Was hat eine Frau von der Treue?
Zur Premiere von Paul Abrahams Operette „Ball im Savoy“ am Staatstheater Nürnberg am 19. Januar 2019
Stehen uns nicht immer unsere Gefühle im Weg? Können wir noch gescheit sein, wenn uns unsere Gefühle lenken? Diese Fragen stellten sich wieder einmal bei mir ein. Nach einjähriger Hochzeitsreise kommt das Paar verliebt heim. Da ruft schon die Vergangenheit. Eine verflossene Liebe ruft den Gemahl, der mit seinem sequenziell-polyamorphen, türkischen Freund, diese unliebsame Begegnung mit Vergnügen hinter sich zu bringen versucht. Frau bekommt Hilfe von ihrer Cousine, die den Nachteil eine Frau zu sein nicht einsieht. Die Frauen kämpfen für gleiche Rechte und am Schluss siegt wie meist in der Operette die Liebe.
Regisseur Stefan Huber bedient sich hier nicht dem Operngesang, sondern besetzt die Rollen vorrangig mit singenden Schauspielerinnen, männliche wie weibliche. Die Geschlechter spielen den ganzen Abend keine oder eine ganz große Rolle. Rollenbilder werden gezeigt, aber besetzt sind sie oft entgegengesetzt. Beim „hohen Operettenpaar“ wird hier traditionell gespielt. Tobias Bonn als Ehemann und Friederike Haas als seine Gattin. Beide überzeugen gerade in ihren Zweifeln. Beim Buffopaar wird dann gewechselt. Werden komische Figuren komischer, wenn man gerade diese mit dem Gegengeschlecht besetzt? Auf jeden Fall waren Andreja Schneiders Mustafa Bei und Christoph Martis Daisy Parker fabelhaft, wenn sie ihre Pointen setzen durften. So spürte jeder, wie wichtig gut sprechende Darstellerinnen für die Operette sind. Wie oft habe ich mich schon gegruselt, wenn zwar schöne Töne zu hören waren, aber bei den Dialogen mir das Gespür für Betonungen oder sogar das Textverständnis fehlte. An diesem Abend war es größtenteils das Gegenteil. Wunderbar. Die verflossene war das gesangliche Highlight der Operette. Tangolita wurde gespielt von Andromahi Raptis, die auch sprachlich ebenbürtig zu ihren Schauspielerinnenkollegen agierte. Als Cem Lukas Yeginer in Rolle der Schneiderin auf die Bühne trat, um aus der anständigen Ehefrau ein Flittchen zu machen, fühlte ich mich an eine Dame erinnert, die jahrelang im Privatfernsehen Wohnräumen ein neues Image verpasste. Später wechselte er die Rolle zum extrem kurzsichtigen Junganwalt, der erst ein Abenteuer in allen Ehren mit einer anständigen Frau suchte und später den (nicht) betrogenen Gatten bei der Scheidung vertreten sollte.
Bevor sich der Vorhang öffnete, erlebte man die erste Überraschung: im Graben fand man keine Musikerinnen, sondern Palmen, die eine Showtreppe umrahmten, die auf die Bühne führte. Nicht ganz einfach, die Auftritte wirken zu lassen, wenn man mit dem Rücken zum Publikum Stufen erklimmt. Auf der Bühne spielte alles in variablen Art Deco-Elementen, die mit der Tänzergruppe zum Szenenwechsel tanzten. Die Tänzer füllten den Ballsaal, waren Begleiter der Modetanzikone Daisy, die den „Känguru“ nach Europa brachte, bildeten aber auch die Bauchtanzgruppe. Bei der Komik und der Travestiebesetzung blieb das sich doch nicht betrügende Ehepaar nicht so im Gedächtnis wie sie begleitenden Personen. Es mag daran liegen, dass die Darstellung der „Geschwister Pfister“, mit der Rampensau Ursli die Inszenierung prägt. Denn es wurde die Operettenrolle von der Pfisterrolle gespielt. Aber auch in dieser Schachtelung schafft es Stefan Huber den Charakteren eine Persönlichkeit zu geben, die einen berührt. Man lacht mit ihnen, ist berührt, aber man lacht sie nicht aus. Gerade die Rolle des Mustafa Bei berührt einen bei aller Komik. Denn die Komik wird aus bestehenden Vorurteilen geholt. Es ist jemand, der zwischen Kulturen oder Zeiten wandelt, eine nicht verlassen kann und in der anderen nicht vollständig ankommt. Sind nicht viele von uns nicht in ähnlicher Lage? Können und wollen wir mit den Veränderungen um uns herum mithalten oder an unseren Erfahrungen und unserer (auch geschönten) Erinnerung festhalten? Genau dieser Zwiespalt kam unheimlich humorvoll rüber. Die Reise nach Nürnberg hat sich gelohnt und verlangt nach Wiederholung.
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