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Corinna Klimek am 5. April 2014 16:27 [singlepic id=1849 w=320 h=240 float=left]Kann man aus einen Klassiker des Sprechtheaters ein Musical machen, das viele Menschen anspricht? Die Vereinigten Bühnen Wien haben mit Der Besuch der alten Dame nach dem Schauspiel von Friedrich Dürrenmatt bewiesen, dass dies möglich ist.
Güllen ist ein kleiner Ort, abgehängt von der großen Welt, man leidet unter Arbeitslosigkeit und fehlenden Perspektiven. Abhilfe schaffen soll Claire Zachanassian, die als superreiche Multimilliadärin in ihren Heimatort zurückkehrt. Alfred Ill, zur Jugendzeit ihr Liebhaber, soll sie zu einer Zuwendung überreden. Claire zeigt dazu auch bereit, aber nur unter einer Bedingung: Alfred muss sterben! Zwar lehnt man ihr Ansinnen entrüstet ab, beginnt aber heimlich schon damit, auf Pump im Luxus zu leben. Vordergründig will Claire sich an Alfred rächen, der als junger Mann nicht zu ihr gestanden ist und sie in ihrer größten Not allein gelassen hat. Tatsächlich bezieht sie aber den ganzen Ort in ihre Rache mit ein, in dem sie die Bewohner zu mordenden Monstern macht, die für Geld alles tun.
Die Musicaladaption (Buch Christian Struppek) geht tiefer als die Schauspielvorlage, indem sie zum Beispiel in Einschüben erzählt, was damals zwischen Claire, Alfred und den Bewohnern von Ill geschah und gibt Ausblicke, was hätte sein können, wenn Alfred sich anders entschieden hätte. Damit ist der Zuschauer noch näher an das Geschehen herangeholt, man leidet mit Claire, für deren Handeln man dann doch so etwas wie Verständnis aufbringt. Das bringt mehr Emotionalität auf die Bühne und sorgt für Spannung. Die Musik von Moritz Schneider und Michael Reed fand ich zwar eingängig, aber beim ersten Mal hören ist mir keine Melodie im Ohr geblieben. Dies würde sich sicher nach mehrmaligem Anhören ändern.
Beeindruckend ist das Bühnenbild von Peter J. Davison, in Sekundenschnelle verwandelt sich die Bühne vom Bahnhof zum Krämerladen, Wald und Hotelzimmer und wieder zurück. Auch das Konzept der Kostüme von Uta Loher und Conny Lüders war sehr überzeugend. Zu Anfang waren alle Kostüme einförmig grau und alle in Gummistiefeln. Je weiter sich die einzelnen Personen der Gier hingaben, desto bunter wurden ihre Kostüme. Lediglich Alfred Ill war am Ende noch in Gummistiefeln. Das fand ich wirklich clever umgesetzt. Die Regie von Andreas Gergen zeichnete sich vor allem durch die gute Personenführung aus.
Das Ensemble an diesem Abend war großartig, allen voran Pia Douwes als Claire. Wie sie die verschiedenen Facetten der Figur von knallharter Geschäftsfrau zu bereuender Liebender auslotet, war fabelhaft. Ihr zur Seite stand Uwe Kröger als Alfred Ill, der mich sowohl gesanglich als auch schauspielerisch überzeugen konnte. Lutz Standop stand an diesem Abend zum ersten Mal als Lehrer Klaus Brandstetter auf der Bühne und gab ein eindrucksvolles Debüt. Besonders intensiv war, wie immer, die Rollengestaltung von Gunter Sonneson als Pfarrer Johannes Reitenberg. Masha Karell (Mathilde Ill), Hans Neblung (Bürgermeister) und Norbert Lamla (Polizist) rundeten das Ensemble auf hohem Niveau ab.
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Corinna Klimek am 4. Mai 2012 23:56 [singlepic id=1308 w=320 h=240 float=left]Selten hat ein Songtext auf eine Situation besser gepasst als dieser. Es war ja nicht nur ein Abschied von einem liebgewordenen Haus, sondern auch von vielen liebgewordenen Menschen. Meine Theaterleidenschaft begann im Mai 2007 und so konnte ich an diesem Abend viele Stücke noch mal Revue passieren lassen. In diesem Haus habe ich gelernt zu sehen, zu hören, zu fühlen und Gefühle zuzulassen. Ich bin sehr dankbar, dass ich so viel Neues kennenlernen durfte. Ich werde sicher noch viele Jahre davon profitieren.
Die musikalische Leitung dieses Galaabends hatten Lukas Beikircher, Andreas Kowalewitz, Jörn Hinnerk Andresen und Liviu Petcu inne. Die meisten Stücke wurden vom Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz begleitet, das damit mal wieder seine Vielseitigkeit und Ausdauer unter Beweis stellte. Die Choreografie des TTM stammte von Hans Henning Paar, der Chor wurde von Jörn Hinnerk Andresen einstudiert, die wahrlich nicht leichte Aufgabe der Programmkoordination hatte Gabriele Brousek zu bewältigen. Für die szenische Einrichtung und Spielleitung zeichnete Thomas Schramm verantwortlich, am Inspizientenpult saß Andreas Ehlers. Rolf Essers beleuchtete ganz ausgezeichnet und Dirk Buttgereit und Daniel Ployer betreuten den Ton hervorragend.
Der Abend begann mit einem Stück, mit dem ich auch meine erste aktive Erinnerung an das schönste Theater Münchens verbinde. Irgendwann in den Neunzigern hatte ich hier eine MY FAIR LADY gesehen und bis heute ist es eines meiner Lieblingsstücke. Marianne Larsen, die die Rolle der Eliza lange hervorragend verkörpert hat, trat im Kostüm ihrer anderen Glanzrolle auf: Mrs Lovett aus SWEENEY TODD. In diesen beiden Partien konnte sie ihr großartiges Musicaltalent voll ausspielen, wollte man mehr davon sehen, musste man ziemlich weit nach Osten fahren. Sie bot ihrer würdigen Rollennachfolgerin Milica Jovanovic dann auch Pasteten an, die erste war voll Alkohol (was da wohl drin war 😉 ), die letzte war marode und das war natürlich ganz klar das Gärtnerplatztheater. Unterstützt wurden die beiden von Sebastian Campione, Cornel Frey, Hans Kittelmann, Holger Ohlmann und dem Herrenchor.
Nach einem Prolog von Thomas Peters ging es weiter mit dem Überraschungserfolg DIE PIRATEN VON PENZANCE von Gilbert & Sullivan. Diese Stück hat bei mir das Interesse für die Musik des genialen Duos geweckt und seitdem beschäftige ich mich intensiv damit. Wenn das Kampfsignal ertönt schmetterten Thérèse Wincent, Frances Lucey, Ulrike Dostal, Martin Hausberg, der Chor und die Bobbies tanzten ein letztes Mal dazu. Als Schmankerl folgte dann noch das beliebteste Terzett im G&S-Kanon, Als Du uns schnöd verlassen hast, wie immer hinreißend vorgetragen von Rita Kapfhammer, Holger Ohlmann und Robert Sellier.
Sandra Moon sang Tschaikowsky, begleitet von Andreas Kowalewitz, und Neel Jansen und David Valencia zeigten Twin Shadow aus AUGENBLICK VERWEILE. Und weil so ein Dirigent auch wieder von der Bühne in den Graben muss, suchten in der kleinen Pause bis zum nächsten Stück drei fesche Herren im Bademantel die Sauna.
Das Warten hatte sich gelohnt, denn als nächstes stand Gary Martin mit To dream the impossible Dream aus DER MANN VON LA MANCHA an. Schade, dass ich das Stück nie live gesehen habe. Sebastian Campione brachte danach das Haus zum Kochen mit einer extralangen Version seiner Beatbox aus VIVA LA MAMMA. Im Anschluss unterlegte er dann auch noch den etwas abgewandelten Küchenrap aus der OMAMA IM APFELBAUM rhythmisch. Thérèse Wincent und Susanne Heyng zeigten nochmals, dass sie es drauf haben.
Der Chor sang danach Universal Good aus CANDIDE, noch ein Stück, bei dem ich mich ärgere, es nicht gesehen zu haben. Der nächste Programmpunkt, angekündigt durch Hans Henning Paar und Ursula Pscherer, hatte einige interessante Komponenten: konzipiert und einstudiert wurde das Stück von Artemis Sacantanis, ehemalige Solotänzerin und nun Probenleiterin am Haus. Ihr zur Seite standen ehemalige Tänzer des Gärtnerplatztheaters, die jetzt in anderen Berufen am Haus, zum Beispiel Orchesterwart, Probenleiterin oder Leiterin der Kinderstatisterie beschäftigt sind. Ihre Wandlung von „Auf der Bühne“ zu „Hinter der Bühne“ drückte sich sehr schön im Titel inVISIBLEs aus.
Thomas Peters, der am Haus in vielen, vielen Rollen glänzte (unter anderem Freddie in MY FAIR LADY, Dirigent in ORCHESTERPROBE, Toby in SWEENEY TODD und ganz besonders Frosch in der FLEDERMAUS) erinnerte nochmal an sein bezauberndes Stück SHOCKHEADED PETER mit dem Song Der fliegende Robert. Leider habe ich es nur einmal gesehen, anfangs war ich noch nicht ganz so süchtig, zuletzt war ich ja durchschnittlich an vier Abenden in der Woche im Gärtnerplatztheater. Ursache dafür war die Vielfalt und das interessante Programm des Hauses – und das wunderbare Ensemble.
Sehr bewegend war auch der persönliche Abschied von Gunter Sonneson mit Hier im Grandhotel. Ich bin sehr froh, diesen Ausnahmekünstler noch fünfmal als John Styx in ORPHEUS IN DER UNTERWELT erleben zu dürfen. Halt nur leider nicht in München, sondern in Heilbronn.
Im letzten Stück vor der Pause hatten die drei Herren endlich die Sauna gefunden. Das Schiff aus der L’ITALIANA IN ALGERI ist zwar schon vor ein paar Wochen gesunken, aber die beliebteste Szene hatte man offensichtlich retten können. Für Publikumsliebling Stefan Sevenich natürlich ein Heimspiel, für seine beiden Begleiter Cornel Frey und Juan Fernando Gutiérrez hätte ich mir jedoch einen etwas „würdigeren“ Abschied gewünscht.
Zu Beginn des zweiten Teiles erinnerten das Preludio und die Arie Tu del mio Carlo al seno, wunderbar vorgetragen von Elaine Ortiz Arandes, an die sehr gelungene Inszenierung von I MASNADIERI. Das Schlussbild von HÄNSEL UND GRETEL gibt zwar einen wunderbaren Auftritt des Kinderchores her, aber die Solisten Rita Kapfhammer, Ann-Katrin Naidu, Thérèse Wincent und Gary Martin standen etwas verloren herum. Ich kann nur hoffen, dass diese zauberhafte Produktion wiederaufgenommen wird und nicht zu Gunsten einer Eurotrashregie in der Versenkung verschwindet. Das Balkon-Duett aus ROMEO UND JULIA wurde von Hsin-I HUANG und Marc Cloot sehr ansprechend getanzt, wenn mal keine Blätter auf der Bühne rascheln oder unaufhörlich Schnee fällt, gefällt mir moderner Tanz sogar fast.
Der scheidende Staatsintendant Dr. Ulrich Peters hielt eine persönlich gehaltene Abschiedsrede und ich kann mich seinen Worten nur anschließen: das Ensemble in Zeiten der Heimatlosigkeit aufzulösen ist in meinen Augen ein schwerer Fehler. Damit und mit der anscheinend unvermeidlichen Ablösung des im Stadtbild mittlerweile fest verankerten Logos nimmt man der Institution zumindest einen Teil ihrer Identität.
Im Anschluss sangen Franziska Rabl und Ella Tyran mit Unterstützung des Chores die Barcarole aus HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN, auch ein Stück, dass schon länger zurück liegt und das ich nicht gesehen habe. Im FREISCHÜTZ war ich trotz der schrecklichen Inszenierung ziemlich oft, was für die Qualität der Sänger spricht. Christina Gerstberger und Sandra Moon sangen das Duett Ännchen-Agathe vom Beginn des zweiten Aktes. Das Duett Hans-Kezal gehört zu meinen Lieblingsstücken aus DIE VERKAUFTE BRAUT und es war schön, Derrick Ballard und Tilmann Unger damit noch einmal zu hören. Es folgte das Quintett aus der ZAUBERFLÖTE, gesungen von Sandra Moon, Ann-Katrin Naidu, Franziska Rabl, Daniel Fiolka und Robert Sellier. Danach kam noch ein Ausschnitt aus AUGENBLICK VERWEILE und da war ich dann doch ganz froh, dass ich es nicht gesehen habe, denn bei so schnell vorbeihuschenden Szenerien wird’s mir immer schlecht, ganz abgesehen davon, dass ich nicht verstehe, was im Kreis laufen mit modernem Tanz zu tun hat.
Im Anschluss gabs noch das schöne Duett Marie-Wenzel aus DIE VERKAUFTE BRAUT, Stefanie Kunschke und Hans Kittelmann wären auch ein prächtiges Paar gewesen, wenn sie sich nicht jeweils anders entschieden hätten. Der Weibermarsch aus DIE LUSTIGE WITWE machte nochmal so richtig Laune. Daniel Fiolka, Sebastian Campione, Mario Podrečnik, Robert Sellier, Gunter Sonneson, Tilmann Unger und Martin Hausberg mussten sich mit der geballten Weiblichkeit des Theaters zu einer schönen Choreographie von Fiona Copley auseinandersetzen. Thomas Peters hatte noch einen allerletzten Auftritt als Frosch, seine Paraderolle, bevor mit Tutto nel mondo è burla (Alles ist Spaß auf Erden) aus FALSTAFF ein positiver Schlusspunkt gesetzt wurde. Heike Susanne Daum, Sandra Moon, Christina Gerstberger, Ella Tyran, Ann-Katrin Naidu, Franziska Rabl, Gregor Dalal, Martin Hausberg, Hans Kittelmann, Gary Martin, Mario Podrečnik, Robert Sellier und der Chor machten Lust auf die nächste Premiere am 18.05., dann im Prinzregententheater. Am Ende winkten Publikum und Ensemble sich gegenseitig mit weißen Taschentüchern zu und nicht nur bei mir flossen ein paar Tränen.
Mir bleibt nur Danke zu sagen. Danke an alle Beschäftigten des schönsten Theaters Münchens, die für mich die letzten fünf Jahre zu etwas ganz Besonderem gemacht haben. Ich werde die Erinnerung an diese Zeit immer in einer ganz speziellen Stelle meines Herzens bewahren. Danke für viel Heiterkeit und viele Tränen. Danke für emotionale, aufwühlende Stunden und für Lehrreiches.
Danke für so viel Schönes, liebes Gärtnerplatztheater.
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Corinna Klimek am 4. Dezember 2011 13:02 Ich bin sehr zu haben für traditionelle Stücke im neuen Gewand, es muss nur passen. Das war so bei der Butterfly von Doris Dörrie, und auch die Orangen haben mir sehr, sehr, sehr gefallen. Hier jedoch passt nichts. Da ist zum einen die Fassung. Die Übersetzung ist lieblos, der feine Witz, für den Gilbert so bekannt ist, kommt nicht heraus. Der durch die Übersetzer eingeführte Erzähler gehört nicht ins Stück. Er bringt es weder voran, noch muss das Publikum von 2011 an die Hand genommen werden. Damit will ich nichts gegen Thomas Peters sagen, der in dieser Rolle das, was er tun muss, ganz hervorragend macht. Aber hier werden dem Librettisten Gilbert Worte in den Mund gelegt, die er nie geschrieben hat und die ihn, wie ich meine, in einem schlechten Licht erscheinen lassen. So ist zum Beispiel die Szene, in der Yum-Yum und Nanki-Po sich unsinnige und schlecht geschriebene Liebesschwüre an den Kopf werfen und der Erzähler gefühlte 35 Mal sagt: “…und dann sagt wieder er…und dann sagt wieder sie…”, im Original wirklich witzig und vor allem wesentlich kürzer:
NANK. Yum-Yum, at last we are alone! I have sought you
night and day for three weeks, in the belief that your guardian
was beheaded, and I find that you are about to be married to him
this afternoon!
YUM. Alas, yes!
NANK. But you do not love him?
YUM. Alas, no!
NANK. Modified rapture! But why do you not refuse him?
YUM. What good would that do? He’s my guardian, and he
wouldn’t let me marry you!
NANK. But I would wait until you were of age!
YUM. You forget that in Japan girls do not arrive at years
of discretion until they are fifty.
NANK. True; from seventeen to forty-nine are considered
years of indiscretion.
YUM. Besides—a wandering minstrel, who plays a wind
instrument outside tea-houses, is hardly a fitting husband for
the ward of a Lord High Executioner
Zitat aus “The complete plays of Gilbert & Sullivan”
Da fragt man sich dann schon, wie intensiv man sich mit dem Originallibretto beschäftigt hat. Oder mit den Wünschen Gilberts zur Umsetzung:
Gilbert told a journalist, “I cannot give you a good reason for our … piece being laid in Japan. It … afforded scope for picturesque treatment, scenery and costume,…
Gilbert, W. S. “The Evolution of The Mikado”, New York Daily Tribune, 9 August 1885
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Bühne und Kostüme sind irgendwie lieblos. Die bedruckten Anzüge der Männer sind von weiter weg nicht mehr zu erkennen, und auch von ihnen tragen manche weiß. Das mag zwar zu Ko-Ko als Farbe der Trauer passen, aber bei den Adeligen, die der Männerchor am Anfang ja darstellen soll, passt es nun mal überhaupt nicht. Ebenso wie die gelben Ärmel später, gelb ist die Farbe des Kaisers. Wenn man das Stück nicht im farbenprächtigen Originalsetting spielen lassen will, muss man vermutlich ganz weg von Japan. Die English National Opera hat eine relativ erfolgreiche Inszenierung in den Zwanzigern in einem englischen Badeort spielen lassen. Russland könnte ich mir auch gut vorstellen. Aber nicht dieses Japan, das so nicht existiert. Gilbert hatte den Ort möglicherweise zufällig ausgesucht, in der Umsetzung wollte er aber akkurat sein und hat unter anderem eine Japanerin damit beauftragt, den Sängern die richtigen Bewegungen beizubringen. Davon ist man hier leider meilenweit entfernt. Außerdem ist die Bühne nicht ungefährlich. Der rote “Teppich” wackelt wie ein Kuhschwanz, wenn sich zwei Menschen darauf bewegen, bietet wenig sichere Standfläche und ist bei der Premiere auch schon zur Seite gekippt. Die Kästen sind nicht standfest und rutschen, wenn die Sänger mit etwas Schwung darauf steigen.
Am allerschlimmsten ist aber die letzte Szene von Ko-Ko und Katisha. Wie man in diese Worte eine “perverse Sexualität” hinein interpretieren kann, ist mir ein absolutes Rätsel. Abgesehen davon, dass man vielleicht mal den Gebrauch des Wortes “pervers” überdenken sollte. Es gibt einige Stücke im G&S-Kanon, die sich unterschwellig mit Sexualität beschäftigen, DER MIKADO gehört jedoch nicht dazu. So wird man sicher keine Gilbert&Sullivan-Tradition in Deutschland wiederbeleben können.
Musikalisch war es mal wieder sehr, sehr gut. Mario Podrečnik als Nanki-Po und Thérèse Wincent als Yum-Yum ergänzten die Premierenbesetzung aufs Beste. Besonders Stefan Sevenich, der den Mikado mit ironischer Distanz und der Beweglichkeit singt und spielt, die die ihm zugeordnete Musik erfordert, und Rita Kapfhammer, die der Katisha mehr Tiefe verleiht, als der Übersetzer ihr zugebilligt hat. Wie schön wäre es, wenn sie ihr Schulterblatt selbst anpreisen dürfte! Gunter Sonneson ist eine Idealbesetzung für den Ko-Ko, das kann man sicher nicht besser machen. Aber auch die restlichen Solisten, Chor und Orchester waren an diesem Abend fast noch besser als bei der Premiere und tatsächlich sprang ein Funke auch schon vor der Pause zum Publikum über.
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Corinna Klimek am 16. November 2011 21:52 [singlepic id=1064 w=320 h=240 float=left]
Herr Sonneson, herzlichen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben für ein Interview auf dem Blog „Nacht-Gedanken“. Erzählen Sie uns doch bitte etwas zu Ihrem Werdegang.
Jeder, der sich für eine Theaterkarriere als Sänger oder Schauspieler entscheidet, sollte wissen, dass dazu nicht nur Talent und Disziplin gehören, sondern auch viel Glück. Also, ich hatte großes Glück. Es begann schon in der Schule, wo mich mein Musiklehrer überredete, im Schulchor zu singen (es war ein Mädchenchor). Musische Erziehung, erste Stimmbildung, chorisches Singen, Akkordeon- und Gitarrenunterricht habe ich ihm zu verdanken. Seinem Wunsch, klassischen Gesang zu studieren, habe ich allerdings nicht entsprochen. Lieber sang ich zur Gitarre Chansons und Schlager. Nach einem dieser Auftritte fragte mich ein Schauspieler lapidar: Warum gehst Du nicht zum Theater? Weil ich neugierig war, ging ich also zum Theater. Als Autodidakt sang ich im Chor, tanzte im Extraballett, spielte kleine Rollen im Schauspiel. An diesem Provinztheater hatte ich das Glück, dass ich einen Oberspielleiter hatte, der mich zu einer fundierten Ausbildung drängte. Weil ich aber am Theater bleiben wollte, wählte ich die Form des externen Studiums, spielte und studierte parallel, lernte das Handwerk also von der „Pike“ auf, legte nach 5 Jahren die Bühnenreifeprüfung ab und erhielt gleichzeitig ein Engagement als singender Schauspieler am Metropoltheater Berlin. Es folgten 25 herrliche Jahre, die für meine Entwicklung sehr wichtig waren, und in denen ich mich in der Vielseitigkeit meines Berufes so richtig austoben konnte. Das waren Operetten- und Musical-Rollen im Theater, Verpflichtungen als Schauspieler in Kinofilmen und Fernsehspielen, Synchronsprecher, Auftritte als Entertainer im Friedrichstadt-Palast und als Moderator und Sänger in Fernsehshows.
Der Co-Produktion der Kollo-Operette „Wie einst im Mai“, zwischen dem Metropoltheater und dem Staatstheater am Gärtnerplatz, habe ich zu verdanken, dass ich, zunächst als Gast, nach München kam. Aber schon während der Probenzeit machte mir Professor Matiasek das Angebot, doch fest in das Ensemble zu wechseln. Es folgten 4 Jahre, in denen ich fixe Verträge an beiden Theatern hatte, dann wurde das Metropoltheater weggespart. Jetzt heißt es wieder Admiralspalast und ist ein Theater ohne Ensemble und ohne Seele.
Das heißt, Sie konzentrieren sich jetzt eher aufs Singen und nicht aufs Schauspielen?
Ich glaube, das kann man nicht trennen. Außerdem stehe ich auf der Bühne mit Kollegen, die gute Darsteller sind und die sich gesanglich in einer anderen Liga befinden. Wenn man sich als junger Schauspieler für das Musiktheater entscheidet, weiß man natürlich, dass man nicht mehr den Romeo zu spielen bekommt. Wobei ich gestehen muss, ich habe nicht gedacht, dass mit meinem Umzug nach München die Verpflichtungen bei Synchron, Film und Fernsehen völlig wegbrechen. Es haben sich aber in München andere Felder erschlossen. Ich konnte an anderen Theatern gastieren, auch im Schauspiel. So habe ich am Staatstheater Meiningen die Titelrolle in „Der Entertainer“ gespielt, am Schauspielhaus in Baden-Baden den Magier in der deutschen Erstaufführung „Hotel zu den zwei Welten“, habe an vier Theatern den Higgins gespielt und „My Fair Lady“ am Bayerischen Landestheater inszeniert. Aber die Unterschiedlichkeit der Rollen, die ich am Gärtnerplatztheater spielen durfte, von Sancho Pansa in „Mann von La Mancha“, Calicot in „Madame Pompadour“ bis hin zum Kringelein im „Grand Hotel“ haben mich nicht nur als Sänger, sondern auch als Schauspieler voll gefordert.
Hilft Ihnen Ihre szenische Ausbildung auch bei der musikalischen Ausgestaltung der Rolle?
Jedenfalls ist sie nicht hinderlich. Ich hatte ja das ganz große Glück, eine Sprecherzieherin zu haben, Frau Hildegard Pürzel, der ich sehr zu danken habe. Sie hat nämlich die Sprecherziehung am Klavier gemacht, und wir haben Übungen gemacht, die die Sänger auch machen. Sie hat aber viel mehr Wert auf den Inhalt gelegt. Also, sie hat nicht gesagt: „Du singst jetzt Bla-bla-bla“, sondern sie hat gesagt: „Du musst dir genau dabei etwas denken, wenn du jetzt diese Übung singst. Auch wenn du es nur auf Vokalisen singst.“ Und das haben wir so weit getrieben, dass sie manchmal erraten hat, was wir gedacht haben. Dieses „immer an den Inhalt denken“ war so ungeheuer wichtig für meine Ausbildung.
Welche Musikrichtung hören Sie privat?
Das ist ganz unterschiedlich. Aber schon durch meinen Sohn werde ich gezwungen, mir aktuelle Popmusik anzuhören und mich damit auseinander zu setzen. Einiges gefällt mir sogar. Ich bin mit der Musik der Beatles groß geworden; mit den Anfängen der Popmusik, die wir damals noch Beat nannten, und dieser Art von Musik bin ich eben verhaftet. Aber natürlich höre ich auch andere Musik. Sehr oft z.B. die Brandenburgischen Konzerte. Aber jedes Ding zu seiner Zeit, und das richtet sich auch nach meiner momentanen Stimmung.
Welche Sprachen sprechen Sie, und in welchen Sprachen spielen oder sprechen Sie?
Ich spreche keine Fremdsprache so, dass ich sie auf der Bühne einsetzen kann. Deshalb singe ich auch nicht in einer anderen Sprache, was mich im Laufe der Jahre sehr, sehr geärgert hat. Ich bin ein großer Fan von Jacques Brel und habe am Opernhaus Halle mit einer Big Band auch mal einen Jacques-Brel-Abend gegeben. Obwohl es gute Nachdichtungen seiner Texte gibt, habe ich sehr bedauert, dass ich diese herrlichen Chansons nicht in der authentischen Sprache singen konnte.
Welche Opern- oder Operetten- oder Musical-Aufnahme, also Sachen, die Sie selber spielen bzw. singen, hören Sie privat am liebsten?
Hmm. (Lacht.) Eigentlich gar nichts. Ich höre mir Dinge an, die mich interessieren, oder von denen ich glaube, dass es lohnend ist, sich mit ihnen zu beschäftigen. Wirklich nur ein Gelegenheitshörer. Queen gehört aber ebenso dazu wie Sinatra. Übrigens, die Musik von Rio Reiser hat viele Musiker in Deutschland beeinflusst. Seine Musik und seine Interpretation sind sehr beeindruckend.
Haben Sie musikalische oder szenische Vorbilder?
Nein, eigentlich nicht. Aber wenn ich sage, dass ich mir gern Brel oder Reiser anhöre, dann natürlich auch, um von ihnen zu lernen. Ich bin auch ein ausgesprochener Fan von Buster Keaton, aber auch von James Steward. Schauspieler, die schnörkellos, uneitel und mit einer herrlichen Naivität spielen. Ich mag Darsteller, die mit so einer ungeheuren, ich sage mal, professionellen Naivität an die Rollen herangehen. Von deutschen Schauspielern möchte ich unbedingt Ulrich Tukur erwähnen: ein großartiger Schauspieler und Entertainer.
Sie sind auch auf Kreuzfahrtschiffen als Entertainer unterwegs. Haben Sie auch noch andere internationale Auftritte?
Ja, die hatte ich. Aber nur mit meinen kabarettistischen Soloprogrammen. Damit war ich immerhin in Frankreich, Österreich, Syrien und Jordanien. Das war aber noch zu Zeiten der DDR, wo die Künstler dieses Landes als Exoten galten, wo man neugierig war, wie sich die Widersprüche ihrer Gesellschaft in den Texten und Liedern wiederfinden. Vieles musste man aber vor den Geschichten erst erklären. Das führte manchmal dazu, dass die Erklärung der Widersprüche mehr Heiterkeit auslöste als die folgende Darbietung.
Da ich seit 25 Jahren auf Kreuzfahrtschiffen die Weltmeere als Entertainer bereise, habe ich aber viele Länder, das heißt viele Hafenstädte gesehen. Diese Auftritte, hautnah vor dem Publikum, mit dem man während der jeweiligen Reise ja auch lebt, finde ich besonders reizvoll. Ein schöner Kontrast zur großen Theaterbühne.
Was tut Ihrer Stimme gut und was ist gar nicht gut, oder was schadet ihr?
Es tut meiner Stimme ungeheuer gut, wenn sie gefordert wird, wenn sie am Laufen ist. Mir tut es überhaupt nicht gut, wenn ich zum Beispiel sechs Wochen lang nicht auf einer Bühne stehe. Der Einsatz der stimmlichen Mittel auf der Bühne unterscheidet sich ja schon physisch vom Singen und Sprechen im stillen Kämmerlein. Meine Lehrerin hat mir immer wieder eingeimpft, etwas für die Stimme zu tun, sie fit zu halten. Ich habe immer noch das kleine Übungsheft, das sie für uns angelegt hat, wo sie nicht nur Übungen hineingeschrieben hat, sondern auch Merksätze. Einer der ersten Merksätze lautete: „Auf die Haltung kommt es an.“ Ich glaube, dieser Satz war für mich ungeheuer wichtig. Das meint: Die Haltung zur Gesellschaft, die Haltung zur Umwelt, die Haltung zum Stück, die Haltung zum Partner, die Haltung zu politischen Ereignissen und zum Theater. Da sind neben diesen Merksätzen aber auch viele Übungen darin, und die mache ich heute noch. Täglich und oft ganz nebenbei. Ich spreche mich also ein. Meine Kollegen machen sich immer schon lustig, denn wenn ich ins Theater komme, hört man schon meine Übungen, noch bevor ich die Garderobe betreten habe. Vordersitz und Lockerung der Stimme sind eben sehr wichtig.
Wie diszipliniert müssen Sie in Ihrem Beruf leben?
Mit zunehmendem Alter disziplinierter. In jungen Jahren war ich oftmals recht leichtsinnig, bin auch leichtfertig mit den Angeboten umgegangen, die ich bekommen habe. Aber ich habe seit dreißig Jahren nicht mehr geraucht. Ich trinke zwar ab und zu sehr gern Rotwein, aber wenn eine Vorstellung ansteht, ist auch der Alkohol tabu. Wütend macht es mich aber auch, wenn ich Besuch bekomme, und man mir schon zur Begrüßung sagt: „Entschuldigung, ich bin etwas erkältet.“ Dann kann man eben nicht jemanden besuchen, der mit der Stimme seine Brötchen verdient.
Kommen wir zur Neuproduktion DER MIKADO von Gilbert & Sullivan. Sie haben die Rolle des Koko übernommen. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Ich habe mir rechtzeitig das Textbuch geben lassen und habe mir sehr zeitig von unserem musikalischen Leiter, Benjamin Reiners, die Musik vorspielen lassen, und habe mir Gedanken gemacht zu meiner Figur. Immer wieder vor Augen haltend: Die Haltung. Welche Haltung beziehe ich? Die ist ja nicht unwichtig, wenn einer die Seiten wechselt, als einer, der zum Tode verurteilt ist, „begnadigt“ wird, um nun Henker zu werden. Wie verhält der sich auf einmal, wenn er auf einer ganz anderen gesellschaftlichen Ebene sich bewegt? Das war für mich sehr wichtig. Ansonsten habe ich es mir schon lange abgewöhnt, mich intensiv so auf ein Stück so vorzubereiten, dass ich mit ganz klaren Vorstellungen in die szenischen Proben gehe, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass das nur hinderlich ist, wenn man dann konfrontiert wird mit den Vorstellungen des Regisseurs, denn seine Sicht lerne ich ja erst bei Probenbeginn, bei der Konzeptionsbesprechung kennen. Es ist viel schwieriger, von gefassten Vorstellungen abzukommen, als völlig naiv und unbelastet an Dinge heranzugehen, auszuprobieren und zu sehen, ob das, was der Regisseur vorschlägt, der Figur dienlich ist, theatralische Möglichkeiten ausschöpft und die Funktion der Figur erfüllt, auch im Kontext zu den Partnern, mit denen man ja gemeinsam auf der Bühne steht.
Sie haben es vorhin schon angesprochen: Der Koko, der vom Opfer zum Täter wird und wieder zurück. Erzählen Sie uns noch ein bisschen von Ihrer Partie.
Ja. Also, das ist schon eine herrlich groteske Geschichte. Koko ist zum Tode verurteilt, weil es in Japan wohl verboten war, zu flirten. Er hat geflirtet und wurde deshalb zum Tode verurteilt. Er wurde aber begnadigt, weil in Titipu gerade die Position des Scharfrichters neu zu besetzen war, und der Kaiser, also der Mikado, hat gedacht: Na, dann machst du den einfach zum Scharfrichter. – Was für die Beamten dort natürlich ein Schock war. Die wussten ja, der war vorher ein zum Tode verurteilter Flickschneider und kommt jetzt hierher, kann jetzt die Macht ausüben und könnte jetzt auch uns hinrichten. Keiner weiß, das ist ein windiger Trick der Autoren, dass der Mann kein Blut sehen kann und sich deshalb weigert, jemanden zu köpfen. Er muss es dann letztendlich doch machen. Schlitzohrig, wie er ist, kommt er aber darum herum und wählt das kleinere Übel, indem er die Frau heiratet, von der immer gesagt wird, dass sie so furchtbar hässlich ist. Aber um seinen eigenen Kopf zu retten, springt er eben ins kalte Wasser, macht ihr Liebeserklärungen, die ungeheuer verlogen sind, aber so rettet er sich, rettet sein Leben und trägt dazu bei, dass diese Operette doch noch ein gutes Ende findet.
Nanki-Poos Stern steigt, und im Gegenzug sinkt Kokos Stern. Sehen Sie ihn als tragische Figur?
Tragikomisch. So wie Buster Keaton, der auch oft mit Materie und der Tücke des Objektes kämpft. Aber Koko lernt sehr schnell von seinen neuen Mitmenschen, von den Beamten, unter denen er sich ja nun bewegt, und kann sich dann auch mit seiner Bauernschläue sehr findig sogar gegenüber dem Kaiser aus der Affäre ziehen. Also, er ist schon ein Schlitzohr, und die Schlitzohrigkeit dieser Figur geht durch das ganze Stück und macht sie so interessant und reizvoll.
Glauben Sie, Koko kann mit Katisha, die ihm aufs Auge gedrückt wird, glücklich werden?
Sie ist das kleinere Übel. (Lacht) Er hat aber auch keine andere Wahl. Es klingen so Dinge an, ganz dezent, für einen guten Beobachter aber sichtbar, dass Katisha von einer gewissen Perversität ist, die Koko vielleicht noch nie erlebt hat und von der er eventuell immer geträumt hat. Ob das nun die Grundlage einer dauerhaften Beziehung sein kann, möchte ich nicht behaupten. Aber, wie heißt es bei Fontane: „Das ist ein weites Feld“.
Woran machen Sie diese sexuelle Perversität fest? Also, ich kenne das Libretto nur auf Englisch, bisher, da ist mir eigentlich nichts derartiges aufgefallen.
Sehen Sie, das ist doch das Schöne am Theater, dass man mit Haltungen Dinge und Vorgänge deutlich machen kann, die nicht im Textbuch stehen, dass man damit auch die Phantasien der Zuschauer anregen kann und sie Dinge erkennen, ohne dass diese ausgesprochen werden.
Ist es eine traditionelle Inszenierung?
Da müssten wir erst einmal den Begriff „traditionell“ klären. Auf keinen Fall aber ist es eine naturalistische Inszenierung. Holger Seitz hat ja schon von diesen Autoren sehr erfolgreich DIE PIRATEN VON PENZANCE inszeniert und die Strickmuster beider Stücke sind ähnlich, aber es gibt andere Figuren, andere Situationen, andere Haltungen, andere Konflikte, andere Spielorte. Wer sich aber bei den PIRATEN amüsiert hat, sollte es eigentlich auch bei MIKADO können. Ich hoffe es.
Hatten Sie Freiheiten bei der Interpretation Ihrer Rolle?
Im Musiktheater ist man, anders als im Schauspiel, leider viel mehr Ausführender als jemand, der kreativ etwas einbringt und sehr aktiv die Szene mitgestalten oder verändern kann. Das ist aber nur natürlich, denn hier habe ich nicht nur die Partner, die mit mir die Szene bestreiten, Chor und Orchester spielen eine nicht unwesentliche Rolle bei der szenischen Realisierung und neben den szenischen Vorgängen sind Lieder zu interpretieren und oft auch tänzerisch zu gestalten. Ich mache aber immer Angebote, die zum Teil sehr spontan sind und eigentlich aus meiner Erfahrung aus dem Schauspiel resultieren und nicht den Anspruch erheben, richtig oder konsequent zu sein. Dann muss man natürlich auch damit leben, dass vorne einer sitzt und ruft: „Vergiss es!“, und dann lässt man das eben wieder sein. In der DDR gab es die Theaterzeitschrift „Theater der Zeit“. Da gab es auch immer bestimmte Themen, über die diskutiert wurde. Einmal zum Thema: Wie stelle ich mir die Arbeit eines guten Regisseurs vor. Dazu gab es seitenweise Abhandlungen. Ein Kollege aber schrieb den treffenden und tollen Satz: „Er wählt mit Geschmack aus der Fülle der Angebote.“ Ich glaube, das ist sehr wichtig: einem Regisseur etwas anzubieten, und er muss in der Lage sein, zu sagen: Passt das zu meiner Inszenierung, oder würde das den Rahmen sprengen. – Es gibt Sätze, die für mich zum Credo geworden sind, und das bis zum Ende, das ja jetzt für mich abzusehen ist.
Dazu komme ich später noch. – Was gefällt Ihnen am besten an Ihrer Partie, und was ist das Schwierigste daran?
Ich weiß es noch nicht. Wir sind leider, da wir alle Rollen doppelt besetzt haben – obwohl wir jetzt fast schon kurz vor der Premiere stehen –noch nicht so weit, dass wir mal mehrere Bilder hintereinander probiert haben. Ich kann also noch nicht sagen, wie schwer es wird in der Abfolge von Szene, Tanz und Gesang die Kräfte richtig einzuteilen, um nach einer anstrengenden Tanzeinlage wieder ruhig in die nächste Szene zu kommen. Diese Vielfalt der Mittel ist sowohl das Beste als auch das Schwierigste an dieser Rolle.
Es gibt ja dieses Couplet des Koko: „I’ve got a little list“ – ich weiß gar nicht, wie es im Deutschen heißt. Damals wurden Politiker und andere Menschen durch den Kakao gezogen, aber in einer Weise, die ich heute als sexistisch und rassistisch bezeichnen würde. Es bietet sich ja an, das zu aktualisieren. Wen ziehen Sie diesmal durch den Kakao?
Die Geschichten in diesem besagten Couplet „Ich habe eine Liste hier“, waren mir in der vorliegenden textlichen Vorlage alle zu fade. Aber sexistisch oder rassistisch war dieser Text nicht, sondern er war einfach antiquiert. Da ich ja damit vor dem Publikum stehe, habe ich meinen Kollegen Fritz Graas angerufen, der für mich immer schon die Texte für das Couplet in Boccaccio geschrieben hat und habe gesagt „Fritz, lies dir mal diesen Text durch, der geht nicht, so kann man das nicht machen.“ Das hat er sofort eingesehen und mir einen kabarettistischen Text geschrieben, der weder rassistisch oder sexistisch ist, aber die Leute benennt, auf die wir in der Gegenwart gut verzichten können.
Also es heißt, es wird auch im Laufe der Spielzeit immer auch mal wieder aktualisiert?
Ja, unbedingt, wir wissen ja noch nicht, was sich in der kommenden Zeit so an tagesaktuellen Dingen ereignet. Da das Couplet aus einer Aneinanderreihung von Vier – und Zweizeilern besteht, dürfte die Aktualisierung nicht so kompliziert sein.
Gibt es musikalische Besonderheiten, die den Koko charakterisieren?
Nein, das ist im Grunde nicht der Fall. Es sind alles sehr rhythmische Songs, die die jeweilige Situation bedienen, ergänzen oder einen Bezug zur nächsten Szene darstellen. Eigentlich ist die große Ausnahme sein verlogenes Liebeslied, das getragen ist und so aus dem Rahmen fällt.
Noch ein paar allgemeine Fragen zum Schluss: Haben Sie Lampenfieber vor einem Auftritt, und wenn ja, was tun Sie dagegen?
Ich habe ungeheures Lampenfieber, und alle sagen: „Meine Güte, du bist doch ein alter Hase!“ Und es ist ganz merkwürdig, ich glaube, das Lampenfieber wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Ich mache mich dann schon selber fertig, indem ich Textpassagen tausendmal wiederhole, immer wieder versuche, vorher noch die Stimme warmzuhalten, mich einzusprechen, am Kostüm rumzuzupfen oder irgendwas. Ich weiß auch ganz genau, dass ich am 19. November spätestens ab Mittag furchtbare Magenbeschwerden haben werde. – Aber sobald ich auf der Bühne stehe, sollte das Lampenfieber weg sein.
Was empfinden Sie als das Beste an Ihrem Beruf, und was nervt Sie daran?
Also, ich finde es ungeheuer gut, dass man körperlich und geistig immer gefordert wird und sich fit halten muss. Man kann in andere Rollen schlüpfen, man kann – was ich sehr gerne mache – Menschen beobachten und ihre Haltungen dann vielleicht sogar mal benützen, und sollte sich jemand wiedererkennen, ist das dann ja durchaus beabsichtigt.
Manchmal nervt es, aber das gibt es wohl in jedem Beruf, wenn Auseinandersetzungen nicht um der Sache willen, sondern aus persönlicher Eitelkeit geführt werden.
Haben Sie noch eine Wunschpartie?
Ja. – Ja. Aber diese Wunschpartien, die wird man mir nicht erfüllen können, weil ich am Gärtnerplatztheater mit MIKADO ja jetzt meine letzte Premiere habe. Also, Wünsche, die sich nicht erfüllten: Ich hätte gern z.B. in „Tanz der Vampire“ den Professor gespielt, oder in „Les Miserables“ den Thenardier. Charakterrollen, die eigentlich meinem Alter angemessen sind, die aber immer noch die Möglichkeit bieten, zu zeigen, dass man sprachlich, gesanglich, körperlich und geistig noch fit ist.
Sie haben vorhin gesagt, Sie haben auch einen Beruf gelernt. Standen Sie irgendwann mal vor der Überlegung, auch etwas anderes zu machen als singender Schauspieler? Oder: Was wären Sie in einem anderen Leben geworden?
Also, die Frage hat sich eigentlich für mich so nicht gestellt. Ich bin heilfroh, dass dieses Talent entdeckt wurde, weil ich glaube, ich wäre als Elektriker schon längst an versehentlichen Stromschlägen zugrunde gegangen. Ich habe auch keinen anderen Beruf gefunden, wo ich gesagt hätte: Der würde mich interessieren. Sozusagen bin ich mit meinem Beruf ein sehr, sehr glücklicher Mensch und freue mich, dass ich das machen konnte, wovon heute junge Darsteller ja nur träumen können: dass ich in diesem Beruf 50 Jahre in festen Engagements tätig war.
DER MIKADO ist Ihre letzte Premiere an diesem Haus. Können Sie uns einen Ausblick auf die Zukunft geben?
Nein, leider nicht. Ich habe noch einen Gastvertrag an der Musikalischen Komödie in Leipzig, die jetzt allerdings auch um ihre Existenz bangen muss, weil man sparen will in der Stadt Leipzig, und natürlich nicht diese Renommee-Häuser wie Gewandhaus oder Oper schließen will, sondern sagt: Dann muss eben vielleicht die Operette daran glauben. Deshalb weiß ich nicht, ob ich dort weiterhin Gastverpflichtungen haben werde. Der künftige Intendant des Gärtnerplatztheaters hat mich gefragt, ob ich ihm auch als Gast zur Verfügung stehe. Ich habe das bejaht, aber ich glaube, diese Frage hat er dem gesamten Ensemble gestellt, und etwas Konkretes gibt es nicht für mich. Ich werde mich also ab Mai in meinen Garten zurückziehen und werde Rasen mähen, Bäume beschneiden oder andere Schäden anrichten.
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Das empfinde ich als Verlust für München.
Ich hatte nicht gedacht, dass meine Tätigkeit am Gärtnerplatztheater so zu Ende geht. Nach fast zwanzig Jahren in diesem prächtigen Ensemble, lapidar einen Zettel zu bekommen mit der Mitteilung der Nicht-Verlängerung, was nichts anderes heißt als Kündigung. Ich kann es mir eigentlich auch noch gar nicht vorstellen, ohne Theater zu sein. Meine Frau bangt auch davor, weil sie sagt: „Mit wem wirst du dich in Zukunft streiten?“ Jetzt habe ich immer noch Kollegen oder Regisseure, mit denen man sich streiten, reiben und auseinandersetzen kann. Auseinandersetzungen sind in unserem Beruf sehr wichtig, durch sie kommt man oft zu verblüffenden Ergebnissen.
Dann bleibt mir nur übrig, Toi-toi-toi zu wünschen für die Premiere von DER MIKADO und alles Gute für die Zukunft!
Ja. Also, ich wünsche mir wirklich eine sehr, sehr schöne Premiere. Ob es eine berufliche Zukunft gibt, das werde ich erst noch sehen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
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Corinna Klimek am 27. Juli 2011 18:10 Wenn ich richtig mitgezählt habe, war das die 25. Vorstellung dieser Inszenierung, die ich besucht habe. Und ich habe keine Minute bereut.
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Das auffälligste an dem Gesamtkunstwerk “Die Piraten von Penzance” ist die unglaublich positive Energie, die davon ausgegangen ist. Ob es nun an den Melodien, dem Ensemble, der Regie, der Bühne, den Kostümen, dem Licht lag? Vermutlich an allem zusammen. Das schönste Theater Münchens bot aber auch ideale Bedingungen für eine gelungene Inszenierung: gute Sänger, das waren an diesem Abend Stefan Sevenich, der dem Piratenkönig noch ein Hauch mehr komische Durchschlagskraft verlieh als sonst, Heike Susanne Daum, die die Mabel resolut spielte und fein sang und Robert Sellier, dessen Frederic einfach unglaublich schön gesungen und unglaublich komisch gespielt war. Den drein ein nichts nach standen Sebastian Campione als Samuel, Gunter Sonneson als Generalmajor, Martin Hausberg als Sergeant und Frances Lucey, Carolin Neukamm und Ulrike Dostal als die Leading Ladies der Töchterschar, nur Susanne Heyng war mir persönlich etwas zu sehr zurückhaltend.
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Ich bin sehr gespannt, ob die Neuinszenierung von “Der Mikado” in der nächsten Spielzeit wieder diese Leichtigkeit, diesen Witz und diese ironische Überzeichnung schafft, die das Münchner Publikum so ins Herz geschlossen hat. Das wäre ja dann zumindest ein Trostpflaster. So bleibt mir nur zu sagen: ByeBye Piraten, Bobbies, Mädchen, Generalmajor und Ruth (sind die beiden nicht ein allerliebstes Paar?), Sergeant und Edith, Samuel und Kate, Frederic und Mabel, Piratenkönig! Ich hab Euch in mein Herz geschlossen.
alle Bilder © Lioba Schöneck
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