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NachtMusik am 12. März 2012 18:43 [singlepic id=1148 w=320 h=240 float=left]Sehr geehrter Herr Glanert, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, uns ein Interview zu geben. Sie haben die Oper Joseph Süß komponiert. Würden Sie uns als erstes etwas zu Ihrem Werdegang erzählen?
Ich bin 1960 in Hamburg geboren, habe keinen sonderlich musikalischen Elternhaushalt gehabt – eher bildungsbürgerlich, mein Vater war einer, der ein Abonnement an der Oper und fürs Konzert hatte, wie sich das damals gehörte. Das hat mir wunderbar gefallen. Ab dem ersten Moment, wo er mich in die Oper mitgenommen hat – ich glaube, es war die Zauberflöte – bin ich dem verfallen gewesen. Meine zweite Oper war übrigens Die Soldaten von Zimmermann, die ich damals so schrecklich fand, dass ich sechsmal hingegangen bin. Und seitdem habe ich es geliebt, bis heute, es ist ein grandioses Werk. Ich habe dann in der Schule das Glück gehabt, zwei sehr gute Musiklehrer zu haben, die mich sehr förderten. Ich habe selber aber kein Instrument gespielt, bei uns zuhause gab es keinen Platz für ein Klavier, und habe dann mit Trompete bei der Feuerwehrkapelle angefangen. Später habe ich dann auf Tenorhorn gewechselt, aber in der Schule lernte ich dann mein Hauptinstrument: Kontrabass. Damit war ich dann auch im Schulorchester und in diversen Jugendorchestern tätig, vor allen Dingen im Hamburger Jugendorchester. Das ist gar nicht mal so unwichtig, weil ich von dieser praktischen Seite ein Orchester von innen kennengelernt habe. Wie das zusammenhängt, wie das funktioniert, wie Instrumente gehen, wo die Spieler Mühe haben und wo die Spieler sehr einfach Dinge produzieren können. Und gleichzeitig – so mit elf, zwölf, glaube ich – habe ich angefangen, zu komponieren. Die ersten Aufführungen fanden mit dem Schulorchester statt. Mein Vater hat mich dann prüfen lassen, ob das einen Studiengang wert ist, und der Prüfer hieß Diether de la Motte, da war ich fünfzehn. Er hat das nicht nur positiv entschieden, sondern hat auch gesagt, daß ich das Studium später bei ihm beginnen könnte. So habe ich das große Glück gehabt, bei Diether de la Motte einsteigen zu können in die Welt der Komposition. Das war ein wunderbarer Lehrer für den Beginn. Er ging dann weg aus Hamburg. Später bin ich dann zu Henze gegangen, auf Anraten von einem guten Freund. Bei Henze war ich dann tatsächlich vier, fünf Jahre.
Jetzt zu dem Joseph Süß. Das war ja ein Auftragswerk. War damals festgelegt in Bremen: speziell dieses Werk? Oder konnten Sie da frei entscheiden? Oder war das ein Vorschlag vom Haus?
Das war eine sehr lustige Geschichte, die auch der Intendant von damals, Herr Pierwoß, sehr gerne erzählt. Und zwar hatte ich aus purem Zufall fünf Jahre vorher das Buch von Feuchtwanger gelesen und war begeistert, gerade von diesem dramatischen Sog, den dieser Roman hat, und ich dachte mir: das wäre doch phantastisch, wenn man einen solchen Sog auf die Bühne bringen könnte, der von A nach Z wirklich in einem durchgeht, mit einem Thema, das uns alle angeht. Und dann rief mich der Herr Pierwoß an und fragte, ob ich Lust hätte, eine große Oper zu schreiben, und ob wir uns mal treffen sollten. Das haben wir gemacht, und dieses Gespräch dauerte, glaube ich, zwei Minuten. Er fragte mich nämlich, ob ich Lust hätte, Joseph Süß zu machen, und ich habe Ja gesagt. Ab da haben wir nur noch Rotwein getrunken. All der Rest, also das Honorar, die Librettofrage und so weiter, die kamen später. Das war das kürzeste Auftragsgespräch, das ich je hatte.
Wie kam Joseph Süß dann hier ans Gärtnerplatztheater in München?
Das hat vielfältige Gründe gehabt. Das Stück wurde ja in Bremen uraufgeführt, kam dann nach Regensburg und dann nach Heidelberg, das war die dritte Inszenierung. Dann ist es eine ganze Weile nicht gespielt worden. Plötzlich gab es drei Inszenierungen hintereinander weg: Trier, Krefeld und Mönchengladbach, München. Guy Montavon und Ulrich Peters haben, glaube ich, unabhängig voneinander das Stück kennengelernt, ich weiß aber nicht, wo, das kann ich nicht sagen. Sie wussten aber über das Stück erstaunlich gut Bescheid. Vielleicht haben sie es in Regensburg oder in Heidelberg gesehen. Dann kam Roger Epple ins Spiel – er war ja der Uraufführungsdirigent von Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung zwei Jahre später in Halle – zu dem ich sowieso einen sehr guten Draht hatte, er kannte das Stück vom Lesen. Nun wollte es eben der Zufall, dass Peters, Montavon und Epple eine Konkordanz gebildet haben hier am Gärtnerplatztheater. Das war zuerst für Freischütz, Epple und Gärtnerplatz; Montavon und Epple haben aber auch schon andere Produktionen zusammen gemacht. Nun hat Peters Montavon eingeladen, Montavon fragte Peters nach einem Dirigenten, und der sagte: Epple. Und dann kam sehr schnell mein Stück ins Spiel. Das sind diese kommunizierenden Röhren.
Welche Besonderheiten gibt es gerade in Joseph Süß?
Besonders finde ich die Struktur der Erinnerung: Die Setzung des Librettisten Werner Fritsch ist gewesen, dass wir die Quasi-Realzeit vor der Hinrichtung im Kerker erleben, und dieser Kerker ist erfüllt mit Erinnerungen an das Vergangene und letzten Besuchen, Leute, die ihn im letzten Moment retten wollen oder Verhöhnungen, wenn zum Beispiel der Herzog mit dem Schlaganfall noch einmal kommt. Beide Zeitstränge werden dann zusammengeführt in dem Punkt der Hinrichtung. Das war die Grundidee, und so eine strikte Dramaturgie hatte ich noch nie, in dieser Strenge. Das fand ich für einen Einakter eben ganz fabelhaft.
Und musikalische Besonderheiten?
Ich wollte eine Art eigene Barockmusik erfinden und habe darum das Orchester ausgedünnt und alle “weichen” Instrumente entfernt. Dahinter steht noch eine Phantasie: Ich hatte mir ein Orchester vorgestellt nach dem Arbeitsverbot für Juden 1935. Die deutschen Orchester hatten große Schwierigkeiten, die Lücken zu füllen. Es ist also tatsächlich ein gewollt lückenhaftes Orchester. Jede Rolle hat ihren eigenen Klangbereich: der Herzog ist immer mit Trompeten und Posaunen versehen, das steht für seine militärische Brutalität. Er war ja als Herzog gar nicht vorgesehen, aber sein Bruder starb viel zu früh, und er ist ja sozusagen vor Belgrad auf den Schlachtfeldern groß geworden und dort sozialisiert worden. Magdalena ist begleitet mit Oboen, Englisch-Horn, Melancholie … sie und Süß bilden das einzig wahre Liebespaar. Naemi, die Tochter von Süß, hat sehr durchsichtige, fast ätherische Klänge, es sind nur Flageoletts und Vibrafon mit Bogen gestrichen. Ich habe mir da ein ganz zartes Mädchen vorgestellt, das also gerade auf dem Weg zur Pubertät ist, also fast noch gar keinen Körper hat. Das sind Beispiele, wie ich mit musikalischen Charakterisierungen versucht habe zu arbeiten.
Die Anmerkungen von Ihnen, wie Sie sich eine Inszenierung ihrer Oper vorstellen – geben Sie da den Regisseuren vorher Tipps, oder überlassen Sie das erst mal ganz dem Regisseur?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich habe natürlich eine genaue Vorstellung, wie meine Opern aussehen sollen, aber diese Vorstellung ist irreal, sie ist quasi nicht zu realisieren. Das kommt auch aus Traumbildern und anderen Vorstellungen. Auf der anderen Seite habe ich eine ganz allgemeine Idee, wie eine Oper auszusehen hat; das kommt durch meine persönliche Sozialisierung, ich bin geprägt worden an der Hamburgischen Staatsoper in den Siebzigern und Achtzigern und an den Berliner Opern. Dann gibt es eine dritte Ebene, das ist die akustische, und eine vierte Ebene, das ist die dramaturgische. Die akustische Ebene ist ein ganz großes Problem. Denn Sie wissen genau: Wenn man Sänger nach hinten singen lässt, oder sie hinten stehen hat, versteht man nichts mehr. Manchmal haben Regisseure dieses unglaubliche Händchen, die lautesten Stellen, die kompliziertesten Stellen genau da hinten zu inszenieren, und ich weiß nicht, woher das nun wieder kommt. (Lacht.) Das sind so Sachen, da greife ich ein, indem ich darüber rede, denn ich habe ja kein Befehlsrecht. Und die vierte, die dramaturgische Ebene, ist für mich die des Timings und der erzählerischen Klarheit, des wirklich präzisen Erzählens. Ich behaupte nicht, dass jeder im Publikum sofort alles verstehen muss, aber es muss die Möglichkeit geben, es zu dechiffrieren. Für meinen Geschmack neigen viele Regisseure dazu, Generalpausen und Zäsuren zu überdehnen, weil sie da Morgenluft wittern für das sogenannte freie Spiel. Deshalb achte ich sehr darauf, dass es keine Spannungsabfälle gibt. Solche Dinge finde ich wichtig, vor allem diese vier Punkte.
Wie ist das, Ihre Zusammenarbeit, wenn Sie bei den Proben dann selber da sind, mit Dirigent und Orchester? Wenn man sich nicht so gut kennt wie jetzt?
Ich lerne den Dirigenten viel früher kennen als das Orchester und beruhige sie meist gleich beim ersten Treffen, dass ich kein “Dazwischenbrüller” bin, der die Proben stört. Ich schreibe während der Probe Zettelchen, viele kleine Zettelchen, und in der Pause, oder wenn eine größere Umbau-Unterbrechung ist, gehe ich kurz nach vorne und bespreche mich mit dem Dirigenten. Das betrifft dann immer drei Gruppen: Es betrifft den Dirigenten selber, das machen wir unter vier Augen, da geht es um Tempo-Fragen, Übergangsfragen. Es betrifft die Sänger, das mache ich dann separat, oft mit den Assistenten. Und dem Orchester kann man sicher bei irgendwelchen Umbaupausen immer rasch Sachen mitteilen. Zum Beispiel hat das Gärtnerplatztheater eine sehr spezielle Akustik und einen relativ lauten Graben. Da muss man ein bisschen dämpfen, und ich habe auch ein paar Instrumente aus der Partitur herausgenommen oder dynamische Zeichen geändert.
Das ist ja auch schwierig mit der Seitenloge, der Klang da.
Das ist schwierig. Das finde ich ein bisschen schade, ich hätte mir die Bühnenmusik tatsächlich auf der Bühne gewünscht. Aber mal gucken, vielleicht kann man das in Münster oder in Erfurt noch nachholen, vielleicht haben die nutzbare Seitenbühnen, die es am Gärtnerplatztheater nicht gibt.
Sie haben die sechs Produktionen schon angesprochen. Waren die sehr unterschiedlich von den Auffassungen?
Eine habe ich nicht gesehen, aus Zeitmangel, das war die in Trier. Aber nach den Fotos zu urteilen waren sie vollkommen unterschiedlich, alle sechs. Sie haben manchmal merkwürdigerweise gleiche Elemente, auf die sind alle sechs Regisseure gekommen. Aber es freut mich sehr, dass die Produktionen so unterschiedlich sind, weil offensichtlich jeder Regisseur etwas fand, was seine Phantasie belebt hat. Es gab alles, von ganz realistisch bis ganz streng. Die hier am Gärtnerplatztheater ist relativ realistisch, ähnlich wie in Heidelberg. Aber es ist immer ein sehr sehr tolles Phantasiebarock herausgekommen. Nicht ein Barock wie wir es uns gewöhnlicherweise vorstellen, sondern eine düstere Zeit, eine wilde Zeit, auch eine gefährliche Zeit – wo sehr, sehr reich und sehr, sehr arm sehr eng zusammen leben müssen.
Was für einen Stellenwert hat die moderne Musik in Deutschland? Wie würden Sie das überhaupt einschätzen im Moment?
Sie hat noch einen – knapp. Sie hat nicht mehr den, den sie mal hatte, aber eben mehr als in anderen Ländern. Das merke ich an so vielen ausländischen Kollegen, die hierherkommen, weil sie nur in Deutschland Operninszenierungen bekommen. Ich wünschte mir manchmal, moderne Musik hätte hier den Stellenwert wie in England. Die Engländer haben einen viel freieren Zugang zu neuer Musik, weil sie vermutlich viel weniger Traditionen haben. Auf der anderen Seite sieht man dann Länder wie Frankreich und Italien, wo die Kollegen fast alle längst längst aufgegeben haben. In Frankreich vielleicht gibt es noch hie und da etwas, aber die italienischen Kollegen sind fast alle hier. Jemand wie Battistelli hat viele seiner Uraufführungen in Deutschland. Bei dem von mir geleiteten Festival “Cantiere Internazionale” in Montepulciano haben wir 2010 die italienische Erstaufführung von Sciarrinos Luci Mie Traditrici gemacht, was fast ein Skandal war, weil das Stück nämlich schon elf Inszenierungen gehabt hat, aber alle in Deutschland. In Italien lief es nie. Das sind so Zeichen…
In Deutschland ist noch Interesse da, aber das Überleben moderner Musik ist auch verknüpft mit den Apparaten. Und Deutschland ist dabei, auf vielfältige Weise seine Orchester und seine Theater abzuschaffen. Mit kleinen Sticheleien: da ist diese traditionelle Anbindung an die Kommunen, die alle schlecht dastehen durch die mangelnden Gewerbesteuereinnahmen. Es ist die sehr komplexe Anbindung des Theaterpersonals an den öffentlichen Dienst. Jetzt sind ja gerade wieder Verhandlungen. Wir hatten gestern ein großes Streitgespräch gehabt über die Frage, bei welchem Prozentsatz Steigerung wieder zehn Theater zumachen müssen. Es haben gestern auch zu meiner Überraschung, auch zu meiner Freude, viele auch für die Anbindung an den öffentlichen Dienst plädiert, weil sie sagen, das würde überhaupt dieses Theatersystem noch schützen. Aber Sie wissen genau, dass innerhalb der deutschen Theater eine riesige Schere geöffnet ist: von geschützten Bereichen wie Chor und Orchester zu völlig ungeschützten Bereich wie Solisten und Assistenten. Aber noch lebt es. Und ich glaube, das ist die Verpflichtung meiner Generation, und auch wahrscheinlich Ihrer Generation: das Musiktheater mit allem Feuer am Leben zu erhalten. Denn es ist eines der schönsten Dinge, die wir geschenkt bekommen und geerbt haben. Das haben uns 400 Jahre zugespielt. Ich finde ja, es ist bis heute eine der grandiosesten Erfindungen der Menschheit. Eine reine Utopie, denn die Oper ist ja erfunden worden, indem man Text, Bild, Gesang, Tanz zusammenbringt. Ich finde, es gibt nichts Heutigeres, weil es so unglaublich innovativ ist: Wir verhandeln uns auf der Bühne immer selbst, auf naiver, kindlicher und sehr hoher Intelligenzebene. Gleichzeitig. Das ist unübertrefflich.
Sie haben jetzt zehn Jahre den Status als Hauskomponist in Amsterdam bei Concertgebouw.
Ich kenne die Amsterdamer schon von früher, und da gab es eine Aufführung von meinem Orchesterstück Theatrum Bestiarum . Und es war Liebe auf den ersten Blick. Ich habe mich mit dem Orchester sofort verstanden. Dann kamen noch andere Aufführungen. Vor einem Jahr oder zwei hat mich die Intendanz gebeten, sehr feierlich, mal vorbeizukommen, als ich in Amsterdam war: sie haben mir eröffnet, dass sie gerne mit drei Komponisten eine längerfristige Zusammenarbeit wollen, die zehn Jahre dauern soll. Und das ist natürlich ungeheuerlich, so etwas habe ich noch nie gehört. Sie haben mir auch sehr klar erklärt, warum: Ein oder zwei Jahre sind zu wenig, um eine Entwicklung zusammen durchzumachen. Von den Dreien bin also einer ich, und das ist grandios. Sie haben mir fünf Aufträge gegeben, verteilt über die Jahre, und spielen auch noch meine alten Sachen.
Es geht um Orchesterwerke – ?
Orchesterwerke, auch Chorwerke, auch Konzertwerke, und es sind verschiedene Solokonzerte im Gespräch.
[singlepic id=1147 w=320 h=240 float=right]Da hat man ja viele Möglichkeiten. Kammermusik auch?
Kammermusik hat das Concertgebouw auf privater Ebene mit mir arrangiert; nach den Proben kamen einige Musiker zu mir und fragten: “Haben Sie nicht dies? Haben Sie nicht das?” – Ich schreibe jetzt etwas für die Blechbläser zu ihrem Jubiläum. Es gibt dort einen bezaubernden Posaunisten, Jörgen van Rijen, der leitet das und hat das eingefädelt.
Und sonst noch ein Ausblick auf die nächste Zukunft?
Die sieht bei mir glücklich aus, muss ich sagen. Also, sehr viel Oper, es wird fast alles nachgespielt. Es geht auch ins Internationale, das freut mich. Jetzt kommt Österreich mit Nijinskys Tagebuch in Linz, in Koproduktion mit Bregenz. London kommt im Mai mit Caligula. Danach gibt es in Bregenz die Uraufführung von Solaris, in Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin. Das sind alles sehr, sehr erfreuliche Aussichten. Ich habe viele Anfragen – ich kann gar nicht so viel ablehnen. Also, man fühlt sich wohl, wenn man gefragt wird. Und ich kann Ihnen auch gleich sagen: Es war nicht immer so. Die ersten 10, 15 Jahre sind mager für jeden Komponisten heutzutage.
Ja. Vielen Dank für das Gespräch!
Ich danke Ihnen!
(Das Interview wurde geführt am 2. März 2012 in München.)
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Corinna Klimek am 8. März 2012 21:57 [singlepic id=1138 w=240 h=320 float=left]Sehr geehrter Herr Montavon, herzlichen Dank, dass Sie sich bereiterklärt haben zu einem Interview. Sie sind Intendant am Theater Erfurt. Welche Schwerpunkte setzen Sie da?
Wir haben eine Linie, seitdem ich Generalintendant bin dort, eine Linie, die basiert auf der Forschung, das ist die Uraufführung. Jedes Jahr eröffne ich mit einer, oder mindestens mache ich einmal in der Spielzeit eine Uraufführung, es gibt ein Auftragswerk von einem jungen Komponisten, oder weniger jung. Wir haben Stücke von Philip Glass uraufgeführt, ich habe das ganze Theater 2003 eröffnet mit einer Uraufführung, ich habe auch die DomStufen-Festspiele-Uraufführung gemacht. Also, ich lege sehr viel Wert auf die Forschung und auf die Nachpflanzung unserer Art und unserer Sparte. Dann machen wir einmal im Jahr auch noch mal eine Ausgrabung, das heißt, ein Stück, das schon geschrieben ist, aber weniger bekannt ist. Meistens führt das zu einer CD-Aufnahme. Und dann das klassische Repertoire, was das Publikum sehen will, inklusive Operette. Aber schwerpunktmäßig: Junge Sänger, Uraufführung und Ausgrabung.
Hat das Tradition, Uraufführungen in Erfurt, oder haben Sie das eingeführt? Und wie kommt das beim Publikum an?
Es kann keine Tradition haben, weil das Opernhaus zehn Jahre alt ist. Vorher, in dem anderen Opernhaus in Erfurt, im alten Opernhaus, war die moderne Musik gar nicht gepflegt. Beim Publikum, das dauert immer eine gewisse Zeit, bis das Publikum das goutiert, aber ich habe das geschafft, dass die Uraufführung in Erfurt gesellschaftsfähig geworden ist. Es hat dort den Publikumspreis vor einem Jahr gewonnen: Wir haben von den Chinesen eine Uraufführung gemacht, und das Publikum hat das als beste Produktion des Jahres goutiert. Also, das ist Mode: In Erfurt geht man in die Uraufführung. Die Leute wissen, dass es nicht lange dauert, also 90 Minuten mit oder ohne Pause, und dass es immer hörbar und vor allem nachvollziehbar von der Geschichte ist.
Da haben Sie jetzt schon mal zwei Unterschiede angesprochen zur traditionellen Oper. Opern des Librettisten Lorenzo da Ponte dauern drei Stunden, Sie sagen jetzt: 90 Minuten. Gibt es weitere Unterschiede zwischen modernen Opern und traditionellen Opern?
Naja, also, was ist der Unterschied zwischen Canaletto und Josef Beuys? Ich meine, da muss man die Klassik und die Moderne und die Postmoderne – also, jede Kunstgattung hat ihre Stilrichtung. Und das ist nicht ein Faktor der Zeit, das ist ein Faktor des Ausdrucks und der Vermittlung von ästhetischen Prozessen. Ich glaube, dass Mozart und da Ponte ein kongeniales Duett waren, das nie wieder existiert hat. Bei denen ist kein Wort und kein Takt zuviel. Bei Uraufführungen hat man immer noch die Möglichkeit, einzugreifen und Sachen zu korrigieren. Ein Komponist ist tot, der andere lebt, also, das sind zwei verschiedene Ansätze, sowohl ästhetisch als auch soziokulturell, und deshalb sind die Unterschiede sehr groß, natürlich sind sie das, aber wegen dieser Unterschiede macht man das ja auch.
Sie haben bei der Einführung erzählt, dass Sie sich mit dem Komponisten Detlev Glanert im Vorfeld getroffen haben. Haben Sie ihn in die Inszenierung mit eingebunden?
Ich habe Detlev Glanert gezeigt, was wir vorhaben. Es war noch im Rohzustand, sprich: Modellfotos und Kostüme. Ich habe ihm da schon erklärt, wie es anfängt und wie es aufhört. Wir konnten uns schon damals austauschen. Danach hat er mich machen lassen, und vorgestern oder gestern hat er mir gesagt, dass er das sehr gut fand.
Haben Sie mehr Freiheiten, wenn Sie eine moderne Oper inszenieren?
Das glaube ich nicht. Also, das Werk ist das Werk, die Partitur ist die Partitur; diesen Kanon gibt es seit 400 Jahren, und die Regisseure müssen sich daran halten. Die Frage ist, wie Sie mit der Partitur umgehen. Manchmal muss man mit der Musik inszenieren, manchmal muss man gegen die Musik inszenieren. Die Freiheiten des Regisseurs hören auf, wo die des Komponisten anfangen. Ich bin selber ausgebildeter Musiker, insofern habe ich mit dem Parameter Musik überhaupt keine Probleme. Ich kann sehr gut Noten lesen. Man muss als Regisseur ein Stück interpretieren, man muss ein Stück vermitteln im 21. Jahrhundert für ein Publikum, das sich immer weniger für die Oper interessiert. Deshalb muss man manchmal Prioritäten setzen, die in der Zeit, wo die Stücke komponiert wurden, vielleicht nicht da waren.
Sie haben ja selbst schon die verschiedensten Stücke inszeniert. Gibt es da einen roten Faden, anhand dessen man Ihre Stücke erkennt?
Ich würde sagen: Ich mag gern Stücke mit tiefem Sinn. Ja, ich bin eher auf der dramatischen Seite als auf der Unterhaltungs-Seite, also, auf der Ufo-Seite. Figaro durfte ich auch inszenieren – die Frage ist: Wie viel lacht man im Figaro? Ich glaube, ich bin eher jemand, der auf der dramatischen Seite einzuordnen ist. Ein Stück wie Joseph Süß passt perfekt in mein Vokabular. Ein Stück wie Fedra von Pizzetti, das ist zum Beispiel eine Ausgrabung, die wir gemacht haben. Ich arbeite sehr gerne mit Peter Sykora, denn er hat sehr weite, große Bilder, monumentale Bilder, und das passt gut in mein Temperament.
Was ist Ihnen als Regisseur besonders wichtig?
Was jedem Regisseur wichtig ist: Eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte erzählen, die die Leute nachvollziehen können; etwas mitzugeben auf dem Nachhauseweg, wo sie darüber nachdenken können. Sie zu sensibilisieren, sie zu bewegen, zu emotionalisieren: das ist unsere Aufgabe als Regisseur.
Wie sind Sie an das Stück Joseph Süß herangegangen?
Das war ein Vorschlag von meinem Kollegen Uli Peters. Ich habe das untersucht und habe gesagt: Sofort. Sofort, wegen Detlev Glanert, dessen Schaffen mir vertraut ist. Das war der Vorschlag von Uli Peters, ganz einfach.
Und wie sind Sie an den Stoff herangegangen?
Ganz neutral. Ganz neutral, wie wir Schweizer nun mal sind. Wir sind keinesfalls vorbelastet mit der Geschichte des Judentums, sei es jetzt vor dem Ersten Weltkrieg, dem Zweiten Weltkrieg oder überhaupt. Damit hat die Schweiz sehr wenig zu tun. Also, das merken Sie zum Beispiel in der Schule, in der Grundschule oder in der Abiturzeit, da wird das Thema nur bedingt durchgenommen. Wir sind nicht so belastet, sage ich mal, durch die Geschichte, durch die Nacharbeitung der Geschichte, wie in der Bundesrepublik Deutschland. Insofern geht man vielleicht nicht so befangen daran und nicht so emotional daran wie vielleicht jemand, der hier eine Geschichte mit dem Judentum überhaupt hat. Bis jetzt, im Zweiten Weltkrieg, oder davor, oder danach. Ich gehe sehr analytisch daran, und dann stellt man fest, dass alles, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist, schon vorher da war. Insofern – es ist auch eine kleine Geschichtslektion für mich gewesen, und ich fand das hochspannend. Ich meine spannend, weil: Ich habe dadurch viel gelernt, so dass ich die Problematik des Judentums vielleicht besser verstehen kann.
Sie haben bei der Einführung gesagt, dass Sie Bezüge auf das Dritte Reich vermieden haben, außer in einem Fall. Können Sie uns das noch einmal näher erläutern?
Nein, das kann ich nicht, das müssen Sie sehen.
Gut, wir werden es sehen. Welche Besonderheiten hat das Stück Joseph Süß?
Ich glaube, die Besonderheit liegt in der Gliederung des Stückes. Das Stück ist in dreizehn Szenen gegliedert. Davon sind neun Szenen … oder sieben Szenen sind Kerkerszenen, wo man immer in dem gleichen Raum ist und wo die Zeitebene unterschiedlich ist zu dem, was in den übrigen Szenen stattfindet. Zwischen Nachempfinden und Erzählung changiert das Stück die ganze Zeit. Das ist ziemlich schwer für ein Ausführungsteam, zum Beispiel Regisseur und Bühnenbildner, da diesen Rhythmus zu behalten, denn Glanert lässt wenig Zeit, die Umbauten zu machen. Also, das war eine ziemlich große Herausforderung, muss ich sagen, da entlang das Stück zu inszenieren. In einem Fall habe ich da ein bisschen was geändert, so dass das Publikum das noch besser versteht. Aber das ist dann der Charakter des Stücks: Erinnerung und Erzählung. Und das ist wirklich sehr, sehr gut gemacht.
Welche Freiheit haben Sie den Sängern gelassen?
Ach wissen Sie, die Entstehung einer Premiere ist immer ein gegenseitiges Zuhören und ein gegenseitiges … Es ist so: Wenn Sie nichts zu sagen haben, dann merken Sie das sofort bei den Sängern, dass Sie nichts zu sagen haben. Wenn Sie zu viel zu sagen haben, dann merken Sie das auch, denn da fängt eine rege Diskussion an. Und eigentlich – jeder darf vorschlagen, was er will. Entscheiden muss ich am Ende selber, denn ich bin der Regisseur.
Welche Eigenschaften schätzen Sie bei Sängern am meisten?
Mit ihren Kräften umzugehen. Das heißt, dass sie nicht um zehn Uhr in der Früh anfangen, ihre Stimme voll zu belasten. Viele Sänger haben die Tendenz, zu früh zu viel zu singen, und unterschätzen die Länge und die Anstrengung einer Probezeit. Ich schätze sehr bei Sängern, dass sie präzise sind, dass sie bei Wiederholungen von Proben immer das Gleiche machen. Wenn wir uns auf etwas geeinigt, etwas verabredet haben, dass es immer in regelmäßigen Abständen kommt, genau so, wie wir es abgemacht haben. Es gibt Begabte und eher Unbegabte. Es gibt also manche, die meinen immer noch, etwas erfinden zu müssen bei der Generalprobe. Das finde ich nicht gut, und das lasse ich auch nicht zu. Es gibt auch andere, die wirklich jedesmal – ich hatte zum Beispiel in La Boheme in den Vereinigten Staaten, die Baritonpartie, der Marcello, der hat wirklich sekundengenau immer das Gleiche gemacht, wie es bei den Proben war. Das schätze ich sehr: Präzision, Zuverlässigkeit, denn darauf kann man wirklich eine richtige Premiere erarbeiten.
Roger Epple wird die Premiere dirigieren. Wie wurde er eingebunden? Ab welchem Punkt haben Sie mit ihm zusammengearbeitet?
Im Vorfeld haben wir uns mehrmals getroffen, und dann während der Probenzeit war er da. Ich habe ihm gesagt, dass ich musikalisch ausgebildet bin, ich bin ausgebildeter Fagottist und Dirigent, so dass ich also mit Dirigenten nie Probleme habe, weil ich deren Probleme sehr gut verstehe. Insofern: Intelligente Dirigenten, und das ist der Fall bei Roger Epple, die nicht nur über Musik reden außerhalb der Dienstzeit, sondern, was Roger angeht, über bildende Kunst … das finde ich sehr erfrischend, so dass wir über unsere Freundschaft hinaus einen sehr guten Austausch hatten. Das finde ich sehr schön.
Da komme ich gleich noch zu einem anderen Punkt: Joseph Süß ist ein sehr schwerer Stoff. Wie erholen Sie sich davon?
Wie ich mich erhole? War das die Frage? – Ach … Das ist eine sehr gute Frage. Schwer zu beantworten. – Ich glaube … Ich weiß es nicht. (Lacht.)
Also mussten Sie sich nicht erholen?
Nein, musste ich nicht, nein.
Welchen Stellenwert hat die moderne Musik in Deutschland und international?
Also, ich bin nicht für Internationales zuständig, ich kann nur meine Beobachtungen wiedergeben: Sobald Sie Deutschland verlassen – vielleicht ein bisschen in England und bedingt in Frankreich – haben die ökonomischen und materiellen Zwänge Vorrang. Es ist außerhalb der Met in New York so gut wie unmöglich, Stücke zur Uraufführung zu bringen, weil die Säle nicht voll sind, und ergo stimmt das Marketing nicht mehr. Also, ich beobachte eine sehr große Angst und Aversion gegen moderne Musik, weil man Angst hat, dass das Publikum nicht kommt. Was zum Teil stimmt, was auf der anderen Seite aber ein Beweis von Armut ist. Ich finde, Mut gehört zu unserem Job, Risiken einzugehen gehört auch zu unserem Job, man muss sie nur kalkulieren und man muss einfach versuchen, diese Parameter, neue Musik, Forschung, richtig rüberzubringen. Und das machen Länder, die zuviel an wirtschaftliche Zwänge gebunden sind, einfach nicht mehr. Schauen Sie, die Spielpläne in Amerika, das ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Ich schätze die Amerikaner sehr, aber die Spielpläne sind durchorganisiert, von Boheme, Carmen, Zauberflöte, wenn überhaupt, und dann Otello, Nabucco, und dann Boheme, Carmen und Butterfly, und damit hat sich das, und das ist für die Amerikaner Oper. Und dabei darf es nicht bleiben. Wir dürfen nie den Mut verlieren, wir dürfen nie die Lust auch am Forschen verlieren. Ich beobachte, dass es immer weniger gemacht wird, und ich beobachte auch, dass ich dafür immer gelobt werde in Erfurt, dass ich das nach wie vor mache.
Also können Uraufführungen nur an subventionierten Häusern stattfinden?
Ich würde fast sagen: Ja. Denn wer kann sich das sonst leisten? Oder die Oper in Austin/Texas oder in Washington findet einen Sponsor, der sagt: “Ich bezahle das.” Die Amerikaner sind sehr, sehr an dieses System gebunden. Ich würde Ihre Feststellung bejahen, denn: Die Subvention ist auch dafür da. Also, wir sind subventioniert – oder, von Subvention spricht man nicht, sondern von Zuschussbetrieb – die Subvention ist auch dafür da, um Forschung zu betreiben, und das finde ich auch richtig.
Dann sage ich herzlichen Dank für das Gespräch und Toi-Toi-Toi für die Premiere!
Wird schon schiefgehen! Danke!
(Das Interview wurde geführt am 1. März 2012 in München.)
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Corinna Klimek am 6. März 2012 22:44 Ich habe über die Premiere mal wieder drüben bei mucbook geschrieben. Die nächste Vorstellung kann ich kaum erwarten.
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NachtMusik am 3. März 2012 22:56 [singlepic id=1135 w=320 h=240 float=left]Als letzte Opernpremiere vor dem Umbau im Stammhaus am Gärtnerplatz präsentierte das Staatstheater die Münchener Erstaufführung der Oper Joseph Süß des zeitgenössischen Komponisten Detlev Glanert. Die Oper in dreizehn Szenen wurde als Auftragsarbeit 1999 in Bremen uraufgeführt. Detlev Glanert und die Autoren Uta Ackermann/Werner Fritsch haben in verdichteter Form eine Neudeutung der nicht gerade einfachen Geschichte des Joseph Süß Oppenheimer geschaffen. Oppenheimer machte am Hofe des Herzogs Karl Alexander von Württemberg schnell Karriere und wurde zum unverzichtbaren Berater des Herzogs. Nach dem Tode des Herzogs gab es eine mörderische Hetzkampagne gegen ihn. Er wurde wegen zahlreicher willkürlicher Anklagepunkte zum Tode verurteilt und am 4. Februar 1738 gehängt. Dieser Aufstieg und Fall von Joseph Süß Oppenheimer erregte im 18. Jahrhundert und auch heute noch die Gemüter.
Die Handlung der Oper von Detlev Glanert setzt nach der Verurteilung ein. Joseph Süß sitzt im Gefängnis und erlebt die Vergangenheit als Alptraum, er hört die Stimmen der Lebenden und der Toten, und es es werden Erinnerungen wach. Der Regisseur Guy Montavon verlangt seinen Sängern einiges ab; mit seiner intensiven Personenregie kann er durchweg überzeugen. Seine Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass er die Geschichte sehr realistisch und nah am Handlungsstrang erzählt. Das Ensemble besticht nicht nur mit guten Stimmen, sondern es wurden auch mit Regisseur Montavon hervorragende und sehr berührende Rollenportraits erarbeitet. Die Solisten der Aufführung sind bis auf drei Gäste aus dem Ensemble des Gärtnerplatztheaters besetzt.
In der Titelrolle beeindruckt der Bariton Gary Martin mit intensiver Darstellung und guter Artikulation; die Entwicklung vom Aufstieg zum Fall des Joseph Süß gelingt ihm sehr glaubwürdig. Als korrupter Gegenspieler Weissensee, Sprecher der Landstände, singt und spielt der Gast-Tenor Mark Bowman-Hester ganz hervorragend. Thérèse Wincent in der Rolle der Magdalena, die Tochter von Weissensee, besticht in der Interpretation der vom Herzog missbrauchten, leidenden bis hin zur liebenden Frau. Frau Wincent überzeugt mit ihrem Sopran, in den lyrischen wie auch tragischen Situationen des Abends. Die sich nach dem Vater sehnende Naemi, Tochter von Joseph Süß, wird von der jungen Mezzosopranistin Carolin Neukamm mit schöner Stimme und jugendlichem Spiel dargestellt. Gut präsentiert sich die als Gast am Haus engagierte Sopranistin Karolina Andersson als Mätresse des Herzogs und Opernsängerin, die ein eigenes Opernhaus gebaut bekommt. Sie hat in ihrer Rolle alle Möglichkeiten, ihren gut klingenden Koloratursopran im positiven Sinne zur Schau zu stellen.
Auch ein großer Garant am Haus ist Stefan Sevenich; er schlüpft in die Rolle des lüsternen und ohne Skrupel agierenden Herzogs Karl Alexander von Württemberg. Ihm steht diese Rolle ausgezeichnet, er spielt sie mit kräftiger Stimme und wie immer toller Bühnenwirkung. In der Rolle des Magus (ein Rabbiner, der Joseph Süß warnt, und gleichzeitig der liebevolle Erzieher von Naemi) war an diesem Abend der Bariton Tobias Scharfenberger zu hören, der als Gast bei der Premiere einsprang. Thomas Peters ist der immer präsente Henker, der nur eines im Kopf hat, und zwar, Josef Süß zu richten. Florian Wolf ist als Haushofmeister rollendeckend besetzt.
An diesem gelungenen Premierenabend hatte auch das Orchester des Staatstheaters großen Anteil. Unter der Leitung des in neuer Musik versierten Dirigenten Roger Epple[singlepic id=1136 w=320 h=240 float=right] entfaltete das Orchester die farbenreiche und für dieses Werk passend komponierte, beklemmende Musik. Mit dem Chor war der rhythmische Gesang der Glanert-Komposition von Chordirektor Jörn Hinnerk Andresen gut einstudiert worden. Für ein gelungenes Bühnenbild und die passenden Kostüme zeichnete Peter Sykora verantwortlich. Er nutzte die Drehbühne des Hauses für die Bebilderung des Geschehens. Die Wände der kleinen Zelle, in der Joseph Süß inhaftiert ist, schmückte Sykora mit Goldbarren aus. Eine Kulisse aus grauen Wänden, Spiegeln und, als Zeichen des Reichtums, einige Regale mit Gold, Silber und anderen Objekten, wechseln sich in den anderen Szenen ab. Die gute Beleuchtung setzte alles in das richtige Licht. Schöne und in die Zeit der Handlung passende Kostüme sind für Solisten und Chor entworfen und geschneidert worden. Unter den vielen Grautönen und den wunderbaren weißen Kostümen des Chores stach Joseph Süß, in purpurrotes Gewand gekleidet, immer heraus. Es ist dem Ensemble und dem Theater gelungen, für das Publikum einen sehr intensiven, spannungsreichen und berührenden Theaterabend zu gestalten. Bravo!
Weitere Termine: 7., 11., 20., 22., 26., 30. März sowie 4 Abende im April.
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- Heute hier, morgen dort – Abschiedsgala, 22.04.2012 (20.00 Uhr), Gärtnerplatztheater
- Premiere Falstaff, 18.05.2012, Prinzregententheater II
Corinna Klimek am 22. Februar 2012 16:26 Die nächste und zugleich letzte (I stand corrected: vorletzte) Premiere im Gärtnerplatztheater vor dem großen Umbau ist eine Oper von Detlev Glanert mit einem Libretto von Werner Fritsch und Uta Ackermann. Sie handelt von Joseph Süß Oppenheimer, Geheimer Finanzrat am Hofe des württembergischen Herzogs Karl Alexander, wurde 1999 in Bremen uraufgeführt. Die Premiere wird die 6. Inszenierung dieses Stückes sein, was für eine moderne Oper schon ganz beachtlich ist.
Hört man den Namen des Protagonisten, so muss man fast unweigerlich an den unsäglichen Propagandafilm von Veit Harlan denken. Doch nicht erst im 3. Reich ist der markanten Figur Unrecht getan worden. Er fiel einem Justizmord zum Opfer, ausgelöst durch Intrigen und seine Prunksucht und dem Wunsch, geadelt zu werden. Glanert und seine Librettisten versuchen nicht, ihn zu idealisieren, sondern ihn als Menschen mit Licht- und Schattenseiten zu zeigen. Die Oper beginnt mit der Kerkerszene, zu der sie auch immer wieder zurückkehrt. Dazwischen gibt es Rückblicke ins Leben Joseph Süß’. Dies greift auch das Bühnenbild des bekannten Bühnenbildners Peter Sykora auf. Er unterteilt die Bühne mit Stelen, die die verschiedenen Räume begrenzen und gleichzeitig aber Durchblicke erlauben. So soll man, auch wenn die Handlung zum Beispiel in der Wunderkammer von Süß spielt, immer an den Kerker erinnert werden. Das Bühnenbild ist wohl eher zeitlos, während die ebenfalls von Sykora stammenden Kostüme eindeutig der Zeit des Geschehens zuzuordnen sind. Der Regisseur Guy Montavon, gebürtiger Schweizer und derzeit Intendant in Erfurt, kann sicher als die beste Wahl angesehen werden. Einerseits kann er als Nichtdeutscher unbefangener an den Stoff gehen, andererseits wird in seinem Opernhaus seit 10 Jahren jedes Jahr ein Werk uraufgeführt, er ist also mit neuer Musik bestens vertraut. Trotzdem habe er gezögert, berichtete er, nicht wegen Glanert, den er als einen der größten lebenden Komponisten bezeichnet hat, sondern wegen der schwierigen Thematik. Er zeigte sich begeistert von Komposition und Libretto, insbesondere die Chorteile hob er hervor. Aber auch Joseph Süß, der inmitten all der Hektik lyrisch und nobel seinem Ende entgegen gehe. Gary Martin, der die Partie übernommen hat, sang begleitet von Anke Schwabe am Flügel, zwei wirklich sehr schöne Beispiele. Ein weiterer musikalischer Beitrag kam von Karolina Andersson, die die Graziella singt. Montavon bezeichnete sie als comic relief, als Hofopernsängerin zeige sie die Relation zum Theater. Bezüge zum 3. Reich habe er weitgehend vermieden, die Ausgrenzung wegen Religionszugehörigkeit sei nicht zeitgebunden. Deutlich werde dieser Bezug allerdings beim Blick in den Orchestergraben, dort fehlen ganze Instrumentengruppen wie Hörner oder Streicher. Dies war nach 1933 ein häufiges Bild, da die Musiker jüdischer Abstammung Berufsverbot hatten und deshalb im Graben fehlten.
Der Komponist Detlev Glanert wird die Endproben begleiten und auch zur Premiere anwesend sein. Nach anfänglicher Skepsis hat mich dieser Vormittag überzeugt, dass es ein spannender Theaterabend wird. Die Vorstellung dauert rund 90 Minuten, außer bei der Premiere gibt es eine halbe Stunde vor Beginn eine Einführung, die man wohl nicht versäumen sollte.
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