Die Bühne vom Ausstattungsteam Timo Dentler und Okarina Peter besteht nur aus einem Kasten, der ein aufgeschnittenes Zimmer, einen Salon oder Foyer, darstellt. Dieser Kasten wird nicht nur durch die Drehbühne, sondern auch durch Bühnenmitarbeiter bewegt, teilweise mit 60 Personen darauf, dafür hätten diese eigentlich am Ende einen Sonderapplaus verdient gehabt. Die teilweise gegenläufigen Bewegungen erzeugen vor allem im ersten Teil sehr viel Dynamik und Spannung. Die Kostüme sind zeit- und typgerecht. Applaus brandete bereits auf, als sich der Vorhang zu Beginn hob und den Kasten, der in diesem Fall wie ein Bilderrahmen wirkt, der bis auf den letzten Zentimeter mit Menschen gefüllt ist, enthüllte.
Das Orchester unter Anthony Bramall beeindruckte mit präzisem Spiel, dass es öfter ziemlich laut war, ist sicher der schieren Anzahl an Musikern im Graben geschuldet.
Bewundernswert waren die Tänzer, die sich in vielen verschiedenen Rollen präsentierten und jeder Figur ein anderes “Gesicht” gaben.
Der Chor verstand es wie immer, ausgezeichneten Gesang mit ebensolcher Darstellung zu verbinden und hatte einen erheblichen Anteil am Erfolg des Abends. Zwei seiner Mitglieder, die kurzfristig für die erkrankte Solistin als Linetta eingesprungene Brigitte Lang und Marcus Wandl als Herold zeigten, dass sie nicht nur in der Gemeinschaft eine gute Figur machen, sondern durchaus auch solistisch einsetzbar sind. Zwei Gäste, Stephan Klemm als König und Kouta Räsänen als Tschelio erwiesen sich als gute Wahl. Hochkarätig aus dem Ensemble besetzt waren alle weiteren Rollen, ob groß oder klein. Robert Sellier, Christina Gerstberger und Sebastian Campione überzeugten ebenso wie Franziska Rabl, Sibylla Duffe und Tilmann Unger. Holger Ohlmann als Köchin bewegte sich auf schwindelerregend hohen Absätzen, als ob es sein normales Schuhwerk wäre und zog darstellerisch und musikalisch alle Register von dämonisch bis schmeichlerisch. Daniel Fiolka spielte und sang den Pantalone sehr überzeugend und Frances Lucey wechselte gekonnt zwischen den verschiedenen Facetten der Smeraldine. Cornel Frey als Truffaldino war ein Spassmacher der anderen Art, anfangs erinnerte mich seine Gestik an die Bauchrednerpuppe aus “Death in Venice”, das gab sich aber im Laufe des Abends. Die Rolle ist ihm quasi auf den Leib geschrieben. Gary Martin als Leander verwandelte sich in einen selbstverliebten Schönling mit präzisen Bewegungen und Gesang. Last but not least zeigte sich Rita Kapfhammer als Idealbesetzung der Fata Morgana, sie beeindruckte mit Stimmumfang und Darstellung.
Ein fantastische Premiere, die noch viele Blicke wert ist, besonders vor der Pause kann man immer wieder neue Details entdecken. Das Publikum jubelte lange und einhellig allen Beteiligten zu.
Wer nicht in die Oper geht, weiß ja gar nicht, was er verpaßt …
Diese Inszenierung der “Liebe zu den drei Orangen” ist der Goldstandard, an dem sich alle zukünftigen Versionen messen lassen müssen. Ein Stück aus dem Tollhaus, einfach toll. Mit unglaublicher Kreativität verwandelt sich das Libretto in eine Wundertüte, aus der immer neue Ideen herausgeholt werden.
(Es geht auch anders: Bekannte berichteten, es habe in grauer Vorzeit schon mal eine Inszenierung in München gegeben, aber die Einzelheiten gerieten wohl gnädigerweise in Vergessenheit.)
Daß die Sänger in dieser Produktion ALLE sehr gut sind … daß mein Lieblings-Dirigent Anthony Bramall das Orchester zu Spitzenleistungen führt und damit diese nicht ganz leichte Musik auch für Laien verträglich macht – das ist ein großer Luxus, für den man dankbar sein darf.
Nachdem die musikalischen Meriten schon von berufeneren Persönlichkeiten gelobt wurden, möchte ich mit meiner gewohnten Vorliebe für Äußerlichkeiten das schlichtweg geniale Bühnenbild erwähnen, die hervorragende Lichtführung und vor allem die vielen tollen Kostüme, die in der Choreographie zu ganz erstaunlichen Farbeffekten führten.
Die Stimmung bei den Proben soll sehr gut gewesen sein. Das übersetzt sich in eine Spielfreude, die quasi aus den Sängern und Tänzern heraus leuchtet. Die Inszenierung gibt den Solisten genügend Raum, um ihre schauspielerischen Fähigkeiten zu zeigen, und dabei erlebt man eine Überraschung nach der anderen:
Rita Kapfhammer mit ihrer unglaublichen Ausstrahlung (okay, das ist bekannt).
Cornel Frey als Hofnarr ist phänomenal. Wie er in einer Szene zittert wie Espenlaub und dazu singt, das muß man gesehen haben.
Und dann Holger Ohlmann als “Köchin”. Diese Rollenbezeichnung kann man unter “Irreführung unschuldiger Opernbesucher” abheften, ebenso wie die Werbeplakate mit den Obstständen. Herr Ohlmann wird ja gerne und gut in Gentleman-Rollen besetzt, aber hier werden die Erwartungen des Stammpublikums mal eben lässig gegen den Strich gebürstet. Was für ein Mann! Was für ein Kleid! Wobei “ladylike” hier auch nicht das passende Wort sein dürfte, und jugendfrei ist die ganze Sache schon gar nicht.
Denjenigen die, so wie ich, manchmal die Rocky Horror Picture Show einlegen und Tim Curry wehmütig mit Reis bewerfen, kann man jetzt guten Gewissens sagen: Werdet erwachsen! Geht einfach mal ins Gärtnerplatztheater. Die Strapse könnt ihr ja mitnehmen.
Liebe Ulla, danke für diese Einschätzung und die Erinnerung, dass ich das fantastische Licht habe vergessen zu erwähnen!
Du wolltest eigentlich mit Leipzig vergleichen?
Beo, wenn ich das tue, kommt Leipzig leider nicht wirklich gut weg. Ich habe mir den Post nochmal durchgelesen. Die Inszenierung war nicht wirklich memorabel, ich erinnere mich einzig an die vielen Anspielungen auf die Herkunft des Komponisten, die ziemlich überflüssig waren und dem Ganzen einen ziemlichen militaristischen Touch verliehen haben.