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Poor President – Boris Godunow an der Staatsoper

[singlepic id=1471 w=320 h=240 float=left]Sie funktioniert noch, diese russische, sperrige Politopera mit Zaren, Bojaren und Mönchen. Denn sie schneidet zeitlose Themen an: Die Rücksichtslosigkeit und damit verbundene Einsamkeit der Macht. Und darauf hat es Calixto Bieito auch abgesehen mit seiner modernen, naturalistischen, schlüssigen und wachen Interpretation von Mussorgskys Werk, die hier in der neuerdings gebräuchlichen Urfassung gegeben wird.

Bieito geht dabei in die Vollen. Seine Schläge bluten, die Bühnenmorde gehen leicht und spröde, ja professionell von der Hand; Gewalt und Bedrohung hinter jeder Wodkabude und Schüsse selbst von Kinderhand. Politik besteht hier in der Kraft des Stärkeren, die Logik der Mafia.

Die (nicht mehr ganz) aktuellen Politikhäupter werden dazu aktuellerweise schon zu Beginn überdimensional zur Schau und zu Grabe getragen. Das geknechtete, zum Jubel gezwungene Volk erhöht Putin, Blair und (wieder) Berlusconi. Damit es das tut, wird es geschlagen, getriezt, gepeinigt. Nun ja, Kindermörder sind unsere modernen Staatsoberhäupter nun nicht gerade, doch die Mechanismen der Mediendemokratie wie des modernen Populismus hat Bieito damit recht gut wiedergegeben. Der Regiejux, dass der neue, sich zur Regentschaft überreden lassende Boris aus der Königsloge seinem Volk und dem Publikum entgegentritt, erinnert an die Kür des TV-Hochadels.

Auch die Idee, aus den chronikenschreibenden Mönchen Journalisten zu machen, überzeugt. Grigorij (mit noch zu steigerndem Tenor Sergey Skorokhodor) – mit Phototasche auf der Flucht vor dem System – gibt den Kriegs- und Krisenberichterstatter. Nach Uraniumskandalen und wiederholten Repressionen gegen die freie Presse auch im arabischen Frühling aktueller denn je. Doch er will mehr. Vom Kirchenanzeiger zur Hauptstadtpresse sozusagen. Und nach der kühlen Logik der Macht und mit genügend mörderischer Rücksichtslosigkeit erreicht er sein Ziel am Ende. Hoffnung durch den Machtwechsel entsteht dadurch aber keine.[singlepic id=1472 w=320 h=240 float=right]

Überhaupt beschreibt diese Inszenierung pessimistische Isolation. Am grandiosesten mit dem beeindruckenden Bühnenkubus, dem Bunker, dem Öltank, der Skulptur von Rebecca Ringst. Abgeschlossen, wendig und aufklappbar spiegelt sie die Misere der Macht. In einem oligarchischen feschen Mikrokosmos vegetiert dieser Boris an seinen Skrupeln und am Alleinsein der Herrschaft. Stimmgewaltig und nachvollziehbar auf dem Weg in den tödlichen Wahn überzeugt trotz weniger Glanzlichter in der Partitur nach der Art der Operà dialogué Alexander Tsymbalyuk. Er sitzt in seiner russischen Arche und sieht dem Geschehen zu. Egozentrisch mit sich beschäftigt, seine Skrupel los und doch diesen am Ende ausgeliefert.

Daneben Volk, Masse, Mensch. Analog zum bereits bestechend am Haus inszenierten Khovanshchina, das die diversen Soli noch via Splitscreen auf die Bühne aufteilte, streicht Bieito einfach – etwa den aus dem Rahmen fallenden Polenakt. Er konzentriert Handlung, Agieren und die eindringliche Musik zu einem Politkammerspiel.

Bei der Besetzung greift das Haus auf bewährte Kräfte um den sensationellen Anatoli Kotscherga als Chroniker Pimen und den quietschigen Ulrich Reß in einer Nebenrolle zurück. Nagano hantiert, wie bereits 2007, gekonnt mit der schweren, seidigen Musik und den donnernden brillianten Chören.

Damit ist ein aktueller, schwerer und doch zeitloser Kommentar gelungen. Mussorgsky liefert dafür eine reiche Musik und offene Handlung, aus der Bieito das Optimum herausholt, ohne den Sinn zu verfälschen.

Musikalische Leitung Kent Nagano /Inszenierung Calixto Bieito /Bühne Rebecca Ringst /Kostüme Ingo Krügler /Licht Michael Bauer /Dramaturgie Andrea Schönhofer /Chöre Sören Eckhoff /Boris Godunow Alexander Tsymbalyuk / Fjodor Yulia Sokolik /Xenia Eri Nakamura / Xenias Amme Heike Grötzinger /Fürst Schuiskij Gerhard Siegel /Andrej Schtschelkalow Markus Eiche /Pimen Anatoli Kotscherga /Grigorij Otrepjew Sergey Skorokhodov /Warlaam Vladimir Matorin /Missail Ulrich Reß /Schenkwirtin Okka von der Damerau /Gottesnarr Kevin Conners /Nikititsch Goran Jurić /Leibbojar Dean Power /Mitjucha Tareq Nazmi /Hauptmann der Streifenwache Christian Rieger

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Hänsel und Gretel, 16.12.2012, Bayerische Staatsoper

[singlepic id=1449 w=320 h=240 float=left]Obwohl mir die Inszenierung am Gärtnerplatztheater besser gefallen hat, wird mir auch die Version der Staatsoper von 1965 fehlen, war diese doch im Winter 1977/78 meine erste Liveaufführung einer Oper.
Ich weiß noch genau, dass meine Eltern damals mit mir vor der Vorstellung besprochen haben, wie man sich in einem Opernhaus verhält. Wir haben auch die Oper zu Hause schon mehrfach angehört und ich war völlig gefangen genommen bei dieser Liveaufführung. Warum ich meine Liebe zur Oper dann erst 25 Jahre später entdeckt habe, kann ich nicht genau sagen, eines weiß ich jedoch sicher: Verhaltensregeln bringt man den Kindern und Jugendlichen heute nicht mehr bei. Ich habe mich ja schon damit abgefunden, dass in dieses als Kinderoper verkauftes Werk bereits Dreijährige hineingeschleppt werden, die dann ihre Umgebung mit munterer Plapperei unterhalten. Aber dass mitten während der Vorstellung eine Sechzehnjährige telefoniert und die Mutter ungerührt dabei sitzt, damit werde ich mich nicht abfinden. Dann kann man nämlich in 10 Jahren keine Vorstellung mehr besuchen. Wenn schon die Eltern ihren Kindern keinen Benimm mehr beibringen, sollte man es vielleicht in den Musikunterricht mitaufnehmen.
Die Inszenierung ist klassisch, man sieht eine richtige Kate der Eltern, es werden noch Besen gebunden, es gibt eine richtige Hexe und ein richtiges Hexenhaus. Zugegeben, die Engel finde ich extrem kitschig, aber insgesamt ist es eine schöne Inzenierung. Die an diesem Abend leider zum drittletzten Mal lief. Denn laut Bayerischer Staatsoper sind die Kulissen nicht mehr zu retten und anstatt sie neu zu erstellen, kauft man lieber eine neue Produktion ein, die am 24. März 2013 Premiere hat. Wir werden sehen. Ich lass mich überraschen.
Musikalisch war es ein ausgesprochen schöner Abend. Eri Nakamura als schwarzhaarige Gretel sang ganz bezaubernd und textverständlich, Angela Brower nahm man den kecken Hänsel in Gesang und Darstellung jederzeit ab. Irmgard Vilsmaier und Markus Eiche waren als Eltern ein tolles Paar und Yulia Sokolik und Iulia Maria Dan verliehen dem Sand- bzw. Taumännchen jugendliche Frische. Einzig Ulrich Reß konnte mich als Hexe nicht ganz überzeugen, das mag aber auch daran gelegen haben, dass er an diesem Tag schon zum zweiten Mal ran musste. Kazushi Ono leitete das Staatsorchester souverän und schaffte es trotz der teilweise bombastischen Musik von Humperdinck die Solisten nicht zuzudecken. Allerdings hätte es mir besser gefallen, wenn zwischen dem ersten Akt und dem Zwischenspiel keine Pause gewesen wäre, damit fällt die Spannung meiner Meinung nach ziemlich ab. Der Kinderchor schließlich rundete den sehr schönen Abend gut ab.
Es ist wirklich sehr schade, dass diese Produktion abgesetzt wurde. Es bleibt nur zu hoffen, dass dem Opernliebhaber wenigstens die schöne Inszenierung des Gärtnerplatztheater erhalten bleibt.

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