Herr Baumgardt, herzlichen Dank, dass Sie noch vor der Premiere Zeit finden für ein Interview auf dem Blog „Nacht-Gedanken“. Sie waren ja von 1980 bis 1992 bereits am Gärtnerplatztheater tätig, zunächst als Regieassistent, zuletzt als Oberspielleiter und Persönlicher Assistent des Staatsintendanten. Sie haben unter anderem so erfolgreiche Inszenierungen wie „Anatevka“ am Haus gemacht. Wie fühlt es sich jetzt an, die Eröffnungspremiere zu inszenieren?
Ich bin unglaublich gespannt und ich bin auch aufgeregt, so als würde ich zum ersten Mal am Hause inszenieren, muss ich ganz ehrlich sagen. Auf der einen Seite sind es ja 15 Jahre, dass ich das letzte Mal hier inszeniert habe, 1996 „Funny Girl“. „Anatevka“ lief von 1991 bis 2007, ich habe es natürlich auch immer wieder gesehen, auch, glaube ich, die letzte Vorstellung sogar, und ich kam zurück, und es war irgendwie, als würde ich nach Hause kommen. Es war unglaublich angenehm, und es war sehr schön, einige Kolleginnen und Kollegen aus der vergangenen gemeinsamen Zeit wiederzusehen. Es war ganz vertraut, und trotzdem: „Die Verkaufte Braut“ ist ein schwieriges Stück, ein herrliches Stück, ein ganz wunderbar lebendiges Stück. Es gab zwei erfolgreiche Produktionen, die ich noch erleben konnte, die Inszenierung von Kurt Pscherer, die Inszenierung von Hellmuth Matiasek – und insofern ist natürlich durchaus schon so etwas da wie: Na, reihen wir uns jetzt mit unserer Interpretation, mit unserer Konzeption, mit all dem, was man auf der Bühne dann sehen und erleben kann, reihen wir uns ein in diese Riege der erfolgreichen Inszenierungen der „Verkauften Braut“? Also insofern: Ich freue mich darauf und bin aufgeregt.
Sie werden 2012 die Intendanz der Festspiele „Europäische Festwochen Passau“ übernehmen. Wie verlief Ihr Weg vom Germanistik-Studium in Frankfurt bis nach Passau?
Ja mei (lacht). Ich habe während meines Studiums Schauspielunterricht genommen, habe da auch meine Prüfung gemacht. Damals gab es noch die Prüfung bei der ZBF, Paritätische Prüfungskommission nannte sich das. Ich habe diese Schauspielausbildung nicht gemacht, um Karriere als Schauspieler zu machen, sondern ich habe sie gemacht und habe dann auch gespielt, in Heidelberg, in Darmstadt, hier in München, um einfach zu schauen: wie ist denn das, wenn man da so auf der Bühne steht und jemand eben unten sagt, was man zu tun hat – also, es gemacht, um selber als Regisseur dann nachempfinden zu können, was so in den Schauspielern oder in Sängern vorgeht. Ziel war immer, Regisseur und Intendant zu werden. Insofern war ich sehr glücklich, als Kurt Pscherer mich hier 1980 als Regieassistent engagiert hat und ich dann auch unter Hellmuth Matiasek tätig sein durfte, von Hellmuth Matiasek auch dann zum Oberspielleiter berufen worden bin. Das war für mich eine ganz große Freude, mit vielen wunderbaren Inszenierungen. Dann ging es nach Augsburg, damals jüngster Intendant in Deutschland. Dort blieb ich bis 1997 und es kam etwas, womit ich nie gerechnet habe, es kam von August Everding die Anfrage: „Sagen Sie, ich leite da den Deutschen Pavillon auf der Expo, hätten Sie nicht Lust, so ein bisschen mich zu begleiten?“ Das habe ich sehr gerne getan, ich habe in der Zeit als freier Regisseur inszeniert. Die Zusammenarbeit mit August Everding war unglaublich wunderbar, spannend und inspirierend. Ich habe sehr, sehr viel gelernt. August Everding verstarb viel zu früh, und mir wurde angetragen, seine Nachfolge als Intendant des Kulturprogramms im Deutschen Pavillon anzutreten. Aus dieser Aufgabe, sehr viel Management, aber auch sehr viel befördern können, kam die nächste Aufgabe in gleicher Richtung, nämlich die Europastadt Görlitz-Zgorzelec zu befördern, bis in die Endrunde der Kulturhauptstadt Europas zu kommen. Das bin ich voller Leidenchaft angegangen. Ich muss aber sagen, dass ich doch dann nach sechs, sieben Jahren Management-Tätigkeit irgendwie dachte: Ich muss zurück ans Theater. Da habe ich angefangen. Ich habe das Ensemble vermisst, ich habe die Musik vermisst, wenn man ins Haus kommt, ich habe das Ballett vermisst. Ich war sehr glücklich, dass ich dann aus 120 Bewerbern für die Intendanz des Stadttheaters Kempten ausgewählt worden bin; damals ein Theater, das ein reines Bespiel-Theater war, das erst geschlossen, später saniert, erweitert worden ist mit dem Ziel, sich als ein Stadttheater zu etablieren. Das war eine große Herausforderung, die mir sehr viel Freude gemacht hat. Wir haben das Haus wirklich zum dritten professionell geleiteten Theater in Bayerisch-Schwaben positionieren können in relativ kurzer Zeit. Ja, und plötzlich kam die Möglichkeit, sich um die Intendanz in Nachfolge von Dr. von Freyberg der Festspiele der Europäischen Wochen Passau zu bewerben. Es gibt eine klare Vorgabe, diese Festspiele zu profilieren, als Festspiele, die sich deutlich von anderen unterscheiden, dahingehend, dass sie auch eigene Produktionen herausbringen. Den 60. Geburtstag dieser Festspiele in Niederbayern, Oberösterreich und Böhmen feiern wir wir nächstes Jahr. Dazu noch wieder am Gärtnerplatztheater inszenieren zu dürfen, das ist ein buntes Leben, und ich hoffe, das bleibt es auch.
Sie haben ja vorhin schon die Vorzüge der „Verkauften Braut“ angesprochen. Warum „Die Verkaufte Braut“, und warum am Gärtnerplatztheater?
Dieses Stück gehört auf den Spielplan des Gärtnerplatztheaters. Es ist eine Spieloper, eine komische Oper. Das Haus hat hier eine ganz, ganz große Tradition, und bei einem Ensemble, das hier tatsächlich gepflegt und gefördert wird, wie seit Jahrzehnten, liegt es einfach nahe, „Die Verkaufte Braut“ mit diesen wunderschönen und herrlichen Charakteren ganz unterschiedlicher Art, mit Höhen und Tiefen, dass dieses Stück wieder auf den Spielplan kommt, nach, glaube ich, fünfzehn Jahren. Ich mag es sehr, Menschen auf der Bühne zu zeigen, in denen wir uns wiederfinden können. In jedem Einzelnen der „Verkauften Braut“, in jedem einzelnen Charakterzug, in den Höhen und in den Tiefen, in den Untiefen teilweise auch, können wir uns wiederfinden, und dieser Aufgabe stelle ich mich sehr gerne. Ich möchte die Geschichte erzählen. Die Geschichte lässt sich erzählen, sie ist nämlich nicht ganz leicht, aber sie lässt sich erzählen, wenn man ein so wunderbares Ensemble hat wie dieses, das immer wieder bereit war, sich auseinanderzusetzen mit den einzelnen Figuren und die Zusammenhänge versucht hat zu erkennen und einfach miteinander spielt. Und das finde ich, ist für das Gärtnerplatztheater etwas ganz Wichtiges, etwas ganz Entscheidendes und ist einfach auch das Besondere am Gärtnerplatztheater. Und da muss man auch dann schon sagen, dass es nicht so viele Opern gibt, die auch noch eine so herausragende Musik haben wie Smetanas „Die Verkaufte Braut“. Das, denke ich, war auch mit ein Grund, oder vielleicht sogar der Hauptgrund, der Einladung von Ulrich Peters zu folgen.
Sie haben gerade gesagt, Sie möchten nichts aufpfropfen. Gibt es denn Merkmale, die man in allen Ihren Inszenierungen wiederfindet? – Ich habe gehört, bei einem Regisseur muss immer ein Teddybär auf der Bühne sein, in irgendeiner Form.
Gut, ich kenne auch einen Regisseur, da ist immer eine Leiter auf der Bühne. Ganz so ist es bei mir jetzt nicht, und es ist ganz schwer, das von sich selber zu sagen. Mir ist immer wichtig gewesen – schon, ich glaube, die allererste Inszenierung, die ich hier am Hause gemacht habe, im Marstall damals, „Through Roses“ und dann später „Die heimliche Ehe“– zwischendurch „Fräulein Julie“ – ja, es ist mir immer die Nachvollziehbarkeit dessen wichtig gewesen, was auf der Bühne passiert, das Selbstverständliche. Und zu diesem Selbstverständlichen zählt der vollkommen natürliche und selbstverständliche Umgang der Leute miteinander, was wiederum nicht unbedingt etwas Selbstverständliches im Musiktheater oder in der Oper ist. Dieses herauszuarbeiten, herauszukitzeln und auch festzustellen, dass das Ensemble, die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne, eigentlich danach lechzen, das ist immer mein Anliegen gewesen, das alle meine Inszenierungen, ob jetzt Oper, Operette, Musical, Schauspiel, durchzieht.
Woher kommt die erste Idee, in welche Richtung die Inszenierung gehen soll?
Aus der Überlegung heraus: Hat das eigentlich noch Gültigkeit, das Ganze, wenn man es genauer betrachtet? Also, „Verkaufte Braut“, das ist ja eigentlich ein irreführender Titel. Sie wird ja nun nicht tatsächlich verkauft, weil ja das einfach eine Lüge des Hans ist, um zu einem Happy-End zu kommen; also, ist es ist auch nicht die Situation in Köln vor ein paar Jahren, wo tatsächlich ein Vater seine Tochter für, weiß nicht, 40.000 Euro oder 50.000 Euro, an einen Sohn eines anderen Vaters verkauft hat. Oder auch nicht wirklich die Geschichte, die in Vorarlberg passiert ist in den 80er Jahren, wo ein Bauer seine Tochter verkauft hat gegen Kühe und Schweine. Das Stück steht für gesellschaftliche Regeln. Und diese gesellschaftlichen Regeln, die in der Entstehungszeit der „Verkauften Braut“ über das Beispiel des Versprechens eines Mannes an einen anderen, dass dessen Sohn die eigene Tochter bekommt, verdeutlicht wurden, das ist einfach ein Bild für Regeln, in denen wir alle uns bewegen und aus denen wir ausbrechen wollen und einige es auch können. Deshalb ist für mich Hans und Marie so etwas wie die Moderne, die in diesen Ort, in dieses Dorf hereinbricht. Diejenigen, die einfach sagen: Wir beugen uns nicht mehr, oder wir verhalten uns nicht mehr gemäß den Regeln, die in Jahrzehnten oder auch Jahrhunderten geschaffen worden sind. Und es gibt andere, die von diesen Regeln nicht lassen können, wie zum Beispiel Micha und Hata oder Ludmilla und Kruschina, die erst davon überzeugt werden müssen – und wie sie sich dann wirklich dazu verhalten, ist nun die ganz große Frage.
Richtig ist: Liebe, Leben, oder Liebe und Leben, statt Geld, ist uns einfach wichtiger. Hat das etwas mit Heute zu tun? Ja, es hat etwas mit Heute zu tun. Alles, was da zwischenmenschlich passiert, passiert uns auch. Nicht jedem vielleicht, und auch nicht in der Gänze. Also holen wir das Stück so nah wie möglich an unsere Zeit heran, um einfach diese Barriere abzubauen. Ist das jetzt eine spezielle Zeit? Vielleicht erinnern Sie sich oder haben es gehört: „Heimliche Ehe“ habe ich damals ganz klar in die 1950er Jahre verlegt, weil genau diese 1950er Jahre durchaus etwas zu tun hatten mit den 1750er Jahren. Wir haben einen ganz klaren Vergleich angestellt; für uns war der Reifrock von 1750 der Petticoat von 1950, und der Wunsch nach Adel und sich baden in diesem Glanz und Glamour gab es eben einfach in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts auch. Insofern war es eine ganz klare Festlegung und es handelte sich einfach auch um ein Sujet, wo es um – ja – ausschließlich um gespielte Intrigen ging. Bei der „Braut“ habe ich mich entschlossen, das nicht zu machen, die klare Zeit, sondern wir haben uns entschlossen, es näher heranzuholen. Oder, sagen wir mal so, es auf die Bühne zu bringen in einer gewissen Allgemeingültigkeit. Ich bin immer der Meinung, dass es trotzdem eine Lokalisierung braucht, wenn ich eine Geschichte auch mit realistischen Mitteln erzähle. Also, ich will jetzt nicht sagen, dass wir den Realismus pur haben, aber das, was zwischen den Menschen passiert, ist realistisch, also brauche ich auch eine realistische Erzählweise. Die Lokalisierung bei uns ist ein Milchpilz, oder eine Milchbar, so wie man heute auf dem Land die Erdbeer- oder die Spargelbude findet. Das Hauptargument aber für diesen Pilz auf der Bühne war: Was macht die Marie eigentlich? Oder was sind die Eltern der Marie? Haben die ein Geschäft? Also von Micha wissen wir: Großgrundbesitzer. Kann man übertragen und sagen: Okay, der hat in dem Dorf Häuser und vermietet die Wohnungen. Aber von Kruschina und Ludmilla wissen wir es nicht so richtig: Bauer. Ja. Wenn wir das wortwörtlich nehmen: Bauer Kruschina, dann könnte die Tochter auf dem Hof beschäftigt sein. Jetzt ist sie aber ein bisschen weiter. Also, sie ist für mich kein Puppchen, sondern eine selbstbewusste jüngere Frau. Also hat sie sich von ihren Eltern ein Geschäft aufbauen lassen, und dieses Geschäft wiederum wurde von Micha finanziert. Micha hat dem Kruschina und der Ludmilla Geld geliehen, und aus diesem heraus erklärt sich wiederum, warum überhaupt das Versprechen zustande gekommen ist, dass die Marie den einzigen Sohn, den Micha und Hata gemeinsam haben, Wenzel, heiraten muss. Wir wollten damit ein bisschen klarer machen: Wieso kommt es zu so einer Geschichte des Versprechens. Wieso hat Marie denn nicht diesen Wenzel schon früher geheiratet. Weil ihre Eltern eben Geld geliehen haben. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo das mal geklärt werden muss. Also wird auch an diesem Tag, – wir spielen es an einem Tag, ein entscheidender Tag im Leben der Marie – , diese Sache geklärt werden. Und für diese Vermittlung wiederum hat man einen Vermittler, einen Agenten eingeschaltet, das ist der Kecal. Somit haben wir auch zugleich den Kecal ganz klar situiert: Er ist in diesem Dorf, in diesem Ort, in diesem Stadtteil, in dieser Kleinstadt, der Geschäftemacher. Und nicht ausschließlich der Heiratsvermittler, denn der Heiratsvermittler damals war im Endeffekt auch ein Geschäftemacher. Und damit man nicht jetzt oberflächlich darüber hinweggeht und sagt: Ah, wunderbare Musik, herrliche Stimmen, wollte ich durch so eine Lokalisierung verdeutlichen: Sie hat einen Kiosk oder speziell eine Milchbar, weil damit wiederum die Produkte des Dorfes verkauft werden.
Auf der Homepage des Theaters wird von der „Regiefassung Peter Baumgardt für das Gärtnerplatztheater“ gesprochen – was heißt das genau?
Also, das ist jetzt überhaupt nichts Besonderes. Ich bin da jetzt schon ein paar Mal darauf angesprochen worden und bin ein bisschen verwundert darüber, ehrlich gesagt. Bei der „Heimlichen Ehe“ haben wir auch eine „Regiefassung von Peter Baumgardt“ gemacht. Regiefassung bedeutet, dass Texte oder einzelne Worte dahingehend verändert werden, dass es einen logischen Zusammenhang gibt und dass man einfach sagt: es „Ihr-zt“ und „Euch-zt“ niemand auf dieser Bühne, weil wir damit eine Distanz haben, also muss ich bestimmte Sachen verändern, muss sagen: An welcher Stelle geht das Siezen, wo macht es Sinn, dass sie sich duzen? Wann gibt es eventuell auch ganz klar die Entscheidung: jetzt duzen wir ihn? Also, der Kecal wird immer gesiezt, aber am Schluss, wo alle denken, dass es zu Ende ist mit ihm, wird er geduzt. Oder ich habe umgestellt – im übrigen überhaupt nicht neu, hat Felsenstein auch schon gemacht – das Duett Marie-Wenzel aus dem zweiten Akt in den ersten Akt vorgezogen, weil dadurch die Geschichte stringenter wird.
Wieviel Freiheit lassen Sie den Solisten bei der Interpretation der Rollen? Wird die Inszenierung ein Stück weit auch an die Persönlichkeit der Solisten angepasst, und gibt es einen Unterschied zwischen der Premierenbesetzung und der Alternativbesetzung?
Nun, es gibt einen Unterschied zwischen den Besetzungen dahingehend, dass der eine Kecal groß ist und der andere Kecal etwas kleiner ist, oder das gleiche betrifft auch Marie: Eine ist die etwas gestandenere, erst mal, und die andere ist die sehr liebenswürdige. Aber das Entscheidende ist ja die Bereitschaft, die Bereitschaft beider Besetzungen, sich mit der Konzeption auseinanderzusetzen. Ich nehme zum Beispiel mal heraus die wunderbare Kecal-Arie vor dem Dukaten-Duett, die für mich nicht nur eine Antwort an Hans ist, der sagt: Marie ist die Schönste, die Tollste. Kecal reflektiert sein ganzes Leben, im Endeffekt. Er wiederholt so oft diese eine Antwort „Jeder, der verliebt“ und kommt von dort nicht wie sonst ins Quatschen, sondern in ganz klare Aussagen: Immer wieder passiert es, dass man allein ist, auch wenn man denkt, dass diejenige die Einzige ist. Das ist für mich, für uns, eine Verarbeitung seines Lebens, nicht des ganzen Lebens, aber sicherlich eines wichtigen Teils des Lebens.
Sie haben gerade schon den Kecal angesprochen: Ist der Kecal für Sie eine sympathische Figur?
Oh, der Kecal hat so viele Facetten. Kecal ist ein Schlitzohr. Aber ein Schlitzohr, das deshalb ein Schlitzohr ist und sich ausschließlich mit Geld und Geschäften beschäftigt, weil er in seinem Leben einfach enttäuscht und verletzt worden ist. Ich möchte ihn nicht eindimensional darstellen und sagen: Das ist der Lustige, das ist der, über den ich lache. Ich glaube, über den schmunzelt man und den bedauert man auch, mit dem hat man Mitleid. Das betrifft im übrigen auch Wenzel. Für mich eine Figur – und das machen beide Wenzels in diesem Ensemble ganz herrlich – mit einer Sprachhemmung. Warum hat der eine Sprachhemmung? Das ist doch nicht der Dorfdepp oder Trottel, der stotternd durch die Welt geht. Sondern das ist jemand, dem einfach von der Mutter Regeln auferlegt worden sind, der eine strenge Erziehung hatte. Nicht weil die Mutter ihn nicht mag; sie will Wenzel aus Liebe zu ihm einfach an die Frau bringen. Aber das mit einer Penetranz, erfüllt von Mutterliebe, unfähig, sie ihm zu zeigen, so dass Wenzel eine Sprachhemmung hat, die, ich sage mal, aus tiefenpsychologischen Gründen da ist.
Marie ist ja eine starke Frau, und sie will mit Hans ihre Träume verwirklichen. Wird das dann eine Ehe auf Augenhöhe sein? Sind sie zwei gleichberechtigte Partner?
Ich glaube, sie entwickeln sich an diesem einen Tag – der auch wiederum stellvertretend natürlich ist für eine gewisse Zeit – zu gleichberechtigten Partnern. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das hält. Wir haben auch darüber nachgedacht, eventuell einen Blick in die Zukunft zu wagen. Ich habe mich dann davon ehrlich gesagt verabschiedet, weil einfach das Finale unglaublich rasch an einem vorüberzieht und ich nicht verwirren will. Eines aber ist klar: Sie beide treffen am Schluss die Entscheidung: Hier bleiben wir nicht. Also, wir bauen uns eine Zukunft, aber nicht unbedingt hier, wo alle jetzt sagen: Ja, so wunderbar wie dieses Happy-End ist, das wussten wir ja von Anfang an. Die Gesellschaft hat ihnen Steine zwischen die Füße geworfen; hier bleiben sie nicht. Was aus ihnen dann wird und wie lange das hält? Hm. Ich weiß es nicht. Hans, der eigentlich Zurückhaltende am Anfang. Hans, der konfliktscheu ist. Hans, der ja, obwohl Marie es will, sich nicht dem Problem stellt. Marie, die es von ihm verlangt, und in dem Moment, wo sie es von ihm verlangt hat, tut es ihr schon wieder leid, dass sie so stark gewesen ist, und sie kuschelt. Also, es gibt bei ihnen in diesen 90 Minuten, die sie auf der Bühne sind, wenn man das alles zusammenrechnet, so viele Schwankungen, dass ich glaube, dass diese Schwankungen diese unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammenschweißen und man erst einmal auf ein- und demselben Level ist.
Bleibt denn, so als Ausblick, neben der Intendanz in Passau auch noch Zeit für andere Projekte?
Also, jetzt ist es erst mal so, dass ich die nächsten Monate absolut meinen Blick auf Passau richten werde und auf die sechzigsten Festspiele. Es gibt durchaus Gespräche für die Spielzeit 2012/2013, was Inszenierungen angeht. Ich habe mich hier noch nicht festgelegt. Ja, ich möchte auch weiterhin Regie führen, ich halte das auch für ganz wichtig, mal über den Tellerrand hinaus zu schauen.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch und Toi-Toi-Toi für die Premiere!
Sehr gerne, danke!
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