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NachtMusik am 19. November 2011 12:46 [singlepic id=979 w=320 h=240 float=left]
Herr Sellier, vielen Dank, dass Sie die Zeit gefunden haben für ein Interview auf dem Blog „Nacht-Gedanken“. Vielleicht können Sie uns zum Einstieg etwas über Ihren Werdegang erzählen?
Mein Werdegang … Im allgemeinen oder an diesem Theater?
Im allgemeinen.
Ja, also, ich bin in München geboren, habe nach dem Zivildienst in Augsburg Gesang studiert, bin dann noch zu Studienzeiten sozusagen von Herrn Dr. Peters „entdeckt“ worden, in Augsburg. Der hat eine Hochschul-Produktion gesehen und hat mich daraufhin am Theater Augsburg für den Ferrando in „Cosi fan tutte“ und den Roderigo in „Othello“ verpflichtet und hat mir dann einen Vertrag angeboten hier am Gärtnerplatztheater.
Und wie ist dann hier die Entwicklung gewesen von Ihnen am Theater?
Entwicklung? Ich weiß nicht, wie weit Entwicklung … ich habe eigentlich in der ersten Saison schon tolle Partien singen dürfen. Es ist nicht so, dass sie mir erst mal kleinere Rollen gegeben haben und irgendwann später dann Hauptpartien – sondern ich war eigentlich von Anfang an in dem lyrischen Fach, also quasi erstes Fach, mit Tamino und Fenton und Almaviva, schon in der ersten Spielzeit. Genau. Aber das waren eigentlich alles nur Wiederaufnahmen. Erst in der zweiten Spielzeit war der Frederic in den PIRATEN meine erste wirklich große Premiere.
Nun kommt eine Neuproduktion von Sullivans PIRATEN heraus – Entschuldigung, MIKADO.
(Lacht.) Wir sagen auch immer aus Versehen PIRATEN, denn die PIRATEN haben sich so eingeprägt. Ich rede auch immer wieder von PIRATEN.
Erste Frage dazu: Waren Sie schon mal in Japan?
Nein. Ich war in Korea, in Taiwan und in Thailand, aber noch nie in Japan.
MIKADO ist ja Kritik an der damaligen britischen Gesellschaft in japanisches Gewand gepackt. Sehen Sie da aktuelle Bezüge?
Also, man kann natürlich dieses Stück sehr gut benutzen, um heutige politische Mißstände oder politischen Filz aufzuzeigen. Es geht ja sehr viel um Ämterhäufung und Ämterverstrickung und Korruption, und das alles. Das wird da sehr, sehr deutlich aufs Korn genommen. Und das ist, glaube ich, ein Thema, das nie ausstirbt. Korruption hat es immer gegeben. Solange es einen Staat oder eine Regierung gegeben hat, hat es Korruption gegeben. Sobald es Ämter gibt, gibt es Korruption. Sehe ich so.
Und da nimmt natürlich auch die jetzige Neuproduktion darauf Bezug, wahrscheinlich?
Ja. Es fallen nicht direkt Namen, aber ich glaube, das Publikum versteht schon sehr deutlich, dass das nicht etwas ist, was ausschließlich im 19. Jahrhundert stattgefunden hat.
Können Sie erklären, warum MIKADO das erfolgreichste Stück von Gilbert & Sullivan ist?
Da fehlt mir der Überblick. Also, ich kenne sonstige Stücke von Gilbert & Sullivan eigentlich nicht. Ich kann es jetzt nur mit PIRATEN vergleichen. PIRATEN ist auch ein fantastisches Stück. Ich finde MIKADO ein bisschen reichhaltiger noch. Es ist weniger romantisch, sage ich jetzt mal, sondern es geht wirklich mehr in Richtung Politik. Wahrscheinlich hat das einfach zu Gilbert & Sullivans Zeiten mehr eingeschlagen. Und weil die Handlung ein bisschen komplexer ist, und weil – die Texte sind absolut brillant, obwohl wir ja tatsächlich nur deutsche Übersetzungen haben. Aber auch diese Übersetzung, die wir vorliegen haben, ist ziemlich brillant, finde ich. Sowohl in den Dialogen als auch in den musikalischen Nummern. Und MIKADO ist länger als PIRATEN und, wie gesagt, komplexer.
In der Produktion – beziehungsweise in der deutschen Übersetzung – ist der Erzähler dabei. Hilft dem Ganzen das dann, durch die Übersetzung, und die Führung durch den Erzähler im Stück? Im Gegensatz zum Original – macht es das verständlicher?
Natürlich funktioniert das Stück auch ohne Erzähler. Aber ich finde unsere Version mit Erzähler sehr schön, eigentlich. Wenn es um Willkür, und auch um Beamtenwillkür und so weiter geht, haben wir dann eben noch die zusätzliche Ebene des Erzählers, der auch sozusagen willkürlich Figuren beeinflusst oder verändert, oder der einfach Szenarien baut. Das funktioniert sehr gut, finde ich.
Ist der Humor dieses Stücks englischer Humor, oder ganz allgemeingültig?
Es ist auf jeden Fall kein derber Humor. Es gibt ja Stücke, die dann eher so in der Mundart angesiedelt sind, selbst „Fledermaus“, wo der Humor manchmal eher derb ist, oder wenn es in Richtung Wienerisch geht, oder was weiß ich. Das ist – ich wollte jetzt schon PIRATEN sagen, nein (lacht) – das ist MIKADO nicht: Dieser Humor ist doch eher ein spitzfindiger, politischer, trockener und wahrscheinlich dadurch englischer Humor. Also diese Absurdität. Die Absurdität, die aber dann unterspielt wird. Wir befinden uns in ziemlich verrückten Situationen: Wenn z.B. verhandelt wird, wann genau Nanki-Poo enthauptet werden soll: in einem Monat. Dass er aber dafür Yum-Yum doch noch heiraten darf. Wie gratuliert man jetzt jemandem zu seiner Hochzeit, der einen Monat später geköpft wird??? Und all das wird ganz „normal“ verhandelt. In einem sehr hübschen, normalen Konversationston. Das ist, finde ich, etwas typisch Englisches: dass man sich über völlig bekloppte Situationen sehr gepflegt unterhält. Das finde ich sehr charakteristisch für den englischen Humor.
Was sind die Gemeinsamkeiten bzw. die Unterschiede zwischen den PIRATEN und MIKADO im Speziellen, wenn man die zwei Stücke vergleicht?
Naja, das Ganze – der Background ist irgendwie anders. Es geht, wie gesagt, in den PIRATEN sehr wenig um Politik. Da geht es vielleicht um Polizisten, die unfähig sind, um Generalmajore, die unfähig sind, um Piraten, die unfähig sind, weil sie viel zu freundlich sind. In „Titipu“ bzw. bei MIKADO geht es weniger um Unfähigkeit, sondern da geht es eher, ja, um individuelle Bestechlichkeit, jeder kocht so sein eigenes Süppchen. Es geht mehr um Egoismus. In den PIRATEN geht es darum: Die Piraten sind viel zu gutherzig und viel zu altruistisch eigentlich. In MIKADO ist jeder ziemlich egoistisch. Der eine häuft Ämter an, der andere ist, „nur“ um seinem eigenen Tod oder seiner eigenen Hinrichtung zu entgehen, selbst Scharfrichter geworden, und alle sind sie irgendwie scharf auf Hinrichtungen überhaupt. Die sind so ein bisschen „Kopf-ab-Fetischisten“, habe ich das Gefühl. MIKADO ist blutrünstiger, ein bisschen mehr für Erwachsene. Die Optik wird auch sehr hübsch sein. Aber bei den Piraten war unsere Optik natürlich sehr Postkarten-Piraten-Idyll. Bei MIKADO ist es tatsächlich eher eine fernöstliche Optik, relativ spartanisch, und mit vielen rechten Winkeln. Aber auch sehr ästhetisch, finde ich.
Und musikalisch gesehen die Unterschiede?
In der Qualität, finde ich, sind beide Stücke sehr gut, muss ich sagen. Es gibt, ja, wie es auch bei den PIRATEN gab, so Anklänge an Robert Schumann, an die deutsche Romantik, das haben wir in MIKADO genauso. Also, ich finde, beide Stücke haben absolut Hits und Hit-Qualitäten. In MIKADO sind noch mehr und auch größer besetzte Ensembles.
Gibt es also besondere fernöstliche Anklänge?
Ja, doch, es wird zitiert, aber man merkt, dass die nicht wirklich tief geforscht haben über fernöstliche Musik, sondern da kommen halt pentatonische Klischees (singt: lalala…), solche Dinger gibt es dann immer. Außerdem etwas Percussion: Ein Tempelgong, große Trommel, wenn dann der Mikado auftritt, dass man so ein bisschen dieses Martialische hat. Also – ein Klischee wird so ein Stück weit bedient. Aber die Musiksprache ist normalerweise doch sehr ähnlich wie bei PIRATEN. Also, sehr europäisch, muss ich sagen.
Wie hat der Regisseur Ihre Figur in dem Stück angelegt? Bleiben für Sie persönlich da noch Freiheiten in der Interpretation der Rolle, oder ist das vom Regisseur her sehr klar definiert?
Nein, es bleiben eigentlich immer Freiheiten. Es war nicht so, dass der Regisseur vorgibt, du musst genau das und das tun, und so schauen, und so gehen, und das und das fühlen. Dafür ist Holger Seitz eigentlich auch bekannt, dass er mit den Darstellern – dann auch mit beiden Besetzungen durchaus unterschiedlich – das gemeinsam entwickelt; eben weil der Darsteller seine eigene Körperlichkeit und seinen eigenen Erfahrungshorizont mitbringt, seine eigenen Qualitäten. Wir diskutieren schon über einzelne Farben oder über einzelne Reaktionen in bestimmten Situationen. Wie ist Nanki Poos Beziehung zu seinem Vater, kennt er seinen Vater überhaupt? Und so weiter. Und trotzdem ist die Arbeit doch in einem sehr positiven Sinne oberflächlich, das heißt, wir forschen nicht zu tief in der Psychologie der Figuren, weil dann die Komödie nicht mehr funktioniert. Also diese absurden Dialoge, die funktionieren nicht, wenn man alles psychologisch begründet und ganz natürlich spielt; sondern es muss eine gewisse Künstlichkeit im Sinne von Unterspielen haben, im Sinne von „trocken“. Klipp-klapp, hat es Holger Seitz immer genannt. Klipp-Klapp-Komödie. Es hat etwas von Boulevard-Komödie. Wo es einfach durchrauschen muss, ohne dass man groß nachfragt: Ja, was meine ich denn jetzt ernst?, oder: Wie ist das denn jetzt gemeint? An den Dialogen haben wir auch sehr viel geprobt, dass die wirklich auf Tempo sind und wirklich auf den Punkt, und dass jede Pointe sitzt, ja. Es war eine anstrengende und sehr schöne Arbeit.
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Wie ist das denn allgemein bei Ihnen? Es gibt ja die sehr schönen Seiten des Sänger-Daseins, aber auch die schwierigen Seiten. Wie würden Sie das sehen?
Also die schönen Seiten: Wenn man arbeiten darf, ja, wenn man als Sänger Arbeit hat, sich bei Proben einbringen darf, und vor allem wenn man dann am Abend singen darf, ist das wunderschön. Natürlich, dass man jedes Jahr, jeden Herbst, um seinen Arbeitsplatz bangt, manchmal zu Unrecht, manchmal zu Recht, jetzt in unserem Fall für alle zu Recht, ist natürlich eine unschöne Komponente. Aber das gehört dazu, und wir wussten das alle von Anfang an, dass man als Solist an einem deutschen Theater, wenn man nicht fünfzehn Jahre an einem Haus aushält oder ausgehalten wird, dass man dann einfach sich jederzeit auf einem Schleudersitz befindet. Das ist so.
Nun ist das ja ein krasser Schnitt jetzt gewesen, von dem neuen Intendanten, natürlich.
Ja.
Haben Sie da in Zukunft schon Pläne, wie es bei Ihnen weitergeht, allgemein, ein neues Engagement, oder Pläne für die Zukunft?
Ich habe schon Vorstellungen wie es weitergehen kann. Es gibt für mich Gründe – auch private, dass ich meine Zukunft sehr offen halten muss. Das heißt, ich werde wahrscheinlich nicht sofort wieder in ein festes Engagement gehen und suche auch nicht unbedingt danach, sondern ich würde gerne freischaffend tätig sein und meine Konzerttätigkeit auch weiter ausbauen, die nächsten zwei Jahre vielleicht. Wer weiß. Vielleicht möchte ich mich dann doch wieder an ein Haus fest binden, ich weiß es noch nicht.
Mit neuen Rollen, die noch dazukommen?
Ja, es gibt schon Rollen, die mich in Zukunft mal interessieren. Ja. Trotzdem gibt es auch Rollen, die ich jetzt natürlich einfach weiterhin singen sollte. Ich denke, ein Haus, das sich sozusagen für mich interessiert, wird sich wahrscheinlich auch für meinen Tamino interessieren, weil das im Moment doch meine Vorzeige-Rolle ist.
Und neue Rollen, die Sie im Blickfeld haben, die kommen?
Ja, da träume ich schon sehr lange davon: Ich möchte einmal einen Monteverdi-„Orfeo“ singen. Ich weiß noch nicht, wann und wie und wo das passieren wird, aber ich halte Augen und Ohren offen nach einer Gelegenheit. Das ist etwas, was mir sehr am Herzen liegt, was ich dringend mal machen möchte. Was mich sonst noch interessieren würde, das liegt noch an unserer „Death in Venice“-Produktion: Dieser Britten hat es mir sehr angetan. Ich würde gerne mal in die Fußstapfen von Peter Pears treten und nach jüngeren Rollen von Peter Pears forschen. Britten hat natürlich für seinen Lebensgefährten so fantastische Partien geschrieben, und da werde ich mich auch darum kümmern die nächsten Jahre, da ein bisschen was zu studieren.
Dann wünsche ich Ihnen für die Zukunft und vor allem für die Premiere am Samstag alles Gute, und bedanke mich für das Gespräch!
Vielen Dank auch!
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Corinna Klimek am 16. November 2011 21:52 [singlepic id=1064 w=320 h=240 float=left]
Herr Sonneson, herzlichen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben für ein Interview auf dem Blog „Nacht-Gedanken“. Erzählen Sie uns doch bitte etwas zu Ihrem Werdegang.
Jeder, der sich für eine Theaterkarriere als Sänger oder Schauspieler entscheidet, sollte wissen, dass dazu nicht nur Talent und Disziplin gehören, sondern auch viel Glück. Also, ich hatte großes Glück. Es begann schon in der Schule, wo mich mein Musiklehrer überredete, im Schulchor zu singen (es war ein Mädchenchor). Musische Erziehung, erste Stimmbildung, chorisches Singen, Akkordeon- und Gitarrenunterricht habe ich ihm zu verdanken. Seinem Wunsch, klassischen Gesang zu studieren, habe ich allerdings nicht entsprochen. Lieber sang ich zur Gitarre Chansons und Schlager. Nach einem dieser Auftritte fragte mich ein Schauspieler lapidar: Warum gehst Du nicht zum Theater? Weil ich neugierig war, ging ich also zum Theater. Als Autodidakt sang ich im Chor, tanzte im Extraballett, spielte kleine Rollen im Schauspiel. An diesem Provinztheater hatte ich das Glück, dass ich einen Oberspielleiter hatte, der mich zu einer fundierten Ausbildung drängte. Weil ich aber am Theater bleiben wollte, wählte ich die Form des externen Studiums, spielte und studierte parallel, lernte das Handwerk also von der „Pike“ auf, legte nach 5 Jahren die Bühnenreifeprüfung ab und erhielt gleichzeitig ein Engagement als singender Schauspieler am Metropoltheater Berlin. Es folgten 25 herrliche Jahre, die für meine Entwicklung sehr wichtig waren, und in denen ich mich in der Vielseitigkeit meines Berufes so richtig austoben konnte. Das waren Operetten- und Musical-Rollen im Theater, Verpflichtungen als Schauspieler in Kinofilmen und Fernsehspielen, Synchronsprecher, Auftritte als Entertainer im Friedrichstadt-Palast und als Moderator und Sänger in Fernsehshows.
Der Co-Produktion der Kollo-Operette „Wie einst im Mai“, zwischen dem Metropoltheater und dem Staatstheater am Gärtnerplatz, habe ich zu verdanken, dass ich, zunächst als Gast, nach München kam. Aber schon während der Probenzeit machte mir Professor Matiasek das Angebot, doch fest in das Ensemble zu wechseln. Es folgten 4 Jahre, in denen ich fixe Verträge an beiden Theatern hatte, dann wurde das Metropoltheater weggespart. Jetzt heißt es wieder Admiralspalast und ist ein Theater ohne Ensemble und ohne Seele.
Das heißt, Sie konzentrieren sich jetzt eher aufs Singen und nicht aufs Schauspielen?
Ich glaube, das kann man nicht trennen. Außerdem stehe ich auf der Bühne mit Kollegen, die gute Darsteller sind und die sich gesanglich in einer anderen Liga befinden. Wenn man sich als junger Schauspieler für das Musiktheater entscheidet, weiß man natürlich, dass man nicht mehr den Romeo zu spielen bekommt. Wobei ich gestehen muss, ich habe nicht gedacht, dass mit meinem Umzug nach München die Verpflichtungen bei Synchron, Film und Fernsehen völlig wegbrechen. Es haben sich aber in München andere Felder erschlossen. Ich konnte an anderen Theatern gastieren, auch im Schauspiel. So habe ich am Staatstheater Meiningen die Titelrolle in „Der Entertainer“ gespielt, am Schauspielhaus in Baden-Baden den Magier in der deutschen Erstaufführung „Hotel zu den zwei Welten“, habe an vier Theatern den Higgins gespielt und „My Fair Lady“ am Bayerischen Landestheater inszeniert. Aber die Unterschiedlichkeit der Rollen, die ich am Gärtnerplatztheater spielen durfte, von Sancho Pansa in „Mann von La Mancha“, Calicot in „Madame Pompadour“ bis hin zum Kringelein im „Grand Hotel“ haben mich nicht nur als Sänger, sondern auch als Schauspieler voll gefordert.
Hilft Ihnen Ihre szenische Ausbildung auch bei der musikalischen Ausgestaltung der Rolle?
Jedenfalls ist sie nicht hinderlich. Ich hatte ja das ganz große Glück, eine Sprecherzieherin zu haben, Frau Hildegard Pürzel, der ich sehr zu danken habe. Sie hat nämlich die Sprecherziehung am Klavier gemacht, und wir haben Übungen gemacht, die die Sänger auch machen. Sie hat aber viel mehr Wert auf den Inhalt gelegt. Also, sie hat nicht gesagt: „Du singst jetzt Bla-bla-bla“, sondern sie hat gesagt: „Du musst dir genau dabei etwas denken, wenn du jetzt diese Übung singst. Auch wenn du es nur auf Vokalisen singst.“ Und das haben wir so weit getrieben, dass sie manchmal erraten hat, was wir gedacht haben. Dieses „immer an den Inhalt denken“ war so ungeheuer wichtig für meine Ausbildung.
Welche Musikrichtung hören Sie privat?
Das ist ganz unterschiedlich. Aber schon durch meinen Sohn werde ich gezwungen, mir aktuelle Popmusik anzuhören und mich damit auseinander zu setzen. Einiges gefällt mir sogar. Ich bin mit der Musik der Beatles groß geworden; mit den Anfängen der Popmusik, die wir damals noch Beat nannten, und dieser Art von Musik bin ich eben verhaftet. Aber natürlich höre ich auch andere Musik. Sehr oft z.B. die Brandenburgischen Konzerte. Aber jedes Ding zu seiner Zeit, und das richtet sich auch nach meiner momentanen Stimmung.
Welche Sprachen sprechen Sie, und in welchen Sprachen spielen oder sprechen Sie?
Ich spreche keine Fremdsprache so, dass ich sie auf der Bühne einsetzen kann. Deshalb singe ich auch nicht in einer anderen Sprache, was mich im Laufe der Jahre sehr, sehr geärgert hat. Ich bin ein großer Fan von Jacques Brel und habe am Opernhaus Halle mit einer Big Band auch mal einen Jacques-Brel-Abend gegeben. Obwohl es gute Nachdichtungen seiner Texte gibt, habe ich sehr bedauert, dass ich diese herrlichen Chansons nicht in der authentischen Sprache singen konnte.
Welche Opern- oder Operetten- oder Musical-Aufnahme, also Sachen, die Sie selber spielen bzw. singen, hören Sie privat am liebsten?
Hmm. (Lacht.) Eigentlich gar nichts. Ich höre mir Dinge an, die mich interessieren, oder von denen ich glaube, dass es lohnend ist, sich mit ihnen zu beschäftigen. Wirklich nur ein Gelegenheitshörer. Queen gehört aber ebenso dazu wie Sinatra. Übrigens, die Musik von Rio Reiser hat viele Musiker in Deutschland beeinflusst. Seine Musik und seine Interpretation sind sehr beeindruckend.
Haben Sie musikalische oder szenische Vorbilder?
Nein, eigentlich nicht. Aber wenn ich sage, dass ich mir gern Brel oder Reiser anhöre, dann natürlich auch, um von ihnen zu lernen. Ich bin auch ein ausgesprochener Fan von Buster Keaton, aber auch von James Steward. Schauspieler, die schnörkellos, uneitel und mit einer herrlichen Naivität spielen. Ich mag Darsteller, die mit so einer ungeheuren, ich sage mal, professionellen Naivität an die Rollen herangehen. Von deutschen Schauspielern möchte ich unbedingt Ulrich Tukur erwähnen: ein großartiger Schauspieler und Entertainer.
Sie sind auch auf Kreuzfahrtschiffen als Entertainer unterwegs. Haben Sie auch noch andere internationale Auftritte?
Ja, die hatte ich. Aber nur mit meinen kabarettistischen Soloprogrammen. Damit war ich immerhin in Frankreich, Österreich, Syrien und Jordanien. Das war aber noch zu Zeiten der DDR, wo die Künstler dieses Landes als Exoten galten, wo man neugierig war, wie sich die Widersprüche ihrer Gesellschaft in den Texten und Liedern wiederfinden. Vieles musste man aber vor den Geschichten erst erklären. Das führte manchmal dazu, dass die Erklärung der Widersprüche mehr Heiterkeit auslöste als die folgende Darbietung.
Da ich seit 25 Jahren auf Kreuzfahrtschiffen die Weltmeere als Entertainer bereise, habe ich aber viele Länder, das heißt viele Hafenstädte gesehen. Diese Auftritte, hautnah vor dem Publikum, mit dem man während der jeweiligen Reise ja auch lebt, finde ich besonders reizvoll. Ein schöner Kontrast zur großen Theaterbühne.
Was tut Ihrer Stimme gut und was ist gar nicht gut, oder was schadet ihr?
Es tut meiner Stimme ungeheuer gut, wenn sie gefordert wird, wenn sie am Laufen ist. Mir tut es überhaupt nicht gut, wenn ich zum Beispiel sechs Wochen lang nicht auf einer Bühne stehe. Der Einsatz der stimmlichen Mittel auf der Bühne unterscheidet sich ja schon physisch vom Singen und Sprechen im stillen Kämmerlein. Meine Lehrerin hat mir immer wieder eingeimpft, etwas für die Stimme zu tun, sie fit zu halten. Ich habe immer noch das kleine Übungsheft, das sie für uns angelegt hat, wo sie nicht nur Übungen hineingeschrieben hat, sondern auch Merksätze. Einer der ersten Merksätze lautete: „Auf die Haltung kommt es an.“ Ich glaube, dieser Satz war für mich ungeheuer wichtig. Das meint: Die Haltung zur Gesellschaft, die Haltung zur Umwelt, die Haltung zum Stück, die Haltung zum Partner, die Haltung zu politischen Ereignissen und zum Theater. Da sind neben diesen Merksätzen aber auch viele Übungen darin, und die mache ich heute noch. Täglich und oft ganz nebenbei. Ich spreche mich also ein. Meine Kollegen machen sich immer schon lustig, denn wenn ich ins Theater komme, hört man schon meine Übungen, noch bevor ich die Garderobe betreten habe. Vordersitz und Lockerung der Stimme sind eben sehr wichtig.
Wie diszipliniert müssen Sie in Ihrem Beruf leben?
Mit zunehmendem Alter disziplinierter. In jungen Jahren war ich oftmals recht leichtsinnig, bin auch leichtfertig mit den Angeboten umgegangen, die ich bekommen habe. Aber ich habe seit dreißig Jahren nicht mehr geraucht. Ich trinke zwar ab und zu sehr gern Rotwein, aber wenn eine Vorstellung ansteht, ist auch der Alkohol tabu. Wütend macht es mich aber auch, wenn ich Besuch bekomme, und man mir schon zur Begrüßung sagt: „Entschuldigung, ich bin etwas erkältet.“ Dann kann man eben nicht jemanden besuchen, der mit der Stimme seine Brötchen verdient.
Kommen wir zur Neuproduktion DER MIKADO von Gilbert & Sullivan. Sie haben die Rolle des Koko übernommen. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Ich habe mir rechtzeitig das Textbuch geben lassen und habe mir sehr zeitig von unserem musikalischen Leiter, Benjamin Reiners, die Musik vorspielen lassen, und habe mir Gedanken gemacht zu meiner Figur. Immer wieder vor Augen haltend: Die Haltung. Welche Haltung beziehe ich? Die ist ja nicht unwichtig, wenn einer die Seiten wechselt, als einer, der zum Tode verurteilt ist, „begnadigt“ wird, um nun Henker zu werden. Wie verhält der sich auf einmal, wenn er auf einer ganz anderen gesellschaftlichen Ebene sich bewegt? Das war für mich sehr wichtig. Ansonsten habe ich es mir schon lange abgewöhnt, mich intensiv so auf ein Stück so vorzubereiten, dass ich mit ganz klaren Vorstellungen in die szenischen Proben gehe, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass das nur hinderlich ist, wenn man dann konfrontiert wird mit den Vorstellungen des Regisseurs, denn seine Sicht lerne ich ja erst bei Probenbeginn, bei der Konzeptionsbesprechung kennen. Es ist viel schwieriger, von gefassten Vorstellungen abzukommen, als völlig naiv und unbelastet an Dinge heranzugehen, auszuprobieren und zu sehen, ob das, was der Regisseur vorschlägt, der Figur dienlich ist, theatralische Möglichkeiten ausschöpft und die Funktion der Figur erfüllt, auch im Kontext zu den Partnern, mit denen man ja gemeinsam auf der Bühne steht.
Sie haben es vorhin schon angesprochen: Der Koko, der vom Opfer zum Täter wird und wieder zurück. Erzählen Sie uns noch ein bisschen von Ihrer Partie.
Ja. Also, das ist schon eine herrlich groteske Geschichte. Koko ist zum Tode verurteilt, weil es in Japan wohl verboten war, zu flirten. Er hat geflirtet und wurde deshalb zum Tode verurteilt. Er wurde aber begnadigt, weil in Titipu gerade die Position des Scharfrichters neu zu besetzen war, und der Kaiser, also der Mikado, hat gedacht: Na, dann machst du den einfach zum Scharfrichter. – Was für die Beamten dort natürlich ein Schock war. Die wussten ja, der war vorher ein zum Tode verurteilter Flickschneider und kommt jetzt hierher, kann jetzt die Macht ausüben und könnte jetzt auch uns hinrichten. Keiner weiß, das ist ein windiger Trick der Autoren, dass der Mann kein Blut sehen kann und sich deshalb weigert, jemanden zu köpfen. Er muss es dann letztendlich doch machen. Schlitzohrig, wie er ist, kommt er aber darum herum und wählt das kleinere Übel, indem er die Frau heiratet, von der immer gesagt wird, dass sie so furchtbar hässlich ist. Aber um seinen eigenen Kopf zu retten, springt er eben ins kalte Wasser, macht ihr Liebeserklärungen, die ungeheuer verlogen sind, aber so rettet er sich, rettet sein Leben und trägt dazu bei, dass diese Operette doch noch ein gutes Ende findet.
Nanki-Poos Stern steigt, und im Gegenzug sinkt Kokos Stern. Sehen Sie ihn als tragische Figur?
Tragikomisch. So wie Buster Keaton, der auch oft mit Materie und der Tücke des Objektes kämpft. Aber Koko lernt sehr schnell von seinen neuen Mitmenschen, von den Beamten, unter denen er sich ja nun bewegt, und kann sich dann auch mit seiner Bauernschläue sehr findig sogar gegenüber dem Kaiser aus der Affäre ziehen. Also, er ist schon ein Schlitzohr, und die Schlitzohrigkeit dieser Figur geht durch das ganze Stück und macht sie so interessant und reizvoll.
Glauben Sie, Koko kann mit Katisha, die ihm aufs Auge gedrückt wird, glücklich werden?
Sie ist das kleinere Übel. (Lacht) Er hat aber auch keine andere Wahl. Es klingen so Dinge an, ganz dezent, für einen guten Beobachter aber sichtbar, dass Katisha von einer gewissen Perversität ist, die Koko vielleicht noch nie erlebt hat und von der er eventuell immer geträumt hat. Ob das nun die Grundlage einer dauerhaften Beziehung sein kann, möchte ich nicht behaupten. Aber, wie heißt es bei Fontane: „Das ist ein weites Feld“.
Woran machen Sie diese sexuelle Perversität fest? Also, ich kenne das Libretto nur auf Englisch, bisher, da ist mir eigentlich nichts derartiges aufgefallen.
Sehen Sie, das ist doch das Schöne am Theater, dass man mit Haltungen Dinge und Vorgänge deutlich machen kann, die nicht im Textbuch stehen, dass man damit auch die Phantasien der Zuschauer anregen kann und sie Dinge erkennen, ohne dass diese ausgesprochen werden.
Ist es eine traditionelle Inszenierung?
Da müssten wir erst einmal den Begriff „traditionell“ klären. Auf keinen Fall aber ist es eine naturalistische Inszenierung. Holger Seitz hat ja schon von diesen Autoren sehr erfolgreich DIE PIRATEN VON PENZANCE inszeniert und die Strickmuster beider Stücke sind ähnlich, aber es gibt andere Figuren, andere Situationen, andere Haltungen, andere Konflikte, andere Spielorte. Wer sich aber bei den PIRATEN amüsiert hat, sollte es eigentlich auch bei MIKADO können. Ich hoffe es.
Hatten Sie Freiheiten bei der Interpretation Ihrer Rolle?
Im Musiktheater ist man, anders als im Schauspiel, leider viel mehr Ausführender als jemand, der kreativ etwas einbringt und sehr aktiv die Szene mitgestalten oder verändern kann. Das ist aber nur natürlich, denn hier habe ich nicht nur die Partner, die mit mir die Szene bestreiten, Chor und Orchester spielen eine nicht unwesentliche Rolle bei der szenischen Realisierung und neben den szenischen Vorgängen sind Lieder zu interpretieren und oft auch tänzerisch zu gestalten. Ich mache aber immer Angebote, die zum Teil sehr spontan sind und eigentlich aus meiner Erfahrung aus dem Schauspiel resultieren und nicht den Anspruch erheben, richtig oder konsequent zu sein. Dann muss man natürlich auch damit leben, dass vorne einer sitzt und ruft: „Vergiss es!“, und dann lässt man das eben wieder sein. In der DDR gab es die Theaterzeitschrift „Theater der Zeit“. Da gab es auch immer bestimmte Themen, über die diskutiert wurde. Einmal zum Thema: Wie stelle ich mir die Arbeit eines guten Regisseurs vor. Dazu gab es seitenweise Abhandlungen. Ein Kollege aber schrieb den treffenden und tollen Satz: „Er wählt mit Geschmack aus der Fülle der Angebote.“ Ich glaube, das ist sehr wichtig: einem Regisseur etwas anzubieten, und er muss in der Lage sein, zu sagen: Passt das zu meiner Inszenierung, oder würde das den Rahmen sprengen. – Es gibt Sätze, die für mich zum Credo geworden sind, und das bis zum Ende, das ja jetzt für mich abzusehen ist.
Dazu komme ich später noch. – Was gefällt Ihnen am besten an Ihrer Partie, und was ist das Schwierigste daran?
Ich weiß es noch nicht. Wir sind leider, da wir alle Rollen doppelt besetzt haben – obwohl wir jetzt fast schon kurz vor der Premiere stehen –noch nicht so weit, dass wir mal mehrere Bilder hintereinander probiert haben. Ich kann also noch nicht sagen, wie schwer es wird in der Abfolge von Szene, Tanz und Gesang die Kräfte richtig einzuteilen, um nach einer anstrengenden Tanzeinlage wieder ruhig in die nächste Szene zu kommen. Diese Vielfalt der Mittel ist sowohl das Beste als auch das Schwierigste an dieser Rolle.
Es gibt ja dieses Couplet des Koko: „I’ve got a little list“ – ich weiß gar nicht, wie es im Deutschen heißt. Damals wurden Politiker und andere Menschen durch den Kakao gezogen, aber in einer Weise, die ich heute als sexistisch und rassistisch bezeichnen würde. Es bietet sich ja an, das zu aktualisieren. Wen ziehen Sie diesmal durch den Kakao?
Die Geschichten in diesem besagten Couplet „Ich habe eine Liste hier“, waren mir in der vorliegenden textlichen Vorlage alle zu fade. Aber sexistisch oder rassistisch war dieser Text nicht, sondern er war einfach antiquiert. Da ich ja damit vor dem Publikum stehe, habe ich meinen Kollegen Fritz Graas angerufen, der für mich immer schon die Texte für das Couplet in Boccaccio geschrieben hat und habe gesagt „Fritz, lies dir mal diesen Text durch, der geht nicht, so kann man das nicht machen.“ Das hat er sofort eingesehen und mir einen kabarettistischen Text geschrieben, der weder rassistisch oder sexistisch ist, aber die Leute benennt, auf die wir in der Gegenwart gut verzichten können.
Also es heißt, es wird auch im Laufe der Spielzeit immer auch mal wieder aktualisiert?
Ja, unbedingt, wir wissen ja noch nicht, was sich in der kommenden Zeit so an tagesaktuellen Dingen ereignet. Da das Couplet aus einer Aneinanderreihung von Vier – und Zweizeilern besteht, dürfte die Aktualisierung nicht so kompliziert sein.
Gibt es musikalische Besonderheiten, die den Koko charakterisieren?
Nein, das ist im Grunde nicht der Fall. Es sind alles sehr rhythmische Songs, die die jeweilige Situation bedienen, ergänzen oder einen Bezug zur nächsten Szene darstellen. Eigentlich ist die große Ausnahme sein verlogenes Liebeslied, das getragen ist und so aus dem Rahmen fällt.
Noch ein paar allgemeine Fragen zum Schluss: Haben Sie Lampenfieber vor einem Auftritt, und wenn ja, was tun Sie dagegen?
Ich habe ungeheures Lampenfieber, und alle sagen: „Meine Güte, du bist doch ein alter Hase!“ Und es ist ganz merkwürdig, ich glaube, das Lampenfieber wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Ich mache mich dann schon selber fertig, indem ich Textpassagen tausendmal wiederhole, immer wieder versuche, vorher noch die Stimme warmzuhalten, mich einzusprechen, am Kostüm rumzuzupfen oder irgendwas. Ich weiß auch ganz genau, dass ich am 19. November spätestens ab Mittag furchtbare Magenbeschwerden haben werde. – Aber sobald ich auf der Bühne stehe, sollte das Lampenfieber weg sein.
Was empfinden Sie als das Beste an Ihrem Beruf, und was nervt Sie daran?
Also, ich finde es ungeheuer gut, dass man körperlich und geistig immer gefordert wird und sich fit halten muss. Man kann in andere Rollen schlüpfen, man kann – was ich sehr gerne mache – Menschen beobachten und ihre Haltungen dann vielleicht sogar mal benützen, und sollte sich jemand wiedererkennen, ist das dann ja durchaus beabsichtigt.
Manchmal nervt es, aber das gibt es wohl in jedem Beruf, wenn Auseinandersetzungen nicht um der Sache willen, sondern aus persönlicher Eitelkeit geführt werden.
Haben Sie noch eine Wunschpartie?
Ja. – Ja. Aber diese Wunschpartien, die wird man mir nicht erfüllen können, weil ich am Gärtnerplatztheater mit MIKADO ja jetzt meine letzte Premiere habe. Also, Wünsche, die sich nicht erfüllten: Ich hätte gern z.B. in „Tanz der Vampire“ den Professor gespielt, oder in „Les Miserables“ den Thenardier. Charakterrollen, die eigentlich meinem Alter angemessen sind, die aber immer noch die Möglichkeit bieten, zu zeigen, dass man sprachlich, gesanglich, körperlich und geistig noch fit ist.
Sie haben vorhin gesagt, Sie haben auch einen Beruf gelernt. Standen Sie irgendwann mal vor der Überlegung, auch etwas anderes zu machen als singender Schauspieler? Oder: Was wären Sie in einem anderen Leben geworden?
Also, die Frage hat sich eigentlich für mich so nicht gestellt. Ich bin heilfroh, dass dieses Talent entdeckt wurde, weil ich glaube, ich wäre als Elektriker schon längst an versehentlichen Stromschlägen zugrunde gegangen. Ich habe auch keinen anderen Beruf gefunden, wo ich gesagt hätte: Der würde mich interessieren. Sozusagen bin ich mit meinem Beruf ein sehr, sehr glücklicher Mensch und freue mich, dass ich das machen konnte, wovon heute junge Darsteller ja nur träumen können: dass ich in diesem Beruf 50 Jahre in festen Engagements tätig war.
DER MIKADO ist Ihre letzte Premiere an diesem Haus. Können Sie uns einen Ausblick auf die Zukunft geben?
Nein, leider nicht. Ich habe noch einen Gastvertrag an der Musikalischen Komödie in Leipzig, die jetzt allerdings auch um ihre Existenz bangen muss, weil man sparen will in der Stadt Leipzig, und natürlich nicht diese Renommee-Häuser wie Gewandhaus oder Oper schließen will, sondern sagt: Dann muss eben vielleicht die Operette daran glauben. Deshalb weiß ich nicht, ob ich dort weiterhin Gastverpflichtungen haben werde. Der künftige Intendant des Gärtnerplatztheaters hat mich gefragt, ob ich ihm auch als Gast zur Verfügung stehe. Ich habe das bejaht, aber ich glaube, diese Frage hat er dem gesamten Ensemble gestellt, und etwas Konkretes gibt es nicht für mich. Ich werde mich also ab Mai in meinen Garten zurückziehen und werde Rasen mähen, Bäume beschneiden oder andere Schäden anrichten.
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Das empfinde ich als Verlust für München.
Ich hatte nicht gedacht, dass meine Tätigkeit am Gärtnerplatztheater so zu Ende geht. Nach fast zwanzig Jahren in diesem prächtigen Ensemble, lapidar einen Zettel zu bekommen mit der Mitteilung der Nicht-Verlängerung, was nichts anderes heißt als Kündigung. Ich kann es mir eigentlich auch noch gar nicht vorstellen, ohne Theater zu sein. Meine Frau bangt auch davor, weil sie sagt: „Mit wem wirst du dich in Zukunft streiten?“ Jetzt habe ich immer noch Kollegen oder Regisseure, mit denen man sich streiten, reiben und auseinandersetzen kann. Auseinandersetzungen sind in unserem Beruf sehr wichtig, durch sie kommt man oft zu verblüffenden Ergebnissen.
Dann bleibt mir nur übrig, Toi-toi-toi zu wünschen für die Premiere von DER MIKADO und alles Gute für die Zukunft!
Ja. Also, ich wünsche mir wirklich eine sehr, sehr schöne Premiere. Ob es eine berufliche Zukunft gibt, das werde ich erst noch sehen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
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Corinna Klimek am 16. November 2011 08:35 [singlepic id=1085 w=240 h=320 float=left]
Herr Campione, vielen Dank, dass Sie Zeit gefunden haben für ein Interview auf dem Blog „Nacht-Gedanken“. Erzählen Sie uns doch bitte etwas zu Ihrem Werdegang.
Die Schulzeit lasse ich mal weg, denn das Abitur war jetzt nicht wirklich das Spannendste in meinem Leben. Nach dem Abitur habe ich gleich an der Hochschule für Musik und Theater und in der Theaterakademie August Everding mein Gesangsstudium, also mein Studium als Opern- und Konzertsänger bei Professor Wolfgang Brendel absolviert. Gleich nach dem Studium, 2009, kam ich dann sofort ans Gärtnerplatztheater und von 2009 bis jetzt bin ich dann auch an diesem Theater geblieben.
Sie haben aber zwischendurch auch Produktionen mit der Musikhochschule gemacht, ich kann mich da an eine „Cenerentola“ erinnern und an eine „La Boheme“. Da konnten Sie schon erste Erfahrungen sammeln. Haben Sie noch weitere Produktionen in dieser Zeit vor dem Gärtnerplatztheater gemacht?
Meine ersten Erfahrungen, die liegen ziemlich weit zurück, da war ich noch ein Kind. Aber die ersten Erfahrungen als Männerstimme habe ich in der Hochschule für Musik und Theater gemacht. Da habe ich bei „L’enfant et les sortileges“ beide Basspartien, den Lehnstuhl und den Baum, singen dürfen. Dann, auch wieder in der Hochschule, habe ich im „Wachsfigurenkabinett“ ein Mitglied des Herrenensembles gesungen – das sind vier Herren, die quasi durch das komplette Stück begleiten. Dann kam gleich danach „Giulio Cesare in Egitto“, da habe ich den Tolomeo gesungen. Danach in der Theaterakademie bei „Jewgeni Onegin“ habe ich den Saretzki und den Hauptmann singen dürfen. Gleich danach – (lacht) Sie hören, es wird lang – haben wir die ersten drei Einakter von Hans Werner Henze zusammen mit dem Rundfunkorchester machen dürfen, unter der Leitung von Ulf Schirmer. Das wären einmal das „Wundertheater“, in dem ich den Gubernador gesungen habe, dann ein „Landarzt“, in dem ich den Vater singen durfte, und dann „Das Ende einer Welt“, in dem ich quasi als Solomitglied des Chores mitgewirkt habe. Im Jahr darauf ging „Cosi fan tutte“ in der Theaterakademie los, da habe ich den Don Alfonso singen dürfen. Danach kam „Gianni Schicchi“, da durfte ich die Titelpartie singen. Dann hatten wir glaube ich – nee. „La Boheme“ kam erst 2009. Was hatten wir 2008? Erinnerungslücke. Naja. Auf jeden Fall habe ich sehr viel zumindest in der Theaterakademie gemacht. Ich habe auch hie und da bei der Pasinger Fabrik auch noch mitsingen dürfen. Ja. Genau.
Dann haben Sie sich ja schon ein beachtliches Repertoire erarbeitet. Sie haben gerade erwähnt, dass Sie schon als Kind erste Bühnenerfahrungen gemacht haben. Wie sind Sie denn zum Singen gekommen?
Im zarten Alter von 8 Jahren hatte ich eine Grundschullehrerin, die bis heute noch das Staatsexamen für Musikpädagogik an der Hochschule für Musik und Theater abnimmt. Diese ist mit einem jetzt mittlerweile pensionierten Opernchorsänger der Staatsoper verheiratet. Sie hat mit uns sehr viel Musik gemacht, unter anderem musikalische Früherziehung, erste Schritte zum Notenlesen, und sie hat auch mit uns sehr viel gesungen. Da ich anscheinend schon im zarten Jugendalter eine Mords-Stimme hatte, hat diese Lehrerin dann eben auch meine Mutter damals so weit gebracht, dass ich für den Kinderchor der Staatsoper vorsingen sollte. Ich habe das auch getan. Nach dem Vorsingen, also eine Woche später, war ich dann auch in den aktuellen Proben mit dabei, habe dann quasi bis zu meinem 14. Lebensjahr, also bis zum Stimmbruch, dort im Kinderchor gesungen. Im Alter von 10 bin ich zum ersten Mal zu meinem Vater gegangen und habe gesagt: Papa, ich will Opernsänger werden. Dieses Ziel habe ich dann über die Schulzeit auch weiterverfolgt, indem ich dort im gemischten Chor und im Kammerchor mitgewirkt habe, habe dann auch mein Abitur im Leistungskurs Musik mit Gesang gemacht, wollte dann danach Gesang studieren, was dann auch geklappt hat, und – ja. Jetzt bin ich hier.
Dann sind Sie also ein echtes Münchner Kindl.
Fast. Also, geboren bin ich in München, aufgewachsen bin ich in München, aber so ganz Münchner Kindl bin ich nicht, weil meine Eltern beide aus Sizilien kommen, also bin ich eigentlich Italiener.
Ihre Beatbox-Einlagen bei „Viva la Mamma“ hier am Haus sind ja legendär. Was für Musik haben Sie als Kind gehört und hören Sie heute?
Ich muss dazu sagen: Heute höre ich, so gut es geht, alle möglichen Arten von Musik. Aber meine erste musikalische Erfahrung im zarten Alter von 5 Jahren war, da auch 1989 in Deutschland diese erste große Hip-Hop- und Rap-Welle aufkam, mit eben dieser Musik. Diese Erfahrung wurde dann zu einer Leidenschaft, die ich im wahrsten Sinne des Wortes bis heute mit mir führe, muss ich gestehen. Also, ich hatte zwar auch im Laufe der Zeit, mit der Arbeit in der Oper, mit der musikalischen Früherziehung, sehr früh Kontakt mit klassischer Musik, die ich logischerweise auch höre, als Interpret, und ich höre jetzt mittlerweile, weil sich das eben auch über meine gesamte Jugend verteilt hat, Sachen wie elektronische Musik, also House, einige Techno-Songs, einige Underground-Songs, oder auch im Rock-Bereich Hardrock, Heavy Metal, New Metal, Post New Metal, wie man das alles nennen mag. Je nach Stimmung höre ich dann auch die jeweilige Musik.
Haben Sie das absolute Gehör?
Ich habe absolut kein Gehör, muss ich gestehen. (Lacht). Also, ich kann mir durch das Gehör sehr viel merken, aber ich weiß nicht instinktiv, wo das “a” liegt, oder wenn ich einen Ton höre, kann ich niemals sagen, das ist jetzt dieser oder jener.
Welches Instrument spielen Sie?
Klavier. Lustigerweise, das darf man nicht unterschätzen, spiele ich auch Maultrommel. Aber mein Mund ist eigentlich mein Hauptinstrument.
Ist Maultrommel schwierig?
Man mag es kaum glauben, aber es ist wahnsinnig schwierig. Vor allem, wenn man die ganzen Rhythmus-Komponenten sowohl mit dem Mund- und Rachenraum als auch mit den Fingern kombinieren muss. Das ist dann manchmal eine Kunst für sich.
Und wo setzt man das ein?
Eigentlich mehr in der Folklore. In der klassischen Musik so gut wie nie. Vor allem in der sizilianischen Folklore. In der bayerischen Folklore manchmal, aber nicht so häufig wie bei uns.
Welche Opernaufnahmen hören Sie privat am liebsten?
Meine absolute Lieblings-Aufnahme ist die „Nabucco“-Aufnahme von 1978. Am Pult Riccardo Muti zusammen mit den Londoner Philharmonikern. Als Zaccaria Nikolai Ghiaurov und als Abigail Renata Scotto.
Sie sprechen Deutsch und Italienisch. Gibt es noch weitere Sprachen, die Sie sprechen und in denen Sie auch singen?
Singen … also … Englisch habe ich noch nicht gesungen, obwohl es zwar Repertoire gibt, aber – naja. Spanisch spreche ich auch noch, aber da ist das Repertoire richtig winzig. Also da habe ich noch nichts dafür gehabt.
Haben Sie musikalische oder szenische Vorbilder?
Sängerische Vorbilder sind Cesare Siepi, der wohl beste Don Giovanni aller Zeiten, dann Nikolai Ghiaurov. Im rossinischen Belcanto-Bereich, Michele Pertusi, dann Enzo D’Ara, Paolo Montarsolo. Ein paar Tenöre gehören lustigerweise auch dazu: Franco Corelli, natürlich der unsterbliche Pavarotti und teilweise, kommt natürlich auf das Fach an, teilweise auch Mario Del Monaco.
Und szenische Vorbilder?
Da auf jeden Fall Montarsolo und Enzo D’Ara, die wohl besten Komiker, die ich jemals auf der Bühne gesehen habe. – Das wär’s eigentlich.
Hatten Sie schon internationale Auftritte?
Leider noch nicht, aber ich hoffe, dass sich das bald ändert.
Gibt es Komplikationen, die sich aus dem besonderen Lebensrhythmus eines Opernsängers ergeben?
Naja. Also für mich persönlich ist eher die Komplikation – ich bin nämlich ein wahnsinnig schlechter Schläfer – dass ich sehr wenig schlafe und sehr spät, und wenn ich schlafe, dann schlafe ich wahnsinnig tief. Also, da kommt es manchmal vor, dass man wirklich auf den letzten Drücker aus dem Bett springt. Aber sonst – sonst ist einfach das Blöde, dass wenn man sowohl in der Früh als auch am Abend arbeitet, und man eigentlich, sagen wir mal, nur die frühe Nachmittags- bzw. die späte Mittagsphase als Puffer hat, in der man dann auch seine häuslichen Aufgaben erledigen muss und so weiter, das wird dann ein bisschen eng. Aber – naja.
Was tut Ihrer Stimme gut, und was verträgt sie überhaupt nicht?
Ha! Was ihr gut tut, das ist auf jeden Fall: Italienisches Fach singen. Also, das ist wie Balsam. Da muss man aber auch dazu sagen: Viele Mozart-Partien sind für meine Stimme auch absoluter Balsam, weil sie mir einfach sehr gut liegen. Was meine Stimme überhaupt nicht verträgt, ist oft modernes Fach, weil ich da einfach wirklich schwer reinkomme. Auch stimmtechnisch – bis zur Premiere muss ich dann auch ein bisschen zittern.
Ich meinte eigentlich eher externe Faktoren – also zum Beispiel Allergien oder Schlafen.
Ich bin sehr gesegnet momentan, vielleicht liegt das auch an meinem jugendlichen Alter (lacht). Ich hatte bis jetzt nur Probleme mit der Stimme, wenn ich extrem übermüdet war. Aber das kam wahnsinnig selten vor. In meinem früheren jugendlichen Leichtsinn bin ich auch schon mit Kater auf der Bühne gestanden, und meine Stimme hat funktioniert. Momentan kann ich da von Glück reden, dass mich eigentlich nichts angreift. Momentan…
In „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ hatten Sie eine Box-Szene, für die auch vorher trainiert wurde. Was tun Sie für Ihre Kondition, und wieviel Kondition brauchen Sie als Sänger?
Als Sänger braucht man wahnsinnig viel Kondition. Das liegt nicht nur daran, dass man des öfteren viel auf der Bühne singen muss, sondern, besonders heutzutage, wo das Darstellerische mehr im Vordergrund steht, muss man sich auch sehr viel bewegen auf der Bühne. Was ich jetzt momentan dafür tue: Ich trainiere brasilianisches Jiu-Jitsu, gehe auch noch boxen, habe auch meine Ernährung umgestellt und so weiter, einfach, um weniger Gewicht zu haben, flexibler zu sein, auch vom Körper her. Das ist das, was ich momentan tue.
Wie diszipliniert müssen Sie als Sänger leben?
(Lacht) Da fragen Sie einen sehr undisziplinierten Sänger. – Normalerweise sollte man als Sänger schon darauf achten, dass man genügend Schlaf bekommt, dass man früh genug aufsteht. Bei mir ist es des öfteren so: Wenn ich in der Früh Probe habe, muss ich mindestens drei Stunden vorher aufstehen, damit die Stimme wach wird, weil die nämlich wesentlich später wach wird als der Körper an sich. Da gehört es einfach dazu, dass man geregelt schläft. Ich denke mal, seine sieben Stunden sollte man mindestens haben. Man darf auch nicht die Essensgewohnheiten schleifen lassen. Man sollte auch mit Alkohol aufpassen. Als Raucher muss ich leider auch eingestehen: man sollte das Rauchen lassen, auch wenn es schwerfällt. Es sind einfach generell auch gesundheitliche Faktoren, die jeden Menschen betreffen, also würde ich jetzt nicht sagen, dass ein Sänger noch disziplinierter sein sollte als jeder andere Mensch auch, denn krank wird jeder. Die Frage ist nur: Was tut man dafür, dass man es eben nicht passiert, und ob man sich deswegen verrückt macht oder nicht.
Hat das Rauchen Einfluss auf Ihre Stimme, oder nur auf die Kondition?
Ja, gut, da muss man dazusagen: Es ist eine Typfrage. Es gibt einige Sänger, die können nicht mal passivrauchen, ohne dass sie es am nächsten Tag merken. Es gibt andere starke Raucher oder ehemalige starke Raucher, die am nächsten Tag wieder frisch und fröhlich auf der Bühne stehen und singen, als wäre nichts gewesen. Es gibt viele prominente Beispiele, die ich jetzt nicht nennen möchte, die teilweise auch Kettenraucher waren, und die auf der Bühne trotzdem ihre Leistung erbringen konnten. Caruso sagte zum Beispiel in der Hinsicht, als man ihn fragte, ob Rauchen der Stimme schadet: „Wissen Sie, das einzige, was der Stimme schadet, ist Singen.“ – Also, wie gesagt, es ist typabhängig.
Und Sie sind der Typ, dem es nicht schadet.
(Lacht) Ich hoffe es zumindest.
Dann kommen wir mal zur Neuproduktion, am 19. November, bzw. Ihre persönliche Premiere ist am 21. November. Das Stück ist DER MIKADO von Gilbert & Sullivan. Sie verkörpern den Pooh-Bah. Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet?
Naja, erst mal muss man sich den Text durchlesen, logischerweise. Man muss wissen, in welchem Kontext man agieren muss. Danach kommt erst mal die musikalische Einstudierung. Bei mir ist es so: Ich bin einer, der alleine nicht so gut lernt im Gegensatz zu der Einstudierung mit dem Repetitor. Dementsprechend hatten wir einige Repetitionsstunden, ich habe mich dann eben mit meinem Repetitor musikalisch vorbereitet. Nach dem hatten wir musikalische Ensembleproben. Dann bereiten wir quasi den Dialog erst auf der Szene vor, und dann müssen wir die jeweiligen Dialogszenen noch mal zuhause wiederholen, und die werden dann auf die Bühne gestellt.
Waren Sie schon mal in Japan?
Leider nein.
Und wie bringen Sie sich dann für dieses Stück in Stimmung?
Naja, ich bin ein sehr geschichtsinteressierter und teilweise auch passionierter Mensch, und ich habe mir einen gewissen Hintergrund, was japanische Geschichte anbelangt, schon angelesen gehabt und versuche, mir die jeweiligen Traditionen dann auch „zu Gemüte zu führen“ und daraus eben das herauszunehmen, was in den jeweiligen szenischen Situationen dann auch angebracht ist.
Im MIKADO ist ja die Kritik an der damaligen britischen Gesellschaft im japanischen Gewand verpackt. Gibt es aktuelle Bezüge?
Ja, weil einige gesellschaftskritische Aspekte in einer gewissen Art und Weise auch zeitlos sind. Ich möchte nicht vorgreifen, aber wir hatten die Möglichkeit, auch eine eigene Textfassung für dieses Stück zu haben. Ich denke mal, diese wird die zeitlosen Bezüge, die in dem Originaltext auch drin sind, dann sicherlich auch wiederspiegeln.
Können Sie uns erklären, warum der MIKADO das erfolgreichste Stück von Gilbert & Sullivan ist?
(Lacht.) Eigentlich nicht so ganz. Aber ich vermute – weil wir eben eine ganz andere Textfassung haben, denke ich mal, dass ein Aspekt des Erfolgs sicherlich der Text gewesen sein muss. Ein anderer Aspekt wird sicherlich die leichte, also leicht nachzuvollziehende Musik sein. Es ist auf jeden Fall immer nicht nur szenisch sondern auch musikalisch daran gedacht worden, eine gewisse gute Laune zu verbreiten. Also ich denke mal, das Publikum hat sich von diesem Stück sehr anstecken lassen.
Ist der Humor dieses Stückes englisch oder sehr allgemeingültig?
Also, ich kann nur von unserer Textfassung sprechen. Ich denke, wir versuchen in dieser Textfassung, so eine Mischung zu kreieren, eine Mischung aus englischem, trockenem Humor und teilweise dann auch sehr „Festland-europäischem Humor“ zusammenzufügen.
Gibt es Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zu dem vorherigen Stück von Gilbert & Sullivan, das hier am Haus gespielt wurde, DIE PIRATEN VON PENZANCE ?
Also, ich würde sagen, der Unterschied ist die Qualität der Dialoge. Ich würde sagen, die Dialoge sind hier beim MIKADO dann doch ein kleiner Rezitativersatz. Sie versuchen die Handlung mehr voranzutreiben als damals bei den PIRATEN. Die Gemeinsamkeiten finden sich in einigen Figuren bzw. Figurenkonstellationen wieder, da möchte ich aber nichts vorwegnehmen. Es gibt logischerweise ein gewisses Strickmuster im Libretto, das sehr den PIRATEN ähnelt. Von der Qualität der Musik her gibt es meines Erachtens keinen Unterschied, außer dass es natürlich eine andere Färbung jetzt auch in Bezug auf das Sujet gibt. Man merkt schon, es ist von der Musik her Sullivan, und dementsprechend – wenn es Unterschiede gibt, dann sind sie sehr fein, würde ich sagen.
Wie hat der Regisseur Ihre Figur angelegt?
Ja, wie soll ich sagen, ich bin in diesem Stück ein Beamter. Der wohl höchste Beamte, den es gibt, und der versucht eben, seinen Beamtenstatus allem irgendwie – nicht aufzudrücken, aber der Beamtenstatus hat Vorrang vor allem. Selbst seine eigenen Gefühle, selbst sein eigenes Streben und seine eigenen Ausbrüche, die er, sagen wir mal, als Mensch hat, werden eben von allen seinen Ämtern bzw. von seiner Position und seinem Status einfach zurückgehalten. Also das macht ihn auch relativ steif, und – ja, er hat so gesehen schon Gefühle, aber man sieht sie nicht, bzw. er tut alles dafür, dass man diese Gefühle nicht sieht. Und er ist überhaupt nicht witzig.
Aber vielleicht gerade dadurch dann witzig?
Ja, hoffentlich!
G.K. Chesterton schrieb, dass die Figur des Pooh-Bah mehr als Satire sei, sondern die Wahrheit. Wie sehen Sie das?
Nun ja – es kommt darauf an, ob man Pooh-Bah jetzt mit den heutigen Beamten vergleichen möchte. Pooh-Bah ist meines Erachtens keiner, der auf seiner Kaffeepause, nach 15 Minuten Arbeit, bestehen würde. Er ist insofern eine Überspitzung der jeweiligen Ämter, die er innehat, und was es bedeutet, einen Ehrgeiz zu haben bzw. eine Zielstrebigkeit zur höchsten Ebene, die man überhaupt erreichen kann – nicht nur politisch bzw. in dem Fall in allen seinen Arbeitsbereichen, sondern auch wirklich in den Bereichen Wohlstand, Status, usw., also, alles was mit diesem Berufsleben einhergeht, dass er versucht, nicht nur alle Wirkungen, sondern auch Nebenwirkungen aufs Höchste zu heben. Ob man jetzt sagen kann, das ist die Wahrheit, besonders heutzutage, das sei dahingestellt. Ich habe nämlich auch einige Beamte getroffen, die sehr zufrieden sind mit dem, was sie machen, und nur hoffen, dass sie das ihr Leben lang einfach so weiter machen können. Das ist bei Pooh-Bah überhaupt nicht der Fall.
Haben Sie Lampenfieber, und wenn ja: was tun Sie dagegen?
Ich hatte mal Lampenfieber. Jetzt habe ich keines mehr.
Wie ist es abhanden gekommen?
Also, wenn man bedenkt – das erste Mal auf der Bühne stand ich mit acht Jahren. Von diesem Tag an bin ich in regelmäßigen Abständen sehr oft auf der Bühne gestanden. Das ist leider eine Sache, die ich bedaure: Jedesmal, wenn man wieder und wieder und wieder auf die Bühne geht, da geht einem dann eben diese Nervosität verloren, weil man sich denkt: “Ach, heute ist mal wieder ein Arbeitstag, Routine, ich stempele meine Karte ab, und dann ist auch gut. Ich liefere meine Leistung ab, und wenn mich die Leute nicht mit spitzen Gegenständen beschmeißen, war alles wunderbar.” Demnach – man geht da raus und tut seine Arbeit, und das, wenn es geht, indem man sein Bestes gibt. Man ist sich dann auch immer bewußt: Man hat alles geprobt, man hat es drauf. Man will seinen Job machen. Man versucht natürlich immer und immer wieder, den größten Spaß dabei zu haben. Aber so richtig nervös, oder dass man denkt, etwas könnte in die Hose gehen – ich persönlich denke gar nicht mehr so.
Was ist das Beste an Ihrem Beruf, und was ist das Nervigste?
Das Beste an meinem Beruf? Gute Frage. Eigentlich ist mein Beruf das Beste. Ich kann mir einfach ein Leben ohne diesen Beruf nicht vorstellen. Es geht nicht. Auch als Kind, nachdem ich eben gesagt habe, ich möchte Opernsänger werden, konnte ich mir nichts anderes vorstellen, weil ich mir dachte: Ich könnte alles andere nicht als Beruf ergreifen. Das liegt nicht in meiner Natur. Und dementsprechend, wenn man die Probenarbeiten dann bewältigt hat, wenn man sein Werk begutachten kann, wenn man auf die Bühne gehen kann, und dann auch im besten Falle dem Publikum da unten – oder da oben, kommt auf die Karte an – einen schönen Abend beschert, weil sie einfach froh darüber waren, einen gehört und gesehen zu haben, ist es einfach das Schönste, was man dann erleben kann. Deshalb will man dann auch auf die Bühne. Weil man sich auch selber in einer gewissen Art und Weise erhebt, weil man dann auch wirklich so etwas leisten durfte. – Das Nervige daran ist, dass leider viele nicht zu schätzen wissen, was wir auf der Bühne machen. Der Solist ist meines Erachtens im Laufe der Zeit zu einem Berufsstand am Theater geworden, der immer und immer mehr an Bedeutung verloren hat, und ich hoffe, dass sich das irgendwann einmal ändert.
Haben Sie noch eine Wunschpartie?
Oh ja. König Philipp II von Spanien.
Da haben wir ja schon mal einen Ausschnitt daraus gehört, oder? In dem Programm „Von Amore bis Eros“. Spielen Sie das noch weiterhin, dieses Programm?
Wir – Daniel Fiolka, Robert Sellier, Liviu Petcu und ich – wir sind drauf und dran, dieses Programm auch irgendwo anders hin zu verkaufen. Wir wollen dieses Programm auf jeden Fall am Leben erhalten. Wir wissen nur noch nicht, wie und wann.
Dann herzlichen Dank für das Gespräch und Toi-Toi-Toi für die Premiere von MIKADO!
Ja, hoffen wir das Beste! Danke!
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Corinna Klimek am 15. November 2011 18:12
Herr Sevenich, vielen Dank, dass Sie uns für den Blog „Nacht-Gedanken“ ein Kurzinterview geben zur Neuinszenierung DER MIKADO. Waren Sie schon mal in Japan?
Nein. Leider noch nicht.
Im Mikado ist ja Kritik an der damaligen britischen Gesellschaft im japanischen Gewand verpackt. Sehen Sie da aktuelle Bezüge?
Absolut. Ich denke, dass sich die Gesellschaft nicht verändert hat, weder die britische noch die europäische insgesamt. Ich glaube, die gleichen Kritikpunkte bleiben auch nach hundert Jahren nach wie vor aktuell.
Können Sie uns erklären, warum der MIKADO das erfolgreichste Stück von Gilbert & Sullivan ist?
Weil es gerade so tagespolitisch aktuell ist. Es werden Vorgehensweisen einer Regierung und die der Menschen unter dieser Regierung vor Augen geführt, die wir aus unserem täglichen Leben kennen. Dieses allzu bekannte, menschliche Verhalten unter Druck, in Krisensituationen, das macht diese Aktualität auch nach hundert Jahren noch aus.
Ist der Humor britisch oder allgemeingültig?
Der ist typisch britisch, aber da sich das mittlerweile ja auch als Spielfarbe oder-Art in der Welt durchgesetzt hat, dieser trockene Humor, Slapstick, Screwball-Komödien, dieses schnell Gespielte, dieses trocken Kommentierte. Das ist uns, glaube ich, mittlerweile in allen westlichen Ländern eigen. Und deswegen können wir das auch sehr gut verstehen. Nein, ich finde es nicht mehr speziell „britisch“.
Was sind die Gemeinsamkeiten bzw. die Unterschiede zu dem anderen Gilbert & Sullivan-Stück, das hier am Haus zuletzt gespielt wurde, die PIRATEN VON PENZANCE?
Da ist einmal die reine Anlage der Musik. DIE PIRATEN VON PENZANCE sind wesentlich opernhafter, die Nummern sind wesentlich weit-ausladender, die ganze Art des Singens erfordert viel mehr den „Profi“. MIKADO sind kurze Nummern, erfrischende Nummern, viele Couplets. Das kann auch mal mit Nicht-Sängern oder mit nicht-professionellen Sängern besetzt werden. Also, es ist eher in Richtung „musikalisches Schauspiel“ bearbeitet.
Ist es eine traditionelle Inszenierung?
O je. (Lacht) Ja. Und Nein. Weil: Wir bedienen diesen schnellen Dialog, wir bedienen diese schnellen Screwball-Slapstick-Sachen, etwas überzeichnete Figuren, keinerlei psychologische Zeichnungen. Ja, das ist sehr traditionell im Stil – also, es ist keine – es ist schon – naja, konventionell wäre jetzt ein Schimpfwort, aber -. Nein, es ist eine gute Inszenierung. Punkt.
Wie hat der Regisseur Ihre Rolle angelegt? Ist sie so steif und hochherrschaftlich und zeremoniell, wie man meinen könnte, wenn man das Libretto liest?
Ja. (Lacht) Das Problem ist ja immer wieder der Rollenträger, in dem Falle ich, und ich glaube, ich kann nicht zeremoniell wirken. Ich zerstöre allein durch den Umfang meines Bauches jegliches Zeremoniell, und wenn der mal in Bewegung kommt – also, wir haben auch Tanzelemente – dann sieht das halt eben, glaube ich, nicht mehr so hochzeremoniell aus. Es ist eine herrlich schräge Nummer. Ich liebe die Figur des Mikado sehr, er ist eine ganz schräge Type, mit seinem Hang zum Sadismus und dieser Besessenheit von Todesurteilen..
Sie haben es ja gerade schon angesprochen: Der Mikado verbietet das Flirten bei Todesstrafe, solange die Herrschaften nicht verheiratet sind. Seine Melodien erinnern aber eher an einen Musical-Hall-Entertainer. Wie geht das zusammen?
Das ist reine Ironie. Wenn es ironische Musik gibt, dann findet die dort statt. Das grausame Vorgehen des Mikados mit „netter“ Musik zu unterlegen. Es geht ihm ja auch nicht um dieses Verbot, es geht ihm einfach um die Todesstrafen-Quote. Der liebt das ja, der möchte ja die Quote steigern. Es geht hier ja nicht ums Flirten. Wie gesagt, er ist so besessen davon, Tote zu produzieren und dabei zuzuschauen, wie sie umgebracht werden, deswegen ist diese Musik halt eben konträr, und das ergibt die Komik und die Ironie dieser Partie.
Ja, dann: Danke für dieses Gespräch und Toi-toi-toi für die Premiere!
Ja! Schön! (Bei toi, toi, toi -Wünschen darf man sich aus altem Bühnenaberglauben nicht bedanken!)
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Corinna Klimek am 22. Oktober 2011 14:07 Dieser Abend bestärkte mich mal wieder in meiner Auffassung, dass ein Wochentagsabo nichts für mich ist. Wenn ich mir vorstelle, dass ich jede Vorstellung mit den Menschen, die gestern Abend um ich herumsassen, verbringen müsste, hätte ich vermutlich schnell die Lust am Theater verloren. Ich konnte gar nicht so viele böse Blicke in alle Richtungen verteilen, wie sich in normaler Lautstärke unterhalten wurde. Und wenn es dann doch mal einigermaßen erträglich war, hörte man das Schnarchen des Herren hinter mir. Und am Ende dann dieses wirklich absolut unmögliche, despektierliche Hinausrennen, sobald sich der Vorhang geschlossen hat. Die Herrschaften, durch die Bank älteren Semesters, waren alle mit dem Auto angereist, die Ausrede der unbedingt noch zu erwischenden Bahn zog also nicht. Sicher ist die Oper lang, aber wenn man sich nicht mal die Zeit nehmen will, den Akteuren des Abends den wohlverdienten Applaus zu spenden, sollte man besser zu Hause bleiben und seine Chips vor dem Fernseher in sich reinstopfen.
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Jetzt hab ich mir Luft verschafft, es wird Zeit, zum Wesentlichen zu kommen: Barockmusik kann Spaß machen! Ich hab ja insgesamt fünf Vorstellungen dieser hervorragend gemachten Inszenierung von Axel Köhler gesehen und ich kann mich nicht erinnern, in einer der anderen so viel geschmunzelt zu haben. Besonders die Szene, in der dem geduldigen Sokrates dann doch mal der Geduldsfaden reißt, war köstlich. Stefan Sevenich konnte hier sein komödiantisches Talent voll ausspielen. Und so ganz nebenbei sang er noch prächtig. Leider, leider wechselt er zur nächsten Spielzeit an die Komische Oper Berlin. Gut für Berlin, schlecht für München.
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Ein sehr schöner Abend, leider war das mein letzter Sokrates, die Dernière am 29.10.2011, für die noch Karten vorhanden sind, verpasse ich leider. Wer das Stück noch nicht gesehen hat, sollte sich diese Gelegenheit auf keinen Fall entgehen lassen.
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Corinna Klimek am 22. Oktober 2011 12:27 Diese Oper habe ich mir als eine der wenigen als Aufnahme zugelegt, ohne sie je live gesehen zu haben. Schließlich heißt die Hauptprotagonistin so wie ich und das kommt selten genug vor. Leider wird sie nicht sehr oft gespielt, was daran liegen mag, dass man 15 Solisten plus Chor braucht, für Theater ohne gutes festes Ensemble fast nicht zu stemmen. Im deutschsprachigen Raum gibt es in der Spielzeit 2001/12 nur zwei Häuser, die dieses Stück spielen. Nürnberg ist zwar näher, dort gibt es das Stück aber erst im Mai 2012. Und Hannover hat ein nicht zu toppendes Sahnehäubchen: der von mir am Gärtnerplatz stark vermisste Benjamin Reiners, seit dieser Spielzeit dort als 2. Kapellmeister tätig, hat die musikalische Leitung.
Eine Aneinanderreihung von Episoden wie in diesem Stück, das kann langweilig sein. Fast jeder singt ein oder zwei Arien, ein bisschen zwischenmenschliches Geplänkel und das wars. Da muss man sich als Regisseur schon etwas besonderes einfallen lassen, damit die Leute nicht in Scharen aus der dazu noch ziemlich langen Oper flüchten. Matthias Davids ist das kleine Kunststück gelungen: er verlegte die Handlung von einem Gasthaus in Plombière an einen fiktiven Flughafen, an dem die Passagiere aus unbekannten Gründen gestrandet sind, weil alle Flüge gestrichen wurden. Was der Regisseur nicht wissen konnte: fünf Tage nach der Premiere am 10.04.2010 wurde seine Vision durch den Vulkanausbruch auf Island Wirklichkeit.
Und diese Verlegung von Ort und Zeit funktionierte hervorragend, vermutlich auch deshalb, weil sie konsequent durchgehalten wurde. Bis ins Programmheft, in dem der Flughafen vorgestellt und Sicherheitshinweise gegeben wurden, zog sich das Thema. Der Text in den Übertiteln, es wird italienisch gesungen, wurde nur sehr behutsam angepasst, aber auch das passte perfekt. Überhaupt, die Übertitel: manchmal erschienen dort statt Text Herzen oder Blumen oder auch mal ein Bild der englischen Königin. Was man alles machen kann, wenn man eine gescheite Übertitelungsanlage hat! Es wurde übrigens italienisch gesungen, da macht es auch Sinn, zu übertiteln. Die Personenregie war großartig, ich habe mich wirklich sehr amüsiert über die präzise Situationskomik, die auch im zweiten Rang gut ankam.
Musikalisch war es ein toller Abend! Selbst diejenigen Sänger, mit denen ich vor der Pause nicht ganz glücklich war, gefielen mir danach sehr gut. Herausragend waren für mich Dorothea Maria Marx als meine Namensvetterin, Monika Walerowicz als La Marchesa Melibea, Ivan Turšić als Il Cavalier Belfiore und Tobias Schabel als Lord Sidney. Der Chor zeigte sich spielfreudig und machte in seinen wenigen Szenen auch gesanglich eine gute Figur. Benjamin Reiners koordinierte alle Beteiligten aufs Beste, so dass Rossini sicher seine wahre Freude daran gehabt hätte.
Ich kann wirklich jedem nur empfehlen, sich dieses musikalische und szenische Schmuckstück anzusehen, weitere Vorstellungen am 23.10., 04.11. und 23. Dezember. Ich sehe es mir auf alle Fälle nochmal an.
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Corinna Klimek am 10. Oktober 2011 20:14 [singlepic id=1049 w=240 h=320 float=left]
Herr Baumgardt, herzlichen Dank, dass Sie noch vor der Premiere Zeit finden für ein Interview auf dem Blog „Nacht-Gedanken“. Sie waren ja von 1980 bis 1992 bereits am Gärtnerplatztheater tätig, zunächst als Regieassistent, zuletzt als Oberspielleiter und Persönlicher Assistent des Staatsintendanten. Sie haben unter anderem so erfolgreiche Inszenierungen wie „Anatevka“ am Haus gemacht. Wie fühlt es sich jetzt an, die Eröffnungspremiere zu inszenieren?
Ich bin unglaublich gespannt und ich bin auch aufgeregt, so als würde ich zum ersten Mal am Hause inszenieren, muss ich ganz ehrlich sagen. Auf der einen Seite sind es ja 15 Jahre, dass ich das letzte Mal hier inszeniert habe, 1996 „Funny Girl“. „Anatevka“ lief von 1991 bis 2007, ich habe es natürlich auch immer wieder gesehen, auch, glaube ich, die letzte Vorstellung sogar, und ich kam zurück, und es war irgendwie, als würde ich nach Hause kommen. Es war unglaublich angenehm, und es war sehr schön, einige Kolleginnen und Kollegen aus der vergangenen gemeinsamen Zeit wiederzusehen. Es war ganz vertraut, und trotzdem: „Die Verkaufte Braut“ ist ein schwieriges Stück, ein herrliches Stück, ein ganz wunderbar lebendiges Stück. Es gab zwei erfolgreiche Produktionen, die ich noch erleben konnte, die Inszenierung von Kurt Pscherer, die Inszenierung von Hellmuth Matiasek – und insofern ist natürlich durchaus schon so etwas da wie: Na, reihen wir uns jetzt mit unserer Interpretation, mit unserer Konzeption, mit all dem, was man auf der Bühne dann sehen und erleben kann, reihen wir uns ein in diese Riege der erfolgreichen Inszenierungen der „Verkauften Braut“? Also insofern: Ich freue mich darauf und bin aufgeregt.
Sie werden 2012 die Intendanz der Festspiele „Europäische Festwochen Passau“ übernehmen. Wie verlief Ihr Weg vom Germanistik-Studium in Frankfurt bis nach Passau?
Ja mei (lacht). Ich habe während meines Studiums Schauspielunterricht genommen, habe da auch meine Prüfung gemacht. Damals gab es noch die Prüfung bei der ZBF, Paritätische Prüfungskommission nannte sich das. Ich habe diese Schauspielausbildung nicht gemacht, um Karriere als Schauspieler zu machen, sondern ich habe sie gemacht und habe dann auch gespielt, in Heidelberg, in Darmstadt, hier in München, um einfach zu schauen: wie ist denn das, wenn man da so auf der Bühne steht und jemand eben unten sagt, was man zu tun hat – also, es gemacht, um selber als Regisseur dann nachempfinden zu können, was so in den Schauspielern oder in Sängern vorgeht. Ziel war immer, Regisseur und Intendant zu werden. Insofern war ich sehr glücklich, als Kurt Pscherer mich hier 1980 als Regieassistent engagiert hat und ich dann auch unter Hellmuth Matiasek tätig sein durfte, von Hellmuth Matiasek auch dann zum Oberspielleiter berufen worden bin. Das war für mich eine ganz große Freude, mit vielen wunderbaren Inszenierungen. Dann ging es nach Augsburg, damals jüngster Intendant in Deutschland. Dort blieb ich bis 1997 und es kam etwas, womit ich nie gerechnet habe, es kam von August Everding die Anfrage: „Sagen Sie, ich leite da den Deutschen Pavillon auf der Expo, hätten Sie nicht Lust, so ein bisschen mich zu begleiten?“ Das habe ich sehr gerne getan, ich habe in der Zeit als freier Regisseur inszeniert. Die Zusammenarbeit mit August Everding war unglaublich wunderbar, spannend und inspirierend. Ich habe sehr, sehr viel gelernt. August Everding verstarb viel zu früh, und mir wurde angetragen, seine Nachfolge als Intendant des Kulturprogramms im Deutschen Pavillon anzutreten. Aus dieser Aufgabe, sehr viel Management, aber auch sehr viel befördern können, kam die nächste Aufgabe in gleicher Richtung, nämlich die Europastadt Görlitz-Zgorzelec zu befördern, bis in die Endrunde der Kulturhauptstadt Europas zu kommen. Das bin ich voller Leidenchaft angegangen. Ich muss aber sagen, dass ich doch dann nach sechs, sieben Jahren Management-Tätigkeit irgendwie dachte: Ich muss zurück ans Theater. Da habe ich angefangen. Ich habe das Ensemble vermisst, ich habe die Musik vermisst, wenn man ins Haus kommt, ich habe das Ballett vermisst. Ich war sehr glücklich, dass ich dann aus 120 Bewerbern für die Intendanz des Stadttheaters Kempten ausgewählt worden bin; damals ein Theater, das ein reines Bespiel-Theater war, das erst geschlossen, später saniert, erweitert worden ist mit dem Ziel, sich als ein Stadttheater zu etablieren. Das war eine große Herausforderung, die mir sehr viel Freude gemacht hat. Wir haben das Haus wirklich zum dritten professionell geleiteten Theater in Bayerisch-Schwaben positionieren können in relativ kurzer Zeit. Ja, und plötzlich kam die Möglichkeit, sich um die Intendanz in Nachfolge von Dr. von Freyberg der Festspiele der Europäischen Wochen Passau zu bewerben. Es gibt eine klare Vorgabe, diese Festspiele zu profilieren, als Festspiele, die sich deutlich von anderen unterscheiden, dahingehend, dass sie auch eigene Produktionen herausbringen. Den 60. Geburtstag dieser Festspiele in Niederbayern, Oberösterreich und Böhmen feiern wir wir nächstes Jahr. Dazu noch wieder am Gärtnerplatztheater inszenieren zu dürfen, das ist ein buntes Leben, und ich hoffe, das bleibt es auch.
Sie haben ja vorhin schon die Vorzüge der „Verkauften Braut“ angesprochen. Warum „Die Verkaufte Braut“, und warum am Gärtnerplatztheater?
Dieses Stück gehört auf den Spielplan des Gärtnerplatztheaters. Es ist eine Spieloper, eine komische Oper. Das Haus hat hier eine ganz, ganz große Tradition, und bei einem Ensemble, das hier tatsächlich gepflegt und gefördert wird, wie seit Jahrzehnten, liegt es einfach nahe, „Die Verkaufte Braut“ mit diesen wunderschönen und herrlichen Charakteren ganz unterschiedlicher Art, mit Höhen und Tiefen, dass dieses Stück wieder auf den Spielplan kommt, nach, glaube ich, fünfzehn Jahren. Ich mag es sehr, Menschen auf der Bühne zu zeigen, in denen wir uns wiederfinden können. In jedem Einzelnen der „Verkauften Braut“, in jedem einzelnen Charakterzug, in den Höhen und in den Tiefen, in den Untiefen teilweise auch, können wir uns wiederfinden, und dieser Aufgabe stelle ich mich sehr gerne. Ich möchte die Geschichte erzählen. Die Geschichte lässt sich erzählen, sie ist nämlich nicht ganz leicht, aber sie lässt sich erzählen, wenn man ein so wunderbares Ensemble hat wie dieses, das immer wieder bereit war, sich auseinanderzusetzen mit den einzelnen Figuren und die Zusammenhänge versucht hat zu erkennen und einfach miteinander spielt. Und das finde ich, ist für das Gärtnerplatztheater etwas ganz Wichtiges, etwas ganz Entscheidendes und ist einfach auch das Besondere am Gärtnerplatztheater. Und da muss man auch dann schon sagen, dass es nicht so viele Opern gibt, die auch noch eine so herausragende Musik haben wie Smetanas „Die Verkaufte Braut“. Das, denke ich, war auch mit ein Grund, oder vielleicht sogar der Hauptgrund, der Einladung von Ulrich Peters zu folgen.
Sie haben gerade gesagt, Sie möchten nichts aufpfropfen. Gibt es denn Merkmale, die man in allen Ihren Inszenierungen wiederfindet? – Ich habe gehört, bei einem Regisseur muss immer ein Teddybär auf der Bühne sein, in irgendeiner Form.
Gut, ich kenne auch einen Regisseur, da ist immer eine Leiter auf der Bühne. Ganz so ist es bei mir jetzt nicht, und es ist ganz schwer, das von sich selber zu sagen. Mir ist immer wichtig gewesen – schon, ich glaube, die allererste Inszenierung, die ich hier am Hause gemacht habe, im Marstall damals, „Through Roses“ und dann später „Die heimliche Ehe“– zwischendurch „Fräulein Julie“ – ja, es ist mir immer die Nachvollziehbarkeit dessen wichtig gewesen, was auf der Bühne passiert, das Selbstverständliche. Und zu diesem Selbstverständlichen zählt der vollkommen natürliche und selbstverständliche Umgang der Leute miteinander, was wiederum nicht unbedingt etwas Selbstverständliches im Musiktheater oder in der Oper ist. Dieses herauszuarbeiten, herauszukitzeln und auch festzustellen, dass das Ensemble, die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne, eigentlich danach lechzen, das ist immer mein Anliegen gewesen, das alle meine Inszenierungen, ob jetzt Oper, Operette, Musical, Schauspiel, durchzieht.
Woher kommt die erste Idee, in welche Richtung die Inszenierung gehen soll?
Aus der Überlegung heraus: Hat das eigentlich noch Gültigkeit, das Ganze, wenn man es genauer betrachtet? Also, „Verkaufte Braut“, das ist ja eigentlich ein irreführender Titel. Sie wird ja nun nicht tatsächlich verkauft, weil ja das einfach eine Lüge des Hans ist, um zu einem Happy-End zu kommen; also, ist es ist auch nicht die Situation in Köln vor ein paar Jahren, wo tatsächlich ein Vater seine Tochter für, weiß nicht, 40.000 Euro oder 50.000 Euro, an einen Sohn eines anderen Vaters verkauft hat. Oder auch nicht wirklich die Geschichte, die in Vorarlberg passiert ist in den 80er Jahren, wo ein Bauer seine Tochter verkauft hat gegen Kühe und Schweine. Das Stück steht für gesellschaftliche Regeln. Und diese gesellschaftlichen Regeln, die in der Entstehungszeit der „Verkauften Braut“ über das Beispiel des Versprechens eines Mannes an einen anderen, dass dessen Sohn die eigene Tochter bekommt, verdeutlicht wurden, das ist einfach ein Bild für Regeln, in denen wir alle uns bewegen und aus denen wir ausbrechen wollen und einige es auch können. Deshalb ist für mich Hans und Marie so etwas wie die Moderne, die in diesen Ort, in dieses Dorf hereinbricht. Diejenigen, die einfach sagen: Wir beugen uns nicht mehr, oder wir verhalten uns nicht mehr gemäß den Regeln, die in Jahrzehnten oder auch Jahrhunderten geschaffen worden sind. Und es gibt andere, die von diesen Regeln nicht lassen können, wie zum Beispiel Micha und Hata oder Ludmilla und Kruschina, die erst davon überzeugt werden müssen – und wie sie sich dann wirklich dazu verhalten, ist nun die ganz große Frage.
Richtig ist: Liebe, Leben, oder Liebe und Leben, statt Geld, ist uns einfach wichtiger. Hat das etwas mit Heute zu tun? Ja, es hat etwas mit Heute zu tun. Alles, was da zwischenmenschlich passiert, passiert uns auch. Nicht jedem vielleicht, und auch nicht in der Gänze. Also holen wir das Stück so nah wie möglich an unsere Zeit heran, um einfach diese Barriere abzubauen. Ist das jetzt eine spezielle Zeit? Vielleicht erinnern Sie sich oder haben es gehört: „Heimliche Ehe“ habe ich damals ganz klar in die 1950er Jahre verlegt, weil genau diese 1950er Jahre durchaus etwas zu tun hatten mit den 1750er Jahren. Wir haben einen ganz klaren Vergleich angestellt; für uns war der Reifrock von 1750 der Petticoat von 1950, und der Wunsch nach Adel und sich baden in diesem Glanz und Glamour gab es eben einfach in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts auch. Insofern war es eine ganz klare Festlegung und es handelte sich einfach auch um ein Sujet, wo es um – ja – ausschließlich um gespielte Intrigen ging. Bei der „Braut“ habe ich mich entschlossen, das nicht zu machen, die klare Zeit, sondern wir haben uns entschlossen, es näher heranzuholen. Oder, sagen wir mal so, es auf die Bühne zu bringen in einer gewissen Allgemeingültigkeit. Ich bin immer der Meinung, dass es trotzdem eine Lokalisierung braucht, wenn ich eine Geschichte auch mit realistischen Mitteln erzähle. Also, ich will jetzt nicht sagen, dass wir den Realismus pur haben, aber das, was zwischen den Menschen passiert, ist realistisch, also brauche ich auch eine realistische Erzählweise. Die Lokalisierung bei uns ist ein Milchpilz, oder eine Milchbar, so wie man heute auf dem Land die Erdbeer- oder die Spargelbude findet. Das Hauptargument aber für diesen Pilz auf der Bühne war: Was macht die Marie eigentlich? Oder was sind die Eltern der Marie? Haben die ein Geschäft? Also von Micha wissen wir: Großgrundbesitzer. Kann man übertragen und sagen: Okay, der hat in dem Dorf Häuser und vermietet die Wohnungen. Aber von Kruschina und Ludmilla wissen wir es nicht so richtig: Bauer. Ja. Wenn wir das wortwörtlich nehmen: Bauer Kruschina, dann könnte die Tochter auf dem Hof beschäftigt sein. Jetzt ist sie aber ein bisschen weiter. Also, sie ist für mich kein Puppchen, sondern eine selbstbewusste jüngere Frau. Also hat sie sich von ihren Eltern ein Geschäft aufbauen lassen, und dieses Geschäft wiederum wurde von Micha finanziert. Micha hat dem Kruschina und der Ludmilla Geld geliehen, und aus diesem heraus erklärt sich wiederum, warum überhaupt das Versprechen zustande gekommen ist, dass die Marie den einzigen Sohn, den Micha und Hata gemeinsam haben, Wenzel, heiraten muss. Wir wollten damit ein bisschen klarer machen: Wieso kommt es zu so einer Geschichte des Versprechens. Wieso hat Marie denn nicht diesen Wenzel schon früher geheiratet. Weil ihre Eltern eben Geld geliehen haben. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo das mal geklärt werden muss. Also wird auch an diesem Tag, – wir spielen es an einem Tag, ein entscheidender Tag im Leben der Marie – , diese Sache geklärt werden. Und für diese Vermittlung wiederum hat man einen Vermittler, einen Agenten eingeschaltet, das ist der Kecal. Somit haben wir auch zugleich den Kecal ganz klar situiert: Er ist in diesem Dorf, in diesem Ort, in diesem Stadtteil, in dieser Kleinstadt, der Geschäftemacher. Und nicht ausschließlich der Heiratsvermittler, denn der Heiratsvermittler damals war im Endeffekt auch ein Geschäftemacher. Und damit man nicht jetzt oberflächlich darüber hinweggeht und sagt: Ah, wunderbare Musik, herrliche Stimmen, wollte ich durch so eine Lokalisierung verdeutlichen: Sie hat einen Kiosk oder speziell eine Milchbar, weil damit wiederum die Produkte des Dorfes verkauft werden.
Auf der Homepage des Theaters wird von der „Regiefassung Peter Baumgardt für das Gärtnerplatztheater“ gesprochen – was heißt das genau?
Also, das ist jetzt überhaupt nichts Besonderes. Ich bin da jetzt schon ein paar Mal darauf angesprochen worden und bin ein bisschen verwundert darüber, ehrlich gesagt. Bei der „Heimlichen Ehe“ haben wir auch eine „Regiefassung von Peter Baumgardt“ gemacht. Regiefassung bedeutet, dass Texte oder einzelne Worte dahingehend verändert werden, dass es einen logischen Zusammenhang gibt und dass man einfach sagt: es „Ihr-zt“ und „Euch-zt“ niemand auf dieser Bühne, weil wir damit eine Distanz haben, also muss ich bestimmte Sachen verändern, muss sagen: An welcher Stelle geht das Siezen, wo macht es Sinn, dass sie sich duzen? Wann gibt es eventuell auch ganz klar die Entscheidung: jetzt duzen wir ihn? Also, der Kecal wird immer gesiezt, aber am Schluss, wo alle denken, dass es zu Ende ist mit ihm, wird er geduzt. Oder ich habe umgestellt – im übrigen überhaupt nicht neu, hat Felsenstein auch schon gemacht – das Duett Marie-Wenzel aus dem zweiten Akt in den ersten Akt vorgezogen, weil dadurch die Geschichte stringenter wird.
Wieviel Freiheit lassen Sie den Solisten bei der Interpretation der Rollen? Wird die Inszenierung ein Stück weit auch an die Persönlichkeit der Solisten angepasst, und gibt es einen Unterschied zwischen der Premierenbesetzung und der Alternativbesetzung?
Nun, es gibt einen Unterschied zwischen den Besetzungen dahingehend, dass der eine Kecal groß ist und der andere Kecal etwas kleiner ist, oder das gleiche betrifft auch Marie: Eine ist die etwas gestandenere, erst mal, und die andere ist die sehr liebenswürdige. Aber das Entscheidende ist ja die Bereitschaft, die Bereitschaft beider Besetzungen, sich mit der Konzeption auseinanderzusetzen. Ich nehme zum Beispiel mal heraus die wunderbare Kecal-Arie vor dem Dukaten-Duett, die für mich nicht nur eine Antwort an Hans ist, der sagt: Marie ist die Schönste, die Tollste. Kecal reflektiert sein ganzes Leben, im Endeffekt. Er wiederholt so oft diese eine Antwort „Jeder, der verliebt“ und kommt von dort nicht wie sonst ins Quatschen, sondern in ganz klare Aussagen: Immer wieder passiert es, dass man allein ist, auch wenn man denkt, dass diejenige die Einzige ist. Das ist für mich, für uns, eine Verarbeitung seines Lebens, nicht des ganzen Lebens, aber sicherlich eines wichtigen Teils des Lebens.
Sie haben gerade schon den Kecal angesprochen: Ist der Kecal für Sie eine sympathische Figur?
Oh, der Kecal hat so viele Facetten. Kecal ist ein Schlitzohr. Aber ein Schlitzohr, das deshalb ein Schlitzohr ist und sich ausschließlich mit Geld und Geschäften beschäftigt, weil er in seinem Leben einfach enttäuscht und verletzt worden ist. Ich möchte ihn nicht eindimensional darstellen und sagen: Das ist der Lustige, das ist der, über den ich lache. Ich glaube, über den schmunzelt man und den bedauert man auch, mit dem hat man Mitleid. Das betrifft im übrigen auch Wenzel. Für mich eine Figur – und das machen beide Wenzels in diesem Ensemble ganz herrlich – mit einer Sprachhemmung. Warum hat der eine Sprachhemmung? Das ist doch nicht der Dorfdepp oder Trottel, der stotternd durch die Welt geht. Sondern das ist jemand, dem einfach von der Mutter Regeln auferlegt worden sind, der eine strenge Erziehung hatte. Nicht weil die Mutter ihn nicht mag; sie will Wenzel aus Liebe zu ihm einfach an die Frau bringen. Aber das mit einer Penetranz, erfüllt von Mutterliebe, unfähig, sie ihm zu zeigen, so dass Wenzel eine Sprachhemmung hat, die, ich sage mal, aus tiefenpsychologischen Gründen da ist.
Marie ist ja eine starke Frau, und sie will mit Hans ihre Träume verwirklichen. Wird das dann eine Ehe auf Augenhöhe sein? Sind sie zwei gleichberechtigte Partner?
Ich glaube, sie entwickeln sich an diesem einen Tag – der auch wiederum stellvertretend natürlich ist für eine gewisse Zeit – zu gleichberechtigten Partnern. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das hält. Wir haben auch darüber nachgedacht, eventuell einen Blick in die Zukunft zu wagen. Ich habe mich dann davon ehrlich gesagt verabschiedet, weil einfach das Finale unglaublich rasch an einem vorüberzieht und ich nicht verwirren will. Eines aber ist klar: Sie beide treffen am Schluss die Entscheidung: Hier bleiben wir nicht. Also, wir bauen uns eine Zukunft, aber nicht unbedingt hier, wo alle jetzt sagen: Ja, so wunderbar wie dieses Happy-End ist, das wussten wir ja von Anfang an. Die Gesellschaft hat ihnen Steine zwischen die Füße geworfen; hier bleiben sie nicht. Was aus ihnen dann wird und wie lange das hält? Hm. Ich weiß es nicht. Hans, der eigentlich Zurückhaltende am Anfang. Hans, der konfliktscheu ist. Hans, der ja, obwohl Marie es will, sich nicht dem Problem stellt. Marie, die es von ihm verlangt, und in dem Moment, wo sie es von ihm verlangt hat, tut es ihr schon wieder leid, dass sie so stark gewesen ist, und sie kuschelt. Also, es gibt bei ihnen in diesen 90 Minuten, die sie auf der Bühne sind, wenn man das alles zusammenrechnet, so viele Schwankungen, dass ich glaube, dass diese Schwankungen diese unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammenschweißen und man erst einmal auf ein- und demselben Level ist.
Bleibt denn, so als Ausblick, neben der Intendanz in Passau auch noch Zeit für andere Projekte?
Also, jetzt ist es erst mal so, dass ich die nächsten Monate absolut meinen Blick auf Passau richten werde und auf die sechzigsten Festspiele. Es gibt durchaus Gespräche für die Spielzeit 2012/2013, was Inszenierungen angeht. Ich habe mich hier noch nicht festgelegt. Ja, ich möchte auch weiterhin Regie führen, ich halte das auch für ganz wichtig, mal über den Tellerrand hinaus zu schauen.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch und Toi-Toi-Toi für die Premiere!
Sehr gerne, danke!
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Corinna Klimek am 10. Oktober 2011 12:34 Meine Eindrücke der Premiere finden sich wieder bei mucbook 🙂
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Corinna Klimek am 7. Oktober 2011 23:23 [singlepic id=1035 w=240 h=320 float=left]
Herr Unger, vielen Dank für Ihre Bereitschaft, ein Interview zu geben für den Blog „Nacht-Gedanken“.
Sehr gerne!
Könnten Sie uns etwas zu Ihrem Werdegang erzählen?
Ich habe in Würzburg studiert und bin dann direkt aus dem Studium ans Stadttheater Würzburg engagiert worden. Dort war ich drei Jahre lang und habe etliche große Rollen gesungen: Tamino, Pelleas, Zigeunerbaron, Cassio, Lensky, solche Sachen. Der Werdegang ist ein bisschen unkonventionell insofern, als dass ich danach eine Babypause eingelegt habe, während der ich nur Gastverträge annehmen konnte, z.B. in Linz und Wuppertal. Danach bin ich wieder ins Festengagement gegangen, nämlich nach Augsburg, ein Jahr bevor Ulrich Peters Intendant in München wurde – schon mit dem Plan, dann mit nach München zu kommen. Mittlerweile bin ich die fünfte Spielzeit hier am Staatstheater am Gärtnerplatz.
Wie kamen Sie zum Singen?
Eigentlich mehr über das Theaterspielen. Musik war in der Familie sehr präsent, zudem hatte ich schon während der Schulzeit Gelegenheit in einem guten Chor zu singen, das war für mich auch eine Leidenschaft. Schon an der Schule, aber auch später in freien Theatergruppen in Freiburg, wo ich eine Zeit lang Musikwissenschaftsstudent war, habe ich Theater gespielt, beleuchtet und ausgestattet. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, Stimmbildung zu betreiben, und die Stimmbildung war dann so fruchtbar, dass sehr bald die Idee kam, das professionell weiter zu betreiben. Daraufhin habe ich mich an der Hochschule beworben, was sofort funktioniert hat, und ich hatte dann im Handumdrehen einen Studienplatz in Würzburg.
Welche Musik haben Sie als Kind gehört?
Als Kind habe ich, kann man sagen, fast ausschließlich „klassische“ Musik gehört, also alles im Bereich der großen sinfonischen Sachen. Viel Romantisches: Brahms, Mendelssohn, Schubert, Beethoven, um etwas weiter zurückzugehen, dann später die großen Instrumentalkonzerte, Klavierkonzerte, Schumann, Rachmaninoff, das hat mich sehr begeistert. Auch Operette habe ich sehr gern gehört als Kind. Da ist auch ein intuitiver Zugang zur Operetten-Musik entstanden, die ich heute ja immer noch sehr gerne singe und spiele. Es stört mich nicht bei der Oper, die jetzt das Kerngeschäft ist, beziehungsweise von Anfang an auch schon Kerngeschäft war. Ich mache es sehr gerne, es macht mir Freude. Ich finde, dass sich beides sehr gut ergänzt.
Also Sie teilen nicht die Einschätzung mancher Sänger, dass die Operette eher minderwertig ist?
Sagen wir mal so: Zunächst mal ist es – wenn man die Partien singt, die ich in der Operette singe – eine anspruchsvolle Aufgabe. Die Operettenarien und Duette, die da zu singen sind, auch die Finali zum Teil, wenn Sie da zum Beispiel an den Zigeunerbaron denken, die sind gewaltig, auch für die Operettendiva oft wirklich eine größere Herausforderung als manche Oper. Zuweilen wird das mit gewisser Geringschätzung beurteilt, weil die Sujets oft – naja, etwas halbseiden sind und die Dialoge manchmal hanebüchen, und natürlich auch viel Gebrauchsmusik dabei ist, die eben nach einer Ausstattung, nach Tanz und ein bisschen Revue schreit, und da rümpfen dann manche die Nase. Natürlich ist Operette eine besonders anspruchsvolle Aufgabe durch die Dialoge, die in der Regel mit dabei sind. Ich sage immer, wenn ich eine Partie wie den Tassilo in „Gräfin Mariza“ singe – was ich hier gemacht habe in den letzten zwei Jahren – da habe ich einen höheren Aufwand an Stimme, als wenn ich in eine Opernpartie wie beispielsweise den Prinz in „Die Liebe zu den drei Orangen“ singe, obwohl die Orangen viel artifizieller sind und von der Tessitur ganz anders. Aber eben die großen Dialoge, auch das Melodrama, auch über das Orchester zu sprechen, das erfordert schon ein gewisses Standing.
Spielen Sie ein Instrument?
Ich habe als Kind Geige gelernt, aber das pflege ich nicht mehr, das habe ich sehr bald wieder geschmissen. Klavier hat mich dann lange begleitet und heute ist es für mich, wie soll man sagen, ein Gebrauchs-Instrument. Die musikalische Kernaktion ist und bleibt das Singen.
Hören Sie heute auch noch andere Musikrichtungen?
Nicht so viel, in Wirklichkeit. Ich spitze die Ohren gerne bei gewissen Jazz-Sachen, das erfreut mich. Ich entdecke auch neue Welten, die in meiner Jugend einfach nicht präsent waren. Ich entdecke heute viel, wobei ich sagen muss, dass ich von der schieren Lautstärke verstärkter Musik sehr schnell verschreckt werde und das Weite suche. Das führt dazu, dass ich zu manchem keinen rechten Zugang finde, weil es mir einfach zu laut ist.
Welche Aufnahmen im Bereich der klassischen Musik mögen Sie am liebsten? Gibt es eine spezielle Aufnahme, die Ihnen ganz besonders am Herzen liegt?
Könnte ich so allgemein nicht sagen. Es gibt natürlich gewisse Highlights, zum Beispiel fällt mir eine Walküren-Einspielung von Solti mit James King als Siegmund ein, oder eine Götterdämmerung unter Karajan mit Helge Brilioth, einem wenig bekannten Tenor, der einen formidablen Siegfried singt. Sie merken schon, es hängt sich ein bisschen an den Sängern auf. Sonst habe ich bei den instrumentalen Sachen immer mehrere Aufnahmen griffbereit und bin da nicht dogmatisch.
Hören Sie sich Aufnahmen der Opern an, bevor Sie die Rolle einstudieren?
Jein. Vieles kennt man natürlich, ich bin ja mittlerweile schon eine Weile dabei und habe vieles schon gehört, lange bevor ich es selbst mal zu singen bekomme. Also, man hat es gewissermaßen im Ohr, leider oft auch – wenn man über Stücke wie die „Verkaufte Braut“ redet, oder andere, die mit Übersetzung arbeiten – mit “ falschen“ Texten. Falsch im Sinne von: für die aktuelle Inszenierung nicht passend, was man dann wieder umlernen muss. Gerade bei der „Verkauften Braut“ habe ich mich ein paar Mal ertappt, dass ich in die sehr schöne Aufnahme mit Fritz Wunderlich und Gottlob Frick verfallen bin, das muss man halt dann wegarbeiten. Aber ich benutze die Aufnahmen nicht, um die Stücke zu lernen. Das ist nicht meine Art zu arbeiten.
Wie bereiten Sie sich auf eine Rolle vor?
Der erste Schritt, gerade mit einem Stück, das ich gar nicht kenne, ist immer, den Klavierauszug durchzuarbeiten, mit dem Stift zu markieren: was ist meine Partie. Dann das Ganze mal durchzulesen. Ich lese mir, ohne die Musik zu hören, einfach die Texte durch und versuche, die Geschichte zunächst mal zu erfassen, mir ein Bild zu machen: Was ist impliziert vom Librettisten, vom Komponisten, welche Spielorte sind vorgesehen, damit ich ein Gesamtbild bekomme, bevor ich mich dann an die musikalische Umsetzung wage.
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Erzählen Sie uns etwas vom Hans aus der „Verkauften Braut“.
Der Hans ist einer, der schon etwas erlebt hat, nicht mehr ganz jung. Ein junger Mann, Ende Zwanzig, kann man vermuten, der aus einem problematischen Elternhaus weggelaufen ist, wahrscheinlich, weil der Vater eine zweite Frau geheiratet hat, mit der er nicht zurecht kam, die ihn vielleicht auch schlecht behandelt hat, das bleibt offen. Jedenfalls ist er unterwegs gewesen, auf der Walz, man kann sich sonst was ausmalen, was er erlebt hat. Es war sicher kein Zuckerschlecken, für einen Jugendlichen und dann später einen jungen Mann, sich durchzuschlagen. Man kann also davon ausgehen, dass er, wenn er zurückkommt in dieses Dorf und sich in Marie verliebt, ein gewisses Standing hat, dass er kein Unbedarfter mehr ist und sich auch von diesen Figuren im Dorf nicht mehr verunsichern lässt. Er hat sich emanzipiert von diesem Umfeld und kann deshalb auch mit einer gewissen Chuzpe diese Geschichte so einfädeln, wie sie dann eben später mit dem „Verkauf“ der Braut kulminiert.
Welche Freiheiten haben Sie bei der Interpretation der Rolle?
Also generell, muss ich sagen, fühle ich mich selten durch eine Regie, eine Inszenierung eingeengt. Man bringt sich ja doch immer sowieso selber mit. Selbst wenn der Regisseur irgendetwas forderte, was mir zunächst nicht passt, bin es ja doch immer ich, der es umsetzt. Das ist genau wie mit dem Singen auch. Wenn jetzt irgendeiner zu mir sagt: Sing es so oder sing es so: Es bleibt ja doch immer meine Stimme. Das heißt, ich bleibe ein Stück weit immer ich. Auch wenn man unterschiedliche Partien spielt, wie ich es ja hier am Gärtnerplatztheater tue: heute Abend Eisenstein und morgen früh dann wieder Hans probieren, da sind ja doch Welten dazwischen, aber das geht mit durchlässiger Stimme und ebensolchem Körper, und ich finde mich in allem wieder.
Was gefällt Ihnen am besten an der Partie des Hans, und was ist das Schwierigste dabei?
Am besten gefällt mir, dass es eine Partie ist, die sich nicht nur im Ariosen erschöpft, dass man Text und Musik aus der Szene heraus sehr gut motivieren kann. Natürlich gibt es ariose Momente, wo man sehr blühend singen kann, und das macht mir auch viel Freude. Also, ich könnte eigentlich gar nicht sagen, dass es etwas gibt, was mir nicht gefällt an der Partie. Ich finde mich da gut zurecht.
Wie geht der Hans damit um, dass die Marie so eine starke Persönlichkeit ist?
Ja, das findet er doch anziehend! Der Junge war unterwegs in der Welt, der hat sicher auch schon etwas erlebt mit Frauen, und ich glaube, wenn die zu langweilig wäre, würde er sich für sie gar nicht interessieren.
Und wie wird die Ehe von Hans und Marie in zehn Jahren aussehen?
Das ist sehr spekulativ, aber ich bin da prinzipiell optimistisch.
Die „Verkaufte Braut“ ist ja eine Übersetzung. Würden Sie es auch im Original singen?
Ich würde es sicherlich auch im Original singen. Sich das Tschechische heranzuarbeiten ist natürlich viel Arbeit, aber da sehe ich kein grundsätzliches Problem.
In welchen Sprachen singen Sie?
Das ist natürlich eine „Fachfrage“ bei mir, da ich gerade hier sehr aufs deutsche, slawische Fach festgelegt bin. Ich habe Italienisch natürlich schon gesungen, auch französische Partien, beispielsweise „Pelleas e Melisande“, Russisch wenig, nur Teile von Stücken. Das sind so die Dinge, die ich gemacht habe.
Haben Sie Vorbilder, musikalisch oder auch szenisch?
Szenisch würde ich sagen: Nein. Es gibt natürlich Sänger, ich habe vorhin Helge Brilioth und James King erwähnt, wo man einfach so berührt ist von der Interpretation, berührt im doppelten Sinne, sowohl von der emotionalen Seite, aber auch, dass die Art zu singen sich in einem widerspiegelt und man das Gefühl hat, da kann etwas in diese Richtung wachsen.
Würden Sie sagen, Sie haben eine 38-Stunden-Woche?
Nein, das habe ich natürlich nicht. Es ist ja bei uns oft schwer zu unterscheiden zwischen Arbeitszeit und Freizeit: da sind viele Stunden, die man mit sich allein verbringt, um die Partie vorzubereiten, das heißt, sich mit dem Text, mit der Musik beschäftigt, sich gesangstechnisch weiterentwickelt. Aber ich würde nicht anfangen, die Stunden zu zählen.
Also Sie haben Freude an Ihrem Beruf.
Auf jeden Fall, sonst täte ich es nicht.
Gibt es Komplikationen, die sich aus dem Lebensrhythmus eines Opernsängers ergeben?
Naja. Das würde ich nicht so hoch hängen. Es gibt gewisse Dinge, die man halt nicht gut machen kann: Wenn Sie zum Beispiel einen Tanzkurs belegen wollen, der immer zu einem bestimmten Termin ist, sind Sie sehr eingeengt, weil eben gerade die Zeiten, wo andere Menschen Zeit haben, so etwas zu machen, wo so etwas auch angeboten wird, meistens nicht gehen, weil wir eben in der Zeit auf der Bühne sind, aber das sind nur Kleinigkeiten. Dafür haben wir oft auch mal einen Tag frei, wo andere Menschen arbeiten müssen, mitten in der Woche, wo wir dann auch mal sagen können: Das Wetter ist schön, wir fahren raus, und man macht dann quasi Wochenende in der Wochenmitte. Das bringt eine Spontaneität ins Leben, das verlangt eine gewisse Flexibilität.
Was tut Ihrer Stimme gut und was ist gar nicht gut? Auf was müssen Sie achten?
Generell meide ich laute Situationen. Das ist auch ein Grund, warum ich eben gewisse musikalische Erlebnisse nicht hatte und habe. Ich würde auch zum Beispiel nicht in ein Bierzelt auf dem Oktoberfest gehen, weil mir das einfach zu laut ist. Sowohl für die akustische Wahrnehmung, als auch um dagegen anzusprechen. Was mir gut tut, ist alles, was mir als Mensch auch gut tut: Mich in der Natur zu bewegen, was so mein wesentliches Steckenpferd ist. Das kann ein Waldspaziergang ebenso sein wie eine Stunde Arbeit im Garten. Das entspannt mich sehr, und alles, was einen lockermacht, findet sich auch wieder in der Qualität der Stimme.
Tun Sie etwas für Ihre Kondition?
Ja, es gibt da eine Reihe von Übungen, die ich relativ regelmäßig mache.
Müssen Sie sehr diszipliniert leben?
Ich habe nicht den Eindruck, nein. Ich komme mit der Verbindung von meinen Freizeitaktivitäten und dem Beruf sehr gut zurecht. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich gewisse Dinge nicht mache, die vielleicht schädlich sein könnten. Ich habe das nie als Komplikation empfunden.
Was empfinden Sie als das Schönste an Ihrem Beruf, und was nervt Sie daran?
Das Schönste ist, dass man immer wieder die Chance hat, sich selbst neu zu entdecken. Dass man sich aktualisiert, dass man ja, wenn man authentisch sein möchte, immer wieder die Energie, die man für diesen Beruf und für das Singen braucht, immer neu mobilisieren muss. Und das ist ja kein Müssen im Sinne eines Zwangs, sondern es ist im Prinzip wie eine Aufforderung, sich mit sich selbst zu beschäftigen, was vielen anderen Menschen nicht gegönnt ist in ihrem Beruf, und das ist ein absolutes Privileg in diesem Beruf. Schwierig ist, dass man gewissen Unbilden sehr ausgeliefert ist. Es gibt halt leider doch mal Erkältungskrankheiten, die einem das Leben sehr schwer machen können. Da muss man manchmal dann die Reißleine ziehen und sagen: Jetzt geht’s einfach nimmer. Manchmal kann man sich aber über das Singen wieder fit machen, man kann sich quasi gesundsingen. Das geht, wenn man locker bleibt.
Hatten Sie irgendwann einmal überlegt, etwas anderes zu machen als zu singen?
Das habe ich wohl, ja, ich habe mich mit allen möglichen Sachen beschäftigt. Ich bin sehr naturverbunden und habe das auch sehr gepflegt und könnte mir manchen Beruf vorstellen, der im weitesten Sinne damit zu tun hat. Aber es ist auch sehr schön, das jetzt als Freizeitperspektive zu haben.
Haben Sie noch eine Wunschpartie?
Es gibt deren einige. Was ich jetzt vorbereite, ist z.B. der Parsifal. Es geht jetzt ganz konkret in das deutsche Fach hinein, und die Partien, die ich jetzt hier am Gärtnerplatz singen kann und durfte und auch diese Spielzeit noch singen werde, in den Wiederaufnahmen vom „Freischütz“ und den „Orangen“, die passen da sehr gut, um das aufzubauen.
Können Sie uns einen Ausblick auf diese Spielzeit und auf die kommenden Jahre geben?
Diese Spielzeit bringt jetzt, wie bereits erwähnt, neben der „Verkauften Braut“ dann noch mal den „Freischütz“, auf den ich mich sehr freue, genauso auch auf die „Liebe zu den drei Orangen“. Ich singe sehr gerne auch die „Fledermaus“. Anfang des nächsten Jahres wird es auch noch ein Liedprogramm geben, mit Duetten, das wird eine schöne Sache, denke ich. Und dann wird es ja hier am Gärtnerplatz unruhig. Ich werde an den beiden Produktionen, die im Prinzregententheater stattfinden, nicht mitwirken, werde aber dort auch noch eine „Zauberflöte“ singen, wo ich den Geharnischten gebe. Und dann gibt es auch schon Pläne für die Spielzeit darauf, aber die sind noch in statu nascendi, da möchte ich noch nicht darüber sprechen.
Dann sage ich herzlichen Dank für dieses Interview und Toi-Toi-Toi für die Premiere der „Verkauften Braut“!
Vielen Dank!
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Corinna Klimek am 6. Oktober 2011 16:41 [singlepic id=1036 w=320 h=240 float=left]
Liebe Frau Naidu, herzlichen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben für ein Interview auf dem Blog „Nacht-Gedanken“. Könnten Sie uns etwas zu Ihrem Werdegang erzählen?
Es sah zunächst wie ein Zufall aus, dass ich hauptberuflich Sängerin wurde. Ich habe in Stuttgart Musik studiert und dabei so viel wie möglich an Fächern belegt: Kirchenmusik, Ensembleleitung und Früherziehung und später dann Liedklasse und Opernschule. Nebenbei habe ich viel im Rundfunk-Chor gesungen, und dabei hatte ich immer wieder auch die Chance auf ein Solo. Allerdings waren mir die Gesangsstudenten in der Hochschule eher suspekt, vieles wirkte aufgesetzt und künstlich. Mir ging es beim Studium wirklich um die Musik, und deshalb fand man mich dann eher bei den Kirchenmusikern oder bei musikwissenschaftlichen Seminaren. Obwohl ich damals das vage Ziel, Redakteurin zu werden, vor Augen hatte, habe ich durch die solistischen Auftritte bald gemerkt: Man kann mit Singen mindestens einen Studentenhaushalt finanzieren.
Dann ergab sich die Gelegenheit für ein richtiges Vorsingen an einem Opernhaus, das eigentlich meine Freundin bekommen hat, aber ich habe den Termin von ihr übernommen, weil sie erkältet war. Dort habe ich tatsächlich dann unter anderem eine Arie aus der Johannes-Passion vorgesungen und trotzdem direkt ein Dreijahres-Engagement bekommen.
Also, es war wirklich ein Riesenglück oder, wer weiß, Vorsehung. Ich hätte niemals diesen Weg gewählt, wenn ich diese Ochsentour mit endlos vielen Vorsingen hätte machen müssen. Umso glücklicher bin ich jetzt, dass ich trotzdem in diesem erfüllenden Beruf gelandet bin!
Nach dem ersten Engagement, wie ging es dann weiter?
Nach drei ausgefüllten Jahren in Saarbrücken, wo ich glücklicherweise gleich mit Mezzo-Hauptpartien betraut wurde, ging es nach Mannheim weiter. Dort blieb ich zwei Jahre, wurde schwanger und bin dann nach München gegangen, weil hier auch die Großeltern meiner Tochter leben, die mir durch ihr engagiertes Mithelfen ermöglichten, gleichzeitig berufstätig und Mutter zu sein. Ich bin jetzt in der 16. Spielzeit hier am Gärtnerplatztheater engagiert.
Welche Musik haben Sie als Kind gehört?
Als Kind oder Jugendliche?
Vom Kind zur Jugendlichen.
Meine Mutter hat daheim viel Bach, Brahms und Jazz gehört. Ich habe zusätzlich, wie alle anderen in der Schule, Pop- und Rockmusik gehört und auch in einer Band gesungen. Pink Floyd, Deep Purple, Genesis, das war in der Zeit so in. Ich habe Frank Zappa noch live gehört (lacht). Später kam Jazz dazu. Ich war dann auch Sängerin in der Big Band von Erwin Lehn an der Musikhochschule in Stuttgart.
Was hören Sie heute? Ausschließlich klassische Musik, oder auch andere Musikrichtungen?
Also, wenn ich mir privat etwas auflege, ist es sehr selten Oper, möglicherweise zum Studium. Ich höre gern sinfonische Musik, Kammermusik, auch gut gesungene Chormusik. Ansonsten – gute Qualität ist Genre-unabhängig. Ob das jetzt Jazz oder durch meine Tochter auch die neuesten Poptitel sind, das ist egal. Ich kann nur nicht Musik einfach nebenher hören, wie die meisten Musiker.
Haben Sie das absolute Gehör?
Ich habe ein relativ absolutes Gehör, das heißt, ich treffe oft die richtigen Töne.
Wie beeinflusst das die Herangehensweise, oder das Einstudieren einer neuen Rolle?
Das beeinflusst es gar nicht. Das hat höchstens den Effekt, dass, wenn ich eine Partie draufhabe und dann aus dem Stand irgendwie an einer Stelle anfangen soll zu singen, dann treffe ich sie meistens. Das hat mehr etwas mit dem In-die-Kehle-Singen zu tun, vermutlich.
Wie gehen Sie an eine neue Rolle heran?
Es kommt auf die Rolle an. Wenn es eine Partie wie die Ludmilla in der „Verkauften Braut“ ist, dann bereite ich die Noten und den Text dazu vor und versuche, es möglichst vor der szenischen Probe im Kopf zu haben. Meistens lerne ich Noten noch leichter, wenn ich eine Bewegung dazu mache. Wenn es eine große, wichtige, für mich essentielle Partie ist, dann lese ich auch möglichst viel darum herum. Also, z.B. in die Carmen-Thematik habe ich mich gut eingelesen.
Spielen Sie ein Instrument?
Ich habe früher Klavierunterricht gehabt und spiele ein bisschen Gitarre.
Und auch heute noch?
Auch heute noch, ja, aber zum Zeitvertreib. Meine Tochter hat mich, was das Können betrifft, längst überholt, aber es reicht aus, um eine gewisse Vorstellung von einem neuen Stück zu bekommen.
Welche Sprachen sprechen Sie, und in welchen Sprachen singen Sie?
Ich bin mit Englisch zweisprachig aufgewachsen, und ich singe sehr viel auf Französisch und gelegentlich Italienisch. Ich habe auch Russisch gesungen, aber das nur phonetisch gelernt. Das würde ich mir nicht anmaßen, dass das dann wirklich auf Russisch war (lacht).
Haben Sie musikalische oder szenische Vorbilder?
Ich habe das Glück gehabt, dass ich mit wirklich bedeutenden Regisseuren gearbeitet habe. Ich denke da z.B. an Christoph Loy. In Inszenierungen von Harry Kupfer, Ruth Berghaus und Martin Kusej habe ich mitgewirkt und dabei tolle Kollegen neben mir auf der Bühne gehabt. Das klingt jetzt wie Angeberei, aber es ist halt einfach so, man lernt da unglaublich viel. Anna Netrebko, Anja Harteros, Barbara Bonney, Matti Salminen; das sind dann einfach in dem Moment Vorbilder. Ansonsten verdanke ich viel Inspiration dem Unterricht bei der wunderbaren Brigitte Fassbender.
Und dann sind da auch viele Musiker, die ich sehr schätze, die erst mal nichts mit dem Gesang zu tun haben. Es gibt da eine ganze Reihe aus der Generation junger Kammermusiker, die ich sehr schätze.
Als Sie mit Harry Kupfer und Christoph Loy gearbeitet haben, dann war das ja nicht am Gärtnerplatztheater.
Stimmt. Ich habe ja das Riesen-Glück gehabt, dass ich zu meinem Festvertrag hier doch auch viel gastieren konnte. Relativ am Anfang übernahm ich an der Komischen Oper den Cherubino in der Inszenierung von Harry Kupfer, und Christoph Loy kenne ich noch aus Stuttgarter Zeiten, in einer seiner ersten Inszenierungen überhaupt, der „Krönung der Poppea“, da habe ich den Ottone gesungen. Das wird heute nur noch von Countertenören gesungen.
Dann haben Sie auch internationale Erfahrung?
Ja, ich bin doch relativ viel herumgekommen. In Tokio habe ich Mahlers Dritte gesungen. In Amerika habe ich mehrfach gearbeitet, z.B. in Seattle, „Hoffmanns Erzählungen“. In Italien „Salome“, „Rheingold“ und „Götterdämmerung“. In Südafrika, Indien und in Israel habe ich gesungen, und auf Tournee war ich mit Lorin Maazel und mit Zubin Mehta.
Wenn Sie von Amerika sprechen – da gibt es ja dieses Konzept des Ensemble-Theaters nicht. Ist das eine andere Arbeitsweise in einem Cast, das nur aus Gästen besteht?
Absolut. Also erstmal kennt man natürlich die Kollegen zunächst nicht. Das ist erst einmal ein Abenteuer, zu sehen: Wie agieren sie auf der Bühne, wie ist die Chemie untereinander. Und natürlich ist es ein Vorteil, dass man sehr konzentriert nur an dieser einen Oper arbeitet. Gerade von Seattle kann ich sagen, dass die Produktion hervorragend organisiert war und unter dem Motto stand: Only happy birds can sing well. Es gab viele Kleinigkeiten bei der Sängerbetreuung, die dann ausmachen, dass man sich wirklich wertgeschätzt fühlt. Andererseits ist es wunderbar und ein Riesenprivileg, hier in einem Ensemble eingebunden zu sein. Wenn man mit Kollegen seit fünfzehn Jahren auf der Bühne steht und weiß, dass, wenn man zum Beispiel spontan auf der Bühne etwas erfindet, der Ball aufgefangen und weitergespielt wird. Das ist lebendiges Theater.
Also würden Sie das Ensemble-Theater einem auf Gäste-Basis geführten vorziehen?
Es gibt für beides Argumente. Ich fände es furchtbar schade, wenn es hier kein Ensemble mehr gäbe, das ist ja ganz klar. Gerade an so ein Haus gehört ein Ensemble. Aber international geht es nicht anders. Da muss auf Stagione-Basis gearbeitet werden.
Würden Sie sagen, Sie haben eine 38-Stunden-Woche?
Wir haben ja sehr oft Tage, wo wir überhaupt gar nicht mehr herauskommen aus dem Beschäftigen mit dem, was wir gerade tun. Wo wir nicht nur in messbaren Arbeitsstunden auf der Bühne stehen, sondern daheim noch mal ins Buch schauen und Melodien sich im Gehirn bewegen. Und dann gibt es natürlich wieder Tage, wo wir ganz frei haben. Das lässt sich schwer mit einem normalen Berufstag vergleichen. Wir müssen eben durchgehend präsent bei einer Vorstellung sein. Das kann sich dann anfühlen wie ein gesamter Tag gearbeitet.
Gibt es besondere Komplikationen, die sich aus dem Lebensrhythmus eines Sängers ergeben?
Als Mutter kann ich sagen: Jeder Tag muss neu organisiert werden. Wenn der Probenplan für den nächsten Tag erst kurz vor zwei Uhr herauskommt, dann muss man sehr flexibel sein, und die Menschen aus dem ganzen Netzwerk, das man sich aufgebaut hat, müssen gegebenenfalls mit springen. Verabredungen können kurzfristig platzen, Feiertage sind meist nicht dienstfrei. Das ist eine Komplikation, ja. Ansonsten versuche ich, mein Leben ganz normal zu führen: Ich werde nicht hysterisch, wenn es zieht oder wenn um mich herum geniest wird.
Da sind wir dann gleich bei der richtigen Frage: Was tut Ihrer Stimme gut, und was verträgt sie überhaupt nicht?
Gegen das Rauchen werde ich immer allergischer, leider. Ich finde es sehr schade, dass wir jetzt draußen auf unserer schönen Dachterrasse nur selten sitzen können, ohne dass wir eingeräuchert werden. Von wegen: Ich gehe mal an die frische Luft. Apropos Luft, das ist natürlich das A und O: Ein langer, ausgedehnter Waldspaziergang ist natürlich für jeden Menschen gut und für einen Sänger, glaube ich, erst recht. Viel schlafen tut gut. Viel trinken.
Tun Sie etwas für Ihre Kondition?
Es hat sich ja vielleicht herumgesprochen, dass ich seit früher Kindheit mit Asthma lebe, aber ich habe das durch das Singen auch relativ gut im Griff. Jedenfalls hängt meine Konditionsarbeit natürlich auch immer damit zusammen: was kann ich mit dem Asthma überhaupt leisten. Also, Joggen ist bei mir dann nicht angesagt, aber ich mache regelmäßig Yoga, gehe in die Berge und schlafe viel (lacht).
Wie diszipliniert müssen Sie leben?
Unter manchen Aspekten sehr. Man muss immer wissen: Auf der Bühne geht es nicht um mich, sondern um den Charakter, den ich gerade darstelle. Für mich geht es auch noch weiter, das zieht sich bis in das Garderobenleben hinein: man sollte seine privaten Probleme während Vorstellungen aus der Garderobe draußen lassen, um auch die Kollegen nicht unnötig zu belasten. Das heißt nicht, dass man nicht miteinander sprechen soll, wenn es sich ergibt, aber es gibt da so eine mangelnde Disziplin, dass man einfach ungefiltert jede Laune herauslässt, und das kann einen gelegentlich – wie sage ich es diplomatisch – irritieren. Aber ansonsten, ich habe es ja vorhin schon gesagt, versuche ich, jetzt zu leben und nicht später, wenn ich mal nicht mehr singe. Also, jetzt ist Leben.
Dann haben Sie also kein Problem damit, die Schwiegermutter Ihres Partners zu spielen?
Nein, das ist wirklich egal, höchstens in der Vorbereitung lustig, aber in dem Moment, wo ich auf der Bühne bin, da bin ich der Charakter, den ich zu spielen habe.
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Dann kommen wir mal zur Neuproduktion der „Verkauften Braut“. Wie sieht denn der Regisseur die Ludmilla?
Ludmilla und Kruschina, die Eltern von Marie, sind ganz einfache Leute, die von diesem Kecal, dem Heiratsvermittler, recht eingeschüchtert werden und aus Geldnöten die Tochter verhökern. Viele Hinweise auf eine Figur werden ja auch durch die Wahl der Kostüme gegeben. Unsere Kostüme wurden jetzt noch mal nach der ersten Klavierhauptprobe geändert, weil ich z.B. noch zu elegant war. Ein einfaches Kostüm hilft natürlich bei der Darstellung so einer Partie.
Man kann ja die Braut auf verschiedene Arten inszenieren, aber hier wird dann offensichtlich so ein bisschen die Kitsch-Falle umgangen?
Das Folkloristische wird herausgenommen. Das kann ich schon einmal sicher sagen. Aber es ist ja bei einer Produktion so: Je länger man dabei ist, desto weniger sieht man den Wald vor lauter Bäumen. Insofern – ich bin jetzt, glaube ich, nicht mehr geeignet, über das Regie-Konzept zu sprechen. Ich könnte vielleicht eine andere Produktion, bei der ich nicht beteiligt wäre, viel unbefangener beurteilen.
Welche Freiheiten hat Ihnen der Regisseur gelassen, und wieviel von Ihrer Persönlichkeit steckt in der Ludmilla, die dann auf der Bühne stehen wird?
Zuerst zur letzten Frage: Ich bin mir nicht sicher. Natürlich geht man immer lebendig auf die Bühne, wir sind ja keine Roboter, also es wird immer irgendetwas von mir mit einfließen, aber das ist mir nicht bewusst. Das kann natürlich passieren, dass in meinem Spiel möglicherweise eine schnelle Bewegung entsteht, die vielleicht für den Charakter der Ludmilla unpassend ist. Aber sie ist ja andererseits keine alte Frau, sie ist eben die Mutter von einem jungen Mädchen. Und Freiheiten – es wurde viel vorgegeben und wir haben viel am Subtext gearbeitet, die Gänge sind inzwischen festgelegt, aber ich habe mich dabei nicht gegängelt gefühlt.
Was war für Sie bei der Interpretation dieser Rolle besonders wichtig? Oder was war eine besondere Herausforderung?
Rein musikalisch gibt es da ein sehr schönes Sextett im dritten Akt, das ist musikalisch eine Herausforderung, weil es streckenweise a capella ist, und die Ludmilla – für einen Mezzo ungewöhnlich – die höchste Stimme im Ensemble singt. Heute bei der Orchesterprobe lief es gut, und ich freue mich richtig darauf.
Maries Eltern sind ja unterschiedlicher Meinung, wie man den Ehemann für die Tochter auswählen sollte. Was ist das für eine Ehe zwischen Kruschina und Ludmilla?
Ich denke, wenn es in dem Kontext der 50er Jahre gesehen wird, was, glaube ich, mal so als grobes Raster angedacht war –
Bei der Einführung hieß es, es ist zeitlos.
Schwierig. (Lacht). Dass die Männer die Geschäfte machen und Töchter verheiraten, ist doch hoffentlich nicht zeitlos. Die Ehe ist nicht besonders schlecht, aber trotz der über die Jahre gewachsenen Vertrautheit gibt es Gräben. Musikalisch gibt es aber schon ein Argument für Harmonie: Wir singen eigentlich sehr viel parallel.
Was ist das Beste an Ihrem Beruf, und was ist das Nervigste?
Eine unschätzbare Chance ist, dass man unglaublich viele Facetten des Lebens kennen lernt.
Zusätzlich wird man durch die Begegnung mit den vielen Menschen, mit denen man es zu tun hat, bereichert.
Die Beschäftigung mit der Musik und der Darstellung ermöglichen es, an Seiten von sich selber heranzukommen, die man vielleicht in einem anderen Beruf niemals erleben würde. Zudem gibt es keine Routine im Sinne von gleichförmiger Wiederholung. Auch wenn ich zwanzigmal die gleiche Vorstellung mache, es ist einfach jedes Mal anders. – Das Nervigste? Nennen wir es das Herausforderndste: Auch flache Texte, langweilige Regie, stumpfe Musik immer wieder mit Freude und Elan „verkaufen“ zu müssen.
Haben Sie noch eine Wunschpartie?
Ich finde es wirklich schade, dass ich den ganzen Octavian noch nicht machen konnte. Ich habe ihn immer nur in Auszügen konzertant gemacht. Die Wagner-Sachen, die dürfen auch ruhig weitergehen. Jetzt habe ich ja die Rheintöchter, die Waltraute und die Fricka gesungen, aber da könnte gerne noch etwas kommen (lacht).
Können Sie uns einen Ausblick geben auf diese Spielzeit, und vielleicht schon auf die folgende?
Auf die folgende noch nicht, aber auf die jetzige: Acht Partien sind es, glaube ich. Ich habe immer noch den Hänsel auf dem Programm. Die Mrs. Quickly im „Falstaff“ im Prinzregententheater wird eine Premiere sein – bisher habe ich die Meg gesungen. Außerdem komme ich nun auch dazu, die Rolle der Fata Morgana in der „Liebe zu den drei Orangen“ zu singen.
Ganz herzlichen Dank für dieses Interview!
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