Sprachliche Fehlleistung und doch ein unterhaltsamer Abend – zur Premiere von „My Fair Lady“ am Gärtnerplatztheater
Vollmundig wurde die Neuinszenierung angekündigt als erste „bayerische“ Fassung. Als gebürtige Münchnerin fragte ich mich zwar sofort „Was denn für ein Bayerisch?“ (spricht ein Münchner doch ganz anders als ein Garmischer, Tölzer, Rosenheimer oder Traunsteiner…), ich ließ mich aber gerne überraschen. Was dann kam, übertraf sprachlich meine schlimmsten Befürchtungen. Nein, liebe österreichischen Freunde, es reicht nicht, ein paar Ausdrücke ins Bayerische zu übertragen, es ist hauptsächlich die PHONETIK, insbesondere die Vokale und Diphtonge, die das (westmittel)Bairische (linguistisch korrekt geschrieben), wie es in Bayern gesprochen wird, vom (ostmittel)Bairischen Österreichs unterscheidet. Und genau hier sind wir am springenden Punkt, warum es so absolut unpassend ist, gerade My Fair Lady in einer Mundart zu inszenieren, die dem Großteil des Ensembles und der Gäste fremd ist:
Es handelt sich in diesem Stück im Kern um die These, dass Sprache Identität ausmacht. Professor Higgins ist in der Lage, einen Sprecher nach ein paar Sätzen fast auf die Straße genau einem Londoner Stadtviertel zuzuordnen – was im viktorianischen England einem sozialen (Negativ)-Stempel gleichkam. Und er wettet mit Oberst Pickering, dass es ihm gelingt, ein einfaches Blumenmädchen mit üblem Cockney-Slang in sechs Monaten mit Sprachdrill zur Lady zu machen. Das ist per se im Deutschland des 21. Jahrhunderts kaum mehr nachvollziehbar, wo es spätestens seit Franz Joseph Strauß absolut in Ordnung ist, wenn ein Politiker oder eine Person der Gesellschaft breiten Dialekt spricht. Insofern war es durchaus eine kluge Entscheidung von J. E. Köpplinger, seine My Fair Lady in der Originalzeit Anfang des 20. Jahrhunderts anzusiedeln und sie eben nicht in der heutigen Zeit spielen zu lassen. Was ihn dann zu dem absoluten Fehlgriff verleitet hat, seinem mehrheitlich österreichischen (wienerischen) Ensemble ein „bayerisches“ Kauderwelsch aufs Auge zu drücken, ist mir ein absolutes Rätsel. Warum nicht eine Wiener Fassung, bei der sich die Darsteller sprachlich richtig hätten austoben können? War es Anbiederung an die Münchner oder mangelndes Selbstbewusstsein (Sprache ist Identität!!!)?
Am deutlichsten fällt das bei Eliza Doolittle (Nadine Zeintl) auf. Sie bemüht sich in manchen Passagen redlich, die bayerische Klangfarbe zu imitieren, aber immer, wenn sie besonders intensiv spielt, fällt sie in eine Wienerische Diktion zurück, die für bayerische Ohren nur noch ordinär klingt (der Bayer ist nämlich extrem sensibel, was Sprachebenen angeht, das merkt der Nichtbayer nur meistens nicht…). Gänzlich haarsträubend wird es, wenn Eliza mit ihrem Vater (Robert Meyer) zusammentrifft (dem man zwar anhört, dass er schon sehr lange in Wien lebt, der aber von Szene zu Szene mehr in seinen Heimatdialekt zurückfindet). Da ist dann das Kauderwelsch perfekt und der Zuhörer glaubt nicht mehr, dass Eliza wirklich die Tochter von Alfred P. Doolittle sein soll. Das ist extrem schade! Denn Nadine Zeintl ist eine hervorragende Schauspielerin und Sängerin! Besonders in der Szene, wenn sie vom Botschaftsball zurückkehrt, hat sie mich zu Tränen gerührt: da sitzt Eliza, der eigentliche Star des Abends, wie ein Häuflein Elend am Rand der Bühne und es rinnen ihr echte (!) Tränen der Erschöpfung und der Enttäuschung übers Gesicht. So zerbrechlich ist dieses Wesen, das doch eine so große Entwicklung in dem Stück durchmacht. Ich hätte sie in den Arm nehmen mögen und trösten. Absolut großartig – aber die Regie lässt sie leider über weite Teile des Stückes nicht so, wie sie könnte. Und das liegt (quod erat demonstrandum!) an der sprachlichen Identität, in die sie unglücklicherweise aus absolut nicht nachvollziehbaren Gründen gezwängt wird und die ihrer eigenen total widerspricht.
Michael Dangl gibt einen von sich selbst absolut überzeugten Professor Henry Higgins, der gnadenlos auf den Gefühlen seiner Mitmenschen herumtrampelt. Ein wenig mehr englischen Snobismus der Upperclass hätte ich mir vielleicht noch gewünscht, aber das ist eben Interpretationssache und tut der Stimmigkeit der Figur keinen Abbruch.
Oberst Pickering (Friedrich von Thun) bleibt eigentümlich blass, was vielleicht daran liegen mag, dass Friedrich von Thun nicht vom Theater, sondern vom Film kommt. Mit einer 10fach-Vergrößerung im Opernglas sieht man, dass er durchaus sehr gut spielt – nur eben fürs Theater „zu klein“. Mit ein wenig Übung auf dem ungewohnten Terrain ist sicher noch viel Luft nach oben und ich freue mich, darauf, wenn ich die feine Mimik auch ohne Zoom verstehen kann.
Mit Cornelia Froboess als Mutter Higgins, Maximilian Mayer als Freddy Eynsford-Hill und Dagmar Hellberg als Haushälterin Mrs. Pearce fährt J. E. Köpplinger auch in den Nebenrollen absolute Hochkaräter des Musiktheaters auf – Chapeau an alle!
Bühne und Kostüme sind klar, wenngleich nicht so detailverliebt wie die Vorgängerfassung aus den 80er Jahren, die Choreografie rasant, wie wir sie schon von früheren Köpplinger-Inszenierungen kennen. Mir persönlich manchmal ein bisserl zu viel Action für ein szenenweise doch sehr kammerspielartiges Stück, aber das ist sicherlich Geschmackssache.
Im Orchestergraben habe ich an manchen Stellen das sonst so „organische“ Zusammenspiel des aufeinander eingespielten Staatsorchesters am Gärtnerplatz vermisst. Das mag an der für die neue Akustik und für eine Broadwaybesetzung etwas unglücklichen Orchesteraufstellung liegen und vielleicht auch einfach daran, dass sich die Musiker bei dieser Aufstellung zu wenig untereinander hören können. Hier ist sicher noch Potenzial zum Austesten, was der umgebaute Graben und die Akustikpaneele wirklich hergeben.
Auch die Tontechnik braucht nach dem Umbau noch etwas Anlaufzeit. Textpassagen, die über das Orchester dringen müssen, sind schlecht bis gar nicht zu verstehen und auch bei Szenen, wo durcheinander gesprochen wird ist noch Verbesserungspotenzial drin. Da bin ich aber ganz zuversichtlich, dass das nur Anlaufschwierigkeiten sind, da ja die Akustik im vollen Haus erst bei der Premiere wirklich hörbar wird und Erfahrungswerte (noch) fehlen.
Dem Münchner Publikum scheint es jedenfalls gefallen zu haben und auch wenn ich in der Pause mehrfach gehört habe, dass das ganze doch „sehr österreichisch klingt“, hat das dem Vergnügen der meisten keinen Abbruch getan und die Standing Ovations lassen eine lange erfolgreiche Laufzeit des Stückes erwarten.
Fazit: Für Nichtbayern und Zuagroaste aller Art uneingeschränkt zu empfehlen, sprachsensible Bayern sollten sich eine dicke Haut zulegen, nicht eingeschnappt sein und manchmal einfach weghören… Mein persönliches Lieblingsstück wird es nicht, ich bin da zu sensibel und komme mir als Bayerin stellenweise geradezu „verarscht“ vor – als Wiener Fassung könnte ich es deutlich mehr genießen.
Letzte Kommentare