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Petra Schmidt am 1. April 2019 23:05 Die Münchner Schickeria spielt “Arme Künstler“ – zur Premiere von „La Bohème“ am Gärtnerplatztheater
Liviu Holender (Schaunard), Lucian Krasznec (Rodolfo), Camille Schnoor (Mimì) © Marie-Laure Briane
Eine Altbauwohnung, die an Wänden und Boden mit schwarz-weißen Graffiti besprüht ist, selbst der große Kamin wird davon nicht verschont. Die Fenster sind ausgehängt und stehen an der Wand, so dass es hereinschneien kann. Die Männer-WG um Dichter Rudolfo und Maler Marcello singt von der Kälte, aber die nimmt man ihnen nicht so recht ab, bräuchten sie doch nur die Fenster wieder einhängen und sich in die Pelzdecke kuscheln, die auf dem Sofa liegt.
Was mit vielen Fragezeichen in meinem Kopf beginnt scheint dennoch die ersten beiden Bilder über zu funktionieren. Die Bohème ist nicht ein über 100 Jahre alter Zopf, Bohème ist jetzt und hier. Statt in die Vergangenheit zu führen holt Regisseur Bernd Mottl das Publikum in seiner Wirklichkeit ab. In dieser Boheme gibt es Tablets und Handys, eine schrille Szenekneipe und Fastfood. Krankheit gibt es heute auch, ungewöhnliche Lebensstile ebenso. Warum also nicht? Ungleiche Paare finden sich und versuchen ihre Beziehung zu gestalten. Dass da ein Apple-Pencil als „vermaledeite Feder“ durch den Raum fliegt, letzte Fotos per Tablet geschossen werden – all das passt irgendwie.
Faszinierend: die Bühnenumbauten vor Publikum – die Fensterfront fährt zurück, das Sofa versinkt im Boden und flugs wird aus dem Graffiti-Loft des ersten Bildes die Szenekneipe mit schrillen Gestalten inclusive als Christbaum verkleidetem Spielwarenhändler und strippendem Weihnachtsmann. Herausragend und passend zur Rolle ein wenig spitz gesungen die als Hobby-Domina gestylte Maria Celeng als Musetta. Grandios wickelt sie ihren Sugar-Daddy (Holger Ohlmann) um den kleinen Finger und flirtet, was das Zeug hält.
Matija Meić (Marcello), Levente Páll (Colline), Lucian Krasznec (Rodolfo), Christoph Filler (Schaunard) © Marie-Laure Briane
Schwieriger wird es dann aber ab dem dritten Bild. Rudolfo und Mimi wollen sich trennen: Rudolfo weiß, dass Mimi schwer krank ist und weil er ihr nicht helfen kann und ihr nicht das Leben bieten kann, das sie verdient, rät er ihr, sich doch einen besseren, reicheren Freund zu suchen – was sie dann schließlich halbherzig auch tut. Ja, und das passt dramaturgisch so gar nicht: wenn diese Bohemiens gar nicht wirklich arm sind, sondern nur damit kokettieren, dann bräuchten sie ja bloß auf die reiche Verwandtschaft zurückgreifen oder auf Marcellos viele Geldscheine, die er mal eben so aus seiner Hosentasche zieht. Nein, das überzeugt mich keineswegs! Für mich liegt die Tragik und Sozialkritik des Stückes gerade in der Zumutung, dass armen Menschen der Zugang zu ärztlicher Versorgung mangels finanzieller Mittel versperrt bleibt – eine Realität des 19. Jahrhunderts, die wir heute gottlob so nicht erleben müssen.
Sängerische Highlights sind Camille Schnoor als Mimi, die wunderbar zart und zerbrechlich singen kann, aber auch eine kraftvolle Tiefe aufweist. Sie ist keine leidende Unterschicht-Arbeiterin, sondern ein durchaus selbstbewusstes Wesen, das sich der Schwere ihrer Krankheit vielleicht wirklich nicht bewusst ist. Herrlich gefühlvoll mit leichter, lockerer Höhe ihr Gegenpart, Lucian Krasznec. Habe ich schon öfter bei den Spitzentönen mit manchem Tenor mitgezittert (kriegt er ihn oder eher nicht…), letztens an der Lindenoper in Berlin, so schmelze ich hier nur so dahin. Dieser Rudolfo ist schwärmerisch, von zärtlicher Liebe ergriffen zu seiner Nachbarin und die Verzweiflung im letzten Bild bei ihrem Tod ist so intensiv gespielt, dass mir die Gänsehaut kam. Kein Geschmettere, keine Selbstdarstellung – das ist ein Rudolfo, wie er sein sollte!
Chor und Kinderchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Statisterie © Marie-Laure Briane
Auch die Kollegen der Männer-WG sind durchweg hervorragend besetzt, allen voran Matija Meić als Maler Marcello, der absolut glaubhaft macht, dass er von Musetta trotz einiger schwerwiegender Differenzen nicht loskommt.
Das von Chefdirigent Antony Bramallsouverän geführte Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz zeigt alle Nuancen von Puccinis bildhafter Musik. Dass diese Transparenz und Farbigkeit gelingt, mag auch an der – wie ich finde hervorragenden – neuen Aufstellung des Orchesters liegen. Endlich hört man die Holzbläser klar und auch die Hörner kommen besser zur Geltung als unter der Bühne im Eck. Lediglich die Harfe ist mir noch etwas zu unscheinbar und wenig prägnant, was an ihrer unglücklichen Positionierung im Graben liegen mag.
Fazit: eine interessante, aber für mich nicht durchgehend stimmige Interpretation der Regie, aber musikalisch ein absoluter Leckerbissen, den sich Puccini-Freunde nicht entgehen lassen sollten. Vielleicht trägt ja die flippige Inszenierung dazu bei, dass auch Opernneulinge jüngeren Alters Geschmack an dem herrlichen Stück finden. Das wünsche ich mir jedenfalls!
Musikalische Leitung Anthony Bramall
Regie Bernd Mottl
Bühne Friedrich Eggert
Kostüme Alfred Mayerhofer
Licht Michael Heidinger
Choreinstudierung Pietro Numico
Dramaturgie Daniel C. Schindler
Rodolfo Lucian Krasznec / Arthur Espiritu
Schaunard Liviu Holender / Christoph Filler
Marcello Matija Meić / Mathias Hausmann
Colline Levente Páll / Christoph Seidl
Benoît Martin Hausberg
Mimì Camille Schnoor / Suzanne Taffot
Musetta Mária Celeng / Jasmina Sakr
Parpignol Stefan Thomas
Alcindoro Holger Ohlmann
Sergeant Thomas Hohenberger
Zöllner Martin Hausberg
Chor und Kinderchor und Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz
weitere Termine
Do 04.04.2019 19.30 Uhr
Sa 06.04.2019 19.30 Uhr
Fr 10.05.2019 19.30 Uhr
Mi 29.05.2019 19.30 Uhr
So 09.06.2019 18.00 Uhr
Do 11.07.2019 19.30 Uhr
Sa 13.07.2019 19.30 Uhr
Do 18.07.2019 19.30 Uhr
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Marina am 15. November 2017 16:05
Ein Gutes kann man der langen Umbauzeit des Gärtnerplatztheaters ja abgewinnen, man konnte die verschiedenen Spielstätten Münchens zu Genüge kennen lernen, wenn man dem Ensemble um Josef Köpplinger durch die Stadt folgte. Trotzdem kann wohl jeder mit gutem Gewissen sagen: daheim ist es doch am schönsten! Und nach den ersten Wochen im “neuen alten” Gärtnerplatztheater möchte ich hier versuchen meine Eindrücke der neuen Saison nieder zu schreiben. Ich hatte als Presse-Praktikantin und später als Aushilfe ja zum Glück bereits vor der Spielzeiteröffnung die große Ehre, das frisch renovierte Gärtnerplatztheater erkunden zu dürfen. Natürlich ist hinter Bühne noch nicht zu 100% alles fertig, aber das Nebeneinander von Mitarbeitern, Künstlern und Bauarbeitern funktionierte wunderbar. Die neuen sanitären Anlagen und die Aufzüge in alle Ränge sind ja von Zuschauern und Presse mittlerweile zu Genüge gelobt worden. In dem Monat vor der Eröffnungsgala konnte ich auch die Probenräume, Werkstätten und Büros sehen, aber auch die Kantine über den Dächern Münchens ist – nicht nur kulinarisch – ein Höhepunkt. Auch akustisch war ich schon bei den ersten Proben im Theatersaal zum Teil sehr überwältigt, wenn ich auch auf dem Gebiet der Akustik bei weitem kein Experte bin. Aber alleine die Tatsache, dass man in einem fast leeren Zuschauerraum jeden Ton bis in die Knochen spürt, gibt mir auch jetzt noch eine wohlige Gänsehaut. Trotz meiner Einblicke hinter der Bühne konnte ich es aber kaum erwarten, bis es wieder los geht am Gärtnerplatz.
Eröffnungsgala Ensemble, Foto Christian POGO Zach
Die Gala bot eine wundervoll bunte Mischung aus Oper, Operette, Musicals, Tanz und Filmmusik und dass alle Sänger sowohl bei der Eröffnungs- als auch der Schlussdarbietung auf der Bühne waren zeigt mal wieder mehr als deutlich das Programm von Münchens Volksoper: jedes Genre wird gleich ernst genommen! Und auch während der fünfjährigen Reise durch München haben ja beispielsweise die Operndarsteller des Öfteren bewiesen, dass sie sich nicht “zu gut” für Musicals sind. Meine persönlichen Highlights waren definitiv die Star Wars Suite unter der Leitung von Anthony Bramall, der stimmgewaltige Kanonensong aus Brechts Dreigroschenoper und eine erste amüsante Kostprobe aus Don Pasquale, auf dessen Wiederaufnahme ich mich sehr freue.
Bald nach der Gala stand mit Die lustige Witwe die erste Inszenierung unseres sympathischen Intendanten Josef Köpplinger in “seinem” Theater auf dem
DIE LUSTIGE WITWE Lucian Krasznec, Jasmina Sakr, Adam Cooper Foto Marie-Laure Briane
Spielplan. Dass Operetten nicht zum alten Eisen gehören, hat er uns in den letzten Jahren ja bereits oft genug unter Beweis gestellt, ich selbst durfte 2014 die Proben der Zirkusprinzessin im Circus Krone begleiten und habe hier das Genre Operette erst richtig ins Herz geschlossen. Auch Lehárs Witwe bot dank Köpplinger wieder beste Unterhaltung, es ist immer wieder schön zu sehen, mit welcher Liebe zum Detail der Staatsintendant arbeitet: egal wohin man seinen Blick schweifen lässt auf der Bühne, niemals sieht man einen Akteur nur gelangweilt auf seinen Einsatz warten, jeder erzählt seine eigene kleine Geschichte. Und mit Anthony Bramall hat man auch einen grandiosen musikalischen Verbündeten für das Gärtnerplatztheater gefunden. Daniel Prohaska und Camille Schnoor geben wieder ein absolutes Traumpaar ab, wie schon bei der Faschingsfee, wenn auch Prohaskas Rolle diesmal weit humoristischer angelegt ist, als in vergangenen Operetten-Inszenierungen. Die Inszenierung ist diesmal vielleicht nicht so fetzig, wie bereits manch andere, aber gerade Sigrid Hauser als Nijegus sorgt für ein ausgiebiges Training der Lachmuskeln. Nur das düstere Ende von Köpplingers Inszenierung hat wohl nicht nur mich sehr überrascht, wenn es auch auf sehr intelligente Art das Operetten-Idyll durchbricht und einen Bezug zur heutigen Zeit herstellt.
LA CENERENTOLA (Frances Lucey, Dorothea Spilger, Holger Ohlman, Anna-Katherina Tonauer, Matija Meić, Tamás Tarjányi) Foto Christian POGO Zach
Ähnlich bunt und unterhaltsam geht es schließlich bei der Wiederaufnahme von La Cenerentola unter der Regie von Brigitte Fassbaender zu. Ich habe die Inszenierung zum ersten Mal gesehen und mich köstlichst amüsiert! Auch hier ist wieder zu sehen, welch einen Spaß das Ensemble auf der Bühne hat und vor allem, dass jeder einzelne zu einer hervorragenden Stimme auch noch ein großes Schauspieltalent besitzt (was ja bei Operndarstellern immer noch nicht obligatorisch zu sein scheint, denke ich an diverse Produktionen in anderen Häusern zurück). Die Aschenputtel-Geschichte wird zu einem bunten und romantischen Verwirrspiel mit witzigen Bezügen zu der Märchenwelt der Wittelsbacher. Da wird der Herrenchor zu frechen Schuljungen, Levente Páll als böser Stiefvater gibt ein “Duett” mit Quietscheente und Matija Meić als Diener Dandini darf sich in königlich-bayrische Roben werfen.
Sehr fröhlich ging die neue Saison also los im Gärtnerplatztheater, sowohl auf als auch vor und hinter der Bühne. Ich freue mich jedenfalls sehr, endlich wieder eine feste Anlaufstelle für meine musiktheatralen Bedürfnisse zu haben und schon liegt auch ein Stapel Karten bereit für viele vergnügliche Theaterabende! Ich freue mich darauf, denn eines kann ich mit gutem Recht behaupten: in den letzten 5 Jahren bin ich noch nie enttäuscht aus einer Aufführung des Gärtnerplatztheaters gegangen.
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