere.
Zum Abschluss bedankte sie sich beim Publikum für das Interesse und nahm sich später beim Signieren viel Zeit für jeden.
Doch bevor er sein neustes Buch vorstellte, las er von Musik begleitet seinen Beitrag zu den Freedom Papers vor. Eine Kurzgeschichte mit dem Titel State of Truth, die in Nordkorea spielt, wo 25 Millionen Menschen in einem Nationaltheater lebten uznd die Wahrheit künstlich hergestellt werde.
In North Korea sei entstanden, weil er sich gefragt habe, wer “die Nordkoreaner” seien, die Individuen in diesem Land und warum uns das wichtig sei. Ein Land, in dem 25 Millionen Menschen unfrei leben, täglich Darsteller in einem streng choreographierten Stück.
Gemeinsam mit dem Fotografen Nick Danziger reiste er auf Einladung des British Council nach Nordkorea, um dort zwölf nordkoreanische Bürger zu treffen.
In Peking bestiegen sie den Zug nach Pjöngjang, gemeinsam mit zahlreichen nordkoreanischen Händlern. Diese Nordkoreaner betreiben mit Genehmigung ihrer Regierung sei Kurzem Handel, vorwiegend mit China, und bilden die neue Mittelschicht. An der Grenze verwandeln sich die meist jungen Männer drastisch, die Kleidung nach der neusten Mode verschwindet mit den Sonnenbrillen im Gepäck, auch die Haare werden umfrisiert. Aufgrund von Befragungen und Durchsuchungen dauerte der Grenzaufenthalt rund 2,5 Stunden.
Sie übernachteten in Pjöngjang in einem der zwei für Ausländer erlaubten Hotels und hatten kaum Kontakt zu den anderen Ausländern. Einige seien ägyptische Ingenieure gewesen, die das Intra(!)net für den Mobilfunk ausbauen und auch die zahlreichen christlichen Missionare wollten ihre Ziele nicht durch Kontakt zu Journalisten gefährden.
Von Anfang an sei die Atmosphäre furchterregend gewesen. Sie wurden fast permanent von mindestens zwei Aufpassern begleitet und es wurde versucht, kaum eine der zuvor getroffenen Absprachen einzuhalten. Alle geplanten Gesprächspartner seien zu beschäftigt für ein Interview. Bei einem Besuch der “Massenspiele” mit rund 80.000 Teilnehmern und 20.000 Studenten auf den Rängen sollten sie weder Fotos machen noch mit einem der Teilnehmer sprechen dürfen. Es sei auch ein Staatsgeheimnis, wie die Studenten auf den Rängen alle 3-5 Sekunden andersfarbige Tafeln hochhalten und so komplexe Bilder entstehen lassen.
Noch am gleichen Abend fanden sie heraus, dass ihr Hotelzimmer abgehört wurde. Nick Danziger telefonierte mit seiner Frau und Rory MacLean ging in die Hotellobby, wo er die Stimmen von Nick Danziger und dessen Frau aus einem Nachbarraum hörte… Dies nutzten sie zu ihrem Vorteil und diskutierten in ihrem Hotelzimmer das lächerliche Staatsgeheimnis. Am folgenden Morgen wurde ihnen dann ein fünfminütiges Interview erlaubt.
Anfangs sei die Reise eher ein Desaster gewesen, weil nichts nach den Absprachen lief und praktisch jeder ihrer Schritte und jedes Foto und Wort streng kontrolliert wurden. Mit der Zeit fanden sie Strategien, ihre Aufpasser abzulenken, damit einer entkommen konnte um kurz einen Blick um die Ecke werfen zu können oder ein paar Worte zu wechseln.
So fanden sie heraus, dass alle Nordkoreaner ein Buch über die freiwillig geleistete Arbeit führen müssen und ein Tagebuch der Selbstkritik. Letzteres sei die Perfektion des Stalinismus, denn wöchentlich müsse ein Seite mit Kritik gefüllt werden. Zwei Drittel mit Selbstkritik, ein Drittel Kritik an Anderen.
Sie sahen am Mansudae Monument einen älteren General, der stolz erzählte, dass er im Alter von 18 Jahren 367 feindliche Soldaten getötet habe, trafen in einer Luxuswohnung im Stadtzentrum von Pjöngjang zwei dort angeblich lebende Fabrikarbeiter und einen so bombastischen wie blitzblank geputzten U-Bahnhof, der in den 1950ern von sowjetischen Ingenieuren gebaut wurde.
Mit den dort verkehrenden Zügen, die noch aus der DDR stammen und fast wie neu aussahen, durften sie erst am folgenden Tag nach einer gezielten Diskussion in ihrem verwanzten Hotelzimmer fahren.
Als Lockmittel hätten sie immer wieder eine Ausstellung genutzt, die Nordkorea gemeinsam mit den British Council in London veranstalten wollte. Auf keinen Fall wollten sie sich zum Sprachrohr der nordkoreanischen Regierung machen lassen und versuchten alle möglichen Tricks um mehr zu erfahren, zwischen den Zeilen und in der Mimik ihrer Gesprächspartner zu lesen. Zu einem Zeitpunkt wurden sie und eine Gesprächspartnerin von drei Aufpassern begleitet, die wiederum von drei weiteren Aufpassern bewacht wurden, von denen alle handschriftliche Aufzeichnungen machten.
Erst mit einer Sondergenehmigung für interne Reisen sei es ihnen gelungen, aus der Blase Pjöngjang zu entkommen und sie besuchten unter anderem einen Strand ganz ohne Aufpasser – allerdings auch ohne größere Kommunikationsmöglichkeiten, da keiner der beiden Koreanisch sprach und sich vermutlich auch dann keiner am Strand getraut hätte, öffentlich mit ihnen zu sprechen.
In einem Frisiersalon sollten sie ein Foto wieder löschen, auf dem ein Mann unter einem Poster mit 15 Frisuren saß – weil nicht 15 unterschiedliche Frisuren erlaubt seien, sondern 24. Als sie in einer Kooperative eine Familie in ihrer fingierten Luxuswohnung besuchten, sahen sie die beiden Söhne bei den Hausaufgaben sitzen. Der eine lerne für Geschichte die Biographe von Kim Il-sung, der andere löse Textaufgaben. Wenn drei nordkoreanische Soldaten 10 Imperialisten töten, wieviele Imperialisten können 30 nordkoreanische Soldaten töten?
Warum solle Nordkorea wichtig für uns im Westen sein? Seitdem er in den 1970ern die Berliner Mauer gesehen habe, eine Grenze mit Mauer und Stacheldraht mitten in Europa, habe er sich gefragt, wie es dazu gekommen sei. Gleichzeitig wollte er verstehen, was die Motive der dortigen Grenzpolizei seien, der einfachen Leute, die an sich keine Tyrannen seien. Im Kern stehe die moralische Frage, wie man selbst in dieser Situation gehandelt hätte.
Nordkorea werde als ein instabiles Regime dargestellt, während es seit 1947 von einer Familie regiert wird und versucht, Weltmacht durch Atomwaffen zu erlangen, genau wie China vor langer Zeit. In den Staatsmedien wird ausführlich dargestellt, dass Kim Jong-un mit Donald Trump auf Augenhöhe verhandelte und es werde vermitteln, dass andere Ländern Nordkorea generell beneiden.
Auf die Frage, was ohne die Familie Kim passieren würde, antwortete Rory MacLean, dass vermutlich auch ohne die Kims eine gewisse Elite an der Macht bliebe. Personen, die jetzt schon in den obersten Positionen sitzen, denn das Regime sei auf Angst und Belohnungen aufgebaut.
Das Ziel ihrer Reise sei nie gewesen, Staatsgeheimnisse zu enthüllen, sondern die nordkoreanische Gesellschaft durch Individuen zu porträtieren. Es sei sicher fraglich, ob eine solche Reise nicht mehr dem Regime nutze, das alle Devisen bekomme, aber seiner Meinung nach sei es wichtig, Zeuge des Regimes zu sein und die Situation so gut wie möglich durch Berichte zu dokumentieren.
Das Buch ist bisher ausschließlich als Ebook bei wander2wonder press erschienen.
Graeme Macrae Burnet merkte an, dass viele Leser und sein Verlag nach dem Erfolg von Sein blutiges Projekt ein ähnliches Buch erwartet hätten, was unmöglich sei. Zum Glück sei zu diesem Zeitpunkt der zweite Elsass-Krimi bereits so gut wie fertig gewesen, Der Unfall auf der A35 .
Das Buch beginne mit dem Unfall selbst, wie Kommissar Georges Gorski und der 17-jährige Sohn des gerade verstorbenen Anwalts aufeinandertreffen. Sein Ziel sei gewesen, die Gedanken dieser beiden Figuren zu zeigen, die Auflösung sei im Vergleich fast Nebensache. Für ihn liege die Spannung in der Erforschung der Figuren, dort befinde sich das wahre Drama.
Im ersten gelesenen Abschnitt stellte er den 17-jährigen Raymond Barthelme vor, der ins einem Zimmer Sartre liest, im zweiten dann Kommissar Gorski, der gerade von seiner Frau verlassen wurde.
Nach dem Schreiben von Sein blutiges Projekt wollte er zurück nach Saint Louis, in diese Stadt, in der sich nichts zu verändern scheine. Das Lebensgefühl dort, die eingespielte Routine gefalle ihm. Durchreisende würden in der Regel nicht anhalten in dem Ort, in dem andere Menschen ihr ganzes Leben verbrächten. Auch nach 20 Jahren würden scheinbar noch die gleichen Menschen im gleichen Restaurant zum Mittagstisch von einer unveränderten Speisekarte bestellen. Der junge Raymond überlege fortzugehen, lese aber noch Sartre in seinem Zimmer. Graeme Macrae Burnet sei es in seiner Jugend ähnlich ergangen. Aufgewachsen in Kilmarnock habe er immer das Gefühl gehabt, eines Tages von dort wegzugehen.
Sowohl Raymond als auch Kommissar Gorski befänden sich an einem Punkt der Freiheit. Raymond fühlte sich von seinem Vater unterdrückt, jetzt könnte er die Welt entdecken. In seinem Alter sei es normal, verschiedene Gesichter gegenüber den Mitmenschen auszuprobieren. Gorski wurde zwar von seiner Frau verlassen, ist seinem neuen Leben jedoch zufrieden. Auch wenn er Saint Louis jetzt verlassen könne, bleibe er dort, vielleicht weil er lieber ein ruhiges Leben wolle.
Graeme Macrae Burnet erzählt von den Auswüchsen seiner blühenden Fantasie. So fahre er oft mit dem Fahrrad durch Glasgow und stelle sich vor, dass einer der Menschen um ihn ermordet werden könnte, er selbst dann als Zeuge befragt würde oder gar als Verdächtiger. Lange habe er geglaubt, dass alle Menschen solche Gedanken hätten, aber dem Gelächter des Publikums entnehme er, dass dies nicht so sei.
Auch die kleinsten Details versuche er genau und korrekt auszuarbeiten. Es sei wichtig, dass kleine echte Begebenheiten vorkämen, diese würden die Geschichten authentisch machen und zum Leben erwecken. Dann hätte er ein Bild vom Schauplatz und dem glaubwürdigen Verhalten der Figuren in seinem Kopf. Während in seinem neusten Buch die Perspektive zwischen zwei Figuren wechselt, wird „Sein blutiges Projekt“ aus der klaustrophobischen Sicht von Roddy erzählt.
Es sei ihm nicht wichtig, ob Leser Sein blutiges Projekt für einen echten Fall hielten. Man wolle oft beim Lesen das Gefühl haben, eine echte Geschichte zu lesen und nicht einen erfundenen Roman.
Dann las er seinen Beitrag zu den Freedom Papers, eine kurze Geschichte über Schein und Sein, in der er seine blühende Fantasie erneut unter Beweis stellte. Danach erzählte er, dass er sich auch selbst völlig irrige Regeln auferlege, wie zum Beispiel jeden Morgen im gleichen Supermarkt beim gleichen Angestellten die gleiche Sorte Sandwich zu kaufen. Natürlich sei ihm irgendwann klar, dass es für diesen Angestellten kein revolutionärer Akt sei, wenn dieser unbekannte Kunde plötzlich eine andere Sorte Sandwich kaufen würde. Aber seine Fantasie treibe nun mal solche Blüten.
Bei den Fragen aus dem Publikum ging eine Frau darauf ein und erklärte ihm genau, mit welchen Zutaten er selbst viel besseres Brot backen könne und wie er diese belegen könne. Das sei viel gesünder. Graeme Macrae Burnet bedankte sich, erwiderte jedoch, dass das für ihn aktuell nicht in Frage komme.
Viel zu schnell war eine interessante und humorvolle Stunde vorbei. Im Anschluss signierte Graeme Macrae Burnet noch und beantwortete geduldig weitere Fragen
Zu Beginn stellte die Moderatorin Kirsty Logan Jasper Fforde kurz vor und sein neustes Buch Early Riser, aus dem er die ersten Seiten vorlas. (Die deutsche Fassung heißt Eiswelt und ist für den 12.11.2018 angekündigt.)
Er stelle sich gerne literarischen Herausforderungen und wollte dieses Mal eine Welt erschaffen, in der die Menschen schon immer für einen festgelegten Zeitraum Winterschlaf hielten. Absurde, spekulative Geschichten, deren Hintergrund langsam enthüllt wird, lägen ihm. Dies sei das dritte Buch, das er auf einer Zugfahrt angefangen habe, nach Wo ist Thursday Next und Grau. Das sei perfekt, denn man befinde sich zwischen zwei festen Punkten, könne zufällige Gespräche mit anderen Menschen führen und finde viel Inspiration während der Reise.
Der Anfang des Buchs gefalle ihm, denn die Leser werden direkt in diese ungewöhnliche Welt hineingeworfen, in der es eine besondere Art von Untoten gibt. Menschen, die während des Winterschlafs den Großteil ihres Gedächnisses verloren haben und dann für niedere Arbeiten oder als Organspender eingesetzt werden. Mrs. Tiffen spielt zum Beispiel ohne Unterlass ein einziges Lied auf ihrer Bouzouki, Help Yourself von Tom Jones. In diese Welt träumen die Menschen nicht mehr, um Energie zu sparen. Was würde passieren, wenn Menschen plötzlich wieder träumen, gar den gleichen Traum teilen. Das Titelbild von Eiswelt zeigt einen Traum und wurde von einem Werbeplakat der Bahn inspiriert. Durch ein Fenster (Loch im Einband) sieht man das gleiche Paar, außen im Winter, innen im Sommer.
In dem Buch gebe es auch eine Anspielung auf die Ursache seiner langen literarischen Schaffenspause: “slow to pen a player’s handbook”. Früher habe er nicht an Schreibblockaden geglaubt und sich sogar lustig darüber gemacht, selbst jedes Jahr ein Buch veröffentlicht. Ein sichtlich erschütterter Jasper Fforde erzählte, dass er immer noch nach der Ursache suche und vielleicht der verhemente Versuch ernsthafte Literatur zu schreiben, damit zu tun haben könne. “Grau” sei eher “absurd schwer” im Vergleich zu den “absurd leichten” Büchern um Thursday Next.
Ihm liege der spielerische Umgang mit Worten und Ideen, den er scheinbar beim Versuch etwas dunkleres, ernsthafteres zu schreiben, fast komplett verlor. Auch das Erschaffen seiner fiktiven Welt begeistert ihn immer noch spürbar, wie genau man darauf achten müsssen, keinen Marty McFly zu haben, der plötzlich alles verändern könne. Für die Thursday Next Bücher habe er zahlreiche Regeln aufgeschrieben, um Logikfehler zu vermeiden.
In Eiswelt hatte er Spaß dabei, Konventionen aus unserer Welt auf den Kopf zu stellen. So müssen die Menschen dort zum Beispiel vor dem Überwintern immens viel an Gewicht zunehmen, um keine Gesundheitsschäden davonzutragen. Das Medikament Morphinox sorgt für einen energiesparenden, traumlosen Schlaf.
Er arbeite seit 1995 mit einem Psion 5 MX und empfahl den Zuhörern für gebrauchte Geräte maximal 90 britische Pfund dafür zu bezahlen. Auf dem Gerät könne er schnell tippen und es reiche für seine Zwecke völlig aus.
Ganz gezielt habe er viele Anspielungen auf die 80er Jahre eingearbeitet, wie zum Beispiel die (Faulty) Dormitoria. In dieser Welt hätten Monty Python kein Hotel sondern Wohnheime zum Überwintern als Schauplatz gewählt.
Auch Shakespeare und seine Figuren würden überwintern, was nicht nur die Handlung von “Romeo und Julia” beeinflusse. Nach Ansicht von Jasper Fforde würde “Macbeth” durch das Überwintern ein deutlich besseres Stück und “Romeo und Julia” könne ganz anders enden.
Sein Wahlheimat Wales sei immer öfter Schauplatz seiner Bücher, eine Region, die für ihre Sagen und Mythen bekannt sei. In einer Welt wie “Eiszeit” gäbe es natürlich zahlreiche Geschichten, in denen das Überwintern eine Rolle spiele. Solche Mythen zu erfinden mache ihm viel Spaß, auch wenn es nicht einfach sei, denn man könne absurde Regeln erfinden, wie zum Beispiel ein Monster, dass gerne Wäsche faltet und viele Bewohner um ihre Häuser zu sichern einen Korb ungefalteter Wäsche draußen lassen.
Auch die Idee, mit einer Dampflok durch das bergige Wales zu reisen gefiel ihm und für das Buch verschob er den “Fat Thursday” (Donnerstag vor Aschermittwoch) auf den Donnerstag vor dem Überwintern. Eigentlich wollte er auch Rick Astleys Musik und Tänze integrieren, habe ihn jedoch nicht wegen einer Genehmigung erreichen können.
Dann ging Jasper Fforde nochmal auf seine Schreibblockade ein. Er habe versucht, etwas zu schreiben, dass ihm nicht liege. Seine Erwartung an die Fortschritte seines schriftstellerischen Könnens habe nicht der Realität entsprochen und man müsse sich auch den Fakten stellen, dass man nicht für jedes Genres schreiben könne. Als Autor müsse man sehr kritisch mit den eigenen Texten umgehen, “passt schon” (“this will do”) solle nicht der Maßstab sein.
Seiner Ansicht nach ist Grau sein bisher bestes Werk, leider nicht nach den Verkaufszahlen, gefolgt von The Fourth Bear (bisher nicht übersetzt). Täglich bekomme er Emails, die nach der Fortsetzung zu Grau fragen. Als nächstes erscheine ein Roman mit abgeschlossener Handlung, dann der vierte Band der “Drachentöter”-Reihe, weil der amerikanische Verlag scheinbar viel Druck wegen des längst überfälligen Buchs ausübt. In ungefähr drei Jahren dann die Fortsetzung zu Grau und 2022 möglicherweise einen neuen Band der Thursday Next Reihe.
Eigentlich wollte Jasper Fforde wohl nichts über das nächste Buch verraten, wurde jedoch aus dem Publikum gefragt, ob Kaninchen eine Rolle in seinem nächsten Buch spielen. Was würde passieren, wenn eine Familie außergewöhnlich großer Kaninchen nebenan einziehen würde, Kleidung trüge und… sich vermehre wie Kaninchen. All dies ausgerechnet im als äußerst konservativ bekannten Hertfordshire. Es gebe plötzlich die UKARP (UK Anti Rabbit Party), eines der Mitglieder hieße Nigel, eines ähnele dem Cadbury Caramel Bunny, ein Dachs und ein Dalmatiner bilden ein Comedy Duo mit dem Namen “Spots and Stripes”.
Man müsse die Magie und Möglichkeiten in unserer Welt sehen, die dann zu etwas Bizarrem verschmelzen können. Gleichzeitig sei ihm bewusst, dass in seinen Büchern auch viel infantiler Humor vorkomme, aber er möge auch die Sketche von Monty Python. Schon als Kind schaute er gerne die “Muppet Show”, sein Vater habe über die meisten Scherze die Nase gerümpft, wollte jedoch immer rechtzeitig für “Schweine im Weltall” gerufen werden.
Er könne sich nicht vorstellen, einen Schauplatz außerhalb Großbritanniens zu wählen, weil er sich hier viel besser auskenne.
Lesegruppen würden ihn häufig einladen, um seine Bücher mit ihm zu diskutieren, insbesondere die Reihe um Thursday Next, und ihm zu raten, mehr Mainstream zu schreiben. Mit einem Augenzwinkern erzählte Jasper Fforde, eine Gruppe habe sowohl Shades of Grey als auch ein Buch mit einem sehr ähnlichen Titel gelesen, aber leider habe er später nichts mehr davon gehört.
Für ihn sei es ein Unterschied, ob man etwas freiwillig lese oder es lesen müsse. “Der Fall Jane Eyre” sei wie Kichern aus der letzten Reihe im Englischunterricht.
Auf die ausgefallenen Namen seiner Figuren angesprochen, erzählte Jasper Fforde, dass er damit einer langen Tradition in der englischsprachigen Literatur folge und sogar ein besonderes Notizbuch dafür habe. Im einem Band der Thursday Next Reihe gibt es eine Figur namens Paige Turner, deren vollständiger Name jedoch erst auf der drittletzten Seite genannt werde. Zuvor sei immer nur die Rede von Page oder Frau Turner. Mit Begeisterung erzählte er von verschiedenen Wortspielen, die in seinen Büchern zu finden sind.
Jasper Fforde bedankte sich bei seinen Lesern für ihre Kreativität beim Lesen seiner Bücher und entschwand zum Signieren.
Nach einem eher enttäuschenden Hörerlebnis von Eiswelt freue ich mich auf das Buch um die Kaninchenfamilie, das eher nach der alten Form von Jasper Fforde klang. 🙂
“Nursery rhymes are so important in giving children a basic feel for language, which is one of fun and enjoyment and delight and playfulness.” (Kinderreime sind so wichtig, um Kindern ein Grundgefühl für Sprache zu vermitteln, das aus Vergnügen, Genuss, Entzücken und Verspieltheit besteht.)
Val McDermid stellte Philipp Pullman zu Beginn kurz vor und bedankte sich beim Woodland Trust für die Unterstützung der Veranstaltung. In den letzten Jahre habe er gemeinsam mit dem Woodland Trust viele Bäume gepflanzt – was Val McDermid sehr passend fand, als Ausgleich für die vielen verkauften Exemplare seiner Bücher.
Das Titelbild seines neusten Buches Daemon Voices. Essays on Storytelling ist seiner Meinung nach das gelungenste all seiner Bücher. Ein Rabe nimmt fast die gesamte Vorder- und Rückseite ein. Wenn er einen Dämon hätte, wäre es ein Rabe oder eine Krähe, weil er die Ansicht von T. S. Eliot teile, dass Geschichtenerzähler Ideen ausleihen oder stehlen würden. (“good writers borrow, great writer steal”, T.S. Eliot)
Als Kind sei er viel gereist, habe in Australien, Südafrika und Wales gelebt. Seine Familie reiste damals mit dem Schiff und so sei ihm die Atmosphäre zum Ende des britischen Empires vertraut. Er habe die Sprache in den Geschichten für den allerliebsten Liebling von Rudyard Kipling geliebt und auch Noddy Goes To Toytown von Enid Blyton zählte zu seinen Lieblingsbüchern. Es sei so wichtig, Kindern von Anfang an ein Gefühl für Sprache zu vermitteln, spielerisch mit Kinderreimen und so ihre Begeisterung zu wecken.
Nachdem seine Eltern früh starben, wuchs er bei Verwandten in Wales auf. In der Schule dort habe er zum ersten Mal Paradise Lost gelesen und zitierte eine längere Passage für die Zuhörer. Auch heute reagiere er noch genau wie damals auf die Sprache von John Milton, mehr noch als Geschichten liebe er den Klang von Poesie. In Oxford studierte er Englische Literatur am Exeter College, an dem es damals wie in einem Rugby Club aus dem 18. Jahrhundert zugegangen sei. (Frauen sind dort erst seit 1978 zugelassen.) Zum Glück habe er vor Einführung der heute üblichen zentralen Prüfungen die Schule und Uni besucht, denn die vorgeschriebenen Grammatikregeln würden jegliche sprachliche Kreativität unterbinden. So werde z.B. durch die Vorgabe von Subjekt-Verb-Objekt im Lehrplan ein Satz wie “Breit lächelnd betrat er den Raum.” (“Smiling broadly he entered the room”) als Fehler markiert.
Als Lehrer wollte er seinen Schülern die griechischen Mythen näherzubringen und erzählte ihnen frei das am Vorabend Gelesene. So sammelte er wertvolle Erfahrungen über das Erzählen von Geschichten und den Aufbau eines Spannungsbogens.
Val McDermid merkte an, dass seine Geschichten von den Figuren und der Geographie getrieben würden und er schon bei Sally Lockhart eine ihm eigene Mischung aus Realität und Fantasie geschaffen habe.
Sally Lockhart wurde ursprünglich als Theaterstück für die Schule geschrieben und fiel dann einem seiner Freunde in die Hände, der für die Oxford University Press tätig ist. Noch heute bestehe ein enger Kontakt und sie würden so gut wie jede Woche gemeinsam ins Kino gehen.
In seinen Büchern gebe es zahlreiche Momente des “Oh nein” oder “Warum, tu das nicht”, aber gerade diese würden die Geschichte auf eine andere Ebene befördern. Chandler habe gesagt, dass wenn ein Autor nicht weiterwisse, solle man einen Mann mit einem Gewehr durch die Tür kommen lassen. Das würde immer funktionieren und er verlasse sich inzwischen oft darauf.
Sally Lockhart sei fest im viktorianischen London verwurzelt und als Geschichte ganz und gar glaubwürdig, trotz fantastischer Elemente. Wir können dank der Fotografie sehen, wie es in den Anfangszeiten der modernen Welt aussah, nicht nur auf den gemalten Porträts des Adels, sondern auch Bilder der normalen Bevölkerung und deren Umgebung, sogar von Bettlern.
Philip Pullman gab zu, sehr abergläubisch zu sein und ganz feste Rituale für das Schreiben zu haben. Immer den gleichen Stift und das gleiche Papier, umgeben von ganz bestimmten Gegenständen. Es sei ihm ein wenig peinlich, aber für ihn funktioniere das.
Val McDermin sieht in Daemon Voices faszinierende Einblicke in das Geschichtenerzählen. Wann beginne das Schreiben eines Buchs für ihn. Das könne jederzeit geschehen, denn Schriftstellern würden ständig und überall Geschichten in etwas sehen, in den kleinsten Dingen. Er mache sich viele Notizen, schreibe in Cafés und dann gehe es darum, das erste Kapitel zu schreiben. Ein Buch zu beenden sei eine andere Form der Freude als eines zu beginnen und rund um Seite 70 werde es seinen Erfahrungen nach schwieriger. Es gebe keine “easy inspiration”, der Schreibprozess setze auch tägliches Üben voraus.
Er sei nicht in Lyras Welt zurückgekehrt, sondern habe sie eigentlich nie verlassen. Eigentlich sei die Geschichte erzählt gewesen und mit dem Bernstein Teleskop abgeschlossen. Das Schreiben von Lyras Oxford und Once Upon a Time in the North habe ihm viel Freude bereitet. Sein Freund aus dem Verlagswesen habe immer wieder nachgehakt und er selbst habe mehr über Staub wissen wollen.
Die Startauflage von Über den wilden Fluss seien in den USA 500.000 Exemplare gewesen. Als Autor könne man selbst nie genau beurteilen, ob man ein gutes oder humorvolles Buch geschrieben habe.
Val McDermid fragte, ob er ein bestimmtes Ziel beim Schreiben der Trilogie gehabt habe, etwas, das die Leser mitnehmen sollten. Sie habe viele feministische Ideen in den Büchern entdeckt.
Philip Pullman antwortete, dass jeder vernünftige Mensch Feminist sein sollte, aber das sei nicht sein Ziel beim Schreiben gewesen. Nur weil er eine starke junge Frau zur Hauptfigur mache, müsse die männliche Hauptfigur nicht schwach sein. Auch der Junge könne eine starke Figur sein.
Derzeit sei die Forsetzung von Über den wilden Fluss im Lektorat. Er möge den Prozess des Lektorierens. Die erste Fassung seiner Bücher schreibe er immer noch von Hand.
Dann kamen die Fragen aus dem Publikum und Philip Pullman erzählte, dass er zu alt sei, um die Nursery Rhyme Party wieder auferstehen zu lassen.
Er könne nicht sagen, welchen Zeitrahmen die erste Trilogie genau umfasse. Lyra und Will seien gerade im Begriff ihre Kindheit hinter sich zu lassen und in dieser Lebensphase könnten Veränderungen sehr schnell geschehen. Auch wenn ihm vorgeworfen wurde, er würde sexuelle Beziehungen zwischen Kindern verharmlosen, sei das nicht der Fall. Es komme ein erster Kuss vor, der seiner Ansicht nach nichts mit Sex zwischen Kindern zu tun habe. Lyra und Will hätten viel durchgemacht und das würde sie verändern, reifer werden lassen.
Genau wegen dieses Punktes hasse/verachte er die Narnia-Bücher, denn die Kinder in diesen Büchern dürften nicht erwachsen werden. Man hätte davon ausgehen können, dass sie aus ihren Erfahrungen gelernt hätten und zurück in ihrer Welt Gutes daraus entstehen lassen würden – aber nein, eine Entwicklung sei nicht gewünscht gewesen.
Der Dämon bestimme nicht die Position in der Gesellschaft. So würde ein Hund als Dämon nur bedeuten, dass jemand ein guter Bediensteter sein könne – aber nicht, dass er es sein müsse oder eine bestimmte festgeschriebene Stellung in der Gesellschaft habe.
Die Bank im botanischen Garten von Oxford kenne er genau und leider würden inzwischen Menschen glauben, etwas darauf schreiben zu müssen. Es sei geplant, eine Statue mit einem Motiv aus Lyras Welt in der Nähe der Bank aufzustellen und er hoffe sehr, dass die Menschen nicht weiterhin auf die Bank oder auf die Statue schreiben würden.
Philip Pullman vertrat vehement die Ansicht, dass Kinder- und Jugendbücher keine sichtbare Altersempfehlung tragen sollen. Die Verlage würden Bücher gerne in feste Kategorien einordnen, wogegen er und andere Autoren sich wehren würden. Das verschließe oft Türen zu Geschichten für potentielle Leser. Jede Schule solle eine gut ausgestattete Bibliothek haben mit einem engagierten Bibliothekar bzw. Bibliothekarin. Diese Person würde Lesealter und die Interessen der Schüler kennen und könnte geeignete Bücher empfehlen.
Wenn man Schriftsteller werden wolle, solle man nicht dem Wunsch der Verlage folgen “schreiben Sie ein Buch wie dieses hier”, sondern das Buch, das man selbst schreiben wolle. J.K. Rowling habe Harry Potter nicht geschrieben, weil es ihr empfohlen wurde, sondern obwohl die Idee damals völlig absurd gewesen sei. Man sollte zielstrebig, hartnäckig und mit Leidenschaft schreiben, das sei viel wichtiger als die Vorstellung, gezielt einen Bestseller zu schreiben.
Philip Pullman wirkte zum Ende der Veranstaltung erledigt und Val McDermid wünschte ihm alles Gute und dass er die Trilogie vollenden könne. Signiert wurde nicht mehr, er hatte nachmittags in Ruhe zahlreiche Bücher signiert, die in den Buchläden des Bookfests gekauft werden konnten.
Die Lesung fand im ausverkauften Gemeindesaal in Düsseldorf-Rath statt und zu Beginn wurde Andreas Izquierdo kurz vorgestellt. Er ist als Autor und Drehbuchautor tätig, seine Romane erschienen seit 1995 bei verschiedenen Verlagen. Seine bekanntesten Bücher sind „Apocalypsia“, „Das Glückbüro“ und „Der Club der Traumtänzer“.
Die Zuhörer lernten die sehr resolute 88-jährige Hedy von Pyritz kennen, die keinen Widerspruch duldet und in einem kleinen Ort im Münsterland lebt. Das Echo auf ihre Anzeige in den „Westfälischen Nachrichten“ (»Dame in den besten Jahren sucht Kavalier, der sie zum Nacktbadestrand fährt. Entgeltung garantiert.« ) in der Zeitung ist enttäuschend. Also sucht sie in ihrem Umfeld nach einem passenden Begleiter und entscheidet sich für ihren neuen Physiotherapeuten Jan, den sie gerne fördern möchte. Jan auf der anderen Seite versucht sich so gut wie möglich gegen Fräulein Hedys Methoden zu wehren.
Es folgte eine kurze Pause, danach ging es weiter mit den nächsten Kapiteln, die gekonnt gelesen das Publikum gut unterhielten. Fräulein Hedy merkt, dass Jan direkte Anweisungen nicht befolgt und beginnt, ihm gezielt Geschichten aus ihrem Leben zu erzählen, um ihn in die von ihr gewünschte Richtung zu lenken. Die Spannungen zwischen den sehr unterschiedlichen Hauptfiguren, ihre so unterschiedlichen Biographien und Fräulein Hedys Vorstellungen sorgen für viel Situationskomik.
Im Anschluss an den Leseteil forderte Andreas Izquierdo das verdutzte Publikum zum Fragen auf: Die Tür sei abschlossen, er sei offen für Fragen und könne aber auch mit Stille gut leben. Es folgte eine gute halbe Stunde voller Fragen und ausführlicher, mal humorvoller, mal ernster Antworten.
Wie er auf das Thema Frauen und Flugzeuge gekommen sei?
Jene Frauen in den 1920er und 1930er Jahren hätten ihn schon immer fasziniert, die Emanzipation schon gelebt hätten bevor es das Wort gab. Sicherlich gäbe es auch heute noch einige gläserne Decken für Frauen, aber Elly Beinhorn, Beate Uhse und viele andere hätten damals eigentlich Unmögliches getan.
Irgendwann sei Hedy in seinem schreibenden Leben aufgetaucht. Damit er über diese Zeit erzählen konnte, musste sie Pilotin sein. Auf dem Titelbild des Buchs ist Emilia Earhart abgebildet, deren Schicksal ihn sichtlich berührte. Ausgerechnet über einer unbewohnten Insel abzustürzen sei besonders übel. Mit seinem Buch habe er den verrückten Frauen in ihren fliegenden Kisten ein Denkmal setzen wollen.
Die Recherche sei schnell gegangen. Der Ort Pyritz liege heute in Polen und sei damals ein pommersches Rothenburg ob der Tauber gewesen. Leider wurde es 1945 dem Erdboden gleichgemacht und bei seiner Reise dorthin habe er nur sozialistische Nachkriegsbauten gesehen. Vom alten Flair sei nichts mehr übrig gewesen und die Reise hätte er sich eigentlich sparen können. Im Militärhistorischen Museum in Berlin habe er viel von Experten gelernt. Über die Flieger selbst, die Munition und was in einer Luftschlacht im Cockpit passiert sei.
Er sei ein visueller Mensch, arbeite auch als Drehbuchautor und oft hätte schon ein Bild aus jener Zeit ausgereicht um einen Film bei ihm ablaufen zu lassen. So zum Beispiel Fotos des Berliner Varietés “Die weiße Maus” mit nur 99 Plätzen, in dem die Gäste Augenmasken trugen, um die Vergangenheit draußen zu lassen. (Laut Andreas Izquierdo waren es weiße Masken, auf den Fotos hier sind es schwarze.)
Ob die Figuren authentisch seien und Hedy seine Großmutter?
Nein, es habe zwar ein optisches Vorbild gegeben, aber kein charakterliches. Seine alte Tante im Rollstuhl in Spanien sei das optische Vorbild und die Ausgangsituation mit der Anzeige sei durch einen Zufall entstanden. Eine Haushälterin habe in Spanien von einer Dame erzählt, die zum Nacktbadestrand wollte. Er habe das Wort „annunzio“ als „Anzeige“ verstanden und schon Bilder vor seinem inneren Auge gehabt. Erst später habe er erfahren, dass „Werbung“ mit alten Damen gemeint war – doch da war die Idee schon geboren und plötzlich sei Hedy dagewesen. Die so geöffnete Tür müsse man als Autor ganz aufmachen und die Ideen hereinlassen.
Die ungekürzte Hörversion erscheine am 28.6., gelesen von Michael Schwarzbach. Zu seinem Bedauern ausschließlich über audible, nicht im Buchhandel verfügbar. Die Lesung gefalle ihm sehr gut, die Figuren würden lebendig. (Nein, diese Frage war nicht von mir. )
Sein nächstes Buch werde den Titel „Der Therapeut“ tragen. Zum Inhalt könne er noch nicht viel sagen, bisher habe er nur die Grundidee. Seiner Meinung nach wir nirgendwo so viel gelogen wie beim Therapeuten und vielleicht bei der Polizei. Beide seien auf der Suche der Wahrheiten, die eventuell wehtut. Er sei sich noch nicht sicher, ob es vielleicht Krimielemente geben werde.
Ob er beim Beginn des Schreibens schon das Ende kennen würde?
Ja, das stehe dann schon fest. Er finde es etwas respektlos dem eigenen Beruf gegenüber, wenn er ohne das Ende zu kennen beginnen würde. Er glaube, es brauche Vorbereitung und zum Beispiel Gehirnchirurgen oder Pianisten würden auch nicht ohne einen Plan und ein Ziel anfangen. Er habe immer ein akribisch ausgearbeitetes Exposé, die Spannungsbögen seien genau geplant. Wenn er unvorbereitet durch eine Szene stolpere, könne er nicht das Meiste rausholen. So habe er vielleicht sechs Wochen mehr Vorarbeit, spare sich aber sechs Monate Nacharbeit. Eigentlich sei es eine Form der Faulheit und für seinen Kopf besser, so gründlich vorbereitet zu sein.
Aufgrund von atmosphärischen Störungen habe er von Dumont zu Suhrkamp gewechselt. Beide Verlage hätte schon lange belletristische Programme und er fühle sich bei Suhrkamp wohl.
Im Anschluss an die Lesung nahm er sich beim Signieren auch noch viel Zeit für weitere Fragen.
Zu Beginn wurde Ali Bachtyar vorgestellt. Er ist der aktuelle Träger des Nelly-Sachs-Preises und lebt in Dortmund.
Ali Bachtyar ist Kurde und wurde 1966 im Irak geboren. Dort war er bereits als Schriftsteller bekannt, als er vor rund 20 Jahren die Heimat verließ. Ab 1991 habe im kurdischen Teil des Iraks eine gewisse Freiheit geherrscht und er sei als Teil einer rebellischen Generation aufgewachsen. Gemeinsam mit Freunden gründete er eine literarisch-philosophische Zeitschrift, die Gesellschaft umfassend kritisiert und auch selbst viel Kritik eingesteckt. Dann sei 1994 während des kurdischen Bürgerkriegs sein Leben in Gefahr geraten und er sei nach Deutschland ausgewandet.
Seine Geburtsstadt Suleimania sei ein wichtiges Kulturzentrum für die Poesie und so habe er früh begonnen zu Schreiben und Publizieren. Auch in seinen Romanen sei er Dichter geblieben.
Auf die Frage, ob er in Deutschland eine Heimat gefunden habe, antwortete er, dass dies nicht einfach gewesen sei. Unter einer Diktatur müsse man ständig eine Maske tragen, danach sei als Flüchtling ein Nichts und stehe direkt auf Null. Alles, war man vorher getan habe, sei nichts mehr wert und man lebe ständig in zwei Welten. Erst seit seine Werke übersetzt wurde, könne er im Gleichgewicht zwischen den zwei Welten leben. Vorher sei er hier ein Autor ohne Buch gewesen.
Maler und Musiker seien nicht auf das Wort angewiesen. Dieser Unterschied sei ein Thema in seinem aktuellen Buch Die Stadt der weißen Musiker.
Ali Bachtyar las einen kurzen Teil vom Anfang des Buchs auf Kurdisch. Im Anschluss las Frank Arnold einem längeren Abschnitt.
Die Moderatorin fragte nach der Bedeutung der Farbe Weiß für ihn und hatte gleich zahlreiche eigene Interpretationen parat. Ali Bachtyar verneinte alle Varianten, in seinem Buch steht Weiß für die Unendlichkeit. In der orientalischen Erzähltradition gehe eine Geschichte aus der anderen hervor. Diese mündliche Geschichtentradition sei im Irak leider nicht mehr existent und auch in den kurdischen Regionen im Irak und der Türkei selten geworden. Seine Großmutter habe ihm noch viele Märchen erzählt. Die Märchen von 1001 Nacht seien auch eine Sammlung von Geschichten aus den verschiedensten Quellen.
Die Stadt im Buch stehe für die unsterbliche Schönheit, die in uns allen sei. Es gebe verschiedene Erzählebenen und eine Art magischen Realismus, in der er das Wunderbare in den Alltag einbetten wollte. Um das Leben darzustellen, brauche er poetische Sprache. Die Absurdität des Lebens der Kurden könne er in Alltagssprache nicht beschreiben. Es gebe dunkle Ecken und undurchschaubare Strukturen im Orient, deshalb brauche er parallele Welten um die Ereignisse dort schildern zu können.
In dieser weißen Stadt würden alle Hoffnungen und Träume der Menschen aufbewahrt, um vielleicht irgendwann von jemand anders vollendet zu werden. Seine Hauptfigur Dschaladati ist der einzige Überlebende eines Massakers und wacht in der Stadt des Staubes wieder auf, die ein einziges großes Bordell ist. In dieser Stadt finde er das Haus eines Arztes und dieses habe wie die Realität einen doppelten Boden.
Dann wurde eine Szene gelesen, in der Dschaladati entdeckt, was sich im Keller dieses Hauses befindet: Eine große Gemäldesammlung mit Werken von getöteten Künstlern. Der Arzt will diese bewahren und so auch an diese Künstler und deren Schicksale erinnern.
Schreiben bedeutet für Ali Bachtyar auch Erinnern. Er stamme aus einem Land, in dem viel gedichtet, gemalt und komponiert werden, aber nur die wenigsten dieser Werke auch veröffentlicht würden. Sein Traum sei, diese Werk bewahren zu können. Durch das Schreiben könne er auch etwas retten. Auch wenn man die Welt nicht verändern könne, so sei es möglich, einiges zu retten.
Viel zu schnell war die knapp einstündige Veranstaltung mit diesem interessanten Autor vorbei, die leider zu stark von der der Moderatorin und ihren Interpretationen dominiert wurde.
Es ist noch nicht sicher, ob es auch ein Hörbuch geben wird. Dieses würde vermutlich von Frank Arnold gelesen.
Der Moderator Klaus Hillenbrand stellte Jakob Hein kurz vor, der neben seiner Arbeit als Psychiater bereits zahlreiche Bücher geschrieben hat. Sein neustes Werk Die Orient-Mission des Leutnant Stern beruht auf einer so skurrilen wie wahren Begebenheit im 1. Weltkrieg.
Leutnant Edgar Stern hatte die Idee, den Suezkanal zu sprengen, um England das Genick zu brechen. Er schickte entsprechende Pläne ans Kriegsministerium in Berlin und wurde tatsächlich dort einbestellt.
Dann las Hein eine Textstelle über den Termin Sterns bei Major Braubach, der hinterfragte, wie Stern auf diese Idee gekommen sei.
Die Idee Sterns sei irgendwann in den Hintergrund geraten, zugunsten eines noch verwegeneren Plans. Das Deutschen Reich könne einen Dschihad auszulösen und so den Krieg zu gewinnen.
Spätestens seit Goethes West-östlicher Divan habe der Islam in Deutschland als DIE friedfertige Religion gegolten. Wilhelm II. sei ein großer Freund der muslimischen Welt gewesen. Es habe auch Gerüchte gegeben, dass er zum Islam übergetreten sei, dies nur nicht öffentlich sagen könne.
Die Türkei habe damals als neutral gegolten, mit mehr Sympathien für Deutschland als die Alliierten, in Rumänien sei es genau umgekehrt gewesen. Die Idee war, durch eine symbolische Geste ein bedeutendes Zeichen zu setzen.
In jener Zeit wurden viele Menschen aus den französischen Kolonien in den Krieg gepresst und auch wenn die Figuren im Buch erfunden sind. Frankreich habe damals zum Beispiel beim Sultan von Marokko 2000 Mann für seinen Krieg gefordert und ehemalige Sklaven bekommen, die in den Bergen von Marokko in archaischen Verhältnissen lebten. Diese sollten in Belgien für Frankreich gegen Deutschland kämpfen. Andere kamen aus Tunesien und Algerien. Diesen Menschen wollte Jakob Hein eine Stimme geben.
Es folgte eine Lesung aus Perspektive der zwangsrekrutieren Soldaten von der Front. Dort fragen sie sich, warum die Franzosen so viele unterschiedliche Uniformen hätten, ob diese unterschiedliche Stammeszugehörigkeiten anzeigen sollten. Für Menschen, die Geschichten von Löwenjägern kannten aber nichts von europäischen Traditionen wussten, waren es schlimme Tage, die zu schlimmen Monate wurden.
Leutnant Edgar Stern sollte 14 dieser Muslime in geheimer Mission von Berlin nach Konstantinopel bringen. Sie sollten zum Sultan von Konstantinopel und dort als große Geste gegenüber dem Islam freigelassen werden. Gerade damals fielen diese fremdländisch aussehenden Menschen in Europa auf und wirkten nicht wie Deutsche. Um sie unbeschadet durch feindliches Gebiet zu bringen, gab Leutnant Stern sie als Zirkusartisten und hatte sogar ein Zelt und Zirkusgeräte im Zug dabei.
Es folgte noch eine kurze Lesung vom Anfang der Bahnreise, die Jakob Hein mit den Worten beendete, dass eine Bahnfahrt damals ganz anders verlaufen sei als heute, z.B. ohne Strom – andererseits sei man damals auch problemlos wieder zurück nach Deutschland gekommen. „Free them all“ wolle er noch sagen.
Auch damals habe Deutschland sich in innenpolitische Belange der Türkei nicht einmischen wollen, wie zum Beispiel die Verfolgung der Armenier. Der Dschihadaufruf Deutschlands habe tatsächlich dazu geführt, dass die Armenierpogrome in Istanbul sich verstärkten.
Viel zu schnell endete die interessante Veranstaltung zu diesem Buch, das direkt auf meinem Wunschzettel landete.
André Gstettenhofer vom Salis Verlag stellte die Autorin Wei Zhang und ihr Buch kurz vor.
Eine Mango für Mao spielt in China und beginnt 1968, mitten während der Kulturrevolution. Erzählerin ist die fünfjährige Yingying, durch deren Augen die Schrecken jener Zeit ein wenig abgemildert werden. (Leseprobe bei issuu)
Wei Zhang las eine kurze Passage vom Anfang des Buches, in der Yingying zu ihren Großeltern reist. Zuvor wurde Obst gekauft, ein übliches Mitbringsel für die Familie. Yingyings Vater erhielt auf der Arbeit als Auszeichnung einen Anstecker , den das kleine Mädchen unbedingt selbst einmal tragen will.
Obwohl Wei Zhang selbst während der Kulturrevolution aufwuchs, ist der Roman ist nicht autobiographisch. Die im Roman geschilderte Kindheit sei typisch für die meisten Menschen ihrer Generation. Sie erklärte einiges zu Familientraditionen in China, wie zum Beispiel, dass damals wie heute die Enkel oft bei den Großeltern aufwachsen und Frauen nach der Heirat fest zur Familie des Mannes gehören. Der Kontakt zu den Eltern der Frau ist deutlich geringer und sie werden auch nur selten besucht. In neuerer Zeit hält diese Sitte wieder Einzug, nicht nur auf dem Lande und es ist eine Art Statussymbol, zu Feiertagen von den Kindern und Enkeln besucht zu werden. Durch die Ein-Kind-Politik bedeutet das für die Eltern eines Mädchens oft einsame Tag
Mao sei damals ein übermächtiger Politiker gewesen, so wie es Xi Jinping heute wieder werden wolle, u.a. indem er gerade die Weichen dafür stellt, Präsident auf Lebenszeit zu werden. Wie Mao wolle er China stark machen und das sei unter einer Diktatur einfacher und gehe schneller. Die aktuelle Entwicklung beobachtet sie mit Sorge.
Wei Zhang kam 1990 durch ihr Anglistikstudium nach Europa, wohnt heute in der Schweiz und schreibt für die Neue Züricher Zeitung, während ihre Mutter und Schwestern nach wie vor in China leben. Es sei ihrem Vater sehr wichtig gewesen, dass sie frei leben solle und besser als er. Als Kind habe sie nicht verstanden, wie er das meinte. Schon früh begann sie englische Romane zu lesen. In der Schweiz habe sie dann vergeblich nach „bohemian cafés“ gesucht und rote Sofas. Erst mit der Zeit habe sie sich dort eingefügt und die deutsche Sprache sei ihr inzwischen ins Blut gegangen, ein Teil ihrer Identität geworden.
„Eine Mango für Mao“ schrieb sie auf Deutsch. Sie denke nicht auf Chinesisch und übersetze beim Sprechen auf Deutsch. Sicherlich stamme sie aus Chongqing, lebe jedoch seit rund 30 Jahren im Westen.Daher fühlt sie sich in beiden Kulturen heimisch, der chinesischen und der europäischen.
Mao wollte dem Volk Mangos schenken und es gab zahlreiche Gerüchte darüber. Mangos waren bei der damals meist armen Bevölkerung eine unbekannte Frucht, es war eine ganz besondere Geste. Auch in Chongqing war dieses Aktion in aller Munde und Wei Zhang sah eines Tages einen Lastwagen ungewöhnlich schnell vorbeifahren. Die normalen LKWs seien alle eher alt und sehr langsam gewesen. Auf diesem LKW was etwas großes Gelbes, sie schätzt ca. zwei Meter langes und sie dachte, es wären Mangos. Erst als Erwachsene fand sie in der Schweiz heraus, dass Mangos deutlich kleiner sind und die Mangos für Mao aus Pakistan kamen. Bei der Übergabe waren sie bereits verfault und es gab zum Teil künstliche Mangos aus Pappmaché.
Ob das Buch in China auch erscheint, ist noch nicht bekannt. Auf der Buchmesse in Frankfurt 2017 habe sich trotz große Interesses kein Verlag gefunden. Die Menschen in China würden solche Bücher lesen wollen, aber die Verlage waren wegen möglicher politischer Botschaften zwischen den Zeilen besorgt.
Sie hoffe, dass die Lage sich wieder entspanne und das Buch auch ohne Probleme in China erscheinen könne. (wohl eher im Hinblick auf die derzeitigen Einschränkungen bezogen als auf den Erfolg ihres Buches.)
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