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Und dann gab’s keines mehr, 12.10.2018, Blutenburg-Theater München

Winterzeit ist Klassikerzeit in Münchens Kriminalbühne. Auch in dieser Saison zieht wieder die Krimikönigin Agatha Christie in das kleine Theater ein mit einem Werk, dessen – inzwischen politisch korrekter – Titel manchem Zuschauer vielleicht erst einmal fremd vorkommt. Doch spätestens, wenn eine junge Stimme das morbide Kinderlied “Zehn kleine Kriegerlein” zum Besten gibt, erkennt man den erfolgreichsten Krimi aller Zeiten.
Zehn verschiedene Personen werden für ein Wochenende auf eine einsame Insel eingeladen, wo sie sehe schnell feststellen, dass etwas nicht stimmt. Ihre Gastgeber, das Ehepaar Oddy, das eigentlich niemand kennt, sind nicht anwesend und plötzlich läuft eine Tonbandaufnahme, die jeden der Anwesenden des Mordes beschuldigt. Auch liegt eine umgedichtete Version des bereits genannten Kinderlieds an einer alten Hausorgel. Schnell müssen die Anwesenden feststellen, dass es sich um keinen Scherz sondern um tödlichen Ernst handelt und nach und nach sterben die Charaktere – wie im Lied vorausgesagt.

Foto: Volker Derlath

Agatha Christie ist manchmal ja in ihren Erklärungen sehr ausschweifend und langatmig, Regisseur Hardy Hoosman schafft es aber, das Stück trotzdem extrem spannend zu gestalten. Das liegt nicht nur an der dynamischen Inszenierung sondern auch an den interessanten und starken Charakteren, die von einem auserlesenen Ensemble verkörpert werden.

Der kleinen Bühne geschuldet entsteht unweigerlich eine große Spannung, wenn sich alle Charaktere in dem “Salon” drängen (wenn auch zusätzlich vor und hinter der Bühne gespielt wird). Je mehr von ihnen sterben, desto mehr steigen die Konflikte und die Anspannung der Figuren, unterstützt durch die teils unheimliche Lichtstimmung, Musik und Geräusche wie Gewitterdonnern und unaufhörliches Wellenrauschen.
Das zehnköpfige Schauspielerensemble schafft es, diese angespannte Atmosphäre über zweieinhalb Stunden aufrecht zu erhalten und trotzdem dabei jeder einzelnen Figur eine eigene Prägung und Geschichte zu geben. Christa Pillmann spielt die kaltblütige und arrogante Dame Emily Brent, die gerne ihre Mitmenschen herablassend beurteilt und keinerlei Anteilnahme an dem Tod anderer zeigt.

Foto: Volker Derlath

Weitaus gutmütiger wirkt da Konrad Adams als pensionierter Richter Sir Lawrence Wargrave, der versucht, die Gruppe moralisch zusammen zu halten. Dann ist da noch der scheinbar besonnene und erfolgreiche Nervenarzt Doctor Armstrong, gespielt von Florian Fisch, der in dieser Inszenierung jedoch schon zu Beginn mit zitternder Hand nicht sehr souverän wirkt. Das Ehepaar Rogers alias Katharina Friedl und Till Klewitz scheint auch vor der Anreise der Gäste der nicht sonderlich harmonisch. Er trinkt, sie ist genervt und beide kennen ihre Arbeitgeber nicht einmal persönlich, haben aus Geldmangel den Job jedoch angenommen. Deshalb müssen sie sich auch mit anstrengenden Besuchern wie dem penetranten Angeber Anthony Marston (Andreas Haun) und dem gezwungen unbekümmerten Lebemann Philip Lombard (Wolfgang Haas) herumschlagen, der mit der hübschen aber angespannt wirkenden Sekretärin Vera Claythorne (Irene Rovan) anbandeln möchte. Andere wie der vermeintliche Forscher Blore (Sebastian Sash) machen sich schon von Anfang an verdächtig, doch eigentlich stellt sich sehr schnell heraus, dass alle Anwesenden etwas zu verbergen haben. Ergänzt wird die Runde noch von dem pensionierten General Mackenzie, den Claus-Peter Damitz sehr gebrechlich und tattrig wirken lässt, dem Regisseur Hoosman in einem klaren Moment der Figur jedoch zusammen mit Irene Rovan einer der prägnantesten Szenen des Stückes gibt.

Christie hat mit der Vorlage wieder mal ein Werk geschaffen, in dem der Zuschauer bis zuletzt nicht weiß, was er von den Charakteren denken soll. Dieses Verwirrspiel treibt Hoosman in seiner Inszenierung auf die Spitze und trotz den kleinen Raums ist man im Publikum schnell versucht, jedes Detail aufnehmen zu wollen, was natürlich praktisch nicht möglich ist. Aber wäre es nicht auch langweilig, wenn man schon zur Pause erraten würde, wie das Stück ausgeht?
Die Wintersaison des Blutenburg-Theaters ist sehr häufig ausverkauft, wer also diesen perfekt inszenierten Klassiker sehen möchte, sollte sich beeilen!

Rogers: Till Klewitz
Mrs. Rogers: Katharina Friedl
Vera Claythorne: Irene Rovan
Philip Lombard: Wolfgang Haas
Anthony Marston: Andreas Haun
William Blore: Sebastian Sash
General Mackenzie: Claus-Peter Damitz
Emily Brent: Christa Pillmann
Sir Lawrence Wargrave: Konrad Adams
Dr. Armstrong: Florian Fisch
Regie / Sound: Hardy Hoosman
Kostüme: Andreas Haun
Bühne: Peter Schultze
Licht: Tom Kovacs
Regieassistenz: Melanie Kisslinger, Renée Schöfer

Weitere Vorstellungen bis 16. Februar 2019, Dienstag bis Samstag um 20 Uhr, Sonntags um 18 Uhr

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Gottes Last, 25.04.2018, tamS

Vier Priester kommen in eine Bar.
Was wie die Einleitung eines Schenkelklopfers klingt ist der Beginn des neuen Werke aus der Feder von Heiko Dietz, seines Zeichens Schauspieler, Regisseur, Autor und Intendant des – leider immer noch heimatlosen – theater…und so fort (wir berichteten). Dabei bemerkt der Zuschauer schon bei der Lektüre des Programms, dass das Thema an diesem Abend alles andere als lustig ist, schließlich geht es um den in den letzten Jahren viel diskutierten sexuellen Missbrauch durch Geistliche. Doch Dietz versteht es auch in seinem neuen Stück geschickt, das Publikum auch immer wieder zum Schmunzeln zu bringen, ohne die Thematik ins Lächerliche zu ziehen.

Foto: Andreas W. Kohn

Aber wieder zurück zu unseren vier Priestern. Ein Kardinal, ein Bischof, ein Pfarrer und ein Vikar sind auf dem Weg zu einer Tagung an einem Bahnhof irgendwo im Nirgendwo gestrandet, ebenso wie das Geschwisterpaar Manfred und Angelika. Die Reisenden treffen in der heruntergekommenen Bahnhofskneipe von Mechthild aufeinander, in der sich bereits der eher wortkarge Stammgast Peter gemütlich gemacht hat. Die Priester packen ihr Kirchen-Quartett aus, wobei der Kardinal schummeln lässt. Schnell wird die Hierarchie unter den Kirchenmännern deutlich, muss der junge Vikar doch trotz verletztem Arm die Koffer der ganzen Gruppe schleppen. Da ist es für die Herren doch ungewohnt, als sie der resoluten Putzfrau Gabi begegnen und ihr versprechen müssen, die frisch geputzte Toilette sauber zu hinterlassen. Das Warten auf den nächsten Zug zieht sich hin, dabei helfen die merkwürdigen Ansagen des exzentrischen Bahnangestellten Sammi wenig, der sich kurz darauf ebenfalls der Runde anschließt.
Schnell merkt man jedoch, wie nervös Manfred Wiktimar angesichts der Geistlichen wird. Seine Schwester will ihn beruhigen und zurückhalten. Doch schließlich gesteht er dem Kardinal Silenz, dass sie vor Jahren ein Telefonat hatten, in dem Manfred um Hilfe gebeten hatte. Er wurde als Kind sechs Jahre lang zum Pfarrrer seiner Gemeinde sexuell missbraucht, hatte jedoch erst viele Jahre später den Mut dies öffentlich zu machen. Doch das führte nur dazu, dass ihn seine Familie verstieß und er durch die psychische Belastung zum Frührentner wurde. Durch dieses persönliche Schicksal entsteht unter den Anwesenden eine Diskussion über den Umgang mit der Kirche mit diesen Missbrauchsfällen, vor allem die Tatsache, dass die Täter lediglich versetzt und nicht strafrechtlich belangt werden und die Opfer dadurch keinen Frieden finden können. Vor allem Sammi mischt sich rege in die Diskussion, die Putzfrau steuert Fakten bei, nur Mechthild steht meist als Beobachterin hinter ihrer Theke und deeskaliert aufbrausende Situationen mit Getränken und beruhigenden Gesten.
Das Bühnenbild von Andreas Arneth wirkt schlicht und realistisch, auch die Kostüme von Lisa Fertner sind wenig abstrakt, passen also beide zu dem ungeschönten Ton des Stücks, in dem die Thematik des Missbrauchs ausgedrückt wird. Dabei sind durchaus mysteriöse Elemente in dieser Inszenierung, die dem Zuschauer doch vor Augen halten, dass es sich hier um Fantasie handelt. Wieso weiß Mechthild etwa was ihre Gäste trinken wollen, bevor die überhaupt das Lokal betreten? Und wieso scheint sie ein Gewitter heraufbeschwören zu können? Sammi und sie kontrollieren auch per Schnipsen die Musik, die merkwürdigerweise im Text auch die Situationen aufgreifen.
Die Darsteller schaffen es, dieses sicher nicht einfache Stück so überzeugend auf die Bühne bringen, allem voran Claus-Peter Damitz als Manfred, der auch wortlos zeigt, wie sehr seine Figur unter der Vergangenheit leidet. Vor allem, als ihn auch noch seine Schwester entnervt angreift, eine packende Szene von Petra Wintersteller. Josef Parzefall gibt dagegen den immer gut gelaunten Exzentriker, der die ernsten Themen eher von einer zynischen Seite begegnet und somit die Wut manches Anwesenden auf sich zieht. Konrad Adams gibt den scheinbar gutmütigen und diplomatischen Bischof Klemm, der trotzdem viel zu verheimlichen scheint. So soll etwa der verletzte Vikar Reinemann nicht erwähnen, was mit seinem Arm passiert ist. Dieser nimmt eigentlich in diesem Stück sogar die überraschendste Wendung, aber zu viel möchte ich an dieser Stelle nicht verraten.

Foto: Andreas W. Kohn

Die humoristischeren Figuren dieses Theaterabends sind schließlich die beiden Dialektsprecher: die bayrische Putzfrau (ein wundervolles Spiel von Waltraud Lederer), die ein strenges Regiment über die sanitären Anlagen führt und trotzdem intellektuell weit mehr zu bieten hat, als man anfangs meinen möchte. Und dann noch Stammgast Peter, gespielt vom Regisseur und Autor selbst, der sich aus allem heraushält und nur ab und zu im rheinländischen Dialekt ein Bier bestellt und nur anfangs über das Leben philosophiert.
Ich kann nur sagen: schaut euch dieses Stück an! Dietz schafft es, eine so schwierige Thematik gut recherchiert aufzuarbeiten und dabei alle Seiten glaubwürdig darzustellen: die Opfer, die Täter und die Menschen, die nur indirekt betroffen sind. Dabei wird die Kirche an sich nicht ausschließlich dämonisiert, doch die Fehler des Systems aufgedeckt.

Weitere Vorstellungen:
28.April 2018, 20.00 Uhr im TAMS-Theater
03./04./05./16./17./18./19. Mai 2018 im Theater Heppel und Ettlich

Regie: Heiko Dietz
Dramaturgie: Carmen Panknon
Bühne: Andreas Arneth
Kostüm: Lisa Fertner
Musik/Sound: Tobias Bosse
Assistenz/Probendouble: Lucia Rau
Probendouble: Bagdasar Khachikyan

Mechthild, Wirtin: Yvonne Brosch
Peter Tanach, Stammgast / Hermann, Postbote: Heiko Dietz
Gabi, Putzfrau: Waltraut Lederer
Georg Klemm, Bischof: Konrad Adams
Friedrich Silenz, Kardinal: Winfried Hübner
Günther Kowahl, Pfarrer: Johannes Haag
Karsten Reinemann, Vikar: Robert Ludewig
Manfred Wiktimar, Reisender: Claus-Peter Damitz
Angelika Austing, Reisende: Petra Wintersteller
Sammi, unerwünschter Gast: Josef Parzefall

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