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Staccato – Fegefeuer in Ingolstadt in den Kammerspielen

[singlepic id=1731 w=320 h=240 float=left]Diese Inszenierung gleicht mehr einer Installation, einer Versuchsanordnung, als einer herkömmlichen Adaption. Diese schied bereits bei der Premiere massiv die Geister.
Regisseurin Susanne Kennedy ließ den gekürzten Fleißertext im Studio aufnehmen und spielt ihn nun playback zu den lippensynchron agierenden Darstellern ein. Der Clou dahinter sei, die verschiedenen und gestörten Ebenen einer Sprache, die der Figur nicht mehr gehört – wie eigentlich im postdramatischen Theater üblich – aufzudecken. Welch technischer Aufwand und Arbeit für die Darsteller bei dieser Inszenierungsart erforderlich ist, macht den Effekt fraglich. Ironischerweise werden so die hervorragend sprechenden Kammerspielleute eingespielt, was man sich an so manchem anderen Münchner Haus zur Verständlichkeit wünschen würde.
Kennedy reißt Fleißers Text in Fetzen und lässt diese kurz aufflimmern. Zwischen unendlichen und bisweilen nervenden Lichtblitzen und Sauggeräuschen werden Texte, teils bis zur Belastungsgrenze, wiederholt, überhöht oder heruntergenudelt. Staccatohaft, knapp, verdichtet. Oft nur eine Geste, eine Satz, ein Szenenfragment, das uns die kurz aufgehellte Bühne mit dem grandiosen Licht von Jürgen Kolb erlaubt zu beobachten. Die Figuren agieren statisch, minimal, entrückt und mit einer Nonchalance und Emotionslosigkeit eingesprochen, die einen gewissen Sog entwickelt und die Szenerie noch irrealer erscheinen lässt. Ufos über Ingolstadt. So wirken auch die verbliebenen Figuren, die nicht der Kürzung zum Opfer fielen. Dank der gewitzten Kostüme von Lotte Goos stehen Popper, Zombies, Püppchen und blutleere Barbies in diesem tristen Puppenhauszimmer von Lena Müller, dessen Kruzifixmetronom samt der Wand unheilvoll vibriert.
[singlepic id=1730 w=240 h=320 float=right]Einzelleistungen aus dieser Konzeptproduktion herauszustellen, wird aufgrund des inszenatorischen Korsetts schwierig. Allein die Bereitschaft sich der Idee auszuliefern, kann vielleicht in verschiedenen Frequenzen erkannt werden. Christian Löbers Roelle, eine Mischung aus Travestie, Avatar und Psycho, nutzt seine Präsenz und wird zu recht als Mittelpunkt des Hasses der Kleinstadt prominent ausinszeniert. Er würgt seine Sätze ebenso souverän aus seinem Inneren heraus, wie er fiese kleine Gedanken hauchen kann. Çigdem Teke kann trotz pulsierendem Babybauch, dem Konzept geschuldet, weniger zeigen, als die dämonische Anna Maria Sturm die überartikulierend ein klasse Biest aus dem Tim-Burton-Universum gibt. Kongenial Marc Benjamin und Edmund Telgenkämper als ätherisches Bullyduo aus der Popperhölle. Heidy Forster als Suppe kleckernde Mutter gehören trotz der wenigen Chancen starke Momente im Zusammenspiel mit ihrem Roelle. Kristof Van Booven ersetzt gerade in dieser tontechnisch anspruchsvollen Angelegenheit den Vater beachtlich. Alle zeigen sie ihr Können in den engen Schranken, die ihnen Kennedys Traum lässt.
Am Ende offene Empörung aus dem Publikum über die gebetsmühlenartige, redundante Rosenkranzszenerie, die den Anspruch des Abends inhaltlich komprimiert und zum Ende pointiert: Ins Leere gesprochene Hülsen von unglücklichen Ingolstädter Wiedergängern breiten sich im Lamento über ihre eigene Existenz über den Zuschauerraum aus. Ein starkes Konzept mit schlüssiger Interpretation in einer fragwürdigen Bühnenwirksamkeit.

Besucht wurde die Vorstellung am 22.01.2014

Regie: Susanne Kennedy, Bühne: Lena Müller, Kostüme: Lotte Goos, Sounddesign: Richard Janssen, Licht: Jürgen Kolb, Dramaturgie: Jeroen Versteele, Ton: Katharina Widmaier-Zorn, Martin Sraier-Krügermann, Videogestaltung: Ikenna Okegwo
Mit: Marc Benjamin, Heidy Forster, Kristof Van Booven, Christian Löber, Anna Maria Sturm, Çigdem Teke, Edmund Telgenkämper

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Samowar und Seufzer – Onkel Wanja in den Münchner Kammerspielen

[singlepic id=1622 w=320 h=240 float=left]Die Russen sind en vogue. Egal, ob im Musik- oder Sprechtheater, München ist sein geraumer Zeit regelmäßiger Reflektor der kanonisierten Hochkultur aus dem Land, wo Kaviar und Wodka fließt. Egal ob Bieitos Kirschgarten oder Godunow, die Karenina am Volkstheater, dem missglückten Platonow in den Kammerspielen oder der noch missglückteren Möwe des kleinen Stacheder-Schauspielensembles.
Gerade Tschechow, der große Bühnenarbeiter mit den gewitzten, leichten Dialogen und der unendlichen, schnapsseligen Melancholie glimmt, nicht nur im Tourneetheater, als Everburner auf kleiner Flamme. Die Kammerspiele brachten nun im April seinen späten Onkel Wanja heraus. Das Theater des Jahres mit dem Schriftsteller des letzten Jahrhunderts sozusagen.
Wir sehen dabei wenig. Szenischer wie ausstattungstechnischer Nihilismus: Alles spielt sich auf einer erhöhten Rampe ab, einem kleinen, schwarzen Guckkasten (Muriel Gerstner) mit zwei Auftritten und einer schwarzen Wand. Mehr ist nicht, bis auf ein fragliches Digitaltextband, dass vollkommen willkürliche Fragen über der Szene laufen lässt. Mehr eine Familienaufstellung wird hier durch Rampentheater präsentiert, spätestens wenn Jelena die Figuren nebeneinander in seltsamem Tanz an die Wand bannt. Alle vier Teile ohne Unterbrechung der Therapiesitzung.
Gespielt wird dagegen naturalistisch, wenngleich oft genug mit gewollter Outrage.
[singlepic id=1623 w=240 h=320 float=right]Allen voran die preisgekrönte Sonja von Anna Drexler. Ein nahezu autistisches, verkapptes, spätes Mädchen, das mit ihrer Hilflosigkeit rührt. Sie kämpft mit ihren Worten, frisst in sich hinein, bricht eruptiv aus und geht mit ihrer Hässlichkeit herzzerreißend um. Immer schwankt dabei die Figur zur Karikatur. Ebenso verfährt der köstlich phlegmatische Benny Claessens, einem Wanja halb TV-Sheldon, halb Großkind. Sarkastisch, bissig, verletzend und traurig in seiner aggressiven Hilflosigkeit. Daneben wenig Spannendes. Der x-te Mann in Frauenkleidern (handwerklich top: Hans Kremer). Wann legen die Kammerspiele diese olle Kamelle endlich ab? Neuerdings allerdings kommt das serielle Hyperweib zum Kanon des Standardpersonals der Kammerspiele dazu. Neobergmanns, Neugarbos mit Betonföhnung und Statuenauftritten. Neben Hobmeiers Satansgrazie nun Wiebke Puls als ätherische Jelena mit bestaunenswerter Ehrlichkeit um am Meisten Leben dieser leeren Hülsen, die Tschechow wieder und wieder kombiniert und (neu) gegeneinander führt. Heißen sie Mascha, Nina oder Sonja. Daneben wenig Erwähenswertes. Hinter dem Haarschopf fällt der Ökodoc von Simonischek jun. ab, der etwas hilflos über die leere Bühne torkelt und mit dem Chargenkonzept am Wenigsten zurechtkommt, während es Puls schafft auch bei diesen Tschechowpappen Zwischentöne und Tiefe herauszuklappen.
Denn auch diese haben die immer wieder aufgetauten Figuren, man muss sie nur aus den Textplattitüden und dem Minimalkonzept herausschälen: Lebenseinsatz für nichts, die immer gescheiterte, im Keim erstickte Liebe, die Lust am Unglück, die große Melancholie ohne Entrinnen, der Fluch der Familie…
[singlepic id=1624 w=320 h=240 float=left]Einen Regiecoup aber hatte das Regieduo Henkel/Simons dann doch noch: Die Sängerin von Münchens neuer Theaterlieblingsband Pollyester gibt atmosphärisches Domkosakenchanson und macht die Russendisco. Genial und fatal zugleich. Denn nur durch die wunderschön melancholischen Seufzer fühlen wir uns in der Datscha angekommen. Die Inszenierung distanziert sich fast schon vom Russenklischee, das Bieitos Kirschgarten noch massiv abfeiert. Die wunderbaren Sätze des Bühnenarbeiters funktionieren natürlich auch in Shangai, doch das immanent russische, das pathetisch Schwere transportiert sich lediglich im Pollyestersound.
Nach ihrem grandiosen Lola-Montez-Sound hofft München übrigens baldigst auf eine komplette Pollyestershow! Mooshammer- die Operette unter der Regie von Köpplinger am Gärtner vielleicht (Aushilfsspieltort Oberpollinger?) Oder das dritte und letzte Ludwigsmusical im Rohbau Deutsches Theater? Diese Band rockt!
Die Inszenierung allein weniger. Es bleiben große Momente der Darstellung, die wunderschöne Sprache und die leisen Soprantöne. Weder Bieito noch Simons konnten Tschechow neu übersetzen, ohne in die Folkore- oder Nihilismusfalle zu stürzen.
Im Publikum der besprochenen Vorstellung saß der gerühmte Kriegenburg als Zuschauer. Vielleicht sollte er zeitnah vom Parkett ans Regiepult für den Russen wechseln.

Regie: Karin Henkel / Johan Simons, Bühne: Muriel Gerstner, Kostüme: Klaus Bruns, Musik: Pollyester, Licht: Stephan Mariani, Dramaturgie: Julia Lochte
Mit: Stephan Bissmeier, Benny Claessens, Anna Drexler, Hans Kremer, Polina Lapkovskaja, Stefan Merki, Wiebke Puls, Max Simonischek

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