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Kurzinterview mit Stefan Sevenich

Der Mikado
Herr Sevenich, vielen Dank, dass Sie uns für den Blog „Nacht-Gedanken“ ein Kurzinterview geben zur Neuinszenierung DER MIKADO. Waren Sie schon mal in Japan?

Nein. Leider noch nicht.

Im Mikado ist ja Kritik an der damaligen britischen Gesellschaft im japanischen Gewand verpackt. Sehen Sie da aktuelle Bezüge?

Absolut. Ich denke, dass sich die Gesellschaft nicht verändert hat, weder die britische noch die europäische insgesamt. Ich glaube, die gleichen Kritikpunkte bleiben auch nach hundert Jahren nach wie vor aktuell.

Können Sie uns erklären, warum der MIKADO das erfolgreichste Stück von Gilbert & Sullivan ist?

Weil es gerade so tagespolitisch aktuell ist. Es werden Vorgehensweisen einer Regierung und die der Menschen unter dieser Regierung vor Augen geführt, die wir aus unserem täglichen Leben kennen. Dieses allzu bekannte, menschliche Verhalten unter Druck, in Krisensituationen, das macht diese Aktualität auch nach hundert Jahren noch aus.

Ist der Humor britisch oder allgemeingültig?

Der ist typisch britisch, aber da sich das mittlerweile ja auch als Spielfarbe oder-Art in der Welt durchgesetzt hat, dieser trockene Humor, Slapstick, Screwball-Komödien, dieses schnell Gespielte, dieses trocken Kommentierte. Das ist uns, glaube ich, mittlerweile in allen westlichen Ländern eigen. Und deswegen können wir das auch sehr gut verstehen. Nein, ich finde es nicht mehr speziell „britisch“.

Was sind die Gemeinsamkeiten bzw. die Unterschiede zu dem anderen Gilbert & Sullivan-Stück, das hier am Haus zuletzt gespielt wurde, die PIRATEN VON PENZANCE?

Da ist einmal die reine Anlage der Musik. DIE PIRATEN VON PENZANCE sind wesentlich opernhafter, die Nummern sind wesentlich weit-ausladender, die ganze Art des Singens erfordert viel mehr den „Profi“. MIKADO sind kurze Nummern, erfrischende Nummern, viele Couplets. Das kann auch mal mit Nicht-Sängern oder mit nicht-professionellen Sängern besetzt werden. Also, es ist eher in Richtung „musikalisches Schauspiel“ bearbeitet.

Ist es eine traditionelle Inszenierung?

O je. (Lacht) Ja. Und Nein. Weil: Wir bedienen diesen schnellen Dialog, wir bedienen diese schnellen Screwball-Slapstick-Sachen, etwas überzeichnete Figuren, keinerlei psychologische Zeichnungen. Ja, das ist sehr traditionell im Stil – also, es ist keine – es ist schon – naja, konventionell wäre jetzt ein Schimpfwort, aber -. Nein, es ist eine gute Inszenierung. Punkt.

Wie hat der Regisseur Ihre Rolle angelegt? Ist sie so steif und hochherrschaftlich und zeremoniell, wie man meinen könnte, wenn man das Libretto liest?

Ja. (Lacht) Das Problem ist ja immer wieder der Rollenträger, in dem Falle ich, und ich glaube, ich kann nicht zeremoniell wirken. Ich zerstöre allein durch den Umfang meines Bauches jegliches Zeremoniell, und wenn der mal in Bewegung kommt – also, wir haben auch Tanzelemente – dann sieht das halt eben, glaube ich, nicht mehr so hochzeremoniell aus. Es ist eine herrlich schräge Nummer. Ich liebe die Figur des Mikado sehr, er ist eine ganz schräge Type, mit seinem Hang zum Sadismus und dieser Besessenheit von Todesurteilen..

Sie haben es ja gerade schon angesprochen: Der Mikado verbietet das Flirten bei Todesstrafe, solange die Herrschaften nicht verheiratet sind. Seine Melodien erinnern aber eher an einen Musical-Hall-Entertainer. Wie geht das zusammen?

Das ist reine Ironie. Wenn es ironische Musik gibt, dann findet die dort statt. Das grausame Vorgehen des Mikados mit „netter“ Musik zu unterlegen. Es geht ihm ja auch nicht um dieses Verbot, es geht ihm einfach um die Todesstrafen-Quote. Der liebt das ja, der möchte ja die Quote steigern. Es geht hier ja nicht ums Flirten. Wie gesagt, er ist so besessen davon, Tote zu produzieren und dabei zuzuschauen, wie sie umgebracht werden, deswegen ist diese Musik halt eben konträr, und das ergibt die Komik und die Ironie dieser Partie.

Ja, dann: Danke für dieses Gespräch und Toi-toi-toi für die Premiere!

Ja! Schön! (Bei toi, toi, toi -Wünschen darf man sich aus altem Bühnenaberglauben nicht bedanken!)

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Interview mit Peter Baumgardt

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Herr Baumgardt, herzlichen Dank, dass Sie noch vor der Premiere Zeit finden für ein Interview auf dem Blog „Nacht-Gedanken“. Sie waren ja von 1980 bis 1992 bereits am Gärtnerplatztheater tätig, zunächst als Regieassistent, zuletzt als Oberspielleiter und Persönlicher Assistent des Staatsintendanten. Sie haben unter anderem so erfolgreiche Inszenierungen wie „Anatevka“ am Haus gemacht. Wie fühlt es sich jetzt an, die Eröffnungspremiere zu inszenieren?

Ich bin unglaublich gespannt und ich bin auch aufgeregt, so als würde ich zum ersten Mal am Hause inszenieren, muss ich ganz ehrlich sagen. Auf der einen Seite sind es ja 15 Jahre, dass ich das letzte Mal hier inszeniert habe, 1996 „Funny Girl“. „Anatevka“ lief von 1991 bis 2007, ich habe es natürlich auch immer wieder gesehen, auch, glaube ich, die letzte Vorstellung sogar, und ich kam zurück, und es war irgendwie, als würde ich nach Hause kommen. Es war unglaublich angenehm, und es war sehr schön, einige Kolleginnen und Kollegen aus der vergangenen gemeinsamen Zeit wiederzusehen. Es war ganz vertraut, und trotzdem: „Die Verkaufte Braut“ ist ein schwieriges Stück, ein herrliches Stück, ein ganz wunderbar lebendiges Stück. Es gab zwei erfolgreiche Produktionen, die ich noch erleben konnte, die Inszenierung von Kurt Pscherer, die Inszenierung von Hellmuth Matiasek – und insofern ist natürlich durchaus schon so etwas da wie: Na, reihen wir uns jetzt mit unserer Interpretation, mit unserer Konzeption, mit all dem, was man auf der Bühne dann sehen und erleben kann, reihen wir uns ein in diese Riege der erfolgreichen Inszenierungen der „Verkauften Braut“? Also insofern: Ich freue mich darauf und bin aufgeregt.

Sie werden 2012 die Intendanz der Festspiele „Europäische Festwochen Passau“ übernehmen. Wie verlief Ihr Weg vom Germanistik-Studium in Frankfurt bis nach Passau?

Ja mei (lacht). Ich habe während meines Studiums Schauspielunterricht genommen, habe da auch meine Prüfung gemacht. Damals gab es noch die Prüfung bei der ZBF, Paritätische Prüfungskommission nannte sich das. Ich habe diese Schauspielausbildung nicht gemacht, um Karriere als Schauspieler zu machen, sondern ich habe sie gemacht und habe dann auch gespielt, in Heidelberg, in Darmstadt, hier in München, um einfach zu schauen: wie ist denn das, wenn man da so auf der Bühne steht und jemand eben unten sagt, was man zu tun hat – also, es gemacht, um selber als Regisseur dann nachempfinden zu können, was so in den Schauspielern oder in Sängern vorgeht. Ziel war immer, Regisseur und Intendant zu werden. Insofern war ich sehr glücklich, als Kurt Pscherer mich hier 1980 als Regieassistent engagiert hat und ich dann auch unter Hellmuth Matiasek tätig sein durfte, von Hellmuth Matiasek auch dann zum Oberspielleiter berufen worden bin. Das war für mich eine ganz große Freude, mit vielen wunderbaren Inszenierungen. Dann ging es nach Augsburg, damals jüngster Intendant in Deutschland. Dort blieb ich bis 1997 und es kam etwas, womit ich nie gerechnet habe, es kam von August Everding die Anfrage: „Sagen Sie, ich leite da den Deutschen Pavillon auf der Expo, hätten Sie nicht Lust, so ein bisschen mich zu begleiten?“ Das habe ich sehr gerne getan, ich habe in der Zeit als freier Regisseur inszeniert. Die Zusammenarbeit mit August Everding war unglaublich wunderbar, spannend und inspirierend. Ich habe sehr, sehr viel gelernt. August Everding verstarb viel zu früh, und mir wurde angetragen, seine Nachfolge als Intendant des Kulturprogramms im Deutschen Pavillon anzutreten. Aus dieser Aufgabe, sehr viel Management, aber auch sehr viel befördern können, kam die nächste Aufgabe in gleicher Richtung, nämlich die Europastadt Görlitz-Zgorzelec zu befördern, bis in die Endrunde der Kulturhauptstadt Europas zu kommen. Das bin ich voller Leidenchaft angegangen. Ich muss aber sagen, dass ich doch dann nach sechs, sieben Jahren Management-Tätigkeit irgendwie dachte: Ich muss zurück ans Theater. Da habe ich angefangen. Ich habe das Ensemble vermisst, ich habe die Musik vermisst, wenn man ins Haus kommt, ich habe das Ballett vermisst. Ich war sehr glücklich, dass ich dann aus 120 Bewerbern für die Intendanz des Stadttheaters Kempten ausgewählt worden bin; damals ein Theater, das ein reines Bespiel-Theater war, das erst geschlossen, später saniert, erweitert worden ist mit dem Ziel, sich als ein Stadttheater zu etablieren. Das war eine große Herausforderung, die mir sehr viel Freude gemacht hat. Wir haben das Haus wirklich zum dritten professionell geleiteten Theater in Bayerisch-Schwaben positionieren können in relativ kurzer Zeit. Ja, und plötzlich kam die Möglichkeit, sich um die Intendanz in Nachfolge von Dr. von Freyberg der Festspiele der Europäischen Wochen Passau zu bewerben. Es gibt eine klare Vorgabe, diese Festspiele zu profilieren, als Festspiele, die sich deutlich von anderen unterscheiden, dahingehend, dass sie auch eigene Produktionen herausbringen. Den 60. Geburtstag dieser Festspiele in Niederbayern, Oberösterreich und Böhmen feiern wir wir nächstes Jahr. Dazu noch wieder am Gärtnerplatztheater inszenieren zu dürfen, das ist ein buntes Leben, und ich hoffe, das bleibt es auch.

Sie haben ja vorhin schon die Vorzüge der „Verkauften Braut“ angesprochen. Warum „Die Verkaufte Braut“, und warum am Gärtnerplatztheater?

Dieses Stück gehört auf den Spielplan des Gärtnerplatztheaters. Es ist eine Spieloper, eine komische Oper. Das Haus hat hier eine ganz, ganz große Tradition, und bei einem Ensemble, das hier tatsächlich gepflegt und gefördert wird, wie seit Jahrzehnten, liegt es einfach nahe, „Die Verkaufte Braut“ mit diesen wunderschönen und herrlichen Charakteren ganz unterschiedlicher Art, mit Höhen und Tiefen, dass dieses Stück wieder auf den Spielplan kommt, nach, glaube ich, fünfzehn Jahren. Ich mag es sehr, Menschen auf der Bühne zu zeigen, in denen wir uns wiederfinden können. In jedem Einzelnen der „Verkauften Braut“, in jedem einzelnen Charakterzug, in den Höhen und in den Tiefen, in den Untiefen teilweise auch, können wir uns wiederfinden, und dieser Aufgabe stelle ich mich sehr gerne. Ich möchte die Geschichte erzählen. Die Geschichte lässt sich erzählen, sie ist nämlich nicht ganz leicht, aber sie lässt sich erzählen, wenn man ein so wunderbares Ensemble hat wie dieses, das immer wieder bereit war, sich auseinanderzusetzen mit den einzelnen Figuren und die Zusammenhänge versucht hat zu erkennen und einfach miteinander spielt. Und das finde ich, ist für das Gärtnerplatztheater etwas ganz Wichtiges, etwas ganz Entscheidendes und ist einfach auch das Besondere am Gärtnerplatztheater. Und da muss man auch dann schon sagen, dass es nicht so viele Opern gibt, die auch noch eine so herausragende Musik haben wie Smetanas „Die Verkaufte Braut“. Das, denke ich, war auch mit ein Grund, oder vielleicht sogar der Hauptgrund, der Einladung von Ulrich Peters zu folgen.

Sie haben gerade gesagt, Sie möchten nichts aufpfropfen. Gibt es denn Merkmale, die man in allen Ihren Inszenierungen wiederfindet? – Ich habe gehört, bei einem Regisseur muss immer ein Teddybär auf der Bühne sein, in irgendeiner Form.

Gut, ich kenne auch einen Regisseur, da ist immer eine Leiter auf der Bühne. Ganz so ist es bei mir jetzt nicht, und es ist ganz schwer, das von sich selber zu sagen. Mir ist immer wichtig gewesen – schon, ich glaube, die allererste Inszenierung, die ich hier am Hause gemacht habe, im Marstall damals, „Through Roses“ und dann später „Die heimliche Ehe“– zwischendurch „Fräulein Julie“ – ja, es ist mir immer die Nachvollziehbarkeit dessen wichtig gewesen, was auf der Bühne passiert, das Selbstverständliche. Und zu diesem Selbstverständlichen zählt der vollkommen natürliche und selbstverständliche Umgang der Leute miteinander, was wiederum nicht unbedingt etwas Selbstverständliches im Musiktheater oder in der Oper ist. Dieses herauszuarbeiten, herauszukitzeln und auch festzustellen, dass das Ensemble, die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne, eigentlich danach lechzen, das ist immer mein Anliegen gewesen, das alle meine Inszenierungen, ob jetzt Oper, Operette, Musical, Schauspiel, durchzieht.

Woher kommt die erste Idee, in welche Richtung die Inszenierung gehen soll?

Aus der Überlegung heraus: Hat das eigentlich noch Gültigkeit, das Ganze, wenn man es genauer betrachtet? Also, „Verkaufte Braut“, das ist ja eigentlich ein irreführender Titel. Sie wird ja nun nicht tatsächlich verkauft, weil ja das einfach eine Lüge des Hans ist, um zu einem Happy-End zu kommen; also, ist es ist auch nicht die Situation in Köln vor ein paar Jahren, wo tatsächlich ein Vater seine Tochter für, weiß nicht, 40.000 Euro oder 50.000 Euro, an einen Sohn eines anderen Vaters verkauft hat. Oder auch nicht wirklich die Geschichte, die in Vorarlberg passiert ist in den 80er Jahren, wo ein Bauer seine Tochter verkauft hat gegen Kühe und Schweine. Das Stück steht für gesellschaftliche Regeln. Und diese gesellschaftlichen Regeln, die in der Entstehungszeit der „Verkauften Braut“ über das Beispiel des Versprechens eines Mannes an einen anderen, dass dessen Sohn die eigene Tochter bekommt, verdeutlicht wurden, das ist einfach ein Bild für Regeln, in denen wir alle uns bewegen und aus denen wir ausbrechen wollen und einige es auch können. Deshalb ist für mich Hans und Marie so etwas wie die Moderne, die in diesen Ort, in dieses Dorf hereinbricht. Diejenigen, die einfach sagen: Wir beugen uns nicht mehr, oder wir verhalten uns nicht mehr gemäß den Regeln, die in Jahrzehnten oder auch Jahrhunderten geschaffen worden sind. Und es gibt andere, die von diesen Regeln nicht lassen können, wie zum Beispiel Micha und Hata oder Ludmilla und Kruschina, die erst davon überzeugt werden müssen – und wie sie sich dann wirklich dazu verhalten, ist nun die ganz große Frage.

Richtig ist: Liebe, Leben, oder Liebe und Leben, statt Geld, ist uns einfach wichtiger. Hat das etwas mit Heute zu tun? Ja, es hat etwas mit Heute zu tun. Alles, was da zwischenmenschlich passiert, passiert uns auch. Nicht jedem vielleicht, und auch nicht in der Gänze. Also holen wir das Stück so nah wie möglich an unsere Zeit heran, um einfach diese Barriere abzubauen. Ist das jetzt eine spezielle Zeit? Vielleicht erinnern Sie sich oder haben es gehört: „Heimliche Ehe“ habe ich damals ganz klar in die 1950er Jahre verlegt, weil genau diese 1950er Jahre durchaus etwas zu tun hatten mit den 1750er Jahren. Wir haben einen ganz klaren Vergleich angestellt; für uns war der Reifrock von 1750 der Petticoat von 1950, und der Wunsch nach Adel und sich baden in diesem Glanz und Glamour gab es eben einfach in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts auch. Insofern war es eine ganz klare Festlegung und es handelte sich einfach auch um ein Sujet, wo es um – ja – ausschließlich um gespielte Intrigen ging. Bei der „Braut“ habe ich mich entschlossen, das nicht zu machen, die klare Zeit, sondern wir haben uns entschlossen, es näher heranzuholen. Oder, sagen wir mal so, es auf die Bühne zu bringen in einer gewissen Allgemeingültigkeit. Ich bin immer der Meinung, dass es trotzdem eine Lokalisierung braucht, wenn ich eine Geschichte auch mit realistischen Mitteln erzähle. Also, ich will jetzt nicht sagen, dass wir den Realismus pur haben, aber das, was zwischen den Menschen passiert, ist realistisch, also brauche ich auch eine realistische Erzählweise. Die Lokalisierung bei uns ist ein Milchpilz, oder eine Milchbar, so wie man heute auf dem Land die Erdbeer- oder die Spargelbude findet. Das Hauptargument aber für diesen Pilz auf der Bühne war: Was macht die Marie eigentlich? Oder was sind die Eltern der Marie? Haben die ein Geschäft? Also von Micha wissen wir: Großgrundbesitzer. Kann man übertragen und sagen: Okay, der hat in dem Dorf Häuser und vermietet die Wohnungen. Aber von Kruschina und Ludmilla wissen wir es nicht so richtig: Bauer. Ja. Wenn wir das wortwörtlich nehmen: Bauer Kruschina, dann könnte die Tochter auf dem Hof beschäftigt sein. Jetzt ist sie aber ein bisschen weiter. Also, sie ist für mich kein Puppchen, sondern eine selbstbewusste jüngere Frau. Also hat sie sich von ihren Eltern ein Geschäft aufbauen lassen, und dieses Geschäft wiederum wurde von Micha finanziert. Micha hat dem Kruschina und der Ludmilla Geld geliehen, und aus diesem heraus erklärt sich wiederum, warum überhaupt das Versprechen zustande gekommen ist, dass die Marie den einzigen Sohn, den Micha und Hata gemeinsam haben, Wenzel, heiraten muss. Wir wollten damit ein bisschen klarer machen: Wieso kommt es zu so einer Geschichte des Versprechens. Wieso hat Marie denn nicht diesen Wenzel schon früher geheiratet. Weil ihre Eltern eben Geld geliehen haben. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo das mal geklärt werden muss. Also wird auch an diesem Tag, – wir spielen es an einem Tag, ein entscheidender Tag im Leben der Marie – , diese Sache geklärt werden. Und für diese Vermittlung wiederum hat man einen Vermittler, einen Agenten eingeschaltet, das ist der Kecal. Somit haben wir auch zugleich den Kecal ganz klar situiert: Er ist in diesem Dorf, in diesem Ort, in diesem Stadtteil, in dieser Kleinstadt, der Geschäftemacher. Und nicht ausschließlich der Heiratsvermittler, denn der Heiratsvermittler damals war im Endeffekt auch ein Geschäftemacher. Und damit man nicht jetzt oberflächlich darüber hinweggeht und sagt: Ah, wunderbare Musik, herrliche Stimmen, wollte ich durch so eine Lokalisierung verdeutlichen: Sie hat einen Kiosk oder speziell eine Milchbar, weil damit wiederum die Produkte des Dorfes verkauft werden.

Auf der Homepage des Theaters wird von der „Regiefassung Peter Baumgardt für das Gärtnerplatztheater“ gesprochen – was heißt das genau?

Also, das ist jetzt überhaupt nichts Besonderes. Ich bin da jetzt schon ein paar Mal darauf angesprochen worden und bin ein bisschen verwundert darüber, ehrlich gesagt. Bei der „Heimlichen Ehe“ haben wir auch eine „Regiefassung von Peter Baumgardt“ gemacht. Regiefassung bedeutet, dass Texte oder einzelne Worte dahingehend verändert werden, dass es einen logischen Zusammenhang gibt und dass man einfach sagt: es „Ihr-zt“ und „Euch-zt“ niemand auf dieser Bühne, weil wir damit eine Distanz haben, also muss ich bestimmte Sachen verändern, muss sagen: An welcher Stelle geht das Siezen, wo macht es Sinn, dass sie sich duzen? Wann gibt es eventuell auch ganz klar die Entscheidung: jetzt duzen wir ihn? Also, der Kecal wird immer gesiezt, aber am Schluss, wo alle denken, dass es zu Ende ist mit ihm, wird er geduzt. Oder ich habe umgestellt – im übrigen überhaupt nicht neu, hat Felsenstein auch schon gemacht – das Duett Marie-Wenzel aus dem zweiten Akt in den ersten Akt vorgezogen, weil dadurch die Geschichte stringenter wird.

Wieviel Freiheit lassen Sie den Solisten bei der Interpretation der Rollen? Wird die Inszenierung ein Stück weit auch an die Persönlichkeit der Solisten angepasst, und gibt es einen Unterschied zwischen der Premierenbesetzung und der Alternativbesetzung?

Nun, es gibt einen Unterschied zwischen den Besetzungen dahingehend, dass der eine Kecal groß ist und der andere Kecal etwas kleiner ist, oder das gleiche betrifft auch Marie: Eine ist die etwas gestandenere, erst mal, und die andere ist die sehr liebenswürdige. Aber das Entscheidende ist ja die Bereitschaft, die Bereitschaft beider Besetzungen, sich mit der Konzeption auseinanderzusetzen. Ich nehme zum Beispiel mal heraus die wunderbare Kecal-Arie vor dem Dukaten-Duett, die für mich nicht nur eine Antwort an Hans ist, der sagt: Marie ist die Schönste, die Tollste. Kecal reflektiert sein ganzes Leben, im Endeffekt. Er wiederholt so oft diese eine Antwort „Jeder, der verliebt“ und kommt von dort nicht wie sonst ins Quatschen, sondern in ganz klare Aussagen: Immer wieder passiert es, dass man allein ist, auch wenn man denkt, dass diejenige die Einzige ist. Das ist für mich, für uns, eine Verarbeitung seines Lebens, nicht des ganzen Lebens, aber sicherlich eines wichtigen Teils des Lebens.

Sie haben gerade schon den Kecal angesprochen: Ist der Kecal für Sie eine sympathische Figur?

Oh, der Kecal hat so viele Facetten. Kecal ist ein Schlitzohr. Aber ein Schlitzohr, das deshalb ein Schlitzohr ist und sich ausschließlich mit Geld und Geschäften beschäftigt, weil er in seinem Leben einfach enttäuscht und verletzt worden ist. Ich möchte ihn nicht eindimensional darstellen und sagen: Das ist der Lustige, das ist der, über den ich lache. Ich glaube, über den schmunzelt man und den bedauert man auch, mit dem hat man Mitleid. Das betrifft im übrigen auch Wenzel. Für mich eine Figur – und das machen beide Wenzels in diesem Ensemble ganz herrlich – mit einer Sprachhemmung. Warum hat der eine Sprachhemmung? Das ist doch nicht der Dorfdepp oder Trottel, der stotternd durch die Welt geht. Sondern das ist jemand, dem einfach von der Mutter Regeln auferlegt worden sind, der eine strenge Erziehung hatte. Nicht weil die Mutter ihn nicht mag; sie will Wenzel aus Liebe zu ihm einfach an die Frau bringen. Aber das mit einer Penetranz, erfüllt von Mutterliebe, unfähig, sie ihm zu zeigen, so dass Wenzel eine Sprachhemmung hat, die, ich sage mal, aus tiefenpsychologischen Gründen da ist.

Marie ist ja eine starke Frau, und sie will mit Hans ihre Träume verwirklichen. Wird das dann eine Ehe auf Augenhöhe sein? Sind sie zwei gleichberechtigte Partner?

Ich glaube, sie entwickeln sich an diesem einen Tag – der auch wiederum stellvertretend natürlich ist für eine gewisse Zeit – zu gleichberechtigten Partnern. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das hält. Wir haben auch darüber nachgedacht, eventuell einen Blick in die Zukunft zu wagen. Ich habe mich dann davon ehrlich gesagt verabschiedet, weil einfach das Finale unglaublich rasch an einem vorüberzieht und ich nicht verwirren will. Eines aber ist klar: Sie beide treffen am Schluss die Entscheidung: Hier bleiben wir nicht. Also, wir bauen uns eine Zukunft, aber nicht unbedingt hier, wo alle jetzt sagen: Ja, so wunderbar wie dieses Happy-End ist, das wussten wir ja von Anfang an. Die Gesellschaft hat ihnen Steine zwischen die Füße geworfen; hier bleiben sie nicht. Was aus ihnen dann wird und wie lange das hält? Hm. Ich weiß es nicht. Hans, der eigentlich Zurückhaltende am Anfang. Hans, der konfliktscheu ist. Hans, der ja, obwohl Marie es will, sich nicht dem Problem stellt. Marie, die es von ihm verlangt, und in dem Moment, wo sie es von ihm verlangt hat, tut es ihr schon wieder leid, dass sie so stark gewesen ist, und sie kuschelt. Also, es gibt bei ihnen in diesen 90 Minuten, die sie auf der Bühne sind, wenn man das alles zusammenrechnet, so viele Schwankungen, dass ich glaube, dass diese Schwankungen diese unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammenschweißen und man erst einmal auf ein- und demselben Level ist.

Bleibt denn, so als Ausblick, neben der Intendanz in Passau auch noch Zeit für andere Projekte?

Also, jetzt ist es erst mal so, dass ich die nächsten Monate absolut meinen Blick auf Passau richten werde und auf die sechzigsten Festspiele. Es gibt durchaus Gespräche für die Spielzeit 2012/2013, was Inszenierungen angeht. Ich habe mich hier noch nicht festgelegt. Ja, ich möchte auch weiterhin Regie führen, ich halte das auch für ganz wichtig, mal über den Tellerrand hinaus zu schauen.

Herzlichen Dank für dieses Gespräch und Toi-Toi-Toi für die Premiere!

Sehr gerne, danke!

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Interview mit Tilmann Unger

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Herr Unger, vielen Dank für Ihre Bereitschaft, ein Interview zu geben für den Blog „Nacht-Gedanken“.

Sehr gerne!

Könnten Sie uns etwas zu Ihrem Werdegang erzählen?

Ich habe in Würzburg studiert und bin dann direkt aus dem Studium ans Stadttheater Würzburg engagiert worden. Dort war ich drei Jahre lang und habe etliche große Rollen gesungen: Tamino, Pelleas, Zigeunerbaron, Cassio, Lensky, solche Sachen. Der Werdegang ist ein bisschen unkonventionell insofern, als dass ich danach eine Babypause eingelegt habe, während der ich nur Gastverträge annehmen konnte, z.B. in Linz und Wuppertal. Danach bin ich wieder ins Festengagement gegangen, nämlich nach Augsburg, ein Jahr bevor Ulrich Peters Intendant in München wurde – schon mit dem Plan, dann mit nach München zu kommen. Mittlerweile bin ich die fünfte Spielzeit hier am Staatstheater am Gärtnerplatz.

Wie kamen Sie zum Singen?

Eigentlich mehr über das Theaterspielen. Musik war in der Familie sehr präsent, zudem hatte ich schon während der Schulzeit Gelegenheit in einem guten Chor zu singen, das war für mich auch eine Leidenschaft. Schon an der Schule, aber auch später in freien Theatergruppen in Freiburg, wo ich eine Zeit lang Musikwissenschaftsstudent war, habe ich Theater gespielt, beleuchtet und ausgestattet. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, Stimmbildung zu betreiben, und die Stimmbildung war dann so fruchtbar, dass sehr bald die Idee kam, das professionell weiter zu betreiben. Daraufhin habe ich mich an der Hochschule beworben, was sofort funktioniert hat, und ich hatte dann im Handumdrehen einen Studienplatz in Würzburg.

Welche Musik haben Sie als Kind gehört?

Als Kind habe ich, kann man sagen, fast ausschließlich „klassische“ Musik gehört, also alles im Bereich der großen sinfonischen Sachen. Viel Romantisches: Brahms, Mendelssohn, Schubert, Beethoven, um etwas weiter zurückzugehen, dann später die großen Instrumentalkonzerte, Klavierkonzerte, Schumann, Rachmaninoff, das hat mich sehr begeistert. Auch Operette habe ich sehr gern gehört als Kind. Da ist auch ein intuitiver Zugang zur Operetten-Musik entstanden, die ich heute ja immer noch sehr gerne singe und spiele. Es stört mich nicht bei der Oper, die jetzt das Kerngeschäft ist, beziehungsweise von Anfang an auch schon Kerngeschäft war. Ich mache es sehr gerne, es macht mir Freude. Ich finde, dass sich beides sehr gut ergänzt.

Also Sie teilen nicht die Einschätzung mancher Sänger, dass die Operette eher minderwertig ist?

Sagen wir mal so: Zunächst mal ist es – wenn man die Partien singt, die ich in der Operette singe – eine anspruchsvolle Aufgabe. Die Operettenarien und Duette, die da zu singen sind, auch die Finali zum Teil, wenn Sie da zum Beispiel an den Zigeunerbaron denken, die sind gewaltig, auch für die Operettendiva oft wirklich eine größere Herausforderung als manche Oper. Zuweilen wird das mit gewisser Geringschätzung beurteilt, weil die Sujets oft – naja, etwas halbseiden sind und die Dialoge manchmal hanebüchen, und natürlich auch viel Gebrauchsmusik dabei ist, die eben nach einer Ausstattung, nach Tanz und ein bisschen Revue schreit, und da rümpfen dann manche die Nase. Natürlich ist Operette eine besonders anspruchsvolle Aufgabe durch die Dialoge, die in der Regel mit dabei sind. Ich sage immer, wenn ich eine Partie wie den Tassilo in „Gräfin Mariza“ singe – was ich hier gemacht habe in den letzten zwei Jahren – da habe ich einen höheren Aufwand an Stimme, als wenn ich in eine Opernpartie wie beispielsweise den Prinz in „Die Liebe zu den drei Orangen“ singe, obwohl die Orangen viel artifizieller sind und von der Tessitur ganz anders. Aber eben die großen Dialoge, auch das Melodrama, auch über das Orchester zu sprechen, das erfordert schon ein gewisses Standing.

Spielen Sie ein Instrument?

Ich habe als Kind Geige gelernt, aber das pflege ich nicht mehr, das habe ich sehr bald wieder geschmissen. Klavier hat mich dann lange begleitet und heute ist es für mich, wie soll man sagen, ein Gebrauchs-Instrument. Die musikalische Kernaktion ist und bleibt das Singen.

Hören Sie heute auch noch andere Musikrichtungen?

Nicht so viel, in Wirklichkeit. Ich spitze die Ohren gerne bei gewissen Jazz-Sachen, das erfreut mich. Ich entdecke auch neue Welten, die in meiner Jugend einfach nicht präsent waren. Ich entdecke heute viel, wobei ich sagen muss, dass ich von der schieren Lautstärke verstärkter Musik sehr schnell verschreckt werde und das Weite suche. Das führt dazu, dass ich zu manchem keinen rechten Zugang finde, weil es mir einfach zu laut ist.

Welche Aufnahmen im Bereich der klassischen Musik mögen Sie am liebsten? Gibt es eine spezielle Aufnahme, die Ihnen ganz besonders am Herzen liegt?

Könnte ich so allgemein nicht sagen. Es gibt natürlich gewisse Highlights, zum Beispiel fällt mir eine Walküren-Einspielung von Solti mit James King als Siegmund ein, oder eine Götterdämmerung unter Karajan mit Helge Brilioth, einem wenig bekannten Tenor, der einen formidablen Siegfried singt. Sie merken schon, es hängt sich ein bisschen an den Sängern auf. Sonst habe ich bei den instrumentalen Sachen immer mehrere Aufnahmen griffbereit und bin da nicht dogmatisch.

Hören Sie sich Aufnahmen der Opern an, bevor Sie die Rolle einstudieren?

Jein. Vieles kennt man natürlich, ich bin ja mittlerweile schon eine Weile dabei und habe vieles schon gehört, lange bevor ich es selbst mal zu singen bekomme. Also, man hat es gewissermaßen im Ohr, leider oft auch – wenn man über Stücke wie die „Verkaufte Braut“ redet, oder andere, die mit Übersetzung arbeiten – mit “ falschen“ Texten. Falsch im Sinne von: für die aktuelle Inszenierung nicht passend, was man dann wieder umlernen muss. Gerade bei der „Verkauften Braut“ habe ich mich ein paar Mal ertappt, dass ich in die sehr schöne Aufnahme mit Fritz Wunderlich und Gottlob Frick verfallen bin, das muss man halt dann wegarbeiten. Aber ich benutze die Aufnahmen nicht, um die Stücke zu lernen. Das ist nicht meine Art zu arbeiten.

Wie bereiten Sie sich auf eine Rolle vor?

Der erste Schritt, gerade mit einem Stück, das ich gar nicht kenne, ist immer, den Klavierauszug durchzuarbeiten, mit dem Stift zu markieren: was ist meine Partie. Dann das Ganze mal durchzulesen. Ich lese mir, ohne die Musik zu hören, einfach die Texte durch und versuche, die Geschichte zunächst mal zu erfassen, mir ein Bild zu machen: Was ist impliziert vom Librettisten, vom Komponisten, welche Spielorte sind vorgesehen, damit ich ein Gesamtbild bekomme, bevor ich mich dann an die musikalische Umsetzung wage.

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Erzählen Sie uns etwas vom Hans aus der „Verkauften Braut“.

Der Hans ist einer, der schon etwas erlebt hat, nicht mehr ganz jung. Ein junger Mann, Ende Zwanzig, kann man vermuten, der aus einem problematischen Elternhaus weggelaufen ist, wahrscheinlich, weil der Vater eine zweite Frau geheiratet hat, mit der er nicht zurecht kam, die ihn vielleicht auch schlecht behandelt hat, das bleibt offen. Jedenfalls ist er unterwegs gewesen, auf der Walz, man kann sich sonst was ausmalen, was er erlebt hat. Es war sicher kein Zuckerschlecken, für einen Jugendlichen und dann später einen jungen Mann, sich durchzuschlagen. Man kann also davon ausgehen, dass er, wenn er zurückkommt in dieses Dorf und sich in Marie verliebt, ein gewisses Standing hat, dass er kein Unbedarfter mehr ist und sich auch von diesen Figuren im Dorf nicht mehr verunsichern lässt. Er hat sich emanzipiert von diesem Umfeld und kann deshalb auch mit einer gewissen Chuzpe diese Geschichte so einfädeln, wie sie dann eben später mit dem „Verkauf“ der Braut kulminiert.

Welche Freiheiten haben Sie bei der Interpretation der Rolle?

Also generell, muss ich sagen, fühle ich mich selten durch eine Regie, eine Inszenierung eingeengt. Man bringt sich ja doch immer sowieso selber mit. Selbst wenn der Regisseur irgendetwas forderte, was mir zunächst nicht passt, bin es ja doch immer ich, der es umsetzt. Das ist genau wie mit dem Singen auch. Wenn jetzt irgendeiner zu mir sagt: Sing es so oder sing es so: Es bleibt ja doch immer meine Stimme. Das heißt, ich bleibe ein Stück weit immer ich. Auch wenn man unterschiedliche Partien spielt, wie ich es ja hier am Gärtnerplatztheater tue: heute Abend Eisenstein und morgen früh dann wieder Hans probieren, da sind ja doch Welten dazwischen, aber das geht mit durchlässiger Stimme und ebensolchem Körper, und ich finde mich in allem wieder.

Was gefällt Ihnen am besten an der Partie des Hans, und was ist das Schwierigste dabei?

Am besten gefällt mir, dass es eine Partie ist, die sich nicht nur im Ariosen erschöpft, dass man Text und Musik aus der Szene heraus sehr gut motivieren kann. Natürlich gibt es ariose Momente, wo man sehr blühend singen kann, und das macht mir auch viel Freude. Also, ich könnte eigentlich gar nicht sagen, dass es etwas gibt, was mir nicht gefällt an der Partie. Ich finde mich da gut zurecht.

Wie geht der Hans damit um, dass die Marie so eine starke Persönlichkeit ist?

Ja, das findet er doch anziehend! Der Junge war unterwegs in der Welt, der hat sicher auch schon etwas erlebt mit Frauen, und ich glaube, wenn die zu langweilig wäre, würde er sich für sie gar nicht interessieren.

Und wie wird die Ehe von Hans und Marie in zehn Jahren aussehen?

Das ist sehr spekulativ, aber ich bin da prinzipiell optimistisch.

Die „Verkaufte Braut“ ist ja eine Übersetzung. Würden Sie es auch im Original singen?

Ich würde es sicherlich auch im Original singen. Sich das Tschechische heranzuarbeiten ist natürlich viel Arbeit, aber da sehe ich kein grundsätzliches Problem.

In welchen Sprachen singen Sie?

Das ist natürlich eine „Fachfrage“ bei mir, da ich gerade hier sehr aufs deutsche, slawische Fach festgelegt bin. Ich habe Italienisch natürlich schon gesungen, auch französische Partien, beispielsweise „Pelleas e Melisande“, Russisch wenig, nur Teile von Stücken. Das sind so die Dinge, die ich gemacht habe.

Haben Sie Vorbilder, musikalisch oder auch szenisch?

Szenisch würde ich sagen: Nein. Es gibt natürlich Sänger, ich habe vorhin Helge Brilioth und James King erwähnt, wo man einfach so berührt ist von der Interpretation, berührt im doppelten Sinne, sowohl von der emotionalen Seite, aber auch, dass die Art zu singen sich in einem widerspiegelt und man das Gefühl hat, da kann etwas in diese Richtung wachsen.

Würden Sie sagen, Sie haben eine 38-Stunden-Woche?

Nein, das habe ich natürlich nicht. Es ist ja bei uns oft schwer zu unterscheiden zwischen Arbeitszeit und Freizeit: da sind viele Stunden, die man mit sich allein verbringt, um die Partie vorzubereiten, das heißt, sich mit dem Text, mit der Musik beschäftigt, sich gesangstechnisch weiterentwickelt. Aber ich würde nicht anfangen, die Stunden zu zählen.

Also Sie haben Freude an Ihrem Beruf.

Auf jeden Fall, sonst täte ich es nicht.

Gibt es Komplikationen, die sich aus dem Lebensrhythmus eines Opernsängers ergeben?

Naja. Das würde ich nicht so hoch hängen. Es gibt gewisse Dinge, die man halt nicht gut machen kann: Wenn Sie zum Beispiel einen Tanzkurs belegen wollen, der immer zu einem bestimmten Termin ist, sind Sie sehr eingeengt, weil eben gerade die Zeiten, wo andere Menschen Zeit haben, so etwas zu machen, wo so etwas auch angeboten wird, meistens nicht gehen, weil wir eben in der Zeit auf der Bühne sind, aber das sind nur Kleinigkeiten. Dafür haben wir oft auch mal einen Tag frei, wo andere Menschen arbeiten müssen, mitten in der Woche, wo wir dann auch mal sagen können: Das Wetter ist schön, wir fahren raus, und man macht dann quasi Wochenende in der Wochenmitte. Das bringt eine Spontaneität ins Leben, das verlangt eine gewisse Flexibilität.

Was tut Ihrer Stimme gut und was ist gar nicht gut? Auf was müssen Sie achten?

Generell meide ich laute Situationen. Das ist auch ein Grund, warum ich eben gewisse musikalische Erlebnisse nicht hatte und habe. Ich würde auch zum Beispiel nicht in ein Bierzelt auf dem Oktoberfest gehen, weil mir das einfach zu laut ist. Sowohl für die akustische Wahrnehmung, als auch um dagegen anzusprechen. Was mir gut tut, ist alles, was mir als Mensch auch gut tut: Mich in der Natur zu bewegen, was so mein wesentliches Steckenpferd ist. Das kann ein Waldspaziergang ebenso sein wie eine Stunde Arbeit im Garten. Das entspannt mich sehr, und alles, was einen lockermacht, findet sich auch wieder in der Qualität der Stimme.

Tun Sie etwas für Ihre Kondition?

Ja, es gibt da eine Reihe von Übungen, die ich relativ regelmäßig mache.

Müssen Sie sehr diszipliniert leben?

Ich habe nicht den Eindruck, nein. Ich komme mit der Verbindung von meinen Freizeitaktivitäten und dem Beruf sehr gut zurecht. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich gewisse Dinge nicht mache, die vielleicht schädlich sein könnten. Ich habe das nie als Komplikation empfunden.

Was empfinden Sie als das Schönste an Ihrem Beruf, und was nervt Sie daran?

Das Schönste ist, dass man immer wieder die Chance hat, sich selbst neu zu entdecken. Dass man sich aktualisiert, dass man ja, wenn man authentisch sein möchte, immer wieder die Energie, die man für diesen Beruf und für das Singen braucht, immer neu mobilisieren muss. Und das ist ja kein Müssen im Sinne eines Zwangs, sondern es ist im Prinzip wie eine Aufforderung, sich mit sich selbst zu beschäftigen, was vielen anderen Menschen nicht gegönnt ist in ihrem Beruf, und das ist ein absolutes Privileg in diesem Beruf. Schwierig ist, dass man gewissen Unbilden sehr ausgeliefert ist. Es gibt halt leider doch mal Erkältungskrankheiten, die einem das Leben sehr schwer machen können. Da muss man manchmal dann die Reißleine ziehen und sagen: Jetzt geht’s einfach nimmer. Manchmal kann man sich aber über das Singen wieder fit machen, man kann sich quasi gesundsingen. Das geht, wenn man locker bleibt.

Hatten Sie irgendwann einmal überlegt, etwas anderes zu machen als zu singen?

Das habe ich wohl, ja, ich habe mich mit allen möglichen Sachen beschäftigt. Ich bin sehr naturverbunden und habe das auch sehr gepflegt und könnte mir manchen Beruf vorstellen, der im weitesten Sinne damit zu tun hat. Aber es ist auch sehr schön, das jetzt als Freizeitperspektive zu haben.

Haben Sie noch eine Wunschpartie?

Es gibt deren einige. Was ich jetzt vorbereite, ist z.B. der Parsifal. Es geht jetzt ganz konkret in das deutsche Fach hinein, und die Partien, die ich jetzt hier am Gärtnerplatz singen kann und durfte und auch diese Spielzeit noch singen werde, in den Wiederaufnahmen vom „Freischütz“ und den „Orangen“, die passen da sehr gut, um das aufzubauen.

Können Sie uns einen Ausblick auf diese Spielzeit und auf die kommenden Jahre geben?

Diese Spielzeit bringt jetzt, wie bereits erwähnt, neben der „Verkauften Braut“ dann noch mal den „Freischütz“, auf den ich mich sehr freue, genauso auch auf die „Liebe zu den drei Orangen“. Ich singe sehr gerne auch die „Fledermaus“. Anfang des nächsten Jahres wird es auch noch ein Liedprogramm geben, mit Duetten, das wird eine schöne Sache, denke ich. Und dann wird es ja hier am Gärtnerplatz unruhig. Ich werde an den beiden Produktionen, die im Prinzregententheater stattfinden, nicht mitwirken, werde aber dort auch noch eine „Zauberflöte“ singen, wo ich den Geharnischten gebe. Und dann gibt es auch schon Pläne für die Spielzeit darauf, aber die sind noch in statu nascendi, da möchte ich noch nicht darüber sprechen.

Dann sage ich herzlichen Dank für dieses Interview und Toi-Toi-Toi für die Premiere der „Verkauften Braut“!

Vielen Dank!

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Interview mit Ann-Katrin Naidu

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Liebe Frau Naidu, herzlichen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben für ein Interview auf dem Blog „Nacht-Gedanken“. Könnten Sie uns etwas zu Ihrem Werdegang erzählen?

Es sah zunächst wie ein Zufall aus, dass ich hauptberuflich Sängerin wurde. Ich habe in Stuttgart Musik studiert und dabei so viel wie möglich an Fächern belegt: Kirchenmusik, Ensembleleitung und Früherziehung und später dann Liedklasse und Opernschule. Nebenbei habe ich viel im Rundfunk-Chor gesungen, und dabei hatte ich immer wieder auch die Chance auf ein Solo. Allerdings waren mir die Gesangsstudenten in der Hochschule eher suspekt, vieles wirkte aufgesetzt und künstlich. Mir ging es beim Studium wirklich um die Musik, und deshalb fand man mich dann eher bei den Kirchenmusikern oder bei musikwissenschaftlichen Seminaren. Obwohl ich damals das vage Ziel, Redakteurin zu werden, vor Augen hatte, habe ich durch die solistischen Auftritte bald gemerkt: Man kann mit Singen mindestens einen Studentenhaushalt finanzieren.
Dann ergab sich die Gelegenheit für ein richtiges Vorsingen an einem Opernhaus, das eigentlich meine Freundin bekommen hat, aber ich habe den Termin von ihr übernommen, weil sie erkältet war. Dort habe ich tatsächlich dann unter anderem eine Arie aus der Johannes-Passion vorgesungen und trotzdem direkt ein Dreijahres-Engagement bekommen.
Also, es war wirklich ein Riesenglück oder, wer weiß, Vorsehung. Ich hätte niemals diesen Weg gewählt, wenn ich diese Ochsentour mit endlos vielen Vorsingen hätte machen müssen. Umso glücklicher bin ich jetzt, dass ich trotzdem in diesem erfüllenden Beruf gelandet bin!

Nach dem ersten Engagement, wie ging es dann weiter?

Nach drei ausgefüllten Jahren in Saarbrücken, wo ich glücklicherweise gleich mit Mezzo-Hauptpartien betraut wurde, ging es nach Mannheim weiter. Dort blieb ich zwei Jahre, wurde schwanger und bin dann nach München gegangen, weil hier auch die Großeltern meiner Tochter leben, die mir durch ihr engagiertes Mithelfen ermöglichten, gleichzeitig berufstätig und Mutter zu sein. Ich bin jetzt in der 16. Spielzeit hier am Gärtnerplatztheater engagiert.

Welche Musik haben Sie als Kind gehört?

Als Kind oder Jugendliche?

Vom Kind zur Jugendlichen.

Meine Mutter hat daheim viel Bach, Brahms und Jazz gehört. Ich habe zusätzlich, wie alle anderen in der Schule, Pop- und Rockmusik gehört und auch in einer Band gesungen. Pink Floyd, Deep Purple, Genesis, das war in der Zeit so in. Ich habe Frank Zappa noch live gehört (lacht). Später kam Jazz dazu. Ich war dann auch Sängerin in der Big Band von Erwin Lehn an der Musikhochschule in Stuttgart.

Was hören Sie heute? Ausschließlich klassische Musik, oder auch andere Musikrichtungen?

Also, wenn ich mir privat etwas auflege, ist es sehr selten Oper, möglicherweise zum Studium. Ich höre gern sinfonische Musik, Kammermusik, auch gut gesungene Chormusik. Ansonsten – gute Qualität ist Genre-unabhängig. Ob das jetzt Jazz oder durch meine Tochter auch die neuesten Poptitel sind, das ist egal. Ich kann nur nicht Musik einfach nebenher hören, wie die meisten Musiker.

Haben Sie das absolute Gehör?

Ich habe ein relativ absolutes Gehör, das heißt, ich treffe oft die richtigen Töne.

Wie beeinflusst das die Herangehensweise, oder das Einstudieren einer neuen Rolle?

Das beeinflusst es gar nicht. Das hat höchstens den Effekt, dass, wenn ich eine Partie draufhabe und dann aus dem Stand irgendwie an einer Stelle anfangen soll zu singen, dann treffe ich sie meistens. Das hat mehr etwas mit dem In-die-Kehle-Singen zu tun, vermutlich.

Wie gehen Sie an eine neue Rolle heran?

Es kommt auf die Rolle an. Wenn es eine Partie wie die Ludmilla in der „Verkauften Braut“ ist, dann bereite ich die Noten und den Text dazu vor und versuche, es möglichst vor der szenischen Probe im Kopf zu haben. Meistens lerne ich Noten noch leichter, wenn ich eine Bewegung dazu mache. Wenn es eine große, wichtige, für mich essentielle Partie ist, dann lese ich auch möglichst viel darum herum. Also, z.B. in die Carmen-Thematik habe ich mich gut eingelesen.

Spielen Sie ein Instrument?

Ich habe früher Klavierunterricht gehabt und spiele ein bisschen Gitarre.

Und auch heute noch?

Auch heute noch, ja, aber zum Zeitvertreib. Meine Tochter hat mich, was das Können betrifft, längst überholt, aber es reicht aus, um eine gewisse Vorstellung von einem neuen Stück zu bekommen.

Welche Sprachen sprechen Sie, und in welchen Sprachen singen Sie?

Ich bin mit Englisch zweisprachig aufgewachsen, und ich singe sehr viel auf Französisch und gelegentlich Italienisch. Ich habe auch Russisch gesungen, aber das nur phonetisch gelernt. Das würde ich mir nicht anmaßen, dass das dann wirklich auf Russisch war (lacht).

Haben Sie musikalische oder szenische Vorbilder?

Ich habe das Glück gehabt, dass ich mit wirklich bedeutenden Regisseuren gearbeitet habe. Ich denke da z.B. an Christoph Loy. In Inszenierungen von Harry Kupfer, Ruth Berghaus und Martin Kusej habe ich mitgewirkt und dabei tolle Kollegen neben mir auf der Bühne gehabt. Das klingt jetzt wie Angeberei, aber es ist halt einfach so, man lernt da unglaublich viel. Anna Netrebko, Anja Harteros, Barbara Bonney, Matti Salminen; das sind dann einfach in dem Moment Vorbilder. Ansonsten verdanke ich viel Inspiration dem Unterricht bei der wunderbaren Brigitte Fassbender.
Und dann sind da auch viele Musiker, die ich sehr schätze, die erst mal nichts mit dem Gesang zu tun haben. Es gibt da eine ganze Reihe aus der Generation junger Kammermusiker, die ich sehr schätze.

Als Sie mit Harry Kupfer und Christoph Loy gearbeitet haben, dann war das ja nicht am Gärtnerplatztheater.

Stimmt. Ich habe ja das Riesen-Glück gehabt, dass ich zu meinem Festvertrag hier doch auch viel gastieren konnte. Relativ am Anfang übernahm ich an der Komischen Oper den Cherubino in der Inszenierung von Harry Kupfer, und Christoph Loy kenne ich noch aus Stuttgarter Zeiten, in einer seiner ersten Inszenierungen überhaupt, der „Krönung der Poppea“, da habe ich den Ottone gesungen. Das wird heute nur noch von Countertenören gesungen.

Dann haben Sie auch internationale Erfahrung?

Ja, ich bin doch relativ viel herumgekommen. In Tokio habe ich Mahlers Dritte gesungen. In Amerika habe ich mehrfach gearbeitet, z.B. in Seattle, „Hoffmanns Erzählungen“. In Italien „Salome“, „Rheingold“ und „Götterdämmerung“. In Südafrika, Indien und in Israel habe ich gesungen, und auf Tournee war ich mit Lorin Maazel und mit Zubin Mehta.

Wenn Sie von Amerika sprechen – da gibt es ja dieses Konzept des Ensemble-Theaters nicht. Ist das eine andere Arbeitsweise in einem Cast, das nur aus Gästen besteht?

Absolut. Also erstmal kennt man natürlich die Kollegen zunächst nicht. Das ist erst einmal ein Abenteuer, zu sehen: Wie agieren sie auf der Bühne, wie ist die Chemie untereinander. Und natürlich ist es ein Vorteil, dass man sehr konzentriert nur an dieser einen Oper arbeitet. Gerade von Seattle kann ich sagen, dass die Produktion hervorragend organisiert war und unter dem Motto stand: Only happy birds can sing well. Es gab viele Kleinigkeiten bei der Sängerbetreuung, die dann ausmachen, dass man sich wirklich wertgeschätzt fühlt. Andererseits ist es wunderbar und ein Riesenprivileg, hier in einem Ensemble eingebunden zu sein. Wenn man mit Kollegen seit fünfzehn Jahren auf der Bühne steht und weiß, dass, wenn man zum Beispiel spontan auf der Bühne etwas erfindet, der Ball aufgefangen und weitergespielt wird. Das ist lebendiges Theater.

Also würden Sie das Ensemble-Theater einem auf Gäste-Basis geführten vorziehen?

Es gibt für beides Argumente. Ich fände es furchtbar schade, wenn es hier kein Ensemble mehr gäbe, das ist ja ganz klar. Gerade an so ein Haus gehört ein Ensemble. Aber international geht es nicht anders. Da muss auf Stagione-Basis gearbeitet werden.

Würden Sie sagen, Sie haben eine 38-Stunden-Woche?
Wir haben ja sehr oft Tage, wo wir überhaupt gar nicht mehr herauskommen aus dem Beschäftigen mit dem, was wir gerade tun. Wo wir nicht nur in messbaren Arbeitsstunden auf der Bühne stehen, sondern daheim noch mal ins Buch schauen und Melodien sich im Gehirn bewegen. Und dann gibt es natürlich wieder Tage, wo wir ganz frei haben. Das lässt sich schwer mit einem normalen Berufstag vergleichen. Wir müssen eben durchgehend präsent bei einer Vorstellung sein. Das kann sich dann anfühlen wie ein gesamter Tag gearbeitet.

Gibt es besondere Komplikationen, die sich aus dem Lebensrhythmus eines Sängers ergeben?

Als Mutter kann ich sagen: Jeder Tag muss neu organisiert werden. Wenn der Probenplan für den nächsten Tag erst kurz vor zwei Uhr herauskommt, dann muss man sehr flexibel sein, und die Menschen aus dem ganzen Netzwerk, das man sich aufgebaut hat, müssen gegebenenfalls mit springen. Verabredungen können kurzfristig platzen, Feiertage sind meist nicht dienstfrei. Das ist eine Komplikation, ja. Ansonsten versuche ich, mein Leben ganz normal zu führen: Ich werde nicht hysterisch, wenn es zieht oder wenn um mich herum geniest wird.

Da sind wir dann gleich bei der richtigen Frage: Was tut Ihrer Stimme gut, und was verträgt sie überhaupt nicht?

Gegen das Rauchen werde ich immer allergischer, leider. Ich finde es sehr schade, dass wir jetzt draußen auf unserer schönen Dachterrasse nur selten sitzen können, ohne dass wir eingeräuchert werden. Von wegen: Ich gehe mal an die frische Luft. Apropos Luft, das ist natürlich das A und O: Ein langer, ausgedehnter Waldspaziergang ist natürlich für jeden Menschen gut und für einen Sänger, glaube ich, erst recht. Viel schlafen tut gut. Viel trinken.

Tun Sie etwas für Ihre Kondition?

Es hat sich ja vielleicht herumgesprochen, dass ich seit früher Kindheit mit Asthma lebe, aber ich habe das durch das Singen auch relativ gut im Griff. Jedenfalls hängt meine Konditionsarbeit natürlich auch immer damit zusammen: was kann ich mit dem Asthma überhaupt leisten. Also, Joggen ist bei mir dann nicht angesagt, aber ich mache regelmäßig Yoga, gehe in die Berge und schlafe viel (lacht).

Wie diszipliniert müssen Sie leben?

Unter manchen Aspekten sehr. Man muss immer wissen: Auf der Bühne geht es nicht um mich, sondern um den Charakter, den ich gerade darstelle. Für mich geht es auch noch weiter, das zieht sich bis in das Garderobenleben hinein: man sollte seine privaten Probleme während Vorstellungen aus der Garderobe draußen lassen, um auch die Kollegen nicht unnötig zu belasten. Das heißt nicht, dass man nicht miteinander sprechen soll, wenn es sich ergibt, aber es gibt da so eine mangelnde Disziplin, dass man einfach ungefiltert jede Laune herauslässt, und das kann einen gelegentlich – wie sage ich es diplomatisch – irritieren. Aber ansonsten, ich habe es ja vorhin schon gesagt, versuche ich, jetzt zu leben und nicht später, wenn ich mal nicht mehr singe. Also, jetzt ist Leben.

Dann haben Sie also kein Problem damit, die Schwiegermutter Ihres Partners zu spielen?

Nein, das ist wirklich egal, höchstens in der Vorbereitung lustig, aber in dem Moment, wo ich auf der Bühne bin, da bin ich der Charakter, den ich zu spielen habe.

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Dann kommen wir mal zur Neuproduktion der „Verkauften Braut“. Wie sieht denn der Regisseur die Ludmilla?

Ludmilla und Kruschina, die Eltern von Marie, sind ganz einfache Leute, die von diesem Kecal, dem Heiratsvermittler, recht eingeschüchtert werden und aus Geldnöten die Tochter verhökern. Viele Hinweise auf eine Figur werden ja auch durch die Wahl der Kostüme gegeben. Unsere Kostüme wurden jetzt noch mal nach der ersten Klavierhauptprobe geändert, weil ich z.B. noch zu elegant war. Ein einfaches Kostüm hilft natürlich bei der Darstellung so einer Partie.

Man kann ja die Braut auf verschiedene Arten inszenieren, aber hier wird dann offensichtlich so ein bisschen die Kitsch-Falle umgangen?

Das Folkloristische wird herausgenommen. Das kann ich schon einmal sicher sagen. Aber es ist ja bei einer Produktion so: Je länger man dabei ist, desto weniger sieht man den Wald vor lauter Bäumen. Insofern – ich bin jetzt, glaube ich, nicht mehr geeignet, über das Regie-Konzept zu sprechen. Ich könnte vielleicht eine andere Produktion, bei der ich nicht beteiligt wäre, viel unbefangener beurteilen.

Welche Freiheiten hat Ihnen der Regisseur gelassen, und wieviel von Ihrer Persönlichkeit steckt in der Ludmilla, die dann auf der Bühne stehen wird?

Zuerst zur letzten Frage: Ich bin mir nicht sicher. Natürlich geht man immer lebendig auf die Bühne, wir sind ja keine Roboter, also es wird immer irgendetwas von mir mit einfließen, aber das ist mir nicht bewusst. Das kann natürlich passieren, dass in meinem Spiel möglicherweise eine schnelle Bewegung entsteht, die vielleicht für den Charakter der Ludmilla unpassend ist. Aber sie ist ja andererseits keine alte Frau, sie ist eben die Mutter von einem jungen Mädchen. Und Freiheiten – es wurde viel vorgegeben und wir haben viel am Subtext gearbeitet, die Gänge sind inzwischen festgelegt, aber ich habe mich dabei nicht gegängelt gefühlt.

Was war für Sie bei der Interpretation dieser Rolle besonders wichtig? Oder was war eine besondere Herausforderung?

Rein musikalisch gibt es da ein sehr schönes Sextett im dritten Akt, das ist musikalisch eine Herausforderung, weil es streckenweise a capella ist, und die Ludmilla – für einen Mezzo ungewöhnlich – die höchste Stimme im Ensemble singt. Heute bei der Orchesterprobe lief es gut, und ich freue mich richtig darauf.

Maries Eltern sind ja unterschiedlicher Meinung, wie man den Ehemann für die Tochter auswählen sollte. Was ist das für eine Ehe zwischen Kruschina und Ludmilla?

Ich denke, wenn es in dem Kontext der 50er Jahre gesehen wird, was, glaube ich, mal so als grobes Raster angedacht war –

Bei der Einführung hieß es, es ist zeitlos.

Schwierig. (Lacht). Dass die Männer die Geschäfte machen und Töchter verheiraten, ist doch hoffentlich nicht zeitlos. Die Ehe ist nicht besonders schlecht, aber trotz der über die Jahre gewachsenen Vertrautheit gibt es Gräben. Musikalisch gibt es aber schon ein Argument für Harmonie: Wir singen eigentlich sehr viel parallel.

Was ist das Beste an Ihrem Beruf, und was ist das Nervigste?

Eine unschätzbare Chance ist, dass man unglaublich viele Facetten des Lebens kennen lernt.
Zusätzlich wird man durch die Begegnung mit den vielen Menschen, mit denen man es zu tun hat, bereichert.
Die Beschäftigung mit der Musik und der Darstellung ermöglichen es, an Seiten von sich selber heranzukommen, die man vielleicht in einem anderen Beruf niemals erleben würde. Zudem gibt es keine Routine im Sinne von gleichförmiger Wiederholung. Auch wenn ich zwanzigmal die gleiche Vorstellung mache, es ist einfach jedes Mal anders. – Das Nervigste? Nennen wir es das Herausforderndste: Auch flache Texte, langweilige Regie, stumpfe Musik immer wieder mit Freude und Elan „verkaufen“ zu müssen.

Haben Sie noch eine Wunschpartie?

Ich finde es wirklich schade, dass ich den ganzen Octavian noch nicht machen konnte. Ich habe ihn immer nur in Auszügen konzertant gemacht. Die Wagner-Sachen, die dürfen auch ruhig weitergehen. Jetzt habe ich ja die Rheintöchter, die Waltraute und die Fricka gesungen, aber da könnte gerne noch etwas kommen (lacht).

Können Sie uns einen Ausblick geben auf diese Spielzeit, und vielleicht schon auf die folgende?

Auf die folgende noch nicht, aber auf die jetzige: Acht Partien sind es, glaube ich. Ich habe immer noch den Hänsel auf dem Programm. Die Mrs. Quickly im „Falstaff“ im Prinzregententheater wird eine Premiere sein – bisher habe ich die Meg gesungen. Außerdem komme ich nun auch dazu, die Rolle der Fata Morgana in der „Liebe zu den drei Orangen“ zu singen.

Ganz herzlichen Dank für dieses Interview!

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Kurzinterview mit Heike Susanne Daum und Mario Podrečnik

Wir haben die beiden Solisten Heike Susanne Daum (Marie) und Mario Podrečnik (Wenzel) zu ihren Partien in “Die verkaufte Braut” befragt, die in wenigen Tagen am Staatstheater am Gärtnerplatz Premiere hat.

[singlepic id=974 w=320 h=240 float=left] Marie ist ja psychologisch sehr komplex. Wie werden Sie die Rolle anlegen?

Es gibt ein klares Rollenprofil des Regisseurs Peter Baumgardt, das ich sehr gut nachvollziehen kann. Marie ist auf dem Weg zur Eigenständigkeit, bewirtschaftet einen Milchpilz und ist trotz eines ominösen Heiratsversprechens seitens ihres Vaters heimlich mit Hans verlobt. Sie ist stark und wird um ihre Liebe kämpfen, sich nicht ohne Gegenwehr fremdbestimmen lassen.

Glauben Sie, Marie hätte tatsächlich aus Trotz Wenzel geheiratet?

Marie würde letzten Endes Wenzel nicht nehmen. Den Elternpaaren sagt sie das ganz deutlich: den Wenzel will ich nicht. Da bleib ich lieber ganz allein, treu der Erinnrung sein. Nur als sie sich von Hans betrogen und verkauft wähnt, steht sie vor einer Kurzschlussreaktion, die dem Grad ihrer Verletztheit und ihrer Impulsivität entspricht. Glücklicherweise löst alles sich in Wohlgefallen auf, bevor sie ihre Drohung wahrmachen muss!

Wird das eine glückliche Ehe werden?

Jedenfalls wird ihre Ehe mit Hans nicht ohne Streit verlaufen. Er ist verschlossen, sie mitteilungsbedürftig. Konflikte sind also vorprogrammiert. Das macht eine Ehe noch lange nicht unglücklich.

Wie viel Freiheit hat Ihnen der Regisseur gelassen? Wie viel von Ihrer Persönlichkeit steckt in dieser Interpretation?

Wie anfangs schon gesagt, hat Peter eine ziemlich genaue Vorstellung von seiner Marie. Ich versuche, dieser gerecht zu werden. Natürlich stehen mir da meine eigene Körperlichkeit und meine Lebenserfahrung als Mittel zur Verfügung. Das Lösen vom Elternhaus, das Treffen von Entscheidungen und Tragen der daraus resultierenden Konsequenzen, die Flucht aus der dörflichen Scheinidylle – das kenne ich sehr gut, wie jede erwachsene Frau.

Was ist die besondere Herausforderung bei dieser Rolle?

Marie ist meine erste wirklich lyrische Opernpartie. Da musste ich stimmtechnisch viel arbeiten. Mit Hilfe unseres Studienleiters Henning Kussel und des Musikalischen Leiters Lukas Beikircher bin ich auf einem guten Weg, die Feinheiten der großen lyrischen Phrasen auszuloten. Das macht viel Spaß! Wenn ich jetzt noch trotz Nervosität und mit dem Publikum vor Augen das Gelernte umsetzen kann, bin ich sehr glücklich!

 

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Wie ist der Wenzel als Persönlichkeit angelegt? Er ist ja nicht nur der Dorftrottel, diese Charakterisierung wäre ja ein bisschen zu simpel.

Der Regisseur wollte auf alle Fälle mal davon weggehen, dass der Wenzel ein Trottel ist. Er wird zwar gehänselt deshalb, weil er stottert, aber der Regisseur hat diese Partie mehr oder weniger so angelegt, dass es ein Maturand ist, ein Abiturient, der schon weiß, was er will. Nur hat er halt eine Sprachbarriere, sagen wir mal so, er stottert, er kriegt halt nicht alles gleich heraus. Das ist aber begründet darin, weil er unter der Macht seiner Mutter steht. Die Mutter kontrolliert ihn zu stark, und er hat dadurch einen Sprachfehler.

Wie setzen Sie das stimmlich um, das Stottern?

Es ist teilweise auf die Musik geschrieben, auf Noten geschrieben. Wir haben aber hier in diesem Stück mit diesem Regisseur uns erarbeitet, dass wir nicht jede Note singen, sondern zum Beispiel auch mal drüberhalten, um einfach diese Sprachhemmung zu zeigen.

Wieviel Freiheit hat Ihnen der Regisseur bei der Interpretation gelassen, und wieviel von Ihrer Persönlichkeit steckt da mit darin?

Freiheiten hat jeder Sänger zu Genüge eigentlich zu bekommen, das findet auch hier auf alle Fälle statt. Aber trotzdem, um das Konzept des Regisseurs aufgehen zu lassen, haben wir uns sehr oft auch untergeordnet in sein Regiekonzept.

Neben der musikalischen Umsetzung des Stotterns – was waren weitere Herausforderungen bei der Rolle?

Die Schwierigkeit beim Wenzel liegt eigentlich im Stottern: Wie bringt man jetzt ein Stottern herüber, das natürlich wirkt und nicht künstlich. Das ist für einen Spieltenor eine Riesen-Herausforderung, es natürlich zu gestalten, ohne Abstriche in der Musik zu haben.

Herzlichen Dank!

Bitte, gerne!

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Kurzinterview mit Christina Gerstberger

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Vielen Dank, Frau Gerstberger, dass Sie sich zu diesem Interview bereiterklärt haben. Können Sie uns kurz in eigenen Worten erzählen, wovon die Oper „Der geduldige Sokrates“ handelt?
Zwei Prinzessinnen lieben denselben Prinzen: Melito. Die Figur der Rodisette, das bin ich, liebt wahrhaftig, Edronica oberflächlicher. Melito ist sehr sehr jung, und kann es anfangs nicht recht einordnen, wenn sich Frauen um ihn streiten oder sich für ihn interessieren. Der andere Prinz, Antippo, liebt beide Prinzessinnen. Von diesem wollen die beiden Damen aber gar nichts wissen. Die klassische Geschichte: Der, der die beiden Frauen will, ist nicht interessant, aber der, der sich nicht entscheiden kann, ist hochinteressant. Dann gibt es natürlich Sokrates, der mit zwei Frauen verheiratet ist und darunter wahnsinnig leidet, weil diese ständig streiten. Ihm ist völlig klar, dass es nicht erstrebenswert ist, zwei Frauen zu haben. Die Oper läuft darauf hinaus, dass Rodisette für ihr Recht kämpft, Melito nicht mit einer anderen Frau teilen zu müssen. Dies tut sie so überzeugend, dass der „hohe Rat“ beschließt, Sokrates über den Fall richten zu lassen. Nach einem „Rededuell“ der beiden Prinzessinnen erkennt Sokrates die wahre Liebe der Rodisette und spricht ihr Melito zu.

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Welche Freiheiten hatten Sie – oder haben Sie – bei der Interpretation dieser Rolle?
Es war eine wunderbare Arbeit mit Axel Köhler. Meine intuitive Rolleninterpretation hat sich sehr gut mit seinen Vorgaben verbunden. Wir hatten sehr viel Spaß bei den Proben. Er ist ein Regisseur, der anfangs sehr klare Richtlinien gibt, seine Sänger aber dann frei laufen lässt.

Was gefällt Ihnen am besten an Ihrer Partie, und was ist das Schwierigste?
Die Musik Telemanns ist sehr anspruchsvoll und wunderschön. Beim Arbeiten habe ich wieder viel gelernt. Die Rolle der Rodisette wurde von Telemann mit wunderbaren Melodien ausgestattet.

Sie sind doppelt besetzt mit Stefanie Kunschke. Sie sind ja auch sicher privat eher unterschiedliche Persönlichkeiten. Beeinflusst das die Herangehensweise an die Rolle?
Ja, immer. Jede Künstlerin interpretiert auf ihre eigene Art.

Muss man Barockmusik mögen, um diese Oper zu mögen?
Nein nicht unbedingt. Telemann war zu seiner Zeit ja der Popmusiker für die Leute damals. Die Musik ist sehr abwechslungsreich, wunderschöne Melodien, rasante Duette…

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Bei diesen Interviews muss ich vorausschicken, dass es leider nicht möglich war, sie persönlich zu führen, da ich aus persönlichen Gründen verhindert war. Ich bedanke mich bei den Befragten für ihre Bereitschaft, die Fragen schriftlich oder telefonisch zu beantworten. Ausführliche Gespräche mit den einzelnen Solisten folgen dann in der nächsten Spielzeit.

Thérèse Wincent

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Erzählen Sie uns doch ganz kurz, wovon die Oper „Der geduldige Sokrates“ handelt.
Es ist eine Oper über den griechischen Philosophen Sokrates und seine zwei Ehefrauen, und zum anderen auch über den Prinzen Melito und seine zwei Verehrerinnen, die Prinzessinnen Rodisette und Edronica, es sind also tatsächlich zwei parallel geführte Geschichten. Dazu kommen noch die Schüler des Sokrates und der Chor von „Bewunderern“ sowie Nicia, Melitos Vater, der seinen Sohn gerne verheiratet sehen möchte, und Antippo, der ebenfalls unbedingt eine der Prinzessinnen ehelichen möchte.

Erzählen Sie uns von Ihrer Partie.
Meine Partie ist die der Amitta, die Zweitfrau des Sokrates. Sie streitet sich die ganze Zeit mit der anderen Ehefrau, Xanthippe!

Welche Freiheiten haben Sie bei der Interpretation dieser Rolle?
Es ist eine tolle Erfahrung, mit dem Regisseur Axel Köhler zusammenzuarbeiten. Er hat uns dazu ermutigt, in die Rollen, die wir spielen, unsere eigenen Ideen einzubringen und hat dann Nuancen zu unseren Charakteren herausgearbeitet, die uns selbst möglicherweise nicht eingefallen wären. Natürlich darf man nicht vergessen, dass wir hier Stereotype darstellen!

Was gefällt Ihnen am besten an Ihrer Partie? Was ist das Schwierigste an Ihrer Partie?
Das Beste an meiner Rolle ist die Energie, die für jede Szene erforderlich ist. Amitta ist so überzogen dargestellt, das ist wundervoll! Ich würde sagen, dass das Schwierigste auch genau das ist: die Energie! Diese Partie fordert einem alles ab, obwohl die Rolle selbst gar nicht so groß ist.

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Zwei Frauen sind ja offensichtlich zu viel für einen Mann. Finden Sie, ein halber Mann ist zuwenig?
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Sie sind doppelt besetzt und sicher privat völlig unterschiedliche Persönlichkeiten. Beeinflusst das die Herangehensweise an die Rolle?
Wir hatten und haben die Freiheit, ganz individuell an unsere Rolle heranzugehen, wenn es nötig ist.

Die Musik des „Sokrates“ wird ja hoch gelobt. Trotzdem: Muss man Barockmusik mögen, um diese Oper zu mögen?
Man muss keineswegs ein ausgesprochener Barockopern-Fan sein, um diese Oper zu mögen; sie ist sehr leicht und heiter. Ich hoffe also, dass die komischen Elemente, denen doch durchaus ernsthafte Themen zugrunde liegen, so klar herauskommen, dass unsere Zuschauer danach mit einem Lächeln auf den Lippen nach Hause gehen!

Robert Sellier

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Erzählen Sie ganz kurz, wovon die Oper „Der geduldige Sokrates“ handelt.
Nehmen wir an, jeder Mann müsste per Gesetz zwei Frauen heiraten… Sokrates macht es vor – er hat selbst zwei sehr temperamentvolle Frauen, die ihn und seine sprichwörtliche Geduld bis ins Letzte fordern. Neben seinem Hauptberuf als Betreiber einer Philosophenschule (seine Schüler sind noch nicht besonders fortgeschritten und eher mit irdischen Dingen beschäftigt) berät er noch den König Nicia bzw. dessen Sohn Melito, der mit dieser Doppel-Zwangs-Ehe zunächst völlig überfordert ist.

Erzählen Sie von Ihrer Partie.
Die Partie des Melito: Der überaus attraktive Prinz Melito hat mit Frauen noch keinerlei Erfahrung, aber großes Misstrauen. Und so wird die Aufgabe, zwei Frauen zu wählen, für ihn zur unlösbaren Qual. Seine Phobie löst sich sehr bald durch den direkten Körperkontakt zu beiden Frauen, und nun will er beide. Leider ist Platz eins aber schon von einer dritten besetzt… er muss sich also für eine der beiden entscheiden. Glücklicherweise hebt der Vater die erste Verlobung auf und Melito darf nun wirklich beide, die er will, heiraten. Doch wollen die zwei Frauen sich einen Mann teilen???

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Welche Freiheiten haben Sie bei der Interpretation dieser Rolle?
Die Interpretation dieser Rolle entsteht während der sieben Wochen Probenzeit in ständigem Austausch mit dem Regisseur und dem Dirigenten und auch den direkten Partnerinnen auf der Bühne. Da es eigentlich keine Interpretationsvorlage gibt, habe ich natürlich große Freiheit – aber auch Verantwortung für die Rolle.

Was gefällt Ihnen am besten an Ihrer Partie? Was ist das Schwierigste an Ihrer Partie?
Melito hat vier herrliche und sehr unterschiedliche Arien, erstaunlicherweise alle in Moll. Moll war aber in der Entstehungszeit der Oper durchaus nicht nur mit Trauer oder Trübsal konnotiert, eher mit Empfindsamkeit, Weichheit, Sinnlichkeit. Die Schwierigkeit dieser Partie (eigentlich aller Partien) liegt in der Gestaltung der Rezitative, die sprachlich sehr anspruchsvoll und komplex sind, die rhythmisch aber fast immer dem gleichen Duktus folgen. Das Ganze lebendig zu gestalten, ohne dabei das Continuo abzuhängen, war die schwierigste Aufgabe.

Die Musik des „Sokrates“ wird ja hoch gelobt, es ist die Rede von „leichten Verweisen auf Mozart“ oder „klingt so, als hätte Bach Opern geschrieben“. Da drängt sich fast die Frage auf: Muss man Barockmusik mögen, um diese Oper zu mögen?
Telemanns Musik war zu seiner Zeit gefragter als die seines Kollegen J.S. Bach. Das bedeutet aber für uns Aus- und Aufführende, dass man sich ziemlich intensiv mit den Hörgewohnheiten der Zeit, den stilistischen Manieren, der historischen Aufführungspraxis auseinandersetzen muss, um dieser Musik gerecht zu werden. Denn Telemanns Musik ist viel stärker vom barocken Zeitgeist und der barocken Ästhetik abhängig als J.S. Bachs Musik, ist in diesem Sinne auch „barocker“ als Bach. Daher sollte man auch als Zuhörer seine barocken Hör-Erwartungen nicht an Bach orientieren (vor allem nicht an Aufnahmen vor 1980).

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Frau Kunschke, vielen Dank, dass Sie uns ein Interview geben. Würden Sie uns etwas zu Ihrem Werdegang erzählen?
Ich habe an der Musikhochschule in Köln studiert. Zunächst Schulmusik und evangelische Religion auf Lehramt. Und kam dann zum Operngesang, weil mir das Singen im Studium sehr viel Spaß gemacht hat. Dann bin ich relativ bald in Gast-Engagements schon während meines Studiums gewesen, an der Oper Bonn und auch am Theater Hagen.
Das Theater hat mich dann nicht mehr losgelassen. Es macht einfach großen Spaß. Ich bin dann in mein erstes Festengagement nach Lübeck gegangen. Da war ich knapp vier Jahre. Dann war ich kurze Zeit in Augsburg, habe auch einen Fach-Wechsel gemacht, und konnte dann mit nach München ans Gärtnerplatztheater kommen. Und darüber freue ich mich ganz besonders.

Welche Musik haben Sie als Kind gehört?
Als Kind habe ich ganz unterschiedliche Musik gehört. Ich habe selber früher viel im Chor gesungen. Erst im Kinderchor in der Schule, später dann in A-cappella-Gruppen. Die Musik habe ich natürlich auch gerne zu Hause gehört. Ich habe später Querflöte gespielt und daher im klassischen Bereich mehr sinfonische Musik gehört.
Ansonsten waren ABBA und  Boney M in der Grundschule so meine Gruppen. Später ganz viel Neue Deutsche Welle: Ideal, UKW, Nena, Spliff. Danach Sting, U2, die Stones oder Genesis, die höre ich heute noch sehr gerne. Aus dem Jazz Al Jarreau oder Diane Schuur, Lee Ritenour (E-Gitarre) oder Jamie Cullum. Ganz unterschiedliche Sachen: Gwen Stefani, Mary G Blidge aber auch mal Mariza, die Fadosängerin. Das heißt, privat höre ich als Ausgleich sehr wenig Opernmusik.

Machen Sie auch noch andere Musik außer Oper bzw. klassischer Musik?
Früher habe ich im Studium in mehreren A-cappella-Gruppen gesungen, zum Beispiel Jazz-Standards mehrstimmig oder auch Stücke im Unterhaltungsbereich. Jetzt im Augenblick bin ich schon eher auf die Oper konzentriert. Innerhalb dieses Bereiches glaube ich, dass ich sehr flexibel bin. Durch mein Schulmusikstudium, in dem ich auch Blockflöte als Hauptfach hatte, mache ich sehr gerne häufig Alte und auch Neue Musik.

Sie haben schon erwähnt, Sie haben Querflöte gespielt – spielen Sie noch andere Instrumente?
Wir müssen alle im Studium Klavier als Nebenfach nehmen. Das habe ich dann auch gehabt. Blockflöte war in der Schulmusik mein Hauptfach. Gesang war ursprünglich  mein Pflichtfach. Da bin ich erst im Laufe des Studiums draufgekommen, als ich für meinen Pflichtfachabschluß an einem Kurs der Hauptfächler teilnehmen durfte. Blockflöte habe ich später als Instrument innerhalb der Instrumentalpädagogik studiert. Das Fach Blockflöte habe ich dann auch –neben dem Fach Gesang- an Musikschulen unterrichtet und war öfter Mitglied der Jury für Jugend musiziert.

Haben Sie das absolute Gehör?
Nein, habe ich nicht. Aber ich fühle beim Singen mittlerweile die Tonhöhen relativ genau.

In welchen Sprachen singen Sie, und welche Sprachen sprechen Sie?
Ich verstehe verschiedene deutsche Dialekte, aber ich spreche sie nicht: Kölsch, westdeutsches Platt, was sehr an das Niederländische erinnert. Dann natürlich Englisch und Französisch. Französisch spreche ich auch sehr gerne. Man singt natürlich Italienisch, Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch (einige Lieder habe ich auf Spanisch gesungen). Auch Schwedisch, in bestimmten Liedern von Grieg. Aber ich würde jetzt nicht behaupten, dass ich diese Sprachen spreche. Da muss man sich sehr gut coachen lassen, damit man das singen kann und ganz genau weiß, welches Wort welche Bedeutung oder was für ein Bild vermittelt.

Welche Vorbilder haben Sie, musikalisch oder auch szenisch?
Schwierig zu sagen. Über viele Jahre war Barbara Bonney mein ganz großes Vorbild. Die berührt mich als Sophie und Pamina. Lucia Popp ist es aktuell  immer wieder. Und in der Popmusik  bin ich fasziniert von dem Phänomen Michael Jackson: Wie ein Mensch in so einer Perfektion existieren kann auf der Bühne und sich so ausschließlich als Mensch dahingeben kann. Das ist schon sehr extrem, und das gibt einem vielleicht auch zu denken. Das finde ich unglaublich. Es hat aber gleichzeitig eine ganz große Gefahr als private Person den Boden unter den Füßen zu verlieren, wenn man sich so ausschließlich und extrem hingibt. Aber das finde ich schon faszinierend. Im klassischen Bereich sind es immer wieder ganz unterschiedliche Vorbilder. Ich bin ein Fan der Sopranistin Anja Harteros. Es gibt so viele. Das wechselt immer mal je nach Partie.

Hatten Sie schon internationale Auftritte?
Ich war schon mit einigen Chören im Ausland unterwegs und habe viele Oratorien gesungen. In Moskau habe ich im Tschaikowski-Konservatorium gesungen. Im Tschaikowsky-Saal das Brahms-Requiem. Wir waren in Belgien mit einer Gruppe. In Brüssel mit Alter Musik, über das Goethe-Institut. Ich war schon in England, in Spanien, in der Schweiz, in Schweden, in Italien, mit Orchestern und mit Kammermusik, aber auch mit Oratorienkonzerten. In Sachen Oper war ich schon in Holland unterwegs.

Würden Sie sagen, Sie haben eine 38-Stunden-Woche?
Das kann man bei uns ganz schwierig umrechnen. Was den Kopf betrifft, sind es viel, viel mehr Stunden, von der Art und Weise her, sich damit zu beschäftigen und auseinanderzusetzen. Wenn man jetzt nur die Zeit nimmt, in der ich dort stehe und probe, sind es manchmal weniger, manchmal aber auch mehr. Das variiert sehr stark. Wenn ich jetzt z.B. für ein Projekt sehe, wie viel Zeit ich zum Beispiel an Unterricht investiere – denn ich nehme ja immer noch begleitend Gesangsunterricht oder Korrepetitionen für eine Partie, die vielleicht im kommenden Jahr auf mich zukommt – dann sind es mehr Stunden. Das wäre mal eine interessante Sache auszurechnen, wie viel Mehrarbeit ich da investiert habe. Sicher, wenn das Theater aus seiner Sicht die Stunden errechnet, die ich hier stehe, würde ich sagen: das schwankt. Es gibt sicher Tage, wo ich morgens aufstehe und schon vor dem Frühstück darüber nachdenke, wie ich mich ernähre, weil wir gleich Probe haben. Dann habe ich eine Mittagspause von vielleicht zwei bis drei Stunden, und danach gibt es schon wieder den Maskentermin, weil abends eine Klavierhauptprobe ist. Die geht dann vielleicht bis 23 Uhr. Das kann passieren, aber es gibt eben auch Tage, wo man nur etwas musikalisch vorbereiten muss.

Gibt es Komplikationen, die sich aus dem besonderen Lebensrhythmus eines Opernsängers ergeben?
Es gibt schon Abspracheprobleme, sicher. Wenn man gerne etwas regelmäßig machen möchte -einen Tanzkurs oder eine Sportart- wird es schon schwierig, das zu organisieren, weil unser Tagesplan immer erst einen Tag vorher bis 14 Uhr bekannt gegeben wird. Das heißt, ich kann nicht sagen, ob ich in einer Woche am Dienstag wirklich irgendwo hingehen kann. Das ist ein Problem. Aber es gibt im Laufe der Zeit schon Spielräume. Man kennt sich ja innerhalb des Ensembles, und dann kann man auch mal etwas absprechen. Ich kann nicht im Voraus sagen, ob ich jetzt zum Geburtstag meiner Eltern ins Rheinland fahren kann. Das ist manchmal wirklich schwierig.

Was tut Ihrer Stimme gut, und was verträgt sie überhaupt nicht?
Das richtige Maß zwischen Einsatz und auch wieder Ruhe, das tut ihr gut. Was tut meiner Stimme nicht gut? Schreien vielleicht nicht unbedingt. Es sei denn, es ist wirklich gestützt und einmal, dann kann man das vertragen. Was verträgt meine Stimme nicht? Ja, Zugluft. Lebensmittel? Nein. Ich würde jetzt nicht direkt vor dem Singen Nüsse oder Eis essen. Aber es ist auch keine Katastrophe. Ich würde sagen, das Wesentlichste für die Stimme ist Wasser und Schlaf. Das ist das Beste.

Für so eine Aufführung braucht man ja auch Kondition. Was tun Sie dafür?
Man muss schon gucken, dass man sich eine gewisse Flexibilität erhält. Das heißt, Sport schadet nicht. Einfach immer wieder für eine gute körperliche Disposition zu sorgen, also sich auch immer mal wieder entspannen, wenn man Stress hat. Einfach mal in die Badewanne legen oder sich massieren lassen. Das wäre eigentlich für mein Traum-Opernhaus eine echte Investition: ein Fitness-Studio oder einen Masseur am Haus zu haben. Wir sind Hochleistungssportler bezogen auf unser Stimmorgan, die Halsmuskulatur und die Arbeit mit dem ganzen Körper.

Wie diszipliniert muss ein Sänger leben?
Schon sehr diszipliniert. Also, man muss sich wirklich auf jede Probe sehr unterschiedlich einstellen. Einrechnen, wie viel Zeit man braucht, um sich einzusingen. Die Woche auch im Voraus sehen. Was kommt noch auf mich zu. Singe ich wirklich in der Probe aus, oder was habe ich für Vorstellungen in der Woche. Das heißt, man muss wirklich ein bisschen vorausschauend sein. Mit seinen Energien und auch mit seiner Planung.

Wie bereiten Sie sich auf eine neue Rolle vor?
Ich lese mir als erstes einmal den Klavierauszug durch. Richtig wie ein Theaterstück oder einen Roman. Und sehe erst mal, was mir das sagt. (lacht) Dann lese ich etwas darüber und versuche, mich in Form von verschiedenen Medien zu informieren. Dann fange ich an mit Proben. Erst alleine, dann entweder mit dem Korrepetitor oder ich gehe zum Unterricht zu meiner Lehrerin. Dann habe ich zu einem viel späteren Zeitpunkt – meistens Monate später- die erste Korrepetition im Haus. Vielleicht auch eine Probe mit dem Dirigenten, der mir sagt, was er sich ganz konkret musikalisch vorstellt. Dann gehen irgendwann die szenischen Proben los.

Was ist das Beste an Ihrem Beruf, und was ist das Nervigste?
Das Beste ist, nach einer Vorstellung ins direkte Gespräch mit Zuschauern zu kommen. Denn es ist ein Luxus, wenn man so ein direktes Feedback zu seiner Arbeit bekommt. In diesem Zusammenhang ist natürlich der Applaus das Tollste. Wenn man den Austausch zwischen Publikum und Bühne spürt oder jemand sagt, dass ihn etwas berührt hat, freut mich das. Es ist ein Luxus, den ein anderer Beruf leider nicht hat. Ich kann ja dem Bäcker um die Ecke leider nicht für sein leckeres Brot applaudieren. Aber das Tollste sind einzelne Momente, die man auf der Bühne hat, wo man denkt: Ah, jetzt bin ich mit der Rolle verschmolzen, oder es macht besonderen Spaß zu singen. Das ist so ähnlich wie beim Sport – wie so eine Art Flow. Das stellt sich nicht immer ein, aber den gibt es. Und das ist etwas ganz Tolles, ein erhebendes, zeitloses, unerklärbares Gefühl. Da hinzukommen  ist aber manchmal auch das Nervigste, weil es ein nicht ganz einfacher Weg ist. Aber das nimmt man dann auch in Kauf.

Was wären Sie in einem anderen Leben geworden?
Tierärztin war ein Berufswunsch von mir bis ich achtzehn war. Ich finde, es gibt sehr viele Dinge, die Spaß machen können. Ich unterrichte sehr gerne. Also zum Beispiel Gesangslehrerin. Da sind wir wieder beim Gesang. Ich lerne gerne andere Kulturen kennen. Vielleicht Reiseführerin. Eine Reisende.

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Erzählen Sie uns bitte von Ihrer Partie in der aktuellen Produktion „Der geduldige Sokrates“.
Meine Partie ist die der Rodisette. Sie hat einen Gegenpart, die Edronica. Wir sind beide athenische Prinzessinnen und beide verliebt in den Prinzen Melito. Wir kämpfen beide um die Gunst dieses Prinzen. Ich bin die Zurückhaltende, Schüchterne, die am Anfang nicht so richtig weiß, wie man ein männliches Wesen erobert. Edronica ist da schon etwas forscher. Ich komme erst im Laufe der Geschichte darauf, während ich Edronica sehe mit ihren Tricks und Maschen. Und  ich lerne im Verlauf des Stücks, mir auch ein paar Tricks einfallen zu lassen, um ihn zu gewinnen. Rodisette ist auf jeden Fall eine sehr empfindsame Frau. Sie spielt nicht mit Gefühlen, sondern sie ist eher ein ernsthafterer Typ. Edronica spielt ein bisschen mehr mit den Männern und setzt Mittel ein, um sie zu gewinnen. Man kann sie schnell wieder überzeugen, vielleicht auch jemand anderes zu lieben. Das ist bei mir in der Rolle als Rodisette nicht möglich, bei mir ist es klar: Ich liebe den einen, und ich setze mich für den einen ein, um die Liebe des Lebens zu gewinnen. Ich will auf keinen Fall eine von zwei Frauen sein. Es war im alten Griechenland sehr oft der Fall, dass man zwei Frauen hatte. Und es wird in dem Stück auch diskutiert  mit Sokrates, ob es vielleicht eine Möglichkeit ist, dass man zwei Frauen hat. Es gab auch Griechen, die noch Knaben zu Hause hatten neben ihrer Ehefrau. Sokrates beschließt im Lauf der Geschichte: Nein, zwei Frauen soll es nicht geben. Das ist etwas, was Rodisette entspricht, wo sie sich treu bleibt und sagt: Ich will wirklich alleine diesen Mann haben. Das ist der Hauptkernpunkt dieses Stücks – für mich als Rodisette.

Ist das Frauenbild, das in dieser Oper vermittelt wird, heute noch zeitgemäß?
Nein, das glaube ich nicht. Das antike Griechenland hatte ja ganz andere Vorstellungen davon, was Frauen so machen und wie viele Frauen jemand  hat. Nein, nein. Die gegenwärtige Gesellschaftsordnung hat sich zumindest offiziell geändert, aber sie ist auch aus ihr entstanden.

Kann man als emanzipierte Frau trotzdem Spaß an dieser Oper haben?
Ja. (lacht) Kann man. Sicher. Mit einem Augenzwinkern kann man das, und man lernt dabei auch sehr viel.

Welche Freiheiten haben Sie bei der Interpretation der Rolle?
Ich denke, es muss schon am Klavierauszug, an der Musik oder am Text bleiben. Wenn man den Text genau kennt und gelesen hat, ist eigentlich klar im Klavierauszug vorgegeben, dass ich die Rolle jetzt nicht völlig anders interpretieren kann. Den Rest kann man schon ein bisschen mit beeinflussen. Ob Rodisette immer nur dieser weiche Typ bleibt oder ob sie vielleicht zwischendurch mal bissig wird oder etwas angriffslustiger, da kann man noch differenzieren. Ich denke, das werden die Besetzungen ganz unterschiedlich angehen. Das kann man beeinflussen, aber immer in Absprache mit der Regie, damit man es nicht überzeichnet, sondern das Ganze immer noch im Sinne der Regie gestaltet.

Was gefällt Ihnen am besten an Ihrer Partie, und was ist das Schwierigste daran?
Was mir sehr gut gefällt ist, dass Rodisette ihren Prinzipien treu bleibt, dass sie da ehrlich bleibt. Selbst, wenn sie sich zwischendurch auf dieses Gezanke mit  Edronica einläßt. Das finde ich einen sympathischen Zug, zu sagen: Nein, ich will den, den ich liebe, nicht teilen. Das finde ich schon toll in dieser griechischen Gesellschaft. Gleichzeitig ist es das darstellerische Problem, dass die Figur da nicht zu einseitig rüberkommt. Aber ich hoffe doch, dass es gelingt, das Ganze  lebendig zu halten.

Haben Sie noch eine Wunschpartie, die Sie noch nicht gesungen haben?
Meine Wunschpartien darf ich in der nächsten Spielzeit singen. Einmal Marie in der „Verkauften Braut“. Da gibt es jetzt schon Vorproben für dieses erste Projekt in der nächsten Spielzeit. Das macht unheimlichen Spass. Es ist einfach so schön, in der Musik zu baden und schöne Linien zu singen. Eine andere Traumpartie ist auch die Agathe im „Freischütz“. Das kommt dann Ende des Jahres. Darauf freue ich mich sehr. Pamina in der „Zauberflöte“ bleibt es weiterhin. Es gibt schon Traumpartien, mit denen ich mich erst noch auseinandersetze und überlege, was dann als Nächstes kommen könnte. Es würde mir schon Spass machen, in die Operette ein bisschen weiter hineinzuwachsen. Ich würde auch gerne die Gräfin im „Figaro“ singen, zum Beispiel. Die Micaela mal auf Französisch zu singen, das wäre auch ein Traum. Oder mal eine Rusalka, das fände ich auch toll.

Ist es nicht schwierig, in zwei Neuproduktionen gleichzeitig zu stecken, wenn jetzt die ersten Proben für die „Verkaufte Braut“ schon beginnen?
Ja. Das ist schon ein extremer Unterschied, stilistisch und auch stimmlich. Telemann muss ich ganz schlank singen und sehr kopfig. Viele Verzierungen mit einbauen, was mir auch großen Spass macht. Aber das geht halt nur, wenn man die Stimme ganz schlank führt. Bei der „Braut“ ist wieder mehr gefragt, dass man schöne, große, weiche Bögen singt, wo man den ganzen Stimm-Muskel  ausfährt, aber natürlich auch immer schlank führt dabei. Aber da muss man schon körperlich ein bisschen anders ran  und einfach andere Phrasen gestalten. Das sind schon sehr extreme Unterschiede, Smetana und Telemann. Da muss man sehr flexibel arbeiten.

Sie haben schon die Marie und die Agathe erwähnt. Gibt es weitere neue Partien in der nächsten Spielzeit (2011/2012)?
Ja, es gibt noch das Füchslein Schlaukopf in „Das schlaue Füchslein“ von Janácek. Darauf freue ich mich sehr. Das ist dann musikalisch wieder etwas völlig anderes. Die Partie kenne ich noch nicht, da werde ich mich in der Sommerpause einarbeiten. Ja, und dann bleibt es weiterhin bei Rodisette und Pamina. Das sind meine Partien für die nächste Spielzeit.

Dann vielen Dank für dieses Gespräch!
Danke auch, es hat Spaß gemacht.

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Interview mit Jörn Hinnerk Andresen

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Herr Andresen, vielen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben, in der letzten heißen Probephase ein Interview zu geben. Würden Sie uns als erstes etwas zu Ihrem Werdegang erzählen?
Ich habe, wie das so ist, relativ früh mit Klavierspielen angefangen, mit sieben Jahren. Danach kam noch Querflöte und Trompete dazu, im evangelischen Posaunenchor. Nach der Schule dann das Musikstudium in Dresden, erst für Schulmusik und dann für Chorleitung. Später noch das Zusatzfach Cembalo in Amsterdam, und eben auch der Kapellmeister-Abschluss, d.h. ich habe Dirigieren studiert.

Welche Musik haben Sie als Kind gehört?
Frederik Vahle, glaube ich? Ich weiß es nicht mehr. Alles mögliche. Sehr wenig Klassik, eigentlich.

Haben Sie das absolute Gehör?
Nein.

Sie sind unter anderem spezialisiert auf Barockopern. Was unterscheidet eine Barockoper von anderen Opern, die derzeit am Staatstheater am Gärtnerplatz gespielt werden?
Neben der Entstehungszeit natürlich und den ganzen spezifischen Eigenheiten wie Instrumentierung oder die Art der Spielweise oder auch die Art der Komposition jetzt im einzelnen ist vor allen Dingen der größte Unterschied, dass die Hörgewohnheit sich sehr geändert hat. Im Barock konnte eine Oper ein Spektakel von sechs oder sieben Stunden sein. Das Publikum kam und ging wie es wollte, es wurde gegessen, es war eigentlich eine Party mit Musik dabei. Manchmal waren die Geschichten so spannend, dass die Leute zugehört haben und die Sänger konnten so brillieren. Aber das Werk als geschlossene Einheit, die von Anfang bis Ende zu rezipieren ist, das ist doch eine Idee, die erst sehr viel später in der Klassik aufgekommen ist. Daneben gibt es natürlich unheimlich viele Unterschiede: Das Orchester ist sehr viel kleiner aber spezialisierter, mit Instrumenten, die heute nicht mehr gang und gäbe sind. Wenn ich jetzt anfange mit Lauten oder mit Theorbe oder Dulzian oder Zink, jede Zeit hat dazu ihr eigenes Instrumentarium. Wir können schon sagen, dass früher das Instrumentarium sehr viel farbiger war als heute das Kanonisierte, was wir haben im Orchester, mit dem normalen Bläsersatz und den Streichern.

Werden hier bei der Aufführung dann auch historische Instrumente eingesetzt?
Zum Teil. Das Orchester am Gärtnerplatz spielt auf seinen normalen Instrumenten, allerdings auf eine Art, die ich mal als „historisch informiert“ bezeichnen würde. Das heißt, wir kennen die Quellenlage ganz gut, wir wissen auch, wie Tempi in der Zeit genommen worden sind, wir wissen auch, wie Artikulation gespielt worden ist, ob Sachen kurz oder lang gespielt worden sind; wir können auch ziemlich genau sagen, wie die Besetzungen gewesen sind. Ganz einfaches Beispiel: Wenn zwei Oboen spielen, dann weiß man: Im Continuo spielt nicht das Cello oder der Kontrabass, sondern das Fagott. Es gibt also bestimmte Regeln, die aufgeschrieben worden sind. Das hat man lange Jahre ignoriert. Die historische Aufführungspraxis hat sich dieser Sachen angenommen und hat es wieder ins Leben gerufen. Was wir an historischen Instrumenten haben, ist natürlich der Arciliuto oder die Theorbe, ein Lauteninstrument, für das Continuo. Wir haben zwei historische Cembali, Nachbauten natürlich, weil die meisten Instrumente aus der Zeit heute kaum noch spielbar sind, oder unbezahlbar, oder beides sind. Wir benutzen auch eine Orgel im Orchestergraben, das sind so die historischen Instrumente. Es ist auch eine Blockflöte dabei, die ebenfalls nicht zum normalen Orchesterbetrieb gehört.

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Das Barock-Orchester – wird das in diesem Haus wirken?
Wir machen Folgendes: Wir fahren den Orchestergraben aus der tieferen Position in der er sich unter die Bühne erweitert, um ein größeres Orchester einzupassen, auf Saal-Niveau. Das heißt, dieses Orchester sitzt einen Meter höher. Dadurch ist der Graben zwar kleiner, aber das reicht uns für die relativ kleine Besetzung, die wir benutzen. Das Orchester klingt sehr viel präsenter, aber die Sänger sind auch besser zu hören. Die ganze Akustik dieses Hauses, oder der meisten Opernhäuser, die so gestaltet sind, ist eigentlich schon darauf abgestimmt, dass das Orchester hochgefahren ist. Das Orchester ist ja sonst immer ein akustisches Problem – häufig, dass es dann einfach zu laut ist für die Bühne. Diese Probleme haben wir in dieser Inszenierung – das kann ich jetzt nach der ersten Probe sagen – überhaupt nicht.

Mussten Sie musikalische Kompromisse eingehen?
Das muss man so sagen: Oper oder jede Art von Schauspielmusik sind ohne Frage immer ein musikalischer Kompromiss. Das reine Konzert erlaubt selbstverständlich andere Dinge. Auf der einen Seite birgt  natürlich auch der Kompromiss der Oper Möglichkeiten – dadurch, dass zum Beispiel ein Sänger bestimmte Sachen im Rezitativ langsam oder schnell macht, wo man vielleicht als Dirigent sagen würde: Das möchte ich jetzt aber doch anders haben. Aber es gibt Sachen, die gehen einfach nicht, weil es die Szene nicht so zulässt. Oder bestimmte Tempi sind zum Teil nicht möglich, weil die Entfernung so groß ist, dass man jetzt nicht hyper-schnell spielen kann an Stellen, die man vielleicht gerne rasant hätte. Auf der anderen Seite bringt ja natürlich das gerade wiederum auch Lebendigkeit in die Musik hinein. So eine aussermusikalische Idee wie eine Szene oder eine dramatische Entwicklung, die jetzt nicht originär musikalisch gedacht ist, in die Musik einzuführen, bringt natürlich auch einen Farbenreichtum in die Spielart und in die Musik. Das heißt, es ist ein Kompromiss, aber man gewinnt auch etwas dabei.

Die Oper „Der geduldige Sokrates“ dauert im Original über vier Stunden – muss der Zuschauer viel Sitzfleisch mitbringen?
Vier Stunden ist ohne Pause gerechnet, im Original, ne? (lacht) Das ist die reine Spiellänge, wir haben natürlich das auch unseren Hörgewohnheiten angepasst. Die Länge von vier Stunden entsteht daraus, dass man zwischendurch hinausgegangen ist früher und sich noch ein Bier geholt hat oder so. Mit vier Stunden wärst du auch nicht hingekommen seinerzeit. Es hat ja noch Ballett-Einlagen gegeben und so was. Wir haben das einigermaßen verschlankt, wir haben versucht, der Regisseur Axel Köhler und ich, Handlungsstränge zu glätten, dass wir einfach die Geschichten, die so wie in einer Soap-Opera sich episodenhaft nebenher entwickeln einfach stringenter erzählen können. Dem ist dann einiges an Musik zum Opfer gefallen, aber da muss man tatsächlich sagen, dass mir um jede einzelne Arie das Herz blutet. Ich wollte aber auch nicht mit dem Rasenmäher darübergehen und jede Arie ein bisschen kürzen, wie das häufig gemacht wird, dass man überhaupt keine Da-Capos mehr spielt (d.h. eine Wiederholung des ersten Teils einer Arie), das schafft dann eine sehr große Kurzatmigkeit bei den relativ kurzen Formen, die wir haben. Die Arien haben alle eine Länge von drei bis fünf Minuten. Wir haben uns dann einfach dafür entschieden, richtige Schnitte zu setzen und bestimmte Szenen einfach auch herauszuschneiden, und ich hoffe, dass es funktioniert. Wir werden wahrscheinlich 3:15 Stunden brauchen, mit Pause.

Auf der Internet-Seite des Gärtnerplatztheaters heißt es, „Der geduldige Sokrates“ sei „ein bahnbrechendes Werk für die Entwicklung der deutschen komischen Oper“. Können Sie das etwas näher erläutern?
Es gab seinerzeit, als die Ur-Oper uraufgeführt wurde, 1721 in Hamburg, so eine Bewegung, wo sich eine Art Spieloper entwickelt hat, aus der Opera Seria, die die dominierende Form war, mit großen Da-Capo-Arien, mit einer Handlung, die keine Handlung war, wie man es um 1700 auch bei Vivaldi noch viel findet, wo eigentlich keine wirkliche dramatische Entwicklung stattfindet. Gerade in Hamburg in dieser Oper am Gänsemarkt, die Telemann 1721 auch als Musikdirektor dann übernommen hat, hat sich dann eine Form entwickelt, wo italienische Arien, auch viel Sentimentales zu hören war, aber das Ganze eingepackt in eine deutsche Handlung, und der Sokrates war da eine der ersten Opern. Zwar jetzt nicht unbedingt die erste Oper, aber so wie es bei Telemann ist – das ist ein unfassbar genialer Komponist, der mit sehr, sehr leichter Hand ein breitestes Spektrum an Klangfarben, an musikalischen Einflüssen in diese Oper einfließen lässt. Von daher macht es schon einen großen Effekt, diese Oper zu spielen. In der Zeit waren ja verschiedene musikalische Strömungen präsent. Es gab den französischen Stil, es gab den italienischen Stil, es gab auch den so genannten deutschen Stil. Es findet sich eigentlich ein bisschen was von allem darin, und das Ganze verbunden durch eine sehr interessante Art der Rezitativbehandlung, die sehr lyrisch ist auf eine Art, aber trotzdem auch viel Rasanz und Tempo darbietet. Und man muss natürlich sagen, dass Telemann ein ganz großer Humorist ist. Er hat einen unwahrscheinlichen Spaß an kleinen Effekten, die sich vielleicht dem Hörer nicht unbedingt erschließen, aber wie er Charaktere anlegt in ihren Arien, auch lustige Charaktere, ist absolut bemerkenswert. Von daher ist es schon ein bahnbrechendes Werk, denn das Prinzip „Komische Oper“, also ein Lustspiel in eigentlich eine Opera-Seria-Form zu bauen, das ist eine relativ neue Idee der Zeit, ja.

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Zu Lebzeiten war Telemann ein berühmter und äußerst erfolgreicher Komponist. In der heutigen Zeit wird er vergleichsweise selten aufgeführt. Können Sie sich das erklären?
Der gängige Vorwurf ist immer, Telemann war ein Vielschreiber, das stimmt; er hat wahnsinnig viel geschrieben, aber er hat auch sehr lange gelebt. Niemand würde auf die Idee kommen, Mozart als Vielschreiber zu bezeichnen. Natürlich hat Mozart unwahrscheinlich viel geschrieben, aber durch das vorzeitige Ableben konzentriert sich das Werk auf bestimmte Highlights. Bei Telemann hat man eine unfassbare Fülle von zahllosen Werken, die bis jetzt noch gar nicht editiert vorliegen, das heißt, die können gar nicht aufgeführt werden, oder man müsste dann noch sehr viel Forschung betreiben. Mir geht es immer so: Jede Nummer von Telemann, die ich aufschlage, begeistert mich. Ich habe bis jetzt wirklich noch kein einziges Stuück gesehen, was man so als Gebrauchsmusik oder Füll-Musik bezeichnen würde. Und das gilt für den Sokrates in ganz besonderem Maße. Die Barockmusik verschwand ja aus dem öffentlichen Bewusstsein eigentlich so nach 1750. Da wurde halt ein anderer Stil gepflegt, es war nicht mehr modern, da hat man es vergessen. Erst Mendelssohn hat ja mit dieser berühmten Matthäus-Passion-Aufführung eine Renaissance der Barockmusik angeregt, aber natürlich auf Bach konzentriert. Es hat sich interessanterweise in Deutschland die Forschung erst auf Bach und dann auf Schütz gestürzt und hat diese beiden Komponisten auf ein Podest gehoben, auf das sie zweifellos gehören – nur im direkten Vergleich und ohne genauere Kenntnis der ganzen musikgeschichtlichen Umgebung in der Zeit kann man eigentlich die Bedeutung von Telemann gar nicht einschätzen, vor allem, wenn man sein Werk nicht kennt oder nur sehr stümperhaft aufgeführt sieht. Jetzt ist es so: Wir sind ja heute im riesigen Vorteil, dass wir mittlerweile wieder sehr kompetent so eine Musik historisch informiert spielen können, oder wir wissen über viele Sachen Bescheid, und plötzlich wird Musik lebendig, die vorher vielleicht mit dem herkömmlichen Sinfonieorchester gespielt oder mit Klavier statt Cembalo oder so vielleicht leblos daherkommt und die Farbigkeit der Musik dadurch gar nicht so präsent ist, wie das eigentlich seinerzeit gemeint war. Von daher steht Telemann immer so ein bisschen kurz vor der großen Renaissance, aber ob es dazu kommt, das weiß ich nicht. Es kann auch sein, dass die große Welle der Barockmusik so langsam abebbt, aber ich finde es sehr, sehr spannend. Ich muss sagen, jede Nummer von Telemann, die ich entdecke, finde ich brillant.

Glauben Sie, dass diese Inszenierung ein Revival auslösen könnte?
(Lacht) Das kann ich jetzt nicht sagen. Es ist so: Die Arbeit an dem Werk macht dem Regisseur und mir unfassbar viel Spaß, und auch den Sängern, dem Orchester. Es wird mit viel Leidenschaft gearbeitet, es ist wirklich ein intensives Ringen um dieses Werk. Wir genießen es sehr, das Stück mal zu machen, und das ist natürlich schon mal etwas, wo man als Interpret erst mal ganz dankbar ist, dass man so etwas mit diesem herrlichen Sängerensemble hier anfassen darf und mit dem tollen Chor, den wir hier haben. Auch mit dem Regisseur natürlich einen Riesen-Glücksfall haben, dass der so kompetent in der Barockmusik steht, da er ja selber ein weltberühmter Interpret ist.

Nachdem Regisseur Axel Köhler  ja auch ein Barock-Experte ist: Macht das die Zusammenarbeit einfacher oder komplizierter?
Nein, das macht es natürlich unfassbar viel einfacher. Wir sprechen eine Sprache. Ich muss Axel nicht erklären, warum ich jetzt im Continuo statt des Cembalos mal nur die Laute spielen lasse oder so was. Das sind Sachen, die erklären sich von selber. Auch die Art, wie Rezitative gesungen werden, sind wir uns ganz einig gewesen. Auch die Art, wie Tempi gefunden werden. Man muss sich das ein bisschen vorstellen wie eine ganz große Baustelle, wo man erst mal gucken muss: Ich habe einen Haufen Bausteine, und die müssen jetzt alle zusammengefügt werden, damit ich ein harmonisches Ganzes habe. Wenn da Dirigent und Regisseur nicht zusammenarbeiten, kann das im besten Fall irgendwie funktionieren, aber richtig toll wird es halt nicht. Es ist nicht so, dass wir uns in allem hundertprozentig einig sind, aber da ist auch ein großer Respekt voreinander. Mir persönlich macht es Riesen-Spaß, mit Axel zu arbeiten.

Warum, glauben Sie, hat Telemann den Sokrates als Hauptfigur gewählt? Griechische Philosophie ist ja nicht wirklich ein Opernthema.
In der Barockzeit waren antike Themen natürlich schon beliebt. Für das belesene Bürgertum war Sokrates, wie beispielsweise der Trojanische Krieg, die Ilias, der griechische Pantheon, wie viele andere Sachen aus der Zeit, selbstverständlich bekannt und präsent. Die Kernhandlung, der Streit zwischen den beiden Frauen von Sokrates, der dort so für viel Stimmung sorgt, das ist tatsächlich auch in der Zeit schon kolportiert gewesen, und das war allgemeines Wissen. Der Bürger, der da in die Oper ging, der wusste schon, wer Plato war, Xenophon, Alkibiades, Aristophanes, die waren bekannt. Letztendlich ist es natürlich so: Wie heute einfach eine Oper in eine alltägliche Situation hineingeschrieben werden könnte – wie bei „Cavalleria Rusticana“, wie das Leben von einfachen Menschen beschrieben wird, oder ein Konflikt in einem einfachen Milieu oder im alltäglichen Milieu – das war zu der Zeit undenkbar. Es gab diese antiken Themen, aber die handelnden Figuren sind dann immer Adelige, Prinzen oder eben hochstehende Philosophen wie der Sokrates. Dieser Vergleich mit der Soap Opera, was ich gerade gesagt habe, so dieses Verbotene-Liebe-Prinzip. Letztendlich ist der Konflikt total alltäglicher Kram, was da abgehandelt wird. Es geht um Positionsfindung in einem Machtgefüge, es geht um Familienstreitigkeiten, um Eifersucht, um Entscheidungsarmut, eigentlich um ganz normale Dinge. Das, was uns jeden Tag beschäftigt. Wie werden wir wertgeschätzt, was ist mit Respekt voreinander, und so weiter und so fort. Wo ist meine Position in der Hierarchie, solche Fragen. Da spielt viel hinein, was ganz alltäglich ist: Liebe, Eifersucht, da ist alles drin. Nur eben in einem Milieu, das aber im Grunde genommen mehr der Vorwand ist für schöne Kostüme und schöne Musik.

Muss man sich vorbereiten vor dem Besuch des Opernabends?
Ich hoffe, dass man mit dem offenen Ohr den Abend genießen kann. Ich glaube nicht, dass es „wehtut“, sich vorher mal die Handlung durchzulesen. Wobei die Art, wie Axel Theater erzählt, glaube ich, sich schon sehr gut selber erzählt, so dass es einfach sehr sinnfällig ist. Ich hoffe, dass die Sänger bzw. dass wir so textverständlich arbeiten, dass man das unmittelbar auch genießen kann. Vorbereitung schadet ja nie für einen Opernbesuch, aber – ach Gott, nö. Glaube ich nicht.

Muss man Barockmusik mögen, um Spaß zu haben an dem Abend?
Wenn man jemals im Kirchenchor mal eine Bach-Kantate gesungen hat oder mal in der Johannes-Passion war oder Matthäus-Passion, oder man hört die Eurovisions-Hymne, was weiß ich, Barockmusik ist ja präsent wie nix. Vivaldi, Vier Jahreszeiten, das ist der Stil, den wir spielen. Das ist eigentlich genau der Stil. Wir versuchen auch, es mit italienischem Aplomb anzugehen, das Ganze, und der Sache ein bisschen Wucht zu verleihen. Es ist überhaupt nichts Spezialisiertes. Wir versuchen natürlich, spezialisiert zu spielen, aber wir spielen so, dass die Musik verständlich wird. Das ist das Ziel. Es ist immer so eine Kategorisierung, wo man sagt, also, hier, schön, Romantik, Puccini oder Verdi, oder auch Mozart oder Beethoven oder so, das ist schön, da gehe ich hin, da kann ich unmittelbar genießen. Auf der anderen Seite, wenn Neue Musik darauf steht, oder eine Uraufführung oder spezialisierte Barockmusik, irgendwie weckt das Ängste, obwohl ich das gar nicht verstehe. Es geht ja einfach darum, dass man diese Musik schön spielt und das es Spaß macht. Das passiert von selber, eigentlich.

Haben Sie noch ein Wunsch-Werk, das Sie gerne einmal dirigieren würden?
Es gibt Werke, die ich schon dirigiert habe, die ich unbedingt noch einmal machen möchte, mit anderen Möglichkeiten. Die h-Moll-Messe möchte ich unbedingt noch einmal machen. In der Oper gibt es viele Werke, die ich noch nicht dirigiert habe, wo ich mich einfach überraschen lasse, was noch so kommt in meinem Leben. Nein, kann ich eigentlich nicht sagen. Für mich ist es so: Jedes neue Werk, das ich anfange, vielleicht noch idealerweise eines, das ich noch nicht mal gehört habe oder so was, schafft für mich die Möglichkeit, auch eine sehr eigene Sprache zu finden für die Interpretation. Das ist etwas, was ich sehr reizvoll finde. Deswegen ist so ein unbekanntes Werk, oder auch eine Uraufführung, für mich immer eine schöne Sache.

Können Sie uns schon einen Ausblick auf die Spielzeit 2011/2012 geben, was werden Sie da machen?
Wir spielen den Sokrates wieder, und der Chor hat einigermaßen anspruchsvolle Aufgaben – und was weiter passiert, weiß ich jetzt noch gar nicht so genau. Da müssen wir uns überraschen lassen.

Herzlichen Dank für dieses Gespräch!

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Interview mit Heike Susanne Daum

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Liebe Frau Daum, vielen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben zu einem Interview.
Gerne!

Können Sie uns ein bisschen was zu Ihrem Werdegang erzählen?
Ich habe Abitur gemacht. Danach bin ich an die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart gegangen. Da habe ich sieben Jahre studiert, zuerst Diplom-Studiengang Musikpädagogin, und dann noch das Aufbaustudium für Konzert- und Opernsängerin. Danach wurde ich zum Glück gleich nach Pforzheim engagiert. Das war mein erstes Engagement, am Stadttheater dort war ich vier Jahre, dann war ich fünf Jahre in Dortmund am Stadttheater, und jetzt ist meine vierte Spielzeit am Gärtnerplatz.

Wie kamen Sie zum Singen?
Ich habe schon immer gerne gesungen. Mit fünf habe ich schon gesagt, entweder werde ich Sängerin, Schauspielerin oder Hausfrau: Jetzt bin ich alles drei, alles zu seiner Zeit. Es war eigentlich immer schon ein großer Wunsch, und meine Eltern haben dem nichts in den Weg gestellt.

Welche Musik haben Sie als Kind gehört?
Dschinghis Khan. Nena. Udo Lindenberg. Supertramp. Heavy Metal viel. Wenig Klassik. Selbst Musik habe ich im Musikverein gemacht mit Klarinette und Bariton-Horn. Ich habe auch mit meiner Schwester zusammen im Duo gesungen, so Oberkrainer-Zeugs. Ja, ich bin eigentlich eher mit der Volksmusik aufgewachsen. Durch meine Gesangslehrerin an der Jugendmusikschule Bruchsal bin ich dann langsam an die Klassik herangeführt worden – Barock, Moderne, das habe ich dann alles kennen und lieben gelernt

Machen Sie heute noch andere Musik außer Klassik?
Ja. Chanson und Jazz.

Aber nicht mehr Volksmusik.
Nein, Volksmusik nicht mehr. Könnte ich aber auch noch machen, wenn es gewünscht wird.

Haben Sie das absolute Gehör?
Nein, habe ich nicht.

Was ist das eigentlich, das absolute Gehör?
Man hat ganz genau den Kammerton a – 440 Hertz – den hat man im Ohr, und man kann alles, was man in Notenschrift geschrieben sieht, sofort in der richtigen Tonhöhe umsetzen. Das kann ich nicht. Wenn ich eingesungen bin, spüre ich, wo ein c3 oder c2 liegt. Da liege ich allerhöchstens mal einen Halbton zu hoch oder zu tief. Aber das absolute Gehör habe ich nicht. Das kann man scheinbar trainieren, oder man wird damit geboren. Aber ich habe es weder trainiert, noch wurde ich damit geboren. Ist aber auch kein Problem. Braucht man nicht.

Sie haben vorhin schon gesagt, Sie spielen Bariton-Horn und Klavier …
Bariton-Horn, Klarinette. Klavier kam dann später dazu, für die Aufnahmeprüfung für Stuttgart. Oder überhaupt, für die Aufnahmeprüfung Gesang muss man ja auch Klavier vorspielen. Das sind die drei Instrumente. Klarinette bin ich, denke ich, nicht mehr so gut, Klavier konnte ich nie so wahnsinnig toll spielen, macht mir aber Spass. Das Baritonhorn habe ich ganz aufgegeben. Das habe ich nur bei den Oberkrainern gespielt.

Welche Sprachen sprechen Sie? Und in welchen Sprachen singen Sie?
Ich spreche Badisch, in erster Linie. Dann natürlich auch Hochdeutsch, wenn es gewünscht ist. Dann Englisch, Französisch, und das war es auch schon. Aber ich verstehe gut Italienisch, ich kann es auch sehr gut lesen. Ich kann auch sehr gut Spanisch lesen, oder auch Türkisch lesen, habe aber beim Türkischen keine Ahnung, was es bedeutet. Italienisch und Spanisch erschließt sich mir, weil ich Latein hatte in der Schule bis zum Abitur. Ich singe hauptsächlich auf Deutsch hier am Gärtnerplatz. Auch Italienisch und Französisch habe ich schon gesungen, aber noch keine slawische Sprache. Ich habe auch schon spanische Lieder gesungen und türkische Lieder, alles mögliche schon.

Apropos Türkisch: Freuen Sie sich auf das Gastspiel des Gärtnerplatztheaters in Istanbul?
Da freue ich mich sehr darauf. Es wird bestimmt sehr anstrengend. Ich habe jetzt schon den Probenplan gesehen. Wir werden wahrscheinlich den ganzen Tag oben auf der Festung verbringen. Da muss man sehen, dass man sich mit genügend Wasser eindeckt und dass einem die Sonne nicht einen Strich durch die Stimm-Rechnung zieht.

Haben Sie Vorbilder, musikalisch oder auch szenisch?
Ich bin ein absoluter Callas-Fan, denn die Intensität, mit der sie gesungen hat, hat mich immer berührt. Wenn ich sie höre, fange ich an zu weinen, egal, was sie singt. Das ist eigentlich mein Vorbild, was das angeht. Sie war auch sehr intelligent. Sie war unglaublich schnell beim Partien-Lernen. Ich mochte ihren ganz eigenen Stimmklang. Manche finden ihn hässlich, aber in solchen Kategorien denke ich nicht. Für mich ist wichtig, dass eine Emotion transportiert wird, und das hat sie großartig gemacht. Und das möchte ich auch. Ich möchte auch die Emotion ausdrücken. Wenn ich eine hässliche Aussage habe, möchte ich auch, dass die Stimme nicht immer nur schön und weich klingt, dann darf sie ruhig einmal hart und hässlich sein. Wenn ich eine schöne Aussage habe, oder eine liebevolle, dann soll die Stimme liebevoll und schön klingen. Das ist so mein Ding.

Und szenisch? Sie haben auch Schauspielunterricht gehabt, oder?
Sehr wenig an der Hochschule. Da hatten wir nur zwei Semester so ein bisserl Bewegungstraining. Aber als Frau ist man sowieso die geborene Schauspielerin. Ich habe schon immer gerne geschauspielert. Das muss man ja im täglichen Leben. Jeder von uns muss das ja immer. Und ich habe keine Hemmungen. Ich denke, das ist das größte Hindernis für manche – dass sie Hemmungen haben, ihre Emotionen auch körperlich darzustellen – und da habe ich absolut keine, insofern bin ich ein Naturtalent (lacht).

Hatten Sie schon internationale Auftritte?
Ja. In Montpellier, in Frankreich, habe ich gesungen, in der Schweiz habe ich gesungen, und in Holland, in Amsterdam, habe ich auch schon gesungen. Das sind so meine kleinen internationalen Sachen.

Und jetzt kommt ja noch Istanbul dazu.
Ja, noch die Türkei.

Würden Sie sagen, Sie haben eine 38-Stunden-Woche?
Das kommt darauf an. Manchmal ist es viel mehr, vor allem, weil man nicht abschalten kann. Dann liege ich im Bett, und drei Stunden lang geht dann die neue Partie im Kopf herum. Denn es hört ja nicht damit auf, dass man aus dem Theater rausgeht und so. Man muss ja auch zu Hause üben, lernen, immer wieder in die Noten gucken. Die neuen Partien studieren, die alten wieder aufwärmen. Es kann sein, dass ich mal nur eine 20-Stunden-Woche habe, von meinem Gefühl her, es kann aber auch sein, dass ich mal eine 70-Stunden-Woche habe. Es hängt davon ab, wieviel gerade zu tun ist.

Gibt es Komplikationen, die sich aus dem besonderen Lebensrhythmus eines Opernsängers ergeben?
Schwierig ist es halt teilweise mit Familie. Mein Lebensgefährte wohnt in Dortmund und hat da seinen festen Job. Ich weiß ja nicht, wo ich landen werde, oder wo man überhaupt landet als Sänger, mit diesen ständig befristeten Verträgen, beziehungsweise Nicht-Verlängerungen, die auf einen zukommen oder auch nicht, so dass das sehr schwierig ist, dann eine Beziehung gut zu leben. Und sonst eigentlich beschneide ich mich nicht. Ich kann natürlich nicht mittags in der Sonne liegen oder mich an den See legen, wenn ich abends Vorstellung habe. Dann ist die Stimme ausgetrocknet, dann kommt da nichts. Dann muss ich halt in der Wohnung bleiben. Keinen Rotwein trinken, den ich ohnehin nicht mag, denn davon werde ich heiser, darauf kann ich gut verzichten. Und ich kann vor einer Vorstellung auch nichts essen. Mit vollem Magen geht bei mir nichts. Aber dafür dann danach um so mehr.

Wenn wir gerade bei der Stimme sind: Braucht Ihre Stimme ihren Schlaf? Und was verträgt Ihre Stimme überhaupt nicht? Rotwein haben Sie schon gesagt.
Nur Rotwein und vor allem hohe Ozon-Werte. Also, am Meer geht es, mit der Meeresluft habe ich noch nie Probleme gehabt. Aber wenn die Ozonwerte hoch sind und ich mich bewege in der Zeit, dann kann es sein, dass ich heiser werde und dann eine Allergietablette nehmen muss – Cetrizin wirkt da ganz gut, habe ich schon festgestellt. Es ist wirklich einmal passiert, bei einer Freilichtaufführung, dass ich plötzlich keine Stimme mehr hatte. Das war sehr unangenehm. Und ansonsten – Schlaf brauche ich schon. Beziehungsweise, ich muss einfach schon eine Zeitlang wach sein. Ich kann auch mal nur vier Stunden schlafen. Wenn ich dann aber nach den vier Stunden Schlaf drei oder vier Stunden zum Aufwärmen habe, dann läuft die Stimme genauso, wie wenn ich zwölf Stunden geschlafen habe. Aber natürlich ist es mir angenehmer, ich muss nicht allzu früh aufstehen, wenn ich abends Vorstellung habe. Weil dann der ganze Körper ausgeruhter ist, die Muskeln. Die Stimme auch, die ganze Muskulatur am ganzen Körper ist miteinander verbunden. Und da sollte man eigentlich einfach schon wach und fit sein. Da hat jeder seinen eigenen Rhythmus.

Verändert sich Ihre Stimme, wenn Sie im Urlaub sind?
Im Urlaub singe ich so gut wie gar nicht. Da denke ich nicht nach über die Singerei. Da singe ich vor mich hin, zum Spass, aber da achte ich nicht darauf: Wie klingt die Stimme heute, und habe ich heute ein hohes e oder habe ich es nicht? Das interessiert mich da weniger. Aber danach ist sie immer schön ausgeruht. Da ist sie immer ganz frisch, wenn ich dann wieder nach der Spielpause antrete. Das ist das Schöne.

Was tun Sie für Ihre Kondition?
Viel singen. Also, jeden Tag eigentlich auch immer wieder schön die Stimme „belasten“, also richtig, wie wenn ich vor Publikum stünde. Ansonsten Fahrrad fahren und viel zu Fuß gehen. Und das reicht eigentlich aus. Ich bin kein sportlicher Mensch, ich brauche das nicht so.

Aber so eine Opern-Aufführung oder Operetten-Aufführung – gerade Operette, wo man ja auch tanzen muss, das ist doch ziemlich anstrengend.
Ja, das ist es, aber es macht wahnsinnig viel Spaß. Ich bewege mich ja gerne. Ich bin zwar ein Sportmuffel, das heißt, Fitness-Studio kommt für mich überhaupt nicht in Frage, aber ich bewege mich gerne. Auf der Bühne hat man einen höheren Muskeltonus, durch die Aufregung auch, die man verspürt. Durch das Adrenalin, das einem durch die Adern schießt. Dadurch, dass der Muskeltonus höher ist, spürt man diese Anstrengung gar nicht so stark. Erst hinterher. Meistens am nächsten Tag dann.

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Dann kommen wir zu Ihrer nächsten Premiere: „Der geduldige Sokrates“.
Von Georg Philipp Telemann.

Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet?
Ich habe den Klavierauszug relativ früh bekommen, zum Glück, schon Ende Dezember. Immer wenn ich Zeit hatte, habe ich mich hingesetzt, habe ich mir die ziemlich schwierigen Harmonien der Rezitative herausgeschrieben, damit ich mich am Klavier damit schnell begleiten kann und habe damit halt immer geübt, hauptsächlich ohne jetzt laut zu singen, sondern erst mal nur die Noten angesehen und die Texte natürlich.Ich übe nicht auf Lalala und dann kommt der Text dazu, sondern immer gleichzeitig mit Text. Dann lege ich das Buch weg und versuche, das zu memorieren, ohne Klavier, ohne Buch. So habe ich mich darauf vorbereitet. Ich habe bis heute keine Aufnahme. Ich mache ohnehin gerne mein eigenes Ding. Und dann habe ich halt ein paar Repetitionen gehabt, wie das immer so ist am Theater. Ein Pianist spielt für dich, und dann versucht man, das alles zusammenzusetzen.

Haben Sie sich auch mit der Geschichte an sich beschäftigt?
Also, die Xanthippe, die ist ja geschichtlich verbürgt, das ist meine Rolle im Sokrates. Eine zweite Ehefrau, Amitta, hat er wohl nie gehabt. Es gab zu der Zeit keine Bigamie, es war eine monogame Gesellschaft, zu Sokrates’ Zeiten. Warum ihm die Amitta angedichtet wird, weiss man nicht, aber historisch verbürgt ist sie nicht. Und er war wohl auch ein sehr obrigkeitshöriger Mensch, so dass er garantiert keine zwei Ehefrauen hatte. Aber dem Stück zuliebe hat man sie halt mit hinein genommen, weil die sich immer fetzen, und weil es lustig ist und Witz in die ganze Sache bringt. Ich habe mich immer für die Antike interessiert, für das alte Griechenland und das alte Rom, insofern ist mir das gar nicht so unvertraut.

Können Sie uns kurz erzählen, was passiert im „geduldigen Sokrates“?
Es gibt drei Handlungsstränge. Einmal Sokrates und seine Schüler, die er immer zum Fleiß antreibt. Dann gibt es den nächsten Handlungsstrang mit dem Prinzen Melito, der auch öfters zu Sokrates geht, der von zwei Frauen umschwärmt wird, von Rodisette und Edronica, die er eigentlich beide jetzt nicht so prickelnd findet. Am Ende entschließt er sich aber für eine von beiden. Die andere geht auch nicht leer aus, die kriegt dann einen anderen ab, den sie eigentlich auch nicht will, aber besser einen als keinen. Das ist eigentlich am Ende ganz witzig. Dann eben den Handlungsstrang Sokrates und seine beiden Ehefrauen, die sich ständig um die Vorherrschaft streiten, wer jetzt mehr zu sagen hat und wer jetzt bevorzugt wird von Sokrates, oder auch nicht. Und daraufhin entstehen ständig Streitigkeiten, die der Sokrates zu schlichten versucht. Immer: „Geduld, Geduld“, das sagt er am liebsten, deshalb auch „Der geduldige Sokrates“. Die Ziwstigkeiten – da geht es um Mahlzeiten, da geht es um die Schönheit, wer zuerst vor dem Spiegel steht, eigentlich so klischeemässige Frauenthemen. Ziemlich frauenfeindlich finde ich das teilweise.

Unterstützt die Inszenierung das?
Nein. Der Herr Köhler ist ein sehr, sehr guter Regisseur. Das Stück ist schwierig zu inszenieren. Auch die Musik ist sehr schön, aber so nach einer Stunde hat man sich sehr reingehört, und es kommt eigentlich nichts wirklich Neues mehr, wo man überrascht ist und dann noch einmal mit grosser Aufmerksamkeit zuhört. Insofern ist schon gut, dass es diese verschiedenen Handlungsstränge gibt, die einem immer wieder neue Aufmerksamkeit abfordern. Ich bin ja als Xanippe die Heftigere noch von beiden, die Amitta ist ein bisschen sanfter. Ich darf auch mal weinen, und zwar nicht so ein übertriebenes Weinen, dass es die absolut schreckliche Witzfigur ist, sondern dass man auch wirklich Mitleid mit der Frau bekommt, die wirklich ein Problem damit hat, dass da eine andere Frau an ihrer Seite ist. Also er versucht uns Frauen nicht zu denunzieren. In keinster Weise. Nein, er unterstützt das so nicht. – Schon ein bisschen das weibische Gehabe, vor dem Spiegel herumstehen. Die eine Arie geht darum: Ich bin so schön, ich bin so reizend – bella, vaga, vaga, bella – was durchaus auch viele Frauen tun, aber es wird nicht so dargestellt, dass man sich diffamiert fühlt.

Haben Sie Freiheiten bei der Interpretation Ihrer Partie?
Ja. Ich darf das mit meiner Körperlichkeit machen, mit meiner Art und mit meinem Temperament. Ich bin ja doppelbesetzt mit Sandra Moon, die das wiederum auch mit ihrer Körperlichkeit macht, die eine ganz andere als die meine ist. Die Gänge sind natürlich die gleichen, die Freiheit hat man nicht, denn die Kollegen müssen ja auch wissen: Wenn ich rechts stehe, stehe ich rechts, wenn ich links stehe, stehe ich links. Das muss man schon gleich machen, aber der Herr Köhler überlässt die Rezitative auch jeweils meiner Interpretation.

Was gefällt Ihnen am besten an Ihrer Partie?
Ich glaube, die Perücke (lacht). – Was mir am besten an der Partie gefällt, ist, dass ich zwei sehr schöne Duette habe mit meiner wunderbaren Kollegin Thérèse Wincent. Ich finde es sehr schön, zwei Soprane miteinander. Das macht wahnsinnig viel Spaß, die Musik zusammen zu singen, nicht immer nur Solo-Arien zu haben. Das gefällt mir sehr gut an der Partie. Es ist fast wie bei der Königin der Nacht, du kommst raus, der erste Auftritt: (singt) „Du Missgeburt!“ Als allererstes schreiend, die andere an den Haaren herbeiziehend. Du musst von Null auf 180 in null Sekunden sein, und das macht mir Spaß.

Und was ist das Schwierigste an Ihrer Partie?
Dass man von Null auf 180 in null Sekunden sein muss, das ist anstrengend und schwierig, wenn man sich immer sofort hochputschen muss. Und dann aufpassen, dass die Stimme dabei trotzdem noch gut klingt.

Die Musik des Sokrates wird hoch gelobt. Es ist die Rede von „leichten Verweisen auf Mozart“ oder „es klingt so, als hätte Bach Opern geschrieben“. Da drängt sich fast die Frage auf: Muss man Barockmusik mögen, um diese Oper zu mögen?
Nein. Muss man nicht mögen. Die Musik ist sehr gefällig. Ich habe bis jetzt keine Mozart-Anklänge gefunden. Aber ich kenne jetzt auch nicht die ganze Musik, weil ich ja mit den anderen Handlungssträngen so gut wie nichts zu tun habe und noch nicht viel davon gehört habe, aber – nein, man muss kein Barockmusik-Fan sein, um das zu mögen. Es ist wirklich sehr gefällig, sehr angenehm. Und auch auf Italienisch und auf Deutsch. Was ich auch sehr schön finde: Die Rezitative sind alle auf Deutsch, man versteht immer, worum es geht. Und die Regie unterstützt dann in den italienisch gesungenen Phasen auch wieder das, was man sagt.

Ist es schwierig, umzuschalten zwischen Italienisch und Deutsch?
Nein, überhaupt nicht. In keinster Weise.

Weil die Musik einfach mit den Worten verbunden ist.
Ja. Es ist überhaupt nicht schwer, umzuschalten.

Dann habe ich noch eine Frage an Sie als Xantippe: Zwei Frauen sind ja offensichtlich zu viel für einen Mann.
Ja.

Finden Sie, ein halber Mann ist zuwenig?
Zwei Männer wäre besser. Für eine Frau (lacht). Ich würde es so herum sagen. Obwohl, eigentlich ist er ja kein halber Mann. Schwierig zu sagen. Also ich hätte keinen Spaß daran, mir einen Mann zu teilen.

Können Sie uns schon einen Ausblick auf die Spielzeit 2011/2012 geben?
Es wird meine letzte Spielzeit sein, worüber ich sehr traurig bin. Um so mehr werde ich die nächste Spielzeit genießen. Ich freue mich irgendwie auch auf das Umziehen und den Falstaff im Prinzregententheater. Da darf ich noch einmal unter Herrn Dr. Peters Regie die Alice Ford spielen und singen. Und zu Beginn der Spielzeit werde ich zusammen mit Stefanie Kunschke die Marie in einer Neuinszenierung von Smetanas „Verkaufter Braut“ geben.

Herzlichen Dank für das Gespräch.
Gern geschehen.

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