Ich komme ursprünglich aus Kolumbien. Dort begann ich mein Gesangsstudium, und in dieser Zeit wurde mir klar, dass ich diesen Beruf nicht nur erlernen, sondern auch ausüben möchte. In Kolumbien hätte ich als Opernsänger nicht so viele Möglichkeiten gehabt. Somit entschloss ich mich, nach Europa zu gehen. Ich bewarb mich in Wien und wurde aufgenommen. Daher begann ich dort mein Studium, das ich nach siebeneinhalb Jahren abschloss. In dieser Zeit machte ich verschiedene Produktionen: Neue Oper Wien in Wien und Holland, Haydn-Festspiele in Eisenstadt – eine schöne Produktion mit Adam Fischer – und andere. Nach meinem Universitätsabschluss kamen einige Wettbewerbe. Einer davon bereitete mir besonders viel Freude, das war der Wettbewerb in Osaka/Japan, den ich auch gewann, und unter den Preisen bekam ich von dem japanischen Publikum den Publikumspreis. In dieser Zeit bekam ich die Möglichkeit, im Gärtnerplatztheater vorzusingen. Es klappte, und so kam es zu meinem ersten großen Festengagement. Hier bekam ich die besten Partien, die man sich als junger lyrischer Bariton nur wünschen kann: Papageno in der Zauberflöte, Dr. Falke in der Fledermaus, Taddeo in L’Italiana in Algeri, Ottokar im Freischütz und so weiter.
Wie kam es dazu, dass Sie Sänger wurden?
Ich glaube, das hängt sehr stark damit zusammen, dass mein Vater auch singt, jedoch nicht professionell. Diese Liebe zur Musik, die Liebe zum Gesang ist ihm geblieben, und die vermittelte er meinem Bruder und mir. Wenn das in einem drin ist, kommt irgendwann der Moment, wo es erwacht. Bei mir war es so: Als ich 15 Jahre alt war, erwachte diese Neigung zur Musik, vor allem zum Gesang, ganz plötzlich. Damals begleitete ich mich sehr oft mit der Gitarre. Diese Liebe zu Musik und Gesang fing da an und entwickelte sich immer mehr, so wie auch mein Interesse für die Oper, bis ich mich entschloss: “Okay, ich möchte aus meiner Stimme alle Möglichkeiten herausholen, die sie zur Verfügung hat; da wäre die Oper oder auch das Konzertfach genau das Richtige.” Ich glaube, deswegen wurde ich Opernsänger. – Mein Vater war immer so ein Leitmotiv für uns. Mein Bruder ist auch Sänger. Er ist ein Jahr älter als ich, auch er hat eine lyrische Ausbildung, aber entschied sich für die Volksmusik, das ist mehr so seine Sparte. Jedes Mal, wenn wir uns treffen, sind zuhause also drei Baritöne zu hören.
Gab es irgendwann einmal eine Alternative beim Berufswunsch?
Ich glaube nicht. Nachdem ich angefangen hatte zu studieren, vor allem in Wien, gab es keine zweite Option. Zwar leidet man ein bisschen, wenn man es nicht so leicht hat – sprich: gute Kontakte, oder gute Möglichkeiten, oft auf der Bühne zu stehen. Denn es kommen immer wieder Gelegenheiten als Chorsänger, oder – weil ich aus Südamerika stamme – mit Volksmusik wie Tangos oder Boleros einfach Geld zu verdienen. Aber wenn man es wirklich als Ziel hat, auf der Bühne zu stehen, dann möchte man sich einen Weg schaffen, als Solist zu agieren – ohne Alternative.
Welche Musik haben Sie als Kind gehört?
Ich glaube, wir – nicht nur in Kolumbien, sondern in ganz Lateinamerika – sind sehr geprägt von mexikanischer Musik, argentinischer Musik, kubanischer Musik und selbstverständlich kolumbianischer Musik. Bei uns hört man jeden Tag zuhause noch Tangos, Boleros, Rancheras – das ist die Volksmusik aus Mexiko – und auch ich bin mit dieser Musik aufgewachsen und davon geprägt worden. Ich glaube, daraus habe ich auch viel gelernt, weil die Interpreten dieser Musikgattungen auch sehr gute Sänger waren und sind. Heutzutage kann man von vielen bekannten Künstlern wie Placido Domingo oder Juan Diego Flórez einige CDs hören, die ausschließlich für diese Musik aufgenommen wurden.
Welche Musik hören Sie heute?
Zu Hause wenig Oper, denn da versuche ich immer abzuschalten. Ich glaube, jede Art von Musik, die gut gemacht wurde. Ein gut gemachtes Werk bedeutet für mich im Fall von vokaler Musik, dass der Text gut ist, Sinn ergibt und dazu eine gute Begleitung hat – egal in welcher Form: entweder mit Kammerorchester, mit Tango- bzw. Boleroorchester oder Sinfonieorchester. Auf meinem i-Pod sind Rancheras, bekannte Tangos, spanische Zarzuelas – ich würde sagen: alles, was schön und gut ist.
Haben Sie das absolute Gehör?
Ich kann ein “La” ohne Stimmgabel singen: Laaaa. (Lacht.) Aber das absolute Gehör habe ich nicht. Ich habe ein gutes Gehör.
Sie haben vorhin gesagt, Sie haben sich mit der Gitarre begleitet. Spielen Sie noch andere Instrumente?
Leider nicht. Ich würde mich gerne mit dem Piano begleiten, aber ich konnte mit diesem Instrument nicht früh genug anfangen, und ich fand nie wirklich die Zeit, mich diesem Instrument zu widmen. Aber ich finde es toll, wenn ich sehe, dass jemand singt und sich mit dem Klavier begleiten kann. Ich kann mich wirklich nur mit der Gitarre begleiten, und das allerdings nicht profimäßig, sondern elementar.
Welche Sprachen sprechen Sie, und in welchen Sprachen singen Sie?
Ich spreche Deutsch, weil ich mein Studium im deutschsprachigen Raum absolviert habe. Ich spreche Spanisch, das ist meine Muttersprache. In meiner Ausbildungszeit habe ich auch sehr oft in Italien studiert, dadurch kann ich auch einiges auf Italienisch. Englisch verstehe ich gut. Ich singe hauptsächlich in den Sprachen Französisch, Italienisch, Spanisch, Deutsch und Englisch.
Haben Sie musikalische oder szenische Vorbilder?
Vorbilder habe ich auf jeden Fall, und zwar Künstler, die sich jahrelang diesem Beruf gewidmet haben. Man bewundert die Qualität, die immer im Vordergrund stand. Placido Domingo ist für mich eines der besten Beispiele – nicht nur als Sänger, sondern auch als Künstler. Ich hatte auch das Glück, bei sehr guten Sängern gelernt zu haben, zum Beispiel Margareta Lilowa oder Franco Pagliazzi. Diese Künstler waren auch sehr wichtige “Standpunkte” für meine Entwicklung. Dadurch ist die Bewunderung für sie mit der Zeit immer weiter gewachsen.
Hatten Sie internationale Auftritte, abgesehen von Deutschland und Österreich?
Ich war als Gast in Holland mit einem Werk von Christoph Cech, eine moderne Version von Monteverdis Orfeo. Danach folgte ein Engagement in Bulgarien, wo ich mit dem Plovdiv Philharmonic Orchestra die Sinfonie von Zemlinsky sang; eine Konzerttournee in Ungarn folgte. Dann kamen Auftritte in Japan, unter anderem mit dem Hiroshima Sinfonieorchester, um Beethovens Neunte aufzunehmen. Es war ein unglaubliches Gefühl für mich, den Klang von über eintausendfünfhundert Choristen und das riesige Orchester auf der Bühne zu erleben – und wir, die Solisten, waren in der Mitte.
Die Japaner in Hiroshima haben sich dieses Werk ausgewählt und führen es traditionell jedes Jahr auf um der Atomkatastrophe zu gedenken. Als das Werk zu Ende war, bekam ich ein Geschenk von ihnen, eine Tasche, auf der stand: „Alle Menschen werden Brüder.“ Das fand ich besonders schön.
Ich bin auch Solist der Kolumbianischen Oper; voriges Jahr trat ich als Dr. Malatesta in Don Pasquale auf, und dieses Jahr werde ich mein Debüt als Leskaut in Massenets Manon geben.
Gibt es Komplikationen, die sich aus dem besonderen Lebensrhythmus und Arbeitsrhythmus eines Opernsängers ergeben?
Ja, ich glaube, ein Sänger, der ausschließlich vom Singen lebt, hat es nicht leicht. Jeder Ortswechsel, vor allem, wenn man Familie hat, ist schwer. Wenn die Kinder krank werden, dann leidet man auch mit. Wenn man sich für einen Gastvertrag irgendwo anders entscheidet, dann geht man von zuhause weg, vier bis sechs Wochen, und in dieser Zeit sieht man die Familie nicht, sieht man die Kinder nicht aufwachsen. Diese Dinge treffen einen Sänger auch. Der Stress, immer fit zu sein, der Stress vor allem heutzutage, wo alles immer perfekt aussehen muss. Ich glaube, das ist ein Druck, den jeder Sänger in sich trägt. Es gibt auch die Gefahr, dass man zuviel auf einmal macht, um keine Chance zu verpassen, aber das ist eine große Gefahr. Ich finde, ein Sänger hat vor allem eine große Belastung damit, einen echten Rhythmus zu haben. Wenn man sich entscheidet, ein Gastengagement woanders anzunehmen, dann muss man beispielsweise bei Kolumbien oder Japan mit einem Zeitunterschied von 6 oder 7 Stunden rechnen. Dieser ständige Wechsel belastet nicht nur die Stimme, sondern auch die Nerven. Also, ein Sänger hat es in dem Sinne nicht leicht.
Was tut Ihrer Stimme gut, und was mag die Stimme überhaupt nicht?
Es tut mir gut, wenn ich Werke zu singen habe, mit denen ich mich wohlfühle; nicht nur stimmlich, sondern auch, dass ich mich in dieser Partie oder dieser Rolle wiederfinde.
Ich finde es vor allem wichtig, die Möglichkeit zu haben, nach einer Vorstellung oder nach einer langen Probezeit immer wieder zur Ruhe zu kommen. Das ist aber nicht immer selbstverständlich. Und das, glaube ich, tut mir nicht gut.
Tun Sie etwas für Ihre Kondition?
Das Minimum, denke ich. Ich versuche zumindest, jeden Tag ein wenig Sport zu machen. Für meine Kondition versuche ich außerdem, auf meine Ernährung zu achten, so gut es geht. Ich gehe mit meiner Stimme sehr bewusst um, ich bereite mich für Partien gut vor, aber ich singe wenig, wenn ich zuhause bin. Es ist sehr oft mehr als genug, was man im Theater schon probt. Außerdem rauche ich nicht und trinke nur gelegentlich Alkohol, insofern sollte das schon ein Beitrag zur Schonung der Stimme und des Körpers sein.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie sehr diszipliniert leben müssen?
Es hat sich schon einiges geändert, wenn ich mein heutiges Leben vergleiche damit, wie ich als Student gelebt habe. Also, der Beruf verlangt auf jeden Fall mehr Diziplin: einen anderen Rhythmus zu haben, auf so viele Dinge achten zu müssen, die einem als junger Sänger fremd sind. Zum Beispiel: Wie komme ich mit einem Orchester zusammen, wenn man die Erfahrung nicht hat oder nicht ausreichend gemacht hat? Als Berufsanfänger war man ja noch nicht so oft oder nicht so regelmäßig auf der Bühne, dass man das alles selbstverständlich kann. Wie klingt meine Stimme auf der Bühne? Kann ich mit dem Gefühl gut umgehen, oder brauche ich ein bisschen Zeit dafür? Für all diese Dinge, die nur in der Praxis zu lernen sind, braucht man konsequente Arbeit, dafür braucht man natürlich ein bisschen mehr Disziplin. Wenn man schon im Beruf ist, sind zusätzliche Herausforderungen da, und ich glaube, um diese mit Erfolg zu erreichen, lebt man auf jeden Fall ein bisschen anders.
Wie bereiten Sie sich auf eine neue Rolle vor?
Zuerst lese ich das Libretto und erkundige mich, was für meine Partie geschrieben ist. Daraus ergeben sich Fragen wie: Was ist von meinem Charakter in dieser Rolle, die ich spiele, und was nicht? Was muss ich zusätzlich lernen? Ich glaube, ganz grundsätzlich gehe ich erst mal den Gedanken an: Wie bewegt sich diese Figur auf der Bühne, die ich jetzt darstellen werde? Welche Gestensprache verwendet sie, mit den Händen? Oder: Wie schaut die Figur, vom Blick her? Das sind die grundsätzlichen Ideen.
Danach kommt die Musik, auf die man besonders achten soll. Natürlich, je nach Komponist, ist die Musik ein zusätzliches Gewürz darin, das diese Figur formt. Ich versuche zuerst, diese beiden Punkte zu klären.
Dann kommt das dritte und Wichtigste für mich, und das ist die Technik dabei. Also: Wie singe ich diese Partie schön, echt, und für mich auch ökonomisch?
Diese drei Punkte zusammengenommen, das umfasst für mich in erster Linie die Vorbereitung auf eine Partie. Der Rest kommt mit der Erfahrung. Wenn man eine Partie gespielt hat, lernt man jedes Mal mehr davon.
Ihr letztes Rollendebüt hier am Gärtnerplatztheater war der Magus in Joseph Süß. Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet?
Ich habe sehr intensiv die jüdische Kultur recherchiert, um mir ein Bild zu machen, wie eine Person aus dem Judentum zum Beispiel sich beim Beten ausdrücken könnte. Da die Musik nicht leicht zu lernen war, habe ich ein wenig mehr Zeit gebraucht als sonst, bis ich die Partie im Körper gespürt habe. Es war auch nicht leicht, die Partie auswendig zu lernen. Ich lerne immer noch Neues darüber. Wenn Sie mich in einigen Wochen fragen, werde ich von den Erfahrungen berichten; die Partie ist immer noch frisch für mich.
Als Nächstes kommt bei Ihnen eine Lieder-Soiree. Erzählen Sie uns doch ein bisschen dazu, was da geplant ist.
Die Besucher unseres Konzerts werden sich unter anderem an wunderschönen, spanischen Melodien erfreuen, es sind Melodien aus Zarzuelas. Die Zarzuela “Luisa Fernanda” ist unser Schwerpunkt im ersten Teil.
Es kommen auch Melodien, die nicht zur Zarzuela gehören, aber die traditionell aus der spanischen Kultur stammen. Das Konzert heißt: “Das kommt mir spanisch vor”. Als Hauptspeise bringen wir spanische Lieder in allen Spielarten, gemischt mit Liedern, die aus den romanischen Sprachen stammen. Im zweiten Teil kommen verschiedene Rhythmen, die auch auf spanisch gesungen werden, aber die nicht unbedingt zu einer klassischen Gattung gehören, wie zum Beispiel Tango. Da haben wir auch eine kleine Portion von dieser schönen südländischen Identität in Südamerika: Die argentinische Musik. Komponisten wie Astor Piazzolla, einer der bedeutendsten Exponenten dieser Art von Musik, werden zu hören sein. Wir haben auch Boleros, Musik auf portugiesisch und französisch.
Ich werde das Konzert zusammen mit der Sopranistin Elaine Ortiz Arandes singen, eine lateinamerikanische Kollegin, die eine wunderschöne Stimme hat. Am Flügel wird uns Liviu Petcu begleiten. Es wird ein vielfältiges Programm sein. Mir persönlich macht es sehr viel Freude, den Kollegen, die mitwirken, genauso. Ich hoffe, die Zuhörer werden es auch genießen.
Das hört sich nach einem sehr spannenden Programm an. –
Haben Sie Lampenfieber, und wenn ja, was tun Sie dagegen?
Unkontrolliertes Lampenfieber in dem Sinn habe ich jetzt nicht mehr. Das habe ich aber bei meinen ersten Bühnenauftritten erlebt: Diese extreme Nervosität, diese tausend Fragen: Schaffe ich es? Werde ich zufrieden sein? Wird das Publikum zufrieden sein? Dieser ganze Druck, den man sich selbst aufbaut, produziert dieses Lampenfieber. Wenn ich jetzt auf die Bühne gehe, ist eine Aufregung da, die aber, glaube ich, mir auch hilft, mehr dabei zu sein, aktiver auf der Bühne zu wirken. Ein bisschen dieser Aufregung, glaube ich, ist auch notwendig. Es hilft mir zumindest, die Einstellung zu haben, den Abend zu erleben und zu akzeptieren, so wie er kommt.
Was ist das Beste an Ihrem Beruf, und was ist das Nervigste?
Das Beste für mich sind die unendlichen Gefühle, die man von der Musik mitbekommt, sich wachsen zu sehen in dieser Art von Leben. Sänger zu sein, ist eine bestimmte Art, das Leben zu leben. – Das Nervigste? Ich würde sagen, diese Ungewissheit, die man manchmal hat, wenn man im Beruf anfängt. Ich musste sehr oft umziehen, und um an die ersten Verträge zu kommen, musste ich sehr oft Vorsingen absolvieren; manchmal machte die Stimme oder die Gesundheit nicht mit, und somit war dann alles umsonst. Mit Familie sehnt man sich noch mehr nach Stabilität, sprich: dauerhaften Wohnort und fixen Arbeitsplatz. Das nicht immer zu haben, ist das Nervigste für mich, würde ich sagen.
Haben Sie eine Wunschpartie?
Eine Wunschpartie derzeit habe ich, ja. Ich würde sagen, es gibt keine Partie, die mir persönlich im italienischen Fach in dem, was wir Opera Buffa nennen, mehr Vergnügen bereitet als die Partie des Figaro in Il Barbiere di Siviglia. Die habe ich glücklicherweise erhalten. In dieser Rolle werde ich in Münster kommenden September debütieren.
Dann herzlichen Dank für dieses Interview, und alles Gute für die Zukunft!
Vielen Dank!
(Das Interview wurde geführt am 30. März 2012 in München.)
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