Fast pünktlich um 21:00 begann die Veranstaltung mit Herman Koch. Der Moderator Jan Konst verriet, dass Herman Koch aufgrund des Wetters erst 16 Minuten zuvor in Leipzig angekommen war.
Er stellte Herman Koch kurz vor als den erfolgreichsten niederländischen Autoren, dessen Erfolg zum guten Teil auf dem Buch Angerichtet beruhe, das drei Mal verfilmt wurde. Von der Version mit Richard Gere zeigte sich der Autor nicht gerade begeistert.
Sein neustes Buch Der Graben sei ein schwarzhumoriger Satireroman, in dessen Mittelpunkt Robert Walter stehe, der Bürgermeister von Amsterdam. Dieser führe mit knapp 60 das scheinbar perfekte Leben, mit toller Frau und Tochter. Bis er dann eines Tages auf einem Empfang seine Frau Sylvia mit einem eher ungeliebten Dezernenten sehe und vermute, sie habe eine Affäre mit diesem Mann. Überall sehe er Zeichen und mache sich verrückt.
Es war Herman Koch wichtig, dass die Hauptfigur eine immer wieder im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehende Position hat, denn in einer normalen Familie wäre der Umgang mit so einer Situation anders. Der Bürgermeister hingegen fürchte sich vor den Medien, vor dem Einsturz seines so idealen Lebens. Er habe das erste Kapitel einigen Testpersonen vorgelesen und gefragt, was sie glaubten, wer die Hauptfigur sei. Die meisten hätten auf den König getippt, was ihm wiederum zu kompliziert war.
Es folgte eine kurze Lesung auf Niederländisch, dann eine längere Passage vom Anfang des zweiten Kapitels, in dem eben jener Empfang stattfindet.
Herman Koch weiß bis heute nicht, ob Sylvia Walter tatsächlich eine Affäre habe. Sonst habe er kein Buch darüber schreiben können und wenn es der Autor nicht wisse, könnten es die Leser auch nicht wissen. Bei skandinavischen Krimis sei immer die unwahrscheinlichste Figur der Mörder, in seinem Buch sollte es keinerlei versteckte Hinweise geben können, egal ob gewollt oder ungewollt. Während des Schreibens sei ihm Sylvia immer sympathischer geworden und auf die wiederholte Frage seiner Frau, ob Sylvia eine Affäre habe, antwortete er irgendwann „ich hoffe nicht“.
Durch die Ich-Perspektive falle es leicht, sich mit dem Bürgermeister zu identifizieren und Jan Konst gab zu, mit der Hauptfigur gelitten zu haben. Er habe sich regelrecht gewünscht, Robert Walter würde anfangen, Sylvias Emails und Telefonlisten zu kontrollieren – auch wenn das eigentlich verwerflich sei.
Herman Koch ist sich sicher, dass der Bürgermeister es nicht wirklich wissen will. Denn er hätte ja fragen können, aber allein durch die Frage eine vielleicht tatsächlich perfekte Beziehung zerstört. Der Bürgermeister fürchte sich vor dem Wissen und es sei ihm lieber, dass die mögliche Affäre still beendet werden könne und die ideale Beziehung fortgesetzt werden.
In einer niederländischen Zeitung gebe es jede Woche ein Interview mit einer Person, die fremdging. Eines war mit einer älteren Frau, deren Mann von ihrer Affäre vor zehn Jahren wusste, aber sich aus Respekt ihr gegenüber nichts anmerken ließ.
Auch Robert Walter zahle einen hohen Preis für dieses Verhalten. Jedes Wort von Sylvia lege er auf die Goldwaage, alles biete unzählige Deutungsmöglichkeiten und er spiele die Sätze immer wieder in seinem Kopf durch. Die Leser kennen nur seine Perspektive, die fast klaustrophobisch ist. Mit der Zeit beginne man so zu denken und spekulieren wie er.
In seinen Büchern greift Herman Koch auch immer aktuelle Themen auf, in diesem Fall Sterbehilfe. Es habe in den Niederlanden einen Fall gegeben, in dem ein bekannter Moderator entschied, gemeinsam mit seiner Frau Selbstmord zu begehen. Sie starb, er überlebte. Später sei herausgekommen, dass er schon vorher Urlaub gebucht hatte und seit Jahren eine Mätresse in der Schweiz. Vorbild für die Figur im Buch sei ein 90-jähriger aus seinem Bekanntenkreis, dessen Frau eines natürlichen Todes starb und der Mann sich dann z.B. das früher ersehnte Auto gönnte.
Eine Frage aus dem Publikum war, ob es einen persönlichen Anlass für das Buch gegeben habe. Herman Koch antwortete, dass er neugierig gewesen sei, wie er selbst in so einer Situation reagieren würde. Auch er seit glücklich verheiratet und man habe vielleicht etwas Paranoia, könne nie wissen, ob so etwas einem nicht selbst passieren könne. Nichts in dem Buch sei autobiographisch, worauf der Moderator mit einem Augenzwinkern anmerkte, dass der Bürgermeister nur zufällig genauso alt wie Herman Koch sei.
Viel zu früh endete ein vergnüglicher Abend mit einem gut eingespielten Team von Autor und Moderator. Herman Koch nahm sich im Anschluss noch viel Zeit zum Signieren und für Fragen.
Link zum Buch beim KiWi Verlag
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