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Die Schlammgeborene(n) – Der Widerspenstigen Zähmung am Residenztheater

[singlepic id=1474 w=320 h=240 float=left]Ist Dorn zurückgekehrt? Die schwarzlackierte Betonwand – kein Bühnenbild außer einer erhöhten Rutschfläche – historisierende Kostüme. Wurden hier Altbestände vom Fiesco und der Rose Bernd recycled? Nein, das nicht, doch anscheinend vollführt das Residenztheater ein kleines Rollback in die Vergangenheit mit leichterer Kost und zufriedenerem Abonnementpublikum. Dessen Liebling und einige andere geben darum nun den Shakespeareklassiker der leichten Art, die Widerspenstige. Inszeniert hat dies die Wiederholungstäterin Tina Lanik, die auf eine zehnjährige Vergangenheit am Haus und eine Verbundenheit zu Dorn zurückblickt. Alles alt im Neuen.

Es beginnt mit Bühnenregen und Jagd. Aber was für ein Regen! Prasselnd und nieselnd zugleich schwallt er aus dem Schnürbodenhimmel und nebelt die dunkle Bühne mystisch ein. Sogar seine Kühle spürt man bis tief ins Parkett. Das schönste Theaterwetter seit dem Schnee in der Mutter Courage im gleichen Haus lässt das fade Rinnsal im Volkstheater vergessen und macht ab Beginn Stimmung. Ein toter, erlegter Hirsch, gedoubelt von Blondine fungiert als Leitbild mit dem feuchten Innenraum. Hier wird gesucht, erlegt, gejagt, gebeutet, dann gesuhlt und gedreckt.

Der Rest ist Boulevard. Stimmig und klassisch und hervorragend gesprochen werden die Kalauer überzeichnet und die Pointen gesetzt. Ein erleichtertes Publikum lehnt sich zurück und genießt, der Bühnendreck schwappt nämlich diesmal anscheinend nicht aufs Zuschauergemüt über. Dem wird dafür gutes Handwerk gezeigt – und nicht mehr. Aside und an der Rampe feuern die Mimen ihre Verslein aus der Hüfte, als hätten sie alle Shakespeare noch gekannt. Natürlich agieren sie in der nicht vorhandenen Szenerie und nehmen die leichte Muse sehr ernst. Mit Spannung, Geschick und Körpereinsatz. Einziger Aufreger, der damit verbunden ist, ist der Dreck auf der Bühne. Loriot’scher Ausrutschhelfer, Schwesterquäler, Plastelinersatz für die latente Requisitenlast und Maskenhelfer. Hier macht man sich und andere ordentlich schmutzig, um nach dem Rangeln vom Regen wieder reingewaschen zu werden. Ungesund ist der Heilerdentorf übrigens auch nicht. Lediglich ein Ärgernis für die Kostümerie, die nach dem Exzess wieder reinemachen muss.

Mittelpunkt des Abends ist natürlich die Miniminichmayer Andrea Wenzl mit einer physisch spürbaren, nicht überdrehten und fühlbaren Verkörperung der Widerspenstigen, die am Anspruch dieser Rampensaurolle ebensowenig scheitert wie an der Gefahr, zu überziehen. So spielt man Shakespeare im 21. Jahrhundert. Ebenso wie ihr kongenialer Partner Lacher, der immergleiche, doch damit befriedigende Publikumsliebling seit geraumer Zeit. Johannes Zirner und Tom Radsch geben die präzisen Sidekicks; auf den Punkt und selten überzogen. Frank Pätzold präsentiert sich eine Spur besser als im Kirschgarten, dafür beachtlich Robert Niemann als knabenhafter Diener mit schöner Pointe. Arnulf Schumacher gibt einen köstlichen Lustgreis, wenngleich die Textsicherheit bei ihm am ehesten schwindet, was die schnelle und gewiefte Inszenierung nicht immer verzeiht. Auch nicht dank dem wunderbaren Nikotinbauch mit Hornbrille von Miguel Abrantes Ostrowski, dem heimlichen Star als Tranio. Farbloser dagegen Rupperti als Vater mit seiner ebensolchen, braven Tochter Marie Seiser (Bianca). Undankbar allein die Cameos als „Sly“ von Katharina Pichler, die sich nicht erschließen und als unnötiger Regieetablierer mehr nerven als nützen.

Alles in allem was wir wollen, wie es das gesittete Publikum will und wo es das will: Im ehrwürdigen Dorn-entempel Residenz mit einem gezähmten Ensemble wird ein glatter Shakespeare hingestellt, der durch Frau Wenzls wunderbare Widerspenstigkeit lebendig bleibt.

 

Regie Tina Lanik, Musik Rainer Jörissen, Licht Gerrit Jurda, Dramaturgie Sebastian Huber

Wolfram Rupperti Baptista, reicher Edelmann aus Padua, Paul Wolff-Plottegg Vicentio, ein alter Edelmann aus Pisa / Magister, spielt Vicentio, Franz Pätzold Lucentio, Vicentios Sohn, Shenja Lacher Petruchio, Edelmann aus Verona, Arnulf Schumacher Gremio, Freier Biancas, Tom Radisch Hortensio, Freier Biancas, Miguel Abrantes Ostrowski Tranio, Lucentios Diener, Robert Niemann Biondello, Lucentios Diener,  Johannes Zirner Grumio, Petruchios Diener, Andrea Wenzl Katharina, Marie Seiser Bianca, Katharina Pichler Sly

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Ein einstürzender Altbau – Bieitos Kirschgarten im Residenztheater

[singlepic id=1459 w=320 h=240 float=left]Am Ende bleibt der Spucker. Mit diesem beginnt auch Tschechows Adelsabgesang, der sehr jetztzeitig im Resi stattfindet. Guntam Brattia als neureicher Kaufmann schmatzt inmitten des Parketts an einem Butterbrot und verteilt Brösel ausladend und sprühend spritzig über die umsitzenden Zuschauer. Er ist ein Emporkömmling, ein Rohling ohne Manieren und das wird scherenschnittig bereits im Prolog klar. Dass man den brösligen Überfall verzeiht, liegt an Brattias nichtsdestotrotz sympathischer Ausstrahlung hinter dem Derben, Dummen, Kahlen und Kalten des Neureichen, der den Kirschgarten und das Erbe der verarmten Bourgeosie übernehmen wird. Ganz im Gegenteil zu seinem kühlen Killermanager aus Die Götter weinen gibt er hier haptisch fühlbar und mit einer verstörenden Nähe den pragmatischen Verschlinger, den Modernisten und Verweser. Das Spucken entschädigt er am Ende mit Gratisbrut für die Abrissparty.

Überhaupt wird mit dem Betonhammer zerstört bei Bieito. Der kahle, auf Sand gebaute Rohbau (Bühne: Rebecca Ringst) bricht sukzessive und lautstark in sich zusammen, wie die Figuren. Diese degenerieren bereits in ihrer Einführung zu Pappkameraden und Funktionsmöbeln von Bieitos Leichenschau. Allein Sophie von Kessel als Andrejewna darf Zwischentöne produzieren, wenn sie von Tabletten vernebelt langsam ihr Schicksal dämmern sieht. Auch sie ist physisch fassbar, zerbrechlich, authentisch und traurig.

Daneben Varietéfiguren angeführt von dem sinnentleert, doch komisch locker aus der Hüfte spielenden Manfred Zapatka, ähnlich wie sein Firmenkönig in Die Götter weinen. Keiner hört ihm zu und er verkennt die Lage, doch ist sichtbar damit zufrieden. Alle verkennen sie die Notlage des Guts oder wollen sie schlichtweg nicht wahrhaben. Auch Bieito nimmt seine Charaktere nicht zu ernst. Was bei Tschechow noch ein Diener ist, wird bei ihm mit der Rolle Jascha zum notgeilen Hipster (etwas viel: Franz Pätzold). Sprichwörtlich zum Möbel deklamiert und deklassiert er als guten Einfall den alten, störrenden Firs – Jürgen Stössinger bietet eine gelungene Neuauflage seiner Kasimir und Karoline-Travestie. Auch Friederike Ott gibt eine überdeutliche Warja – irgendwann in verhärmter Krankenschwesterntracht. Diese wiederum wird vom Belorusspüppchen Marie Seiser (ätherisch spröde) gespiegelt (Kostüme: Ingo Krügler).

Ab der Hälfte spielen die Figuren dann Historientheater und kleiden sich in historischen Kostümen zur Live-Untermalung der Bühnenmusiker. Nötig wäre das nicht, denn den Text tastet Bieito nicht an, bleibt ganz nah an Tschechows lakonischer Komik zwischen Verzweiflung und geliebten Weltschmerz unter dem dicken Boden eines vollen Wodkaglases. Nur die Figuren entfremdet er zu Betonklötzen, die er zermalmt. Eine vielschichtige tragikomische Figur, wie sie Tschechow eigentlich immer anlegt, bleibt nicht. Dafür Baulärm, Dosenbier, Geschrei und kaputte Menschen.

Vielleicht spuckt Bieito selbst etwas lakonisch dem alten Russen hinterher und gönnt ihm keinen ruhigen Abgesang auf einen Kirschgarten, sondern reibt uns die Brösel des einfallenden Altbaus direkt und mit Gewalt sprichwörtlich unter die Nase.

Tschechow erlaubt das mit Abstrichen. Die Frage bleibt, ob dies sein Godunow am Nachbarhaus auch kann.

Regie Calixto Bieito; Bühne Rebecca Ringst;Licht Tobias Löffler; Kostüme Ingo Krügler; Dramaturgie Andreas Karlaganis; Sophie von Kessel Ljubow Andrejewna Ranjewskaja, Gutsbesitzerin; Marie Seiser Anja, ihre Tochter; Friederike Ott Warja, ihre Adoptivtochter; Manfred Zapatka Leonid Andrejewitsch Gajew, ihr Bruder; Guntram Brattia Jermolaj Alexejewitsch Lopachin, Kaufmann; Lukas Turtur Pjotr Sergejewitsch Trofimow, Student; Gerhard Peilstein Boris Borissowitsch Simeonow-Pischtschik, Gutsbesitzer; Ulrike Willenbacher Charlotta Iwanowna, Gouvernante; Thomas Gräßle Semjon Pantelejewitsch Jepichodow, Kontorist; Katrin Röver Dunjascha, Dienstmädchen; Jürgen Stössinger Firs, Diener; Franz Pätzold Jascha, ein junger Diener

Besucht wurde die Vorstellung am 29.01.2013

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