Wenn wir heute Armut sehen, wäre es uns unangenehm und wie antrainiert würden die Meisten wegschauen. 1848 wurde anders damit umgegangen, viele Menschen aus den oberen Schichten wollten ganz genau hinschauen und es gab sogar Führungen, bei denen feine Damen die dunklen Seiten der Großstädte kennenlernen wollten.
Die Hauptfigur Hannes zeigt einigen reichen Damen, wie die Menschen im Armen- und Industrieviertel Feuerland leben. Hannes selbst besitzt einen Strohsack, einen verbeulten Topf und ein einziges Buch, den Brockhaus Band A-E und hofft aus einem Ausweg aus dem Elend, wenn er alle Artikel darin liest und versteht. Wenn er baden geht, dann 4. Klasse mit gebrauchtem Spreewasser und ohne Seife.
Anders als heute durften Kinder ab neun Jahren täglich bis zu zehn Stunden arbeiten, auch wenn eigentlich schon Schulpflicht galt. Die Fabrikanten argumentierten, bei ihnen würden die Kinder Ausdauer, Ordnung, Pünktlichkeit und Fleiß lernen.
Berlin wuchs in jener Zeit rasant und genauso schnell stieg durch den Einsatz von Maschinen die Arbeitslosigkeit, denn Tischler, Schuster und viele andere Berufsgruppen konnten nicht so billig herstellen wie die Fabriken ihre standardisierten Waren. Die Droschkenfahrer verloren Kunden an die ersten Pferdebuslinien, die Einführung der Eisenbahnen erzwang im ganzen Land eine standardisierte Einheitszeit.
Der zweite Lesungsabschnitt zeigt eine Tour aus der Perspektive von Alice, der 20-jährigen Tochter des Kastellans des Berliner Stadtschlosses, die das Leben ihrer Eltern langweilig und bieder findet. Die Gegensätze zwischen Hannes und den von ihm durch Feuerland geführten Damen könnte größer nicht sein. Während Hannes nur einen Topf besitzt, hängt bei Alice feines Geschirr als Dekoration an den Wänden und er verdient am Tag weniger als eine Droschkenfahrt kostet.
Freunde von Hannes sind an der Vorbereitung eines Aufstands beteiligt und erwarten von ihm, dass er mitmacht bei einer Revolution, die in Deutschland viel veränderte. Das Volk wollte mehr soziale Gerechtigkeit, Versammlungsfreiheit und Einiges mehr, während der König und vor allem sein Polizeichef zunehmend beunruhigt sind von den Menschenmassen.
Die Idee zu diesem Roman kam über seinen Lektor, durch den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses und Titus Müller fand es spannend, dass heutzutage ein Schloss gebaut wird, in dem kein König mehr leben wird, überlegte, wie das Leben im und um das Stadtschloss damals war, las Tagebücher und zahllose andere Quellen. Den Ablauf der historischen Ereignisse habe er nicht verändert, in seinem Roman sei abgesehen von Hannes und Alice wenig erfunden.
Titus Müller erzählte mit viel Leidenschaft von den historischen Persönlichkeiten, die in “Berlin Feuerland” mitspielen, wie z.B. König Friedrich Wilhelm IV., dessen Bruder und Nachfolger Wilhelm, den Stadkommandanten Ernst von Pfuel, der keine Schlacht in Berlin wollte und der engste Freund von Kleist war, den recht unbekannten Polizeidirektor Minutoli, Alexander von Humboldt, der damals inkognito in Berlin lebte, Theodor Fontane und viele andere. Für ihn sind die Momente spannend, in denen Menschen ihr Leben für ihre Überzeugungen riskierten, sich in Sekundenbruchteilen für ihr Gewissen oder ihre Karriere entscheiden mussten.
Die Psyche der fiktiven und historischen Figuren interessiert ihn, ihre Motive und Entwicklung und seine Begeisterung sprang auf das Publikum über. Fast hatte man den Eindruck, er hätte eine Zeitreise gemacht, so lebendig erzählte er über das Leben damals und die Menschen.
Das Leben damals käme uns so anders vor und doch sei vieles unserem heutigen Leben schon sehr ähnlich. Damals hätten die Menschen für vieles gekämpft, das uns selbstverständlich scheint, vor allem für politisches Mitspracherecht, während heute viele nicht mehr wählen gehen.
Sein nächstes Buch wird Mitte des 20. Jahrhundert spielen, genaueres zum Thema wurde noch nicht verraten.
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